Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Behandlung einer Ausgleichszahlung an angebliche Miterben infolge eines Vergleichs - Zurückverweisung an das Finanzamt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zahlung eines Ausgleichs an angebliche Miterben infolge eines gerichtlichen Vergleichs unterliegt den steuerlichen Regeln über die Erbauseinandersetzung.

2. Nach der Gesetzesänderung zum 1. Januar 1993 kann das FG den angefochtenen Verwaltungsakt auch dann ohne Entscheidung in der Sache aufheben, wenn dem FA kein Verfahrensfehler unterlaufen ist.

 

Orientierungssatz

Die Rechtsprechung zur früheren Rechtslage (§ 100 Abs.2 Satz 2 FGO a.F.) ist überholt.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 16; FGO § 100 Abs. 3, 2 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerinnen und Revisionsbeklagten (Klägerinnen) sind Erbinnen der im Jahre 1984 verstorbenen Frau AX, geb. B. Die Erblasserin betrieb zwei Gewerbebetriebe. Zum Nachlaß gehörten außerdem Grundbesitz und Kapitalvermögen.

Auf den Nachlaß erhob auch eine "Personengruppe B" Anspruch, deren Mitglieder als Miterben anerkannt werden wollten. Nach langjährigem Rechtsstreit schlossen die Klägerinnen und die "Gruppe B" im März 1990 vor dem Landgericht einen Vergleich folgenden Inhalts:

"1) Die Parteien sind sich darüber einig, daß Erben der

... AX, geb. B, die Beklagten X sind.

2) Zur Abwendung des Risikos dieses Rechtsstreites zahlen

die Beklagten X an die ... (Partei B) 28 v.H.

des Nachlaßwertes. ..."

In ihrer Erklärung zur einheitlichen und gesonderten

Feststellung der Einkünfte für 1990 behandelten die

Klägerinnen die Abfindungszahlungen aus dem Vergleich anteilig

als Betriebsausgaben der beiden Gewerbebetriebe. Der Beklagte

und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte

diese Aufwendungen nicht. Er hielt sie für Erbfallschulden,

die nach seiner Auffassung den Privatbereich betrafen.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte teilweise Erfolg. Das

Finanzgericht (FG) hat die angefochtenen Verwaltungsakte nach

§ 100 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) teilweise

aufgehoben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Das FG

vertrat die Auffassung, daß die Zahlung der Klägerinnen an die

"Gruppe B" möglicherweise zu Anschaffungskosten geführt habe,

die im Wege der Abschreibungen zu Betriebsausgaben führen

könnten. Die Voraussetzungen hierfür und ggf. der Maßstab der

Verteilung der Anschaffungskosten auf die einzelnen

Wirtschaftsgüter seien vom FA noch festzustellen.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt wird.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Zutreffend hat das FG erkannt, daß auf die Abfindungszahlungen, die die Klägerinnen an die "Gruppe B" gezahlt haben, die Grundsätze anzuwenden sind, die für die Auseinandersetzung zwischen Miterben gelten. Die Abfindungszahlungen können somit zu Anschaffungskosten führen (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837). Die gegenteilige Auffassung des FA, derzufolge die Zahlung zur Begleichung von Erbfallschulden gezahlt worden sein soll, ist unzutreffend.

a) Unter Erbfallschulden versteht man die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten, insbesondere die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen (§ 1967 Abs.2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Solche Schulden sind nicht durch die Absicht, steuerpflichtige Einnahmen zu erzielen, verursacht, sondern finden ihre Veranlassung unmittelbar in dem als Vorgang der Privatsphäre anzusehenden Erbfall (BFH-Urteil vom 2. März 1993 VIII R 47/90, BFHE 170, 566, BStBl II 1994, 619). Werden sie beglichen, so erhalten die Erben keine Gegenleistung des Berechtigten. Folglich werden auf die Erben auch keine Vermögenswerte übertragen, für die Anschaffungskosten entstehen könnten (Senatsurteil vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392).

Im Streitfall liegen die Dinge jedoch in entscheidungserheblichem Maße anders. Zum einen handelt es sich bei dem von den Klägerinnen anerkannten Ausgleichsanspruch nicht um Verbindlichkeiten, die "den Erben als solchen treffen". Einen Bezug zum Erbfall haben sie nur insoweit, als die Empfänger (die "Gruppe B") behaupteten, ebenfalls zum Kreis der Erben zu gehören. Dafür, daß sie zugleich Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigte o.ä. hätten sein können, gibt es keinen Anhaltspunkt. Zum anderen haben die Klägerinnen eine Gegenleistung erhalten. Das verkennt auch das FA nicht, wenn es darauf hinweist, die Gegenleistung habe im Verzicht auf die weitere Geltendmachung des behaupteten Erbrechts bestanden.

Kann somit die durch den Vergleich vom März 1990 begründete Ausgleichsverbindlichkeit nicht als Erbfallschuld behandelt werden, so stellt sich lediglich die Frage, ob das FG sie zu Recht nach den für die Auseinandersetzung zwischen Miterben geltenden Regeln beurteilt hat. Das FA zieht das deswegen in Zweifel, weil es in dem Vergleich heißt, die Parteien seien sich darüber einig, daß "Erben" die Klägerinnen seien. Einen vergleichbaren Fall hat der Senat, wie das FG zutreffend erkannt hat, in seinem Urteil vom 14. Oktober 1966 IV 61/64 (BFHE 87, 387, BStBl III 1967, 175) entschieden. In jenem Fall hatten sich die Testamentserben mit den das Testament anfechtenden Prozeßgegnern in der Weise geeinigt, daß die Testamentserben zwar als "Alleinerben" anerkannt wurden, die Anfechtenden jedoch zur Abgeltung ihrer Ansprüche rückwirkend vom Tage des Erbfalls an einen Gewerbebetrieb aus dem Nachlaß erhalten sollten. Der Senat hat diesen Vergleich dahingehend ausgelegt, daß die Frage, wer Erbe geworden sei, nicht einseitig zugunsten der Testamentserben geregelt worden sei, sondern daß sie diesen Erfolg nur erzielt hätten, indem sie einräumten, daß die Gegenseite hinsichtlich eines erheblichen Teils der Erbschaft praktisch wie ein Erbe behandelt werde. Entsprechend hat der Senat in einem Fall entschieden, in dem der Steuerpflichtige eine Abfindung im Rahmen eines Vergleichs erhalten hatte, mit dem ein Rechtsstreit über das Bestehen eines Gesellschaftsverhältnisses beendet worden war (Urteil vom 18. Januar 1990 IV R 97/88, BFH/NV 1991, 21). Diesen Entscheidungen liegt die Erwägung zugrunde, daß die Abfindungszahlung lediglich in der --umstrittenen-- Stellung des Abgefundenen als Erben oder Gesellschafter ihre wirtschaftliche Rechtfertigung findet. Hieran hält der Senat fest. In diesem Zusammenhang ist auch die steuerliche Behandlung beim Abgefundenen im Auge zu behalten. Er hat den Prozeß geführt, um als Miterbe oder Mitgesellschafter anerkannt zu werden und um sich zumindest sein Ausscheiden aus der behaupteten Erbengemeinschaft oder Gesellschaft vergüten zu lassen. Erreicht er sein Ziel, muß er einen Veräußerungsgewinn versteuern. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, ihn anders zu besteuern als einen unangefochtenen Miterben oder Mitgesellschafter, der aus der Gemeinschaft oder Gesellschaft gegen eine Abfindung ausscheidet.

b) Zutreffend ist das FG auch davon ausgegangen, daß sich die Höhe der aus den Abfindungszahlungen resultierenden Anschaffungskosten danach richtet, ob und ggf. in welchem Umfang die Zahlung aus liquiden Mitteln des Nachlasses geleistet worden ist, und daß es insofern weiterer Sachverhaltsermittlungen bedarf. Nicht fehlerfrei sind jedoch die Hinweise, die das FG dem FA für die weitere Sachbehandlung gegeben hat. Insbesondere hat das FG übersehen, daß es sich im Streitfall um einen sog. Mischnachlaß handelt, bei dem nicht nur die Grundsätze über das Ausscheiden eines Miterben einer Erbengemeinschaft mit Privatvermögen, sondern auch die über das Ausscheiden aus einer Mitunternehmerschaft zu prüfen sind. Nur beim Ausscheiden aus einer Erbengemeinschaft mit Privatvermögen finden die vom FG herangezogenen Grundsätze der Realteilung Anwendung. Richtigerweise ist wie folgt zu verfahren:

(1) Die Ausgleichszahlung ist im Verhältnis der Verkehrswerte des Mitunternehmeranteils und der anteiligen Verkehrswerte der Wirtschaftsgüter des Privatvermögens zu verteilen (Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 11. Januar 1993 IV B 2 -S 2242- 86/92, BStBl I 1993, 62, Tz.49 i.V.m. Tz.53).

(2) Sodann sind beide Nachlaßteile getrennt zu betrachten. Hinsichtlich des Nachlaßteils "Privatvermögen" trifft es zu, daß es nur insoweit zu Anschaffungskosten kommen kann, als die anteilige Abfindungszahlung nicht aus liquiden Mitteln des privaten Nachlaßvermögens beglichen worden ist (Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 16 Rz.631; Groh, Der Betrieb 1990, 2135).

(3) Hinsichtlich des Nachlaßteils "Betriebsvermögen" gelten die Regeln über das Ausscheiden aus einer Gesellschaft (Beschluß des Großen Senats in BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837, 843 unter C. II. 1. b; BMF-Schreiben in BStBl I 1993, 62, Tz.53 i.V.m. Tz.42; Märkle/Franz, Betriebs-Berater 1991, Beilage zu Heft 5 S.5; Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr.B 101). Es kommt in jedem Fall insoweit zu Anschaffungskosten, als die auf das Betriebsvermögen entfallende Abfindung die anteiligen Buchwerte der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens übersteigen. Allerdings sind die Anschaffungskosten der verbleibenden Erben höher, wenn die Ausgleichszahlungen nicht aus liquiden Mitteln des Unternehmens bestritten werden. Denn im letztgenannten Fall werden in größerem Umfang stille Reserven aufgedeckt.

2. Auch die Rüge des FA, das FG habe zu Unrecht eine Entscheidung nach § 100 Abs.3 FGO getroffen, ist nicht begründet. Nach § 100 Abs.3 FGO in der seit dem 1. Januar 1993 gültigen Fassung kann das FG, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den angefochtenen Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, wenn es eine weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich hält, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Die Anwendung der Vorschrift setzt --entgegen der früheren Rechtslage (§ 100 Abs.2 Satz 2 FGO a.F.)-- nicht mehr voraus, daß der Behörde ein wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen ist. Aus dem ersatzlosen Wegfall dieses Erfordernisses ist zu schließen, daß die Anwendung des § 100 Abs.3 FGO nicht etwa nunmehr einen "einfachen" Verfahrensfehler des FA voraussetzt. Es reicht vielmehr aus, daß das Gericht die Rechtslage anders beurteilt als die Behörde und dadurch weitere Ermittlungen notwendig werden (BTDrucks 12/1061 S.19). Die Rechtsprechung, derzufolge eine Aufhebung ohne Entscheidung in der Sache selbst nach § 100 Abs.2 Satz 2 FGO a.F. nur dann zulässig war, wenn das FA unter Zugrundelegung seiner materiellen Rechtsauffassung einen Verfahrensfehler begangen hatte (z.B. BFH-Urteil vom 13. November 1991 I R 58/89, BFHE 166, 518, BStBl II 1992, 496) ist daher überholt (vgl. Kühn/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 100 FGO Anm.5). Entgegen der Auffassung des FA kann auch nicht verlangt werden, daß derartige Erwägungen in die Ermessensentscheidung des FG einfließen, wenn der mit der Gesetzesänderung bezweckte Entlastungseffekt nicht unterlaufen werden soll. Die Ermessensentscheidung des FG beschränkt sich darauf, ob der Umfang der noch erforderlichen Ermittlungen erheblich ist und ob die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Zwar kann diese Ermessensentscheidung des FG vom Revisionsgericht auf Verfahrensfehlerhaftigkeit geprüft werden (BFH-Urteil vom 29. März 1995 II R 13/94, BFHE 177, 217, BStBl II 1995, 542). Bei Rüge eines Verfahrensmangels muß der Revisionskläger jedoch neben der verletzten Rechtsnorm die Tatsachen bezeichnen, die den Verfahrensmangel ergeben (§ 120 Abs.2 Satz 2 FGO). Im Streitfall hat das FA keine Umstände dargetan, aus denen sich entnehmen ließe, daß die erforderlichen weiteren Ermittlungen unerheblich seien oder daß die Aufhebung durch das FG ohne Entscheidung in der Sache selbst nicht sachdienlich sei.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66021

BFH/NV 1996, 216

BStBl II 1996, 310

BFHE 180, 142

BFHE 1997, 142

BB 1996, 1257

BB 1996, 1257-1258 (Leitsatz und Gründe)

DB 1996, 1263-1264 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1996, 505-506 (Kurzwiedergabe)

HFR 1996, 507-509 (Leitsatz)

StE 1996, 390 (Kurzwiedergabe)

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