Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Kosten, die ein Arzt infolge einer Krankheit zur Wiederherstellung seiner Gesundheit aufwendet, sind Betriebsausgaben, wenn die Krankheit unstreitig oder mit Sicherheit nachweisbar eine Folge der Berufsausübung war, auch wenn es sich nicht um eine typische Berufskrankheit handelt.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.) ist Facharzt für Chirurgie und Chefarzt eines Krankenhauses. Er ist im Jahre 1950 an Gelbsucht (Hepatitis) erkrankt. Zur Wiederherstellung seiner Gesundheit unterzog er sich einer Heilbehandlung und Kur in Bad Kissingen. Die Kosten hierfür betrugen insgesamt 1.397,95 DM. Die Berufsgenossenschaft des Bg. hat die Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt und einen Betrag von 327,15 DM erstattet. Den Differenzbetrag von 1.070 DM hat der Bg. 1950 in seiner Einkommensteuererklärung als Betriebsausgabe geltend gemacht. Er ist der Meinung, die Gelbsuchterkrankung sei eine typische Berufskrankheit, da jeder Chirurg bei Operationen einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sei. Er selbst habe sich infiziert, als er mehrere an fieberhafter Gelbsucht Erkrankte wegen eines Gallenverschlusses operiert habe.

Der Bg. meint, die Entscheidung der Berufsgenossenschaft müsse auch für das Einkommensteuerrecht bindend sein. Infektionskrankheiten unterlägen nach Nr. 39 der Anlage zur 5. Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf gewerbliche Berufskrankheiten dem Versicherungsschutz. Es sei daher von vornherein anzunehmen, daß damit eine typische Berufskrankheit vorliege.

Das Finanzamt erkannte zwar die Kosten als außergewöhnliche Belastung an, eine steuerliche Auswirkung trat jedoch nicht ein. Den Abzug der Krankheitskosten als Betriebsausgaben lehnte es dagegen ab. Auf den Einspruch erkannte der Steuerausschuß die Gelbsuchterkrankung als typische Berufskrankheit an und ließ den Abzug der geltend gemachten Kosten als Betriebsausgaben zu.

Die Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht, das ein Sachverständigengutachten der Medizinischen Klinik und Poliklinik einer Universität eingeholt hat, führt dazu aus: Der Reichsfinanzhof habe zwar in ständiger Rechtsprechung die Kosten zur Wiederherstellung der Gesundheit nur dann als Betriebsausgaben oder Werbungskosten anerkannt, wenn die Erkrankung in engstem unmittelbaren Zusammenhang mit einer von dem Steuerpflichtigen ausgeübten einkommenschaffenden Tätigkeit entstanden und ihrer Art nach für die ausgeübte Tätigkeit als typisch anzusehen sei. Dafür genüge nicht die Anerkennung als Berufskrankheit durch die zuständige Berufsgenossenschaft des Bg. Im vorliegendem Falle bestreite das Finanzamt den Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Tätigkeit des Bg. nicht, sondern es leugne nur, daß es sich um eine typische Berufskrankheit handle. Es komme deshalb dem Gutachten der Universitätsklinik entscheidende Bedeutung zu. Danach handle es sich um die durch Viren übertragene Form der Hepatitis; wie diese übertragen werde, oral oder parenteral, sei nach dem augenblicklichen Stand der Wissenschaft nicht mit Sicherheit festzustellen. Dem Bg. könne daher ein Beweis, wie die Ansteckung erfolgt sei, nicht zugemutet werden. Die Frage, ob ärzte ganz allgemein häufiger an einer Hepatitis als andere Menschen erkrankten, werde von dem Gutachten eindeutig bejaht. Naturgemäß seien Internisten und Chirurgen der Infektionsgefahr am stärksten ausgesetzt. Das Finanzgericht erkenne daher die Erkrankung des Bg. als Berufskrankheit an und glaube sich damit auch in übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung zu befinden.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.), mit der der Beschwerdeführer (Bf.) folgendes geltend macht: Das Finanzgericht habe den Begriff der typischen Berufskrankheit verkannt. Es verwechsle die Frage, ob die Hepatitis bei Chirurgen häufig vorkomme oder typisch sei. Das Gutachten beweise allenfalls den Zusammenhang zwischen Erkrankung und Beruf, sage aber nichts zu der Frage, ob die Hepatitis bei Chirurgen als typische Erkrankung anerkannt werden könne. Letzteres leugne aber das Finanzamt. Eine typische Erkrankung könne allenfalls bei Chirurgen in Frage kommen, die auf Operationen von Leber- und Gallenleiden spezialisiert seien. Der Typ der behandelten Krankheiten decke sich beim Bg. nicht mit dem Typ seiner Erkrankung. Die Krankheit des Bg. sei also nicht typisch.

Falls der Bundesfinanzhof schon die Häufigkeit einer bestimmten Erkrankung als ausreichend für die Feststellung erachte, daß diese Krankheit typisch sei, rügt der Bf. hilfsweise die Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht durch das Finanzgericht. Die bei der Universitätsklinik getroffenen Feststellungen könnten keinen allgemein gültigen Charakter haben. Dazu hätte es der Anstellung von Ermittlungen auf wesentlich breiterer Basis bedurft. Die Verhältnisse an einer Universitätsklinik könnten nicht schlechthin denen an allgemeinen, insbesondere kleinen und ländlichen Krankenhäusern gleichgestellt werden.

Der Bg. hat die Zurückweisung der Rb. beantragt. Ein zur Typisierung geeigneter Fall liege überhaupt nicht vor, da es unstreitig sei, daß sich der Bg. die Hepatitis bei seiner Berufsausübung zugezogen habe. Danach sei die Abzugsfähigkeit der Kosten schon aus der allgemeinen Vorschrift des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berechtigt. Die vom Finanzamt verlangte Prüfung auf breiterer Grundlage mache den Hauptzweck der Typisierung, nämlich die Vereinfachung der Verwaltungsarbeit, auch zunichte. Hier solle die eindeutig nach dem Gesetz gegebene Abzugsfähigkeit mit Hilfe der Typisierung beiseite geschoben werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs sind Krankheitskosten im allgemeinen Kosten der Lebenshaltung (siehe dazu die vom Finanzgericht zitierte Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs sowie Hartz-Over, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort Berufskrankheit). Die Rechtsprechung hat bislang hiervon Ausnahmen nur für den Fall zugelassen, in dem es sich um Kosten zur Heilung sogenannter typischer Berufskrankheiten handelt. Sie hat in diesen Fällen deshalb typisiert, weil bei vielen Krankheiten in der Regel überhaupt nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob sie infolge der Berufsausübung entstanden sind oder nicht. Aus diesem Grunde läßt sie deshalb nur bei den eigentlichen Berufskrankheiten zu, daß die Kosten der Heilung die Einkünfte mindern. Dem hiergegen erhobenen Einwand des Bg., daß die Typisierung dann nicht in Betracht komme, wenn die Krankheit unstreitig eine Folge der Berufsausübung sei, sondern die Abzugsfähigkeit sich ohne weiteres aus § 4 Abs. 4 EStG und der Verursachung durch die Berufsausübung ergebe, vermag der Senat die Berechtigung nicht abzusprechen. Die Tatsache, daß die Ursache der Krankheit in der Berufsausübung liegt, wird sich zwar mit absoluter Sicherheit nur in ganz wenigen Ausnahmefällen feststellen lassen. In der ganz überwiegenden Mehrzahl wird daher die Entscheidung nur auf Grund mehr oder weniger großer Erfahrungen und Wahrscheinlichkeitserwägungen getroffen werden könne. Damit ist eine gewisse Typisierung gerade für die Fälle der Berufskrankheiten nicht völlig zu entbehren. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hat deshalb auch bis in die neueste Zeit in vorsichtigem Umfang an der typischen Betrachtungsweise festgehalten (siehe dazu Urteile IV 91/50 U vom 24. November 1950, Slg. Bd. 55 S. 59, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 III S. 23, IV 303/53 U vom 14. Januar 1954, Slg. Bd. 58 S. 459, BStBl 1954 III S. 86, und insbesondere Urteil I 256/55 U vom 25. September 1956 und die dort angeführte Rechtsprechung, BStBl 1957 III S. 2).

Die typische Betrachtungsweise darf allerdings keinesfalls dazu führen, über offensichtliche Besonderheiten des Einzelfalles hinwegzugehen und ungleiche Fälle gleich zu behandeln. Denn gerade bei der Einkommensteuer müssen die besonderen Verhältnisse des Steuerpflichtigen weitestgehend berücksichtigt werden. Dabei darf keinesfalls die Typisierungslehre als ein einseitiges Tatbestandswürdigungsprinzip zuungunsten des Steuerpflichtigen angesehen werden. Sie ist selbstverständlich auch zugunsten des Steuerpflichtigen anzuwenden.

Es besteht aber nach Ansicht des Senats dann kein Anlaß, an der Typisierung, die zum mindesten für den Fall der Berufskrankheiten im wesentlichen nur eine Beweisvermutung schafft, festzuhalten, wenn der Beweis erbracht ist, daß es sich um eine unzweifelhaft im Beruf erworbene Krankheit handelt und über diese Frage zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt kein Streit besteht; die Typisierung bezweckt nur, rein steuerliche und in ihren Ergebnissen oft nicht zu kontrollierende Beweiserhebungen auszuscheiden. Vor allem wird auch ein Unterschied in der steuerlichen und sozialrechtlichen Behandlung, die wie hier zur Anerkennung der Berufskrankheit geführt hat, nicht verstanden werden. Da im vorliegenden Falle auch der Bf. nicht bestreitet, daß es sich bei dem Bg. um eine in Ausübung seines Berufes erworbene Krankheit handelt, ergibt sich die Abzugsfähigkeit der Kosten bereits aus den allgemeinen Vorschriften des § 4 Abs. 4 EStG.

Es bedarf demnach nicht der weiteren Prüfung, ob es sich bei der Gelbsucht des Bg. um eine "typische" Berufskrankheit gehandelt hat. Der Senat hätte Bedenken, diese Frage zu bejahen. Die Gelbsuchterkrankung mag - auch nach dem Gutachten der Universität - bei Chirurgen häufiger vorkommen. Sie als "typisch", wie etwa die TBC bei Lungenfachärzten, zu bezeichnen, erscheint nicht zweifelsfrei, da hierfür die Unterlagen noch nicht ausreichen.

Da hiernach die Rb. im Ergebnis nicht begründet ist, kommt es auf die vom Bf. gerügte Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht nicht mehr an, da auch die Anerkennung eines Verfahrensmangels auf die sachliche Beurteilung ohne Einfluß wäre. Der Senat ist jedoch nicht in der Lage, selbst zu entscheiden. Der Bg. ist für 1950 zusammen mit seiner Ehefrau gemäß § 26 EStG veranlagt worden. Durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (BStBl 1957 I S. 193) ist § 26 EStG 1951 für nichtig erklärt worden. Die Entscheidung bezieht sich zwar lediglich auf § 26 EStG 1951. Mit Rücksicht darauf, daß bereits gesetzliche Maßnahmen wegen einer Neuregelung der Besteuerung der Ehegatten in Angriff genommen worden sind, die sich voraussichtlich auch auf den Veranlagungszeitraum 1950 erstrecken werden, erscheint es im Interesse einer geichmäßigen Behandlung aller noch nicht rechtskräftigen Steuerfestsetzungen zweckmäßig, die Möglichkeit der Einbeziehung des Bg. in die gesetzliche Neuregelung noch offen zu halten. Die Sache wird deshalb an das Finanzamt zurückverwiesen, das die Neuregelung bei der erneuten Steuerfestsetzung für 1950 zu berücksichtigen haben wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408784

BStBl III 1957, 286

BFHE 1958, 136

BFHE 65, 136

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