Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Bezieht ein Mitglied eines Prüfungsamtes für die große juristische Staatsprüfung Vergütungen für seine Prüfungstätigkeit, so können diese auch dann Einkünfte aus selbständiger Arbeit sein, wenn das Mitglied zu dem Land, um dessen Prüfungsamt es sich handelt, in einem Arbeitsverhältnis steht. Die Prüfungstätigkeit ist eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG 1951.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 5, § 34/4

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.) hat als Vizepräsident eines Oberlandesgerichts Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Strittig ist, ob seine Einnahmen als stellvertretender Vorsitzender eines Prüfungsamtes für die große juristische Staatsprüfung im Jahr 1951 zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit und steuerbegünstigt sind.

Das Finanzamt rechnete die Einnahmen aus der Prüfungstätigkeit zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Auf den Einspruch des Bg. wurden die Einnahmen als steuerbegünstigt angesehen. Die Berufung des Vorstehers des Finanzamts hatte keinen Erfolg. Auch das Finanzgericht hielt steuerbegünstigte Einkünfte für gegeben.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts. Dieser ist nach wie vor der Auffassung, daß eine Steuerbegünstigung nicht in Betracht komme, weil es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit handle. Außerdem ist nach seiner Ansicht eine Steuerbegünstigung um deswillen nicht möglich, weil die Prüfungstätigkeit keine wissenschaftliche Tätigkeit sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt, wenn auch aus anderen Gründen als den vorgetragenen, zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Das angefochtene Urteil ist ebenso wie die Einspruchsentscheidung von der Zusammenveranlagung des Bg. mit seiner Ehefrau ausgegangen. Nach den §§ 26 und 26a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt 1957 I S. 848), die auch für den Streitfall Anwendung finden, sind Ehegatten aber grundsätzlich getrennt zu veranlagen (vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957, Slg. Bd. 65 S. 520, Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 III S. 433).

Die Vorentscheidungen sind danach aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache ist an das Finanzamt zurückzuverweisen, das gemäß §§ 26 und 26a EStG n. F. zu verfahren hat.

In der Streitfrage selbst kann der Auffassung des Vorstehers des Finanzamts nicht beigetreten werden. Das Finanzgericht hat die Einnahmen des Bg. aus seiner Prüfungstätigkeit im Ergebnis zutreffend als steuerbegünstigt angesehen.

Eine Steuerbegünstigung nach § 34 Abs. 5 EStG 1951 kommt, wovon auch die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind, für die Einnahmen des Bg. aus seiner Prüfungstätigkeit nur dann in Betracht, wenn es sich bei dieser Tätigkeit um eine wissenschaftliche Tätigkeit handelt. Der Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 5 EStG ist, wie der Bundesfinanzhof wiederholt ausgesprochen hat, weit auszulegen (vgl. die Urteile IV 73/52 U vom 30. April 1952, Slg. Bd. 56 S. 425, BStBl 1952 III S. 165, und IV 104/52 U vom 13. November 1952, Slg. Bd. 57 S. 83, BStBl 1953 III S. 33). Wissenschaftlich tätig im Sinne dieser Vorschrift ist nicht nur, wer schöpferische oder forschende Arbeit leistet, sondern auch derjenige, der, ohne den Kreis der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erweitern, eine nach wissenschaftlicher Methode zu erledigende Arbeit leistet, innerhalb welcher die zu erledigenden Aufgaben "nach streng sachlichen und objektiven Gesichtspunkten zu lösen versucht werden". Eine wissenschaftliche Tätigkeit kann auch eine solche sein, "die die Anwendung der Lehren und Grundsätze einer Wissenschaft auf konkrete Verhältnisse zum Gegenstande hat", wie es z. B. bei der Erteilung wissenschaftlicher Gutachten der Fall ist. Aus dem gleichen Grunde kann die kritische Würdigung einer wissenschaftlichen Leistung auch ihrerseits wissenschaftliche Tätigkeit sein. Ist, wie es bei der großen juristischen Staatsprüfung der Fall ist, der Prüfungsstoff, also das, worüber der Kandidat an Kenntnissen verfügen soll, nur auf Grund wissenschaftlicher Vorbildung zu erwerben, so kann man die Tätigkeit des Prüfers nicht als nichtwissenschaftlich bezeichnen. Die Prüfungstätigkeit - sie wird übrigens auch in § 47 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz (BewDV) als wissenschaftliche Tätigkeit bezeichnet (vgl. auch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs III A 62/28 vom 20. März 1930, Reichssteuerblatt - RStBl - 1930 S. 399) - ist im Gegensatz zu der Auffassung des Vorstehers weit mehr als ein bloßes Abfragen oder Herantragen von Prüfungsstoff. Sie erfordert, soll sie ihrer Aufgabe gerecht werden, eine Auseinandersetzung mit dem, was der Kandidat als seine Stellungnahme vorträgt, und setzt ein hohes Maß an eigenem Können und geistiger Konzentration voraus. Es begegnet danach keinen Bedenken, wenn das Finanzgericht die Prüfungstätigkeit des Bg. als wissenschaftliche Tätigkeit anerkannt hat.

Nach § 34 Abs. 5 EStG 1951 ist für die Steuerbegünstigung der Einkünfte aus einer wissenschaftlichen Tätigkeit des weiteren Voraussetzung, daß die Einkünfte nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören. Wäre festzustellen, daß die Prüfungstätigkeit des Bg. Teil seiner ohnehin gegebenen nichtselbständigen Arbeit ist, so käme eine Begünstigung - entgegen der Auffassung des Finanzgerichts - nicht in Betracht. Daß die Prüfungstätigkeit gegen die übrige Tätigkeit deutlich abgrenzbar ist, würde an dem Ergebnis nichts ändern; denn das Merkmal der Abgrenzbarkeit spielt (vgl. § 34 Abs. 5 Ziff. 2 EStG) nur dort eine Rolle, wo es sich bei beiden Tätigkeiten um selbständige Arbeit handelt. Die Zugehörigkeit des Bf. zu dem Prüfungsamt für die große juristische Staatsprüfung steht zwar, wie der Vorsteher des Finanzamts und das Finanzgericht mit Recht hervorheben, in engem Zusammenhang mit der Zugehörigkeit des Bg. zur Justiz. Unstreitig können als Mitglieder des Prüfungsamtes nur Universitätslehrer des Rechts, Richter, Rechtsanwälte oder Staatsanwälte sowie andere Beamte, die die Befähigung zum Richteramte haben, berufen werden, während der Vorsitzende des Prüfungsamtes und sein Stellvertreter Justizbeamte mit der Befähigung zum Richteramt sein müssen. Trotzdem kann die Tätigkeit des Bg. als Mitglied des Prüfungsamtes - und nur in dieser Eigenschaft, also wegen seiner Prüfungstätigkeit, hat er die hier strittigen Einkünfte bezogen - nicht als Teil seiner Tätigkeit als Richter, also seiner ohnehin gegebenen nichtselbständigen Arbeit angesehen werden.

Das Finanzgericht hat zu der Tätigkeit der Mitglieder des Prüfungsamtes unwidersprochen festgestellt: Es bleibt dem einzelnen Prüfer überlassen, den Umfang seiner Mitwirkung bei den Prüfungen selbst zu bestimmen. Das Prüfungsamt hat keine Möglichkeit, einen Prüfer zur Teilnahme an einer Prüfung zu zwingen. Es ist darauf angewiesen, daß sich für einen in Aussicht genommenen Prüfungstermin die vorgeschriebene Anzahl von Prüfern zur Verfügung stellt. Es muß dem Wunsch eines Prüfers, nur zu bestimmten Zeiten zu Prüfungen herangezogen zu werden, Rechnung tragen. Die Prüfer sind nicht weisungsgebunden. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses kann ihnen weder die für die mündliche Prüfung zur Verfügung stehende Zeit vorschreiben noch sie anweisen, den Prüfungsstoff aus einem bestimmten Gebiet zu wählen. Auch bei der Durchsicht der schriftlichen Arbeiten sind die Prüfer nicht fristgebunden, soweit sich nicht durch die Ansetzung des mündlichen Prüfungstermins eine zeitliche Beschränkung von selbst ergibt. Weder dem Justizminister noch dem Leiter des Prüfungsamtes stehen Disziplinarmaßnahmen gegenüber den Prüfern zu. Auch hat das Prüfungsamt keinen Einfluß auf die Erteilung von Urlaub. Die Prüfer sind nicht verpflichtet, Erkrankungen anzuzeigen.

Wenn das Finanzgericht hieraus den Schluß gezogen hat, daß der Bg. hinsichtlich seiner Prüfungstätigkeit nicht als Arbeitnehmer tätig geworden ist, so unterliegt das keinen Bedenken. Daß die Berufung eines Rechtsanwalts in den Prüfungsausschuß mangels entsprechender Einordnung in die Justizverwaltung nicht zu einem Arbeitsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Land (Justizverwaltung) führt, ist bereits im Urteil des Reichsfinanzhofs IV 115/38 vom 7. September 1938 (RStBl 1938 S. 1010) dargelegt worden. Der erkennende Senat ist der gleichen Auffassung. Er stimmt dem Urteil IV 115/38 aber nicht auch insoweit zu, als es die Prüfungstätigkeit eines Beamten, nur weil dieser ohnehin in einem Arbeitnehmerverhältnis steht, als unselbständige Arbeit ansieht. Das Verhältnis eines in den Prüfungsausschuß berufenen Rechtsanwalts zum Land (Justizverwaltung) anders zu beurteilen als das eines in den Prüfungsausschuß berufenen Arbeitnehmers erscheint jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer nicht zu dem (in Betracht kommenden) Land, sondern zu einem anderen Arbeitgeber, etwa dem Bund oder einer Universität im Arbeitsverhältnis steht. Die Tätigkeit eines Mitglieds des Prüfungsausschusses und dementsprechend sein Verhältnis zum Land (Justizverwaltung) kann aber auch dann nicht anders beurteilt werden, wenn das Mitglied zu dem Land (Justizverwaltung) selbst im Arbeitsverhältnis steht. Der Reichsfinanzhof hat zwar in der Regel die Dienstleistungen, die ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber außerhalb des Arbeitsvertrages erbracht hat, als Hilfsgeschäfte im Rahmen des Arbeitsverhältnisses angesehen mit der Folge, daß die Einnahmen daraus zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören (vgl. die Urteile VI A 898/31 vom 22. Oktober 1931, RStBl 1931 S. 953, und IV A 44/36 vom 23. September 1937, RStBl 1937 S. 1186). Der Bundesfinanzhof ist dieser Rechtsprechung aber nicht gefolgt. Er hat z. B. anerkannt, daß Provisionen, die ein Versicherungsangestellter von der Versicherungsgesellschaft, seiner Arbeitgeberin, für die nicht in seinen Dienstvertrag fallende Vermittlung von Versicherungsgeschäften erhielt, oder Honorare, die einem angestellten Schriftleiter von seinem Arbeitgeber für freiwillige schriftstellerische Tätigkeit gewährt wurden, nicht zum Arbeitslohn gehören, obwohl hier wie dort zwischen den beteiligten Personen Arbeitsverhältnisse bestanden (vgl. die Urteile IV 405/53 U vom 7. Oktober 1954, Slg. Bd. 60 S. 45, BStBl 1955 III S. 17, und IV 181/54 U vom 3. März 1955, Slg. Bd. 60 S. 400, BStBl 1955 III S. 153). Das Entscheidende hat der Bundesfinanzhof in diesen Fällen darin gesehen, daß den von den Arbeitnehmern übernommenen Tätigkeiten alle Merkmale fehlen, die für die nichtselbständige Arbeit kennzeichnend sind. Die Arbeitnehmer hatten die zusätzliche Tätigkeit freiwillig und außerhalb ihrer Dienstobliegenheiten übernommen, sie hatten sie außerhalb des Dienstes und ohne Weisungsbefugnis des Arbeitgebers ausgeführt. Der erkennende Senat tritt der in den Urteilen IV 405/53 U und IV 181/54 U ausgesprochenen Auffassung bei. Für den Streitfall folgt aus dieser Auffassung, daß die Prüfungstätigkeit des Bg., weil sie zusätzlich, freiwillig, außerhalb der Dienstobliegenheiten und des Dienstes und ohne Weisungsbefugnis des Dienstherrn ausgeführt worden ist, trotz ihres Zusammenhangs mit dem Dienstverhältnis nicht als nichtselbständige, sondern als selbständige Arbeit anzusehen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409047

BStBl III 1958, 255

BFHE 1958, 662

BFHE 66, 662

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