Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Fehlerberichtigung gemäß § 92 Abs. 3 AO, wenn ein Steuerpflichtiger in den Umsatzsteuervoranmeldungen Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 3 BHG a. F. geltend gemacht, in der Umsatzsteuerjahreserklärung aber auf der Zeile "Umsatzsteuer-Kürzungen auf Grund des Berlinhilfe-Gesetzes" in der Steuerbetragsspalte einen Strich angebracht hat.

 

Normenkette

AO § 92 Abs. 3, § 204 Abs. 1; BHG a.F. § 3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) hatte in den Umsatzsteuervoranmeldungen für 1962 vierteljährlich Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 3 des Berlinhilfegesetzes (BHG) a. F. geltend gemacht. In der Umsatzsteuerjahreserklärung für 1962 hatte sie auf der Zeile "Umsatzsteuerkürzungen auf Grund des Berlinhilfe-Gesetzes" in der Steuerbetragsspalte einen Strich angebracht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hatte in dem am 16. Oktober 1964 zur Post gegebenen Umsatzsteuerbescheid 1962 die Umsatzsteuer entsprechend der Jahreserklärung der Steuerpflichtigen ohne Berücksichtigung der Berlinhilfevergünstigung festgesetzt.

Erstmalig mit Schreiben vom 2. Februar 1965 bemängelte die Steuerpflichtige die Nichtabsetzung der Kürzungsbeträge bei der Umsatzsteuerveranlagung für 1962. Es handele sich um ein Versehen bei der Erstellung der Jahreserklärung, das das FA bei der Veranlagung durch Vergleich mit den Voranmeldungen hätte bemerken müssen. Es liege ein Verstoß des FA gegen § 204 AO vor. Das FA lehnte am 9. Februar 1962 eine Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1962 ab. Hiergegen erhob die Steuerpflichtige Einwendungen. Nach weiterem Schriftwechsel mit dem FA stellte die Steuerpflichtige im Schriftsatz vom 29. März 1965 klar, daß sich das (zunächst als Einspruch, später als Beschwerde bezeichnete) Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Fehlerberichtigung gemäß § 92 Abs. 3 AO richte.

Einspruch und Berufung (Klage) blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Steuerpflichtige hat die "Rechtsbeschwerde", die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (vgl. §§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO), nicht begründet. Der Senat hat daher die Vorentscheidung von Amts wegen geprüft. Mängel i. S. des § 118 FGO sind nicht feststellbar.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das Rechtsmittel der Steuerpflichtigen sich nicht gegen den Umsatzsteuerbescheid 1962 richtete - der Einspruch gegen diesen Bescheid hätte wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist als unzulässig verworfen werden müssen -, sondern die Ablehnung der beantragten Berichtigungsveranlagung betraf (§ 235 Nr. 1 AO a. F.). Die Vorinstanzen haben eine solche Berichtigung zu Recht abgelehnt. § 92 Abs. 3 AO, den die Steuerpflichtige angewendet wissen will, gilt nach Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift nicht für Versehen des Steuerpflichtigen (Urteil des BFH IV 444/53 U vom 1. Juli 1954, BFH 59, 146, BStBl III 1954, 265). Ein Fehler des FA lag nicht vor. Da im Streitfalle keine sogenannte Selbstveranlagung stattgefunden hatte, sondern ein Steuerbescheid ergangen war, hatte die Steuerpflichtige die Möglichkeit, die Veranlagung auf ihre Richtigkeit zu prüfen und durch Einlegung des Einspruchs innerhalb der Rechtsmittelfrist die in der Steuererklärung versehentlich unterlassene Absetzung der Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 3 BHG a. F. nachzuholen.

Hiervon abgesehen lag eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 92 Abs. 3 AO nicht vor. Denn der Fehler der Steuerpflichtigen war aus den Steuerakten nicht ersichtlich. Es kommt oft vor, daß die Jahressteuererklärung von den Voranmeldungen abweicht, daß z. B. in den Voranmeldungen angeführte Steuerbefreiungen oder Kürzungsbeträge in der Jahreserklärung nicht geltend gemacht werden, weil der Steuerpflichtige oder sein steuerlicher Berater bei der Erstellung der Jahreserklärung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Voraussetzungen für die Steuervergünstigungen nicht gegeben sind. Diese Möglichkeit lag im Streitfall um so näher, als der Steuerbevollmächtigte der Steuerpflichtigen ausweislich der Akten bei der Anfertigung der Umsatzsteuerjahreserklärung mitgewirkt hat.

Da somit angenommen werden konnte, daß der Strich in der Zeile "Umsatzsteuer-Kürzungen auf Grund des Berlinhilfe-Gesetzes" auf der Jahreserklärung mit Absicht angebracht worden ist, hat das FA die ihm nach § 204 Abs. 1 AO obliegende Ermittlungspflicht nicht verletzt. Es ist nicht Aufgabe des FA, ordnungsgemäß ausgefüllte Steuererklärungen auf alle nur denkbaren Fehlerquellen hin zu prüfen und auch entfernt liegende Möglichkeiten eines Versehens des Steuerpflichtigen ins Auge zu fassen. Das FA kann grundsätzlich darauf vertrauen, daß der Steuerpflichtige die Jahressteuererklärung entsprechend der von ihm abgegebenen Versicherung, "die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht" zu haben, nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage abgegeben hat.

Auf die Berichtigungsmöglichkeiten nach § 222 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AO ist das FG zu Recht nicht eingegangen, weil die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften (Betriebsprüfung bzw. Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde) im Zeitpunkt der Vorentscheidung nicht erfüllt waren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68560

BStBl II 1969, 474

BFHE 1969, 484

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