Entscheidungsstichwort (Thema)

Versteuerung einer Abfindung beim durch Tod ausgeschiedenen Gesellschafter - Voraussetzungen für die Anwendung des § 35 EStG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Steht einem Gesellschafter bei seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft ein Abfindungsanspruch zu und vollzieht sich das Ausscheiden durch seinen Tod, so ist der durch diesen Vorgang entstehende Veräußerungsgewinn noch dem Erblasser zuzurechnen.

2. Die Steuerermäßigung des § 35 EStG können die Erben eines Gesellschafters in einem solchen Fall nicht in Anspruch nehmen.

 

Orientierungssatz

Voraussetzung für die Anwendung des § 35 EStG ist, daß die von der Erbschaftsteuer erfaßten Vermögensgegenstände beim Erblasser noch nicht zu steuerpflichtigen Einkünften geführt haben (vgl. Literatur).

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 3, § 35

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 2 und Revisionsklägerin (Klägerin zu 2), die Klägerin zu 1 und die Beigeladene sind Erbinnen ihres verstorbenen Vaters, des Diplom-Ingenieurs H. Dieser hatte sich im Jahre 1976 mit einem Kollegen, dem Diplom-Ingenieur J, zu einer Sozietät zusammengeschlossen. In diesem Vertrag war bestimmt, daß J die Sozietät nach dem Ausscheiden von H übernehmen und diesem dafür eine monatliche Rente in Höhe von 3 000 DM zahlen sollte. Die Rente war für die Dauer von 100 Monaten zu zahlen. Sollte H vor Ablauf dieses Zeitraums versterben, so sollte die Rente seinen Erben oder einer von ihm hierzu bestimmten Person zufließen.

Am 4.Januar 1979 errichtete H eine letztwillige Verfügung, in der er bestimmte, daß diese Rente nach seinem Tode Frau Sch zufließen sollte. Im Juli 1980 verstarb H, ohne daß er zuvor aus der Sozietät ausgeschieden wäre. Frau Sch erhielt die gesamte Rente in Form von 100 Monatszahlungen in Höhe von jeweils 3 000 DM.

Anläßlich einer im Jahre 1982 durchgeführten, die Gemeinschaft H/J betreffenden Betriebsprüfung ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) für das Jahr 1980 einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn des Gesellschafters H in Höhe von 380 742 DM, in dem die im Sozietätsvertrag vereinbarte, an Frau Sch gezahlte, Rente mit einem Barwert in Höhe von 289 606 DM enthalten war. Das FA erließ einen entsprechenden, die Gemeinschaft betreffenden Gewinnfeststellungsbescheid.

Hiergegen erhoben die Klägerinnen als Rechtsnachfolgerinnen des H nach erfolglosem Einspruch Klage zum Finanzgericht (FG). Sie machten geltend, der Veräußerungsgewinn müsse der Empfängerin der Rentenzahlungen, Frau Sch, zugerechnet werden. Hilfsweise sei die von Frau Sch gezahlte Erbschaftsteuer gemäß § 35 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die Einkommensteuer des Erblassers anzurechnen.

Das FG wies die Klage ab.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Klägerin zu 2, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Klägerin zu 2 beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und nach den erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß noch in der Person des Erblassers H ein Veräußerungsgewinn entstanden ist. Ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart, daß beim Ausscheiden eines Gesellschafters die Gesellschaft unter den Verbleibenden fortgesetzt wird, so wächst der Anteil des Ausscheidenden den Verbleibenden zu (§ 738 Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Hat der Ausscheidende Anspruch auf eine Abfindung, so stellt diese ein Entgelt für den Übergang seines Gesellschaftsanteils auf die Verbleibenden dar. Die Erben des ausgeschiedenen Gesellschafters erwerben zu keiner Zeit einen Anteil am Gesellschaftsvermögen. Folglich ist, wenn sich das Ausscheiden durch den Tod des Gesellschafters vollzieht, die Veräußerung des Gesellschaftsanteils an die verbleibenden Gesellschafter und damit auch ein infolge des Abfindungsanspruchs entstehender Veräußerungsgewinn noch dem Erblasser zuzurechnen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.April 1975 IV R 115/73, BFHE 115, 495, BStBl II 1975, 580; Herzig, Finanz-Rundschau --FR--1988, 85, 95; Schulze zur Wiesche, Betriebs-Berater --BB-- 1987, 2419). Der Fall ist mangels einer Beteiligung der Erben an den Gegenständen des Gesellschaftsvermögens nicht mit dem vergleichbar, daß ein Erbe anläßlich der Erbauseinandersetzung über einen ererbten Einzelbetrieb oder Sonderbetriebsvermögen ein Einzelwirtschaftsgut übernimmt (a.A.: Reiß, in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr.B 123). An diesen Grundsätzen hat sich durch die Entscheidung des Großen Senats des BFH zur Erbauseinandersetzung vom 5.Juli 1990 GrS 2/89 (BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837) nichts geändert (Groh, Der Betrieb --DB-- 1990, 2135, 2140; Felix, Kölner Steuerdialog --KÖSDI-- 1991, 8355; Märkle/Franz, BB 1991, Beilage 5, S.12 f.; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 16 Anm.129 a; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 11.Januar 1993 IV B 2 - S 2242 - 86/92, BStBl I 1993, 62, Tz.78).

Ebensowenig wie die Erben erzielt derjenige, dem die Abfindung durch Vermächtnis zugewendet wird, einen Veräußerungsgewinn; denn auch er hat zu keiner Zeit einen Anteil am Gesellschaftsvermögen erlangt. Das verkennt die Klägerin, wenn sie sich auf die BFH-Urteile vom 29.Mai 1969 IV R 238/66 (BFHE 96, 182, BStBl II 1969, 614) und vom 5.August 1971 IV 243/65 (BFHE 103, 345, BStBl II 1972, 114) beruft. Abgesehen davon ist die in diesen Urteilen vertretene Auffassung durch die Entscheidung des Großen Senats in BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837 aufgegeben worden (Groh, DB 1990, 2135, 2137; Felix, KÖSDI 1991, 8355; Märkle/Franz, BB 1991, Beilage 5, S.10; BMF-Schreiben in BStBl I 1993, 62, Tz.67).

2. Das FG hat auch zutreffend entschieden, daß die Klägerinnen die Steuerermäßigung nach § 35 EStG nicht in Anspruch nehmen können. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist, daß die von der Erbschaftsteuer erfaßten Vermögensgegenstände beim Erblasser noch nicht zu steuerpflichtigen Einkünften geführt haben (Troll in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 35 Rdnr.5; Schmidt/Glanegger, a.a.O., § 35 Anm.5 a; Stuhrmann in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 35 Rdnr.9). Sind sie dagegen --wie im Streitfall-- in einer den Erblasser betreffenden Steuerfestsetzung zu berücksichtigen, kann eine Doppelbelastung nicht eintreten, weil entweder die Zahlung der Steuer durch den Erblasser oder die noch offene Einkommensteuerschuld den Nachlaß mindern (Troll, a.a.O.). Das übersehen die Klägerinnen, wenn sie die im Streitfall unerhebliche Frage für bedeutsam halten, ob auch die von einem anderen gezahlte Erbschaftsteuer bei Eintritt des zur Einkommensbesteuerung führenden Ereignisses angerechnet werden kann, was z.B. bei der Gewinnrealisierung durch den Nacherben der Fall sein könnte (Problem der personellen Identität - vgl. etwa Schmidt/Glanegger, a.a.O., Anm.5 g m.w.N.).

Die Lösung des Streitfalls ist die gleiche, wie wenn der Erblasser einige Zeit vor seinem Tod aus der Sozietät ausgeschieden wäre, die bereits empfangenen Rentenzahlungen verbraucht und die nach seinem Tode anfallenden Zahlungen einem Nichterben zugewandt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64810

BFH/NV 1993, 62

BStBl II 1994, 227

BFHE 171, 440

BFHE 1994, 440

BB 1993, 2075

BB 1993, 2075-2076 (LT)

DB 1993, 2006-2007 (LT)

DStR 1993, 1362 (KT)

DStZ 1993, 635 (KT)

HFR 1993, 647 (KT)

StE 1993, 487 (K)

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