Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgelder von Jugendämtern nach § 6 JWG

 

Leitsatz (amtlich)

Die von den Jugendämtern nach § 6 JWG an die Betreuer von sog. Tagesgroßpflegestellen gezahlten Erziehungsgelder sind nicht nach § 3 Nr.11 EStG steuerfrei.

 

Orientierungssatz

1. Erziehungsgelder, die von den Jugendämtern nach § 6 JWG gezahlt werden, sind nur dann nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei, wenn sie ausschließlich zur Erziehung bestimmt sind. Die Erziehungsgelder sind ausschließlich zur Erziehung (Definition) bestimmt, wenn die in der Pflegestelle weiter ausgeübte Tätigkeit der Unterbringung, Verköstigung, Beaufsichtigung und sonstigen Betreuung nur notwendige Hilfstätigkeit zur erzieherischen Tätigkeit ist. Maßgeblich ist der der Pflegeperson erteilte Auftrag (Anwendbarkeit der Grundsätze, die die BFH-Rechtsprechung zur Abgrenzung gewerblicher Kinderheime von freiberuflich betriebenen Erziehungseinrichtungen entwickelt hat).

2. Die Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid ist auch insoweit zulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert wurde, wenn der Kläger nicht eindeutig zu erkennen gegeben hat, daß er von einem weitergehenden Klagebegehren absieht (vgl. BFH-Beschluß vom 23.10.1989 GrS 2/87).

 

Normenkette

EStG 1981 § 3 Nr. 11; JWG § 6 Fassung: 1977-04-25; FGO § 40 Abs. 1, §§ 65, 155; ZPO § 264 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Berlin (Entscheidung vom 14.10.1986; Aktenzeichen VII 369/83)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und die Beigeladene werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Beigeladene unterhielt im Streitjahr (1981) eine sog. Tagesgroßpflegestelle für Minderjährige. Im Rahmen dieser Tätigkeit versorgte sie, unterstützt von ihrer Schwiegermutter, fünf bis acht Kinder im Alter von elf Monaten bis fünf Jahren.

Die Beigeladene erhielt vom Jugendamt Tempelhof für jedes einzelne Kind Tagespflegegeld, das am Sozialhilferegelsatz orientiert ist und den laufenden Unterhalt sowie die sachlichen Aufwendungen für die Erziehung der Kinder abdecken soll. Außerdem erhielt sie ein sog. Erziehungsgeld in Höhe von 19,30 DM pro Kind und Tag.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ die Tagespflegegelder nach § 3 Nr.11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1981 steuerfrei, wohingegen das Erziehungsgeld nach Abzug einer Betriebsausgabenpauschale von 140 DM pro Kind und Monat versteuert wurde.

Im Laufe einer Klage, die der Kläger zunächst nur erhoben hatte, um eine Sonderabschreibung für einen neuen Heizkessel bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten abzusetzen, begehrte er unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 28.Juni 1984 IV R 49/83 (BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571), die Steuerbefreiung nach § 3 Nr.11 EStG auch auf das seiner Frau gezahlte Erziehungsgeld zu erstrecken.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 338 abgedruckten Urteil statt.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der unzutreffende Anwendung der §§ 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. 263 der Zivilprozeßordnung (ZPO) und des § 3 Nr.11 EStG gerügt wird.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger und die Beigeladene haben im Revisionsverfahren keine Erklärungen abgegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).

1. Zu Recht hat das FG die Klage auch insoweit für zulässig gehalten, als sie nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert wurde. Denn der Kläger hat nicht eindeutig zu erkennen gegeben, daß er von einem weitergehenden Klagebegehren absieht. Der Senat folgt insoweit dem Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23.Oktober 1989 GrS 2/87 (BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327), bis zu dessen Ergehen er die Entscheidung über den Streitfall zurückgestellt hatte.

2. Dagegen kann der Senat dem FG nicht in der Auffassung zustimmen, daß das von der Beigeladenen vereinnahmte Erziehungsgeld zu den nach § 3 Nr.11 EStG steuerfreien Bezügen gehöre, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern.

a) Als Erziehung ist eine planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen anzusehen (BFH-Urteil vom 21.Dezember 1965 V 24/62 U, BFHE 84, 503, 505, BStBl III 1966, 182). Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571 ausgeführt hat, sind "Erziehungsgelder", die von den Jugendämtern gemäß § 6 des Gesetzes über die Jugendwohlfahrt --JWG-- (BGBl I 1977, 634) gezahlt werden, nur dann nach § 3 Nr.11 EStG steuerfrei, wenn sie ausschließlich zur Erziehung bestimmt sind. Diese Einschränkung ist notwendig, weil nahezu jede längerdauernde Beschäftigung mit Kindern zugleich deren Erziehung zum Gegenstand hat. Die Erziehungsgelder sind ausschließlich zur Erziehung bestimmt, wenn die in der Pflegestelle weiter ausgeübte Tätigkeit der Unterbringung, Verköstigung, Beaufsichtigung und sonstigen Betreuung nur notwendige Hilfstätigkeit zur erzieherischen Tätigkeit ist. Maßgeblich ist der der Pflegeperson erteilte Auftrag. Insoweit sind die Grundsätze, die die Rechtsprechung zur Abgrenzung gewerblicher Kinderheime von freiberuflich betriebenen Erziehungseinrichtungen entwickelt hat (vgl. BFH-Urteile vom 25.April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553; vom 27.Juni 1974 IV R 204/70, BFHE 114, 95, BStBl II 1975, 147) entsprechend anzuwenden. An der Voraussetzung der Ausschließlichkeit fehlt es im Streitfall.

b) Aus der Sicht des Jugendwohlfahrtsrechts umfaßt die Familienpflege i.S. des § 27 JWG, unter die auch die von der Beigeladenen betriebene Tagespflegestelle fällt, allerdings nicht nur die rein körperliche Versorgung, sondern auch die gesamte Erziehung (Potrykus, JWG, 2.Aufl., § 27 Anm.3). Sie soll den Minderjährigen den Aufbau und die Aufrechterhaltung positiver emotionaler Beziehungen innerhalb eines kleinen und wenig veränderlichen Personenkreises ermöglichen und damit ihrer gesamten Entwicklung förderliche Bedingungen bieten (Nr.2 der Pflegekindervorschriften des Berliner Senators für Familie, Jugend und Sport vom 28.September 1978 --PKV--, Amtsblatt für Berlin 1979, 132). Deshalb werden Erziehungsgelder aufgrund der Vorschrift des § 6 JWG "als Hilfe zur Erziehung einzelner Minderjähriger" gezahlt. Gleichwohl folgt aus der Zielsetzung gerade der Tagespflegestellen (Nr.23 PKV), daß die Aufnahme von Kindern nicht ausschließlich der Erziehung, sondern auch der Unterbringung, Verpflegung und allgemeinen Betreuung dient. Denn die Tagespflegestellen werden von Eltern in Anspruch genommen, die nicht auf die Erziehung ihrer Kinder verzichten wollen, jedoch aus bestimmten --vorwiegend beruflichen-- Gründen gezwungen sind, sie während einer bestimmten Zeit des Tages betreuen zu lassen. Besteht eine solche Notwendigkeit, so liegt es --die notwendige Eignung der Pflegeperson vorausgesetzt-- auf der Hand, daß unter erzieherischen Gesichtspunkten die Unterbringung in einem kleinen Kreis der Heimunterbringung vorzuziehen ist (Nr.3 PKV). Das ändert jedoch nichts daran, daß die erzieherische Tätigkeit der Gesamtheit der in den Tagespflegestellen erbrachten Leistungen nicht das Gepräge gibt. Ein Indiz dafür, daß die Erziehung nicht der maßgebliche Grund für die Unterbringung ist, ist auch darin zu sehen, daß die Aufnahme von Kindern in einer Tagespflegestelle zwar einer vorherigen Erlaubnis durch das Jugendamt (Nr.27 PKV) bedarf und dessen Aufsicht (Nr.40 PKV) unterliegt, daß aber eine erzieherische Ausbildung (mit Ausnahme der Heilpädagogischen Pflegestellen) nicht erforderlich ist.

c) Ein anderes Ergebnis läßt sich entgegen der Auffassung des FG nicht aus dem BFH-Urteil in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571 herleiten. In diesem Urteil hat der erkennende Senat entschieden, daß die von den Jugendämtern an Pflegeeltern gezahlten Erziehungsgelder nach § 3 Nr.11 EStG steuerfrei sind. Er hat dabei jedoch entscheidend darauf abgestellt, daß zwischen den Empfängern der Erziehungsgelder und dem aufgenommenen Kind ein Pflegekindschaftsverhältnis im einkommensteuerlichen Sinne bestand, das voraussetzt, daß das Kind im Haushalt der Pflegeeltern seine Heimat hat und zwischen den Pflegeeltern und dem Kind ein dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnliches Band besteht (§ 15 Abs.1 Nr.8 der Abgabenordnung --AO 1977--; BFH-Urteil vom 9.März 1989 VI R 120/85, BFHE 157, 60; Abschn.180 Abs.2 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1984, seit dem Steuersenkungsgesetz 1986/1988: § 32 Abs.1 Nr.2 EStG). Das Urteil läßt es dagegen für die Steuerfreiheit des Erziehungsgeldes nicht ausreichen, daß ein Pflegekindschaftsverhältnis i.S. des § 27 JWG vorliegt; denn der Senat hat ausdrücklich in Zweifel gezogen, ob vergleichbare Zahlungen an Personen, die Kinder nur des Erwerbs wegen in ihren Haushalt aufgenommen haben ("Kostkinder" vgl. EStR 1984 Abschn.180 Abs.2 Satz 12; EStR 1987 Abschn.177 Abs.1 Satz 5) ebenfalls steuerfrei sind. "Kostkinder" im vorbezeichneten Sinne sind jedoch stets Pflegekinder i.S. des § 27 JWG (Minderjährige unter 16 Jahren, die sich dauernd oder nur für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig außerhalb des Elternhauses in Familienpflege befinden). Die gegenüber der einkommensteuerlichen Definition des Pflegekindes weitere Begriffsbestimmung im JWG ist erforderlich, um eine umfassende Aufsicht über die Pflegestelle durch das Jugendamt zu gewährleisten.

d) Entgegen der im Urteil des FG Berlin vom 23.Februar 1987 VIII 479/85 (EFG 1987, 446) geäußerten Auffassung, besteht auch kein Anlaß, den im BFH-Urteil in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571 aufgestellten Rechtssatz auf alle Pflegekindschaftsverhältnisse i.S. des § 27 JWG, insbesondere auf Tagespflegestellen auszudehnen. Zuwendungen an Pflegeeltern im engen, einkommensteuerlichen Sinne ähneln in vielerlei Hinsicht Zahlungen, die die leiblichen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder erhalten, wie z.B. Kindergeld, Zahlungen nach Bundeserziehungsgeldgesetz oder dem Kindererziehungsleistungsgesetz. Diese sind nach § 3 Nr.24 und 67 EStG steuerfrei.

Demgegenüber weisen die Erziehungsgelder, die an die Betreuer von Tagespflegestellen von der öffentlichen Hand neben dem zur Deckung der Sachaufwendungen für Unterhalt und Erziehung des Kindes bestimmten Pflegegeld (Nr.54 PKV) ausgezahlt werden, eine starke Ähnlichkeit mit den Einnahmen solcher "Tagesmütter", die eine Vergütung unmittelbar von den Eltern der betreuten Kinder erhalten, oder auch mit den Lohneinkünften angestellter Erzieher auf. Beide werden der Einkommensteuer unterworfen.

e) Schließlich läßt sich die Steuerfreiheit der streitigen Erziehungsgelder auch nicht aus dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 7.Februar 1990 IV B 1 - S 2121 - 5/90 (BStBl I, 109) herleiten. In dieser Verwaltungsanweisung wird ausgeführt, daß das aus öffentlichen Kassen gezahlte Erziehungsgeld steuerfrei sei, sofern es für eine auf Dauer angelegte Pflege gezahlt werde und die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben werde. Erwerbsmäßig werde die Pflege betrieben, wenn das Pflegegeld die wesentliche Erwerbsgrundlage darstelle. Bei einer Betreuung von bis zu fünf Kindern könne ohne nähere Prüfung unterstellt werden, daß die Pflege erwerbsmäßig nicht betrieben werde.

Es kann dahinstehen, ob die in dieser Anweisung zum Ausdruck kommende Auffassung, eine auf Dauer angelegte Pflege diene immer dann der Erziehung, wenn sie nicht erwerbsmäßig betrieben werde, eine zutreffende Auslegung des Gesetzes darstellt. Jedenfalls hat die Beigeladene im Streitjahr nur drei Monate lang fünf und sonst bis zu acht Kinder betreut. Die von ihr betriebene Pflegestelle war mithin ihrer Bestimmung nach auf Erwerb i.S. des BMF-Schreibens in BStBl I 1990, 109 gerichtet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63244

BFH/NV 1990, 83

BStBl II 1990, 1018

BFHE 161, 361

BFHE 1991, 361

BB 1990, 2253 (L)

DB 1990, 2504-2505 (LT)

HFR 1991, 10 (LT)

StE 1990, 410 (K)

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