Leitsatz (amtlich)

Nachzahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung sind, auch wenn sie sich auf mehrere Jahre beziehen, als Sonderausgaben nur bis zu den Höchstbeträgen abzugsfähig, die für das Jahr der Zahlung maßgeblich sind.

 

Normenkette

EStG 1971 § 10 Abs. 3 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Steuerberater. Er zahlte im Dezember 1972 einen Betrag in Höhe von 12 240 DM zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Jahre 1968 bis 1971 nach und machte diesen Betrag im Jahre 1972 als Sonderausgabe in dem Umfange geltend, in dem er in den Veranlagungszeiträumen seit 1968 die Höchstbeträge für beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben nicht voll ausgeschöpft hatte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erkannte Sonderausgaben nur bis zum Höchstbetrag des Streitjahres an.

Die mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage war erfolglos. Das FG führte u. a. aus, die Höchstbetragsregelung sei verfassungsmäßig. Vorsorgeaufwendungen seien Aufwendungen, die als Kosten der Lebensführung nach § 12 EStG grundsätzlich steuerlich nicht abziehbar seien. Soweit sie der Gesetzgeber ausnahmsweise aus sozialpolitischen Gründen zum Abzug zulasse, könne er ihren Abzug der Höhe nach beschränken; denn im Ergebnis handele es sich um einen Erwerb von Versicherungs- und Rentenleistungen zu Lasten des Steueraufkommens und somit auf Kosten der Allgemeinheit. Die Auffassung des Klägers, die Beschränkung betreffe nur die laufenden Sonderausgaben, finde im Gesetz keine Stütze. Nach § 11 Abs. 2 EStG könnten auch nachgezahlte Sonderausgaben nur in dem Kalenderjahr abgezogen werden, in dem sie geleistet worden seien. Das vom Kläger angeführte Urteil des BFH vom 9. Dezember 1966 VI R 101/66 (BFHE 87, 613, BStBl III 1967, 246) betreffe nicht die Absetzbarkeit von Sonderausgaben, sondern die Berücksichtigung von nachgezahlten Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er trägt u. a. vor: Er begehre entsprechend § 11 Abs. 2 EStG den Abzug als Sonderausgabe nur in dem Kalenderjahr der tatsächlichen Zahlung. Jedoch sei die Höchstbetragsregelung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in einem Nachzahlungsfall nicht anwendbar. Eine Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung sei für ihn erst nach dem Rentenreformgesetz im Jahre 1972 möglich gewesen. Der Gesetzgeber habe aber übersehen, die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige durch eine steuerliche Regelung der Abziehbarkeit der Nachzahlungen zu ergänzen. Die Nachzahlung für die früheren Jahre sei für ihn notwendig gewesen, weil die künftige Rente nicht nur von der Höhe der gezahlten Beiträge, sondern auch von der Zahl der durch Beiträge gedeckten Monate abhänge. Insofern liege eine von ihm nicht zu vertretende Zwangsläufigkeit vor. Er begehre keine Gesetzesänderung und mache keineswegs die volle Nachzahlung als Sonderausgaben geltend, sondern nur die Beträge, die abziehbar gewesen wären, wenn er sie laufend hätte entrichten können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Dem Kläger ist darin zuzustimmen, daß § 11 Abs. 2 EStG dem von ihm begehrten Abzug der nachgezahlten freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Streitjahr 1972 nicht entgegensteht, weil er die Nachzahlung tatsächlich in diesem Jahr geleistet hat. Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 1971 können zusammen mit bestimmten anderen Sonderausgaben jedoch nur bis zu den Höchstbeträgen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1971 vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Maßgebend sind die für das Streitjahr 1972 in Betracht kommenden Höchstbeträge. Das FG hat daher zu Recht die über diese Höchstbeträge hinaus geltend gemachten Versicherungsbeiträge des Klägers nicht als abziehbar anerkannt. Dies entspricht dem klaren Wortlaut des Gesetzes, mit dem der Gesetzgeber den Abzug bestimmter Sonderausgaben nur beschränkt zugelassen hat.

Soweit die Nachzahlung der Versicherungsbeiträge über den nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1971 abziehbaren Sonderausgaben-Höchstbetrag des Streitjahres hinausgeht, kann ihr Abzug nicht im Wege der Lückenausfüllung zugelassen werden, da keine Lücke erkennbar ist, zu deren Ausfüllung die Gerichte berufen wären. Eine Lücke im Gesetz ist nur gegeben, wenn das Gesetz unvollständig ist. Dies ist der Fall, wenn die Regelung eines bestimmten Sachverhalts keine besondere Bestimmung für eine Frage enthält, die nach dem gesetzlichen Grundgedanken und der gesetzlichen Systematik hätte mitgeregelt werden müssen. Den Gegensatz zum Begriff der Lücke bildet der Begriff des "rechtspolitischen Fehlers", der dann gegeben ist, wenn sich eine gesetzliche Regelung zwar rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig, aber doch nicht - gemessen an der Systematik des Gesetzes - als planwidrig unvollständig und ergänzungsbedürftig erweist (vgl. Urteile des BFH vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295, und vom 19. Juli 1972 I R 164/68, BFHE 106, 441, BStBl II 1972, 858, jeweils mit weiteren Nachweisen). Eine steuerliche Erleichterung für Beitragsnachzahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung ist nach der Systematik des Einkommensteuergesetzes nicht zwingend notwendig. Zutreffend weist schon die Vorinstanz darauf hin, daß Sonderausgaben Kosten der Lebensführung sind, die der Gesetzgeber u. a. aus sozialpolitischen Gründen ausnahmsweise zum Abzug zulassen kann. Der Gesetzgeber ist indessen nicht verpflichtet, verfassungsrechtlich bestimmte Steuervergünstigungen zu gewähren. Es steht ihm grundsätzlich frei, in welchem Umfang er solche Vergünstigungen gewähren will, solange das Willkürverbot nicht verletzt wird (vgl. Entscheidung des Senats vom 26. September 1969 VI R 158/67, BFHE 96, 566, BStBl II 1969, 730, Beschluß eines Dreierausschusses des BVerfG vom 24. November 1969 1 BvR 682/69, HFR 1970, 40; Entscheidung des BVerfG vom 6. Februar 1968 1 BvL 7/65, BVerfGE 23, 74 [82]). Die Notwendigkeit einer steuerlichen Erleichterung ergibt sich auch nicht aus dem Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1972, 1965), das die gesetzliche Rentenversicherung auch Selbständigen zugänglich gemacht und aufgrund dessen der Kläger die streitige Nachzahlung geleistet hat. Die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige ist bereits für sich gesehen für diese Personengruppe eine Vergünstigung. Aus ihr kann nicht zwingend eine weitere steuerliche Vergünstigung abgeleitet werden. Zu der Frage, ob eine solche gesetzliche Regelung zweckmäßig gewesen wäre, braucht der erkennende Senat nicht Stellung zu nehmen.

Die Rechtsgrundsätze des vom Kläger erwähnten Urteils des Senats VI R 101/66 sind für den Abzug von Sonderausgaben nicht anwendbar. Der dort entschiedene Streitfall betraf einen anderen Sachverhalt und bezog sich auf die Vorschriften der §§ 33 und 33 a EStG über außergewöhnliche Belastungen. Es ist auch nicht möglich, bei beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben den die Höchstbeträge übersteigenden Teil der Ausgaben als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen, da § 10 EStG die steuerliche Berücksichtigung der dort bezeichneten Ausgaben abschließend regelt (vgl. Urteil des Senats vom 23. Februar 1968 VI R 131/67, BFHE 91, 532, BStBl II 1968, 406). Eine steuerliche Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge nach § 33 EStG würde zudem die vom Gesetzgeber bewußt eingeführte Beschränkung des Abzugs bestimmter Sonderausgaben auf diesem Wege umgehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72171

BStBl II 1977, 154

BFHE 1977, 398

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