Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Der II. Senat tritt der im Urteil des I. Senats des Bundesfinanzhofs I 108/52 S vom 10. November 1953 (BStBl. 1954 III S. 26) vertretenen Auffassung bei, daß bei der Rechtsbeurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Aufrechnung (Aufrechnungslage) im Rahmen des § 124 AO gegeben sind, das bürgerliche Recht unmittelbar anzuwenden ist.

 

Normenkette

AO § 124

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist ein Bauunternehmen in der Form einer KG. Sie hat drei Gesellschafter, die derselben Familie angehören. Die Gesellschaft hat aus Bauarbeiten für das Reich (Organisation Todt) in der Zeit vor dem 8. Mai 1945 unbestrittene Forderungen gegen das Reich (Organisation Todt) im Gesamtbetrag von über 1,8 Mill. RM. Auf Grund einer Anfang 1949 durchgeführten Betriebsprüfung hat das Finanzamt erhebliche Steuerbeträge nachgefordert und schließlich rechtskräftig gegenüber der KG (Gewinnabführung für 1942, 1943 und 1944, Aufbringungsumlage 1944 und 1945, Umsatzsteuer 1942 bis 1945 und 1947) und den Gesellschaftern (Einkommensteuer und Vermögensteuer für 1942 bis 1944) festgestellt. Außerdem sind nach der Währungsreform Säumniszuschläge entstanden.

Am 14. Juni 1950 hat die beschwerdeführende KG gegen die Steuerforderungen - sowohl hinsichtlich der gegen die KG wie der gegen die Gesellschafter gerichteten - mit ihren Gegenansprüchen aus den Arbeitsleistungen aufgerechnet. Das Finanzamt lehnte die Aufrechnung ab, das Finanzgericht hat sie hinsichtlich der Steuerschulden der KG anerkannt, hinsichtlich der Steuerschulden der Gesellschafter abgelehnt. Es hat seinen Standpunkt damit begründet, daß es an dem Erfordernis der Gegenseitigkeit fehle, da die Forderungen, mit denen aufgerechnet werden solle, nicht den Gesellschaftern der KG, sondern der KG selbst zustehen.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) beruft sich die beschwerdeführende KG darauf, daß die Bilanz einer Personengesellschaft nichts anders als eine Zusammenfassung der Einzelbilanzen der Gesellschafter sei (Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 422/37 vom 14. Juli 1937, Reichssteuerblatt - RStBl - 1937 S. 937). Dieses von der bürgerlich-rechtlichen Anschauungsweise abweichende Verhältnis dürfe bei Auslegung der steuerlichen Vorschrift des § 124 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht unberücksichtigt bleiben. Steuerlich sei jeder Gesellschafter mindestens anteilsmäßig als unmittelbarer Gläubiger der in der Gesellschaftsbilanz ausgewiesenen Forderungen anzusehen. Die steuerliche Rechtsprechung müsse mit sämtlichen Folgerungen durchgeführt werden, ohne Rücksicht, ob sie für die Steuerverwaltung im einzelnen Falle Vorteile oder Nachteile brächte.

 

Entscheidungsgründe

Der Rb. ist der Erfolg zu versagen.

Der Bundesfinanzhof hat im Urteil I 108/52 S vom 10. November 1953 (Bundessteuerblatt 1954 III S. 26) ausgesprochen, daß auf die Aufrechnung des Steuerschuldners gemäß § 124 AO das bürgerliche Recht unmittelbar anzuwenden ist, insbesondere auf die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Aufrechnung (Aufrechnungslage) gegeben sind. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Aufgerechnet kann nach bürgerlichen Recht nur werden mit einer eigenen Forderung und gegen eine eigene Schuld des Aufrechnenden (Gegenseitigkeitsprinzip der Aufrechnung). Also kann nach bürgerlichem Recht der Gläubiger einer Forderung nicht aufrechnen gegen eine einem Dritten obliegende Verpflichtung. Daher ist es einer Gesellschaft (hier der KG) versagt, mit ihrer Forderung an den Fiskus gegen eine Einkommensteuerschuld ihres Gesellschafters aufzurechnen. Ebensowenig kann der Gesellschafter (auch nicht die Gesellschaft namens des Gesellschafters) mit einer Forderung, die zum Gesellschaftsvermögen gehört, gegen eine (Einkommensteuer-) Schuld des Gesellschafters aufrechnen. Die Gesellschaft könnte nur dann aufrechnen, wenn sie die Schuld des Gesellschafters rechtswirksam übernommen hätte, was die Genehmigung des Gläubigers zur Voraussetzung hätte (§ 415 BGB). Eine solche Schuldübernahme ist nicht geltend gemacht worden; die Genehmigung des Gläubigers ist nicht erteilt. Der Gesellschafter könnte nicht mit einer Gesellschaftsforderung aufrechnen (Warneyers Jahrbuch der Entscheidungen 1912 Nr. 380), selbst wenn die Gesellschaft zustimmt, es sei denn, daß dem Gesellschafter zuvor die Forderung abgetreten ist (Reichsgericht in Zivilsachen Bd. 78 S. 383). Auch der Schuldner einer zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Forderung kann nicht mit seiner Forderung gegen einen einzelnen Gesellschafter aufrechnen (§ 719 Abs. 2 BGB). Die von der Bfin. behauptete verschiedenartige Rechtstellung des Fiskus gegenüber dem Steuerschuldner liegt in dieser Hinsicht also nicht vor; denn der Fiskus ist nicht in der Lage, seine Steuerforderung gegen einen Gesellschafter durch Aufrechnung mit einer Schuld an die Gesellschaft zum Erlöschen zu bringen.

Etwas anderes läßt sich auch nicht aus der sogenannten Bündel- Theorie entnehmen. Darunter versteht man die Tatsache, daß der Gesellschafter einer Personengesellschaft den Gewinn aus der Gesellschaft unmittelbar als eigenen gewerblichen Gewinn zu versteuern hat (Slg. Bd. 33 S. 234, 243 sowie Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 422/37 vom 14. Juli 1937, RStBl. 1937 S. 937), woraus gefolgert wurde, daß die Rechtslage im allgemeinen steuerlich so zu beurteilen ist, wie wenn der einzelne Gesellschafter den Betrieb der Gesellschaft in dem seinem Anteil entsprechenden Umfange als eigenen Betrieb führen würde (vgl. das oben genannte Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 422/37 sowie insbesondere Urteile I A 216/37 vom 31. August 1937, Slg. Bd. 42 S. 45; I A 131/33 vom 28. September 1934 / 15. Januar 1935, RStBl. 1935 S. 700). Diese Rechtsprechung ist aber nur maßgebend für die Ermittlung der auf den einzelnen Gesellschafter entfallenden Gewinnbeträge und deren Charakterisierung als gewerbliche Einkünfte nach § 15 des Einkommensteuergesetzes, also für die Veranlagung zur Steuer. Die Betrachtung ist aber nicht ohne weiteres maßgebend für die Steuerentrichtung, wozu die Aufrechnung gehört. Bei dieser ist, wie bereits oben im Anschluß an das Urteil des Bundesfinanzhofs I 108/52 S gesagt ist, das bürgerliche Recht unmittelbar anzuwenden. Auch die für die Besteuerung geltende Zurechnungsvorschrift des § 11 Ziff. 5 des Steueranpassungsgesetzes läßt sich nicht über den im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus ausdehnen, also jedenfalls nicht auf die Institution der Aufrechnung, die § 124 AO unmittelbar aus dem bürgerlichen Recht entnommen hat. Der Große Senat des Reichsfinanzhofs hat bereits in der Entscheidung Gr.S. 1/22 vom 20. März 1922, Slg. Bd. 9 S. 19, 26, 27, ausgesprochen, daß den bürgerlich-rechtlichen Begriffen und Konstruktionen auch im Steuerrecht eine maßgebende Bedeutung solange beigemessen werden muß, als sich aus ihrer übertragung nicht offenbare Unsinnigkeiten oder Unstimmigkeiten ergeben oder als nicht aus dem Inhalt des Gesetzes oder den erkennbaren Absichten des Gesetzgebers ihre Nichtanwendbarkeit erhellt. Dieser Grundsatz wird im vorliegenden Falle bei der Aufrechnung nach § 124 AO anzuwenden sein, wo der Gesetzgeber offensichtlich bewußt sich des feststehenden bürgerlich-rechtlichen Begriffs Aufrechnung bedient hat, um damit die übernahme der bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsnormen in die entsprechende steuerliche Aufrechnungsvorschrift kundzutun, wenn auch die Vorschriften des BGB nicht ausdrücklich angeführt werden.

Da im vorliegenden Falle die Steuerschulden der Gesellschafter keine eigenen Schulden der aufrechnenden Personengesellschaft - der Bfn. - sind, fehlt es an einer notwendigen Voraussetzung der Aufrechnung. Damit stimmt die Vorentscheidung überein. Die Rb. ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407994

BStBl III 1954, 291

BFHE 1955, 214

BFHE 59, 214

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