Leitsatz (amtlich)

Beauftragt ein freiberuflich tätiger Arzt, der den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG durch Überschußrechnung ermittelt, seine Praxisangestellten damit, Honorargelder in Empfang zu nehmen und später abzurechnen, und nehmen die Angestellten hierbei Geldbeträge widerrechtlich an sich, so können die dadurch entstandenen Verluste Betriebsausgaben des Arztes sein.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 3-4

 

Tatbestand

Streitig ist für die Jahre 1963 bis 1967, ob widerrechtlich entwendete Geldbeträge im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG als Betriebsausgaben anzusetzen sind.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Zahnarzt. Seinen Gewinn aus selbständiger Arbeit ermittelt er nach § 4 Abs. 3 EStG durch Überschußrechnung. Bei einer Betriebsprüfung behauptete er, daß seine Praxishelferinnen Honorargelder unterschlagen hätten. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) sah daraufhin für die Streitjahre jeweils Beträge zwischen 7 000 DM und 15 000 DM, insgesamt rd. 50 000 DM, als unterschlagen an. Nach Auffassung des FA sind diese Beträge dem Kläger in den betreffenden Jahren als Betriebseinnahmen zugeflossen. Ihren Abzug als Betriebsausgaben ließ das FA unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 25. Januar 1962 IV 221/60 S (BFHE 75, 271, BStBl III 1962, 366) nicht zu, da eine geschlossene Kassenführung nicht vorliege.

Gegen die Berichtigungsbescheide für die Jahre 1963 bis 1967 legte der Kläger erfolglos Einspruch ein. Mit der Klage trug er vor, die Unterschlagungen seien dadurch bewirkt worden, daß die Arzthelferinnen Zahlungen von Privatpatienten für sich vereinnahmt hätten. Sie hätten niemals die Absicht gehabt, diese Beträge für ihn - den Kläger - zu vereinnahmen, sondern hätten sie für sich kassiert. Die Verluste seien durch den Betrieb veranlaßt, weil er die Rechnungsführung den Angestellten überlassen habe, um seine Arbeitskraft voll der ärztlichen Tätigkeit widmen zu können.

Die Klage hatte Erfolg.

Zur Begründung führte das FG aus, die Beträge seien zwar dem Kläger als Betriebseinnahmen zugeflossen. Der Kläger könne jedoch die durch die Unterschlagung seiner Praxishelferinnen erlittenen Verluste bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG als Betriebsausgaben absetzen. Allerdings sei ein Diebstahl von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens, die sich nur zufällig und ohne betrieblichen Anlaß in den Betriebs- oder Praxisräumen befänden, nicht ausschließlich betrieblich bedingt. Im vorliegenden Fall seien aber vom Kläger Angestellte aus betrieblichem Anlaß dazu eingesetzt worden, Gelder, deren Eingang durch den Betrieb bedingt gewesen sei, zu verwalten. Wenn sie diese Gelder zum Teil unterschlagen hätten, so sei das ein ausschließlich betrieblich bedingter Verlust, der als Betriebsausgabe bei der Gewinnvermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zu berücksichtigen sei.

Mit der Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung führte es aus, das FG habe § 4 EStG unrichtig angewendet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Mit dem FG ist davon auszugehen, daß die Geldbeträge vor ihrer widerrechtlichen Wegnahme dem Kläger als Betriebseinnahmen zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 EStG). Einnahmen fließen einem Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt zu, in welchem dieser die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die vereinnahmten Beträge erlangt (BFH-Urteil vom 30. Januar 1975 IV R 190/71, BFHE 115, 559, BStBl II 1975, 776). Dem FG ist darin beizupflichten, daß die von den Patienten in der Praxis gezahlten Arzthonorare in die wirtschaftliche Verfügungsmacht des Klägers gelangt sind. Ausschlaggebend hierfür ist, daß die Angestellten die Honorare im Auftrag und (stillschweigend) im Namen des Klägers in den Praxisräumen in Empfang genommen haben. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Angestellten das Geld zunächst in die Kasse gelegt und dann entwendet oder ob sie es - wie der Kläger meint - sogleich unmittelbar nach der Entgegennahme an sich genommen haben. Denn auch im letzteren Fall sind die Honorargelder mit der Zahlung derart in den Machtbereich des Klägers gelangt, daß sie als vereinnahmt anzusehen sind.

2. Dem FG ist im Ergebnis auch darin beizupflichten, daß die nach ihrer Vereinnahmung entwendeten Geldbeträge als Betriebsausgaben anzusetzen sind. Betriebsausgaben sind Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 EStG). Aufwendungen i. S. dieser Vorschrift können auch Verluste von Gegenständen sein. Sie sind "durch den Betrieb veranlaßt". wenn ein objektiver, wirtschaftlicher oder tatsächlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und dem Betrieb besteht (vgl. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG Anm. 46 n und 48 b [3]). Dies trifft bei den Geldverlusten des Klägers im Streitfall zu. Die Angestellten des Klägers haben hier Honorargelder im Zusammenhang mit der Empfangnahme in den Praxisräumen an sich genommen. Aus diesem Grunde ist der Verlust des Geldes dem betrieblichen Bereich des Klägers zuzuordnen. Dabei ist es auch hier unerheblich, ob die Geldbeträge bereits unmittelbar bei der Empfangnahme oder erst anschließend während der Aufbewahrung in den Praxisräumen weggenommen wurden. In beiden Fällen war eine enge räumliche und sachliche Verbindung zum beruflichen Bereich des Klägers gegeben. Mithin kommt es auch nicht darauf an, ob die entwendeten Gelder zum Betriebsvermögen oder zum Privatvermögen des Klägers gehört haben und ob sie innerhalb einer geschlossenen Kassenführung erfaßt wurden.

Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur BFH-Entscheidung IV 221/60 S. Dort hatte die Ehefrau des Steuerpflichtigen ohne dessen Wissen und Willen Gelder aus der Kasse genommen; in diesem Falle konnte schon wegen der engen familiären Beziehung der Beteiligten die Wegnahme des Geldes nicht als betrieblicher Vorgang gewertet werden. Der Sachverhalt lag somit anders als im vorliegenden Fall, in welchem Fremde, mit der Einnahme und Verwahrung beauftragte Personen Geldbeträge entwendet haben.

Der Annahme eines berücksichtigungsfähigen Verlustes steht nicht entgegen, daß der Kläger Ansprüche auf Rückzahlung gegen die Angestellten hatte und diese Ansprüche offenbar auch durchzusetzen vermochte. Der BFH hat zwar entschieden, daß der Verlust, der etwa durch den Ausfall einer betrieblich veranlaßten Darlehensforderung entsteht, bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG erst in dem Zeitpunkt gewinnmindernd berücksichtigt werden kann, in dem er endgültig eintritt (Urteil vom 2. September 1971 IV 342/65, BFHE 104, 311, BStBl II 1972, 334). Ein endgültiger und damit den Gewinn mindernder Abfluß tritt in einem solchen Fall erst dann ein, wenn feststeht, daß das Darlehen nicht mehr zurückgezahlt wird. Im Gegensatz dazu ist im Falle einer Entwendung der Geldbeträge zunächst ungewiß, ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf Ersatz des Geldes durchsetzbar ist. Wirtschaftlich ist daher in einem solchen Falle das Geld mit seiner Entwendung sofort endgültig abgeflossen. Ergibt sich im Zusammenhang mit der Entwendung eine Ersatzforderung, so ist das ein Vorgang, der lediglich den Vermögensbereich des Steuerpflichtigen betrifft. Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG läßt sich dieser Vorgang nicht berücksichtigen. Erst die Rückzahlung der entwendeten Gelder wird als Zufluß von Betriebseinnahmen erfaßt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71905

BStBl II 1976, 560

BFHE 1977, 156

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