Leitsatz (amtlich)

Verläßt ein Arbeitnehmer auf einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die Fahrtroute, um sein Fahrzeug zu betanken, und erleidet er auf der Umwegfahrt einen Unfall, so können die dadurch entstehenden Aufwendungen Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit sein.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Nr. 4, § 12 Nr. 1 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) benutzte für ihre Fahrten von und zur Arbeitsstätte einen eigenen PKW. Bei ihrer Heimfahrt am 4. März 1975 verließ sie die normale Fahrtroute, um über eine andere Straße und den Parkplatz eines dort gelegenen Verbrauchermarktes zur Tankstelle dieses Verbrauchermarktes zu gelangen und dort zu tanken. Bei der Fahrt über den Parkplatz kam es zu einem Unfall. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte die Reparaturkosten bei der Zusammenveranlagung der Eheleute nicht als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit an.

Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 623 veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus, Werbungskosten könnten bei einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur anerkannt werden, wenn sich der Unfall unmittelbar auf der Strecke ereigne, die vom Steuerpflichtigen üblicherweise befahren werde. Offenbleiben könne, ob es sich dabei um die kürzeste benutzbare bzw. offensichtlich verkehrsgünstigere Strecke handeln müsse; denn der Unfall der Klägerin habe sich während eines Abstechers ereignet.

Auch die Tatsache, daß das Betanken und damit auch die Fahrt zur Tankstelle der beruflichen Nutzung diene, führe zu keinem anderen Ergebnis. Zwar sei der ursächliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis nicht aufgrund eines ausschließlich im privaten Bereich liegenden Vorgangs unterbrochen gewesen, sondern es habe sich um einen Vorgang gehandelt, der gemischt beruflich/privat veranlaßt gewesen sei. Das ergebe sich daraus, daß das Fahrzeug sowohl privat als auch beruflich benutzt worden sei. Damit beruhten die Unfallkosten ebenfalls auf einer gemischt beruflich/privaten Veranlassung. Es sei nicht gerechtfertigt, den Unfall beim Tanken anders zu behandeln als den Unfall im Zusammenhang mit der Überprüfung der Verkehrssicherheit. Insbesondere könne es nicht darauf ankommen, ob das Tanken mehr oder weniger zufällig auf einer beruflichen oder privaten Fahrt erfolgt sei. Vielmehr müsse auf den Zweck des Tankens - Herstellung bzw. Erhaltung der Betriebsbereitschaft des Fahrzeugs - abgestellt werden. Eine Trennung der einheitlichen Unfallkosten in einen beruflichen und einen privaten Teil sei bei einer gemischt veranlaßten Fahrt nicht möglich. Ob eine andere Beurteilung dann denkbar sei, wenn nach den tatsächlichen Gegebenheiten eindeutig feststehe, daß das Tanken ausschließlich der beruflichen Nutzung diene (etwa zu Beginn einer längeren Dienstfahrt, auf der der gesamte Tankinhalt verbraucht werde), brauche nicht entschieden zu werden; denn im Streitfall sei in Anbetracht der geringen Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 4 km und der im übrigen privaten Nutzung des Fahrzeugs offensichtlich, daß das Tanken nicht ausschließlich beruflich veranlaßt sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß Kosten eines Kraftfahrzeugunfalls - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Fällen, in denen der Unfall selbst durch Umstände der privaten Lebensführung veranlaßt ist - grundsätzlich das rechtliche Schicksal der Fahrtkosten teilen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. April 1984 VI R 103/79, BFHE 141, 35, BStBl II 1984, 435 ). Soweit es sich bei der Heimfahrt der Klägerin um eine normale Fahrt von der Arbeitsstätte zur Wohnung handelte, war diese beruflich veranlaßt; das ergibt sich u. a. aus § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG), nach dem die entsprechenden Fahrtkosten, wenn auch nur in beschränktem Umfang, als Werbungskosten abziehbar sind. Wird die normale (verkehrsgünstigste) Fahrtroute verlassen, kommt es darauf an, ob der Umweg beruflich veranlaßt war. Da hier ein Auto betankt worden ist, das auch privat genutzt wurde, ist die berufliche Veranlassung des Umwegs nach den Grundsätzen zu beurteilen, die der Große Senat für die Abgrenzung beruflicher Fahrten bei privater Mitveranlassung aufgestellt hat. Danach hängt die Anerkennung als beruflich veranlaßt davon ab, ob die Förderung des Berufs bei weitem überwiegt und Umstände der Lebensführung ganz in den Hintergrund treten (BFH-Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 ). Dies ist nach subjektiven und objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen, insbesondere nach den beruflichen Zielvorstellungen des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 11. Juli 1980 VI R 55/79, BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655 ).

Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Senat in der zuletzt erwähnten Entscheidung die berufliche Veranlassung einer Fahrt anerkannt, die die Ehefrau unter den dort näher bezeichneten Umständen zur Abholung des Steuerpflichtigen von der Arbeitsstelle durchgeführt hatte. Im Urteil vom 18. Dezember 1981 VI R 201/78 (BFHE 135, 70, BStBl II 1982, 261 ) bejahte er die berufliche Veranlassung der Fahrt eines Arbeitnehmers von der Baustelle zu einer nahegelegenen und zumutbaren Gaststätte, weil diese Fahrt in notwendigem Zusammenhang mit dem beruflichen Aufenthalt an der Baustelle gestanden habe.

Auf der Linie dieser Rechtsprechung liegt es, auch das Tanken als von den beruflichen Zielvorstellungen des Steuerpflichtigen mitumfaßt anzusehen. Denn die Treibstoffaufnahme läßt sich grundsätzlich nicht losgelöst von der Fahrt, auf der getankt wird, beurteilen. Dabei kann es keinen entscheidenden Unterschied machen, ob die Tankstelle an der normalen Fahrtroute liegt oder ob diese zum Betanken des Fahrzeugs verlassen werden muß. Durch den engen Zusammenhang zwischen dem Betanken (z. B. auch zur Behebung des Treibstoffmangels) und der Fortsetzung der Fahrt unterscheidet sich die (Umweg-)Fahrt zur Tankstelle wesentlich von einer Fahrt zur Überprüfung der allgemeinen Verkehrssicherheit, die bei teilweise privater Nutzung des Fahrzeugs in nicht unerheblichem Umfang auch der privaten Lebensführung zugute kommt und deshalb nicht mehr ganz überwiegend im Rahmen der beruflichen Zielvorstellungen liegt (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juni 1978 VI R 133/76, BFHE 125, 181, BStBl II 1978, 457 ). Das Betanken des Fahrzeugs könnte insoweit allenfalls mit der Beseitigung akuter technischer Mängel, die der Fortführung der Fahrt unmittelbar entgegenstehen, verglichen werden. Über diese Fälle hat der Senat in der vorerwähnten Entscheidung nicht geurteilt, wie sich schon aus dem dort angestellten Vergleich der durchgeführten Arbeiten mit einer Fahrzeuginspektion ergibt (vgl. v. Bornhaupt, Betriebs-Berater - BB - 1978, 1199, 1200; im Ergebnis ebenso Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 19 Anm. 12, Stichwort: Unfallkosten; anderer Ansicht Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Kraftfahrzeugunfall, S. 712 unten).

Der Annahme der beruflichen Veranlassung steht nicht entgegen, daß beim Betanken des Fahrzeugs häufig mehr Treibstoff aufgenommen wird, als zur Fortsetzung und Beendigung der beruflich veranlaßten Fahrt erforderlich ist. Denn die berufliche Veranlassung, die Tankstelle zum Tanken aufzusuchen, wird durch das Auffüllen zusätzlichen Treibstoffs nicht unterbrochen. Es wäre im übrigen wirtschaftlich und verkehrspolitisch unsinnig, wollte man aus steuerrechtlichen Gründen die Aufnahme kleinerer und - wie der Streitfall zeigt - unter Umständen kleinster Treibstoffmengen verlangen und so die Steuerpflichtigen zu einem unangemessen häufigen Aufsuchen von Tankstellen zwingen.

Das Urteil des FG entspricht den vorstehenden Grundsätzen nicht. Es ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und muß an das FG zurückverwiesen werden. Dieses wird zu klären haben, ob die Fahrt zur Tankstelle hier tatsächlich von den beruflichen Zielvorstellungen der Klägerin umfaßt war. Dies wäre etwa dann nicht mehr der Fall, wenn die Klägerin die normale Fahrtroute nicht nur zum Tanken, sondern auch zu einem privaten Zweck (z. B. Einkaufen im Verbrauchermarkt) verlassen hätte. Das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung ferner darauf zu achten haben, ob sich aus der Art (Länge) des Umwegs oder dem Verhalten der Klägerin vor und nach dem Unfall Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Fahrt außerhalb ihrer beruflichen Zielvorstellungen lag. Trifft dies nicht zu, so sind die entstandenen Unfallkosten abziehbar. Das FG wird für den Fall der Abziehbarkeit der Unfallkosten nunmehr noch, wozu es bislang aufgrund seiner anderen Rechtsauffassung keine Veranlassung hatte, auch die Höhe dieser Kosten im einzelnen festzustellen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 426027

BStBl II 1985, 10

BFHE 1985, 137

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