Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlgeschlagene Lohnsteuerpauschalierung: Arbeitgeber nicht Schuldner für Hinterziehungszinsen - Steuerrechtsverhältnis bei pauschaler Lohnsteuer - Annahme einer Nettolohnvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber schuldet keine Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs.1 AO 1977, wenn er in einer größeren Zahl von Fällen einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer bewußt nicht einbehalten, sondern seinen Arbeitnehmern ausbezahlt hat, und wenn deswegen bei ihm pauschale Lohnsteuer gemäß § 40 Abs.1 Satz 1 Nr.2 EStG nacherhoben wird.

 

Orientierungssatz

1. Bei einer sog. fehlgeschlagenen, d.h. nicht den gesetzlichen Bestimmungen genügenden Lohnsteuerpauschalierung gemäß § 40a EStG kann der Arbeitgeber nicht Schuldner dieser pauschalen Lohnsteuer werden; dies gilt auch im Falle einer Nettolohnvereinbarung.

2. Eine Nettolohnabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann auch dann nicht unterstellt werden, wenn sich der Arbeitgeber nach einer fehlgeschlagenen Lohnsteuerpauschalierung gem. § 40a EStG zur Übernahme der Lohnsteuer im Rahmen einer Pauschalierung nach § 40 Abs.1 Nr.2 EStG bereit erklärt.

 

Normenkette

AO 1977 § 3 Abs. 3; EStG 1990 § 40a; AO 1977 §§ 37, 235 Abs. 1; EStG 1990 § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 09.12.1992; Aktenzeichen 6 K 6442/91 L)

 

Tatbestand

Anläßlich einer Lohnsteueraußenprüfung wurde festgestellt, daß die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, in dem Zeitraum von März 1983 bis September 1988 Löhne als Aushilfslöhne nach § 40a Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal mit 10 v.H. versteuert hatte, ohne daß die Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten. Nach einer tatsächlichen Verständigung zwischen der Klägerin und dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) sollten im Ergebnis 70 v.H. der gebuchten Aushilfslöhne auf Antrag der Klägerin nach § 40 Abs.1 Satz 1 Nr.2 EStG mit einem Pauschalsteuersatz von 28,2 v.H. versteuert werden. Das FA erließ einen entsprechenden Bescheid über die Erhebung pauschalierter Lohnsteuer. Gegen den Geschäftsführer der Klägerin wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl unter anderem wegen Abgabe unrichtiger Lohnsteuer-Anmeldungen und der dabei verkürzten Lohnsteuer eine Geldstrafe wegen Steuerhinterziehung festgesetzt.

Mit Bescheid vom 5.Dezember 1990 setzte das FA gegenüber der Klägerin gemäß §§ 235, 238, 239 der Abgabenordnung (AO 1977) Hinterziehungszinsen wegen hinterzogener Lohnsteuer 1983 bis 1988 in Höhe von insgesamt 7 829,50 DM fest. Dieser Berechnung liegt die von der Klägerin pauschal nachgeforderte Lohnsteuer zugrunde.

Die Klägerin wandte gegenüber diesem Bescheid ein, es fehle an einer hinterzogenen Steuer, weil aus § 40 Abs.3 EStG folge, daß mit der Bestandskraft des Bescheides über die Nachforderung der pauschalen Lohnsteuer die individuelle Lohnsteuerschuld der Arbeitnehmer erloschen sei. Wegen der Akzessorietät der Zinsschuld nach § 235 AO 1977 als steuerlicher Nebenleistung sei damit auch die Zinsschuld erloschen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es vertrat im wesentlichen die Auffassung, die pauschale Lohnsteuer sei eine in einem besonderen Verfahren ermittelte eigene Steuer, die erst mit der Verwirklichung der Pauschalierungsvoraussetzungen entstehe. Die Ausgestaltung der pauschalen Lohnsteuer als eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers habe zur Folge, daß dieser nicht Steuerschuldner der in der Person der Arbeitnehmer entstandenen Lohnsteuerschuld werde. Dementsprechend sei der Arbeitgeber auch nicht Zinsschuldner i.S. des § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977. Das FA habe es in der Hand, ob es von der Pauschalierung Gebrauch mache oder nicht. Mache es davon Ge- brauch, müsse es die sich daraus ergebenden Folgerungen hinnehmen. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 424 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 235 AO 1977.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis ohne Rechtsverstoß entschieden, daß der angefochtene Zinsbescheid die Klägerin in ihren Rechten verletzt und daher aufzuheben ist.

1. § 235 Abs.1 Satz 1 AO 1977 bestimmt, daß hinterzogene Steuern zu verzinsen sind. Zinsschuldner der hinterzogenen Steuer ist gemäß § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Dabei ist als Vorteil im Sinne dieser Vorschrift nicht der wirtschaftliche, sondern der steuerliche Vorteil zu verstehen. Deshalb kann Zinsschuldner für hinterzogene Steuern i.S. des § 235 Abs.1 Sätze 1 und 2 AO 1977 allein der Steuerschuldner sein (vgl. dazu im einzelnen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27.September 1991 VI R 159/89, BFHE 166, 4, BStBl II 1992, 163 m.w.N.).

Im Streitfall hat das FG ohne Rechtsverstoß entschieden, daß sich eine Zinsschuldnerschaft der Klägerin nicht aus § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 ableiten läßt.

Die Klägerin war nicht gemäß § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 Steuerschuldnerin einer hinterzogenen Steuer. Sie hatte zwar eine pauschale Lohnsteuer i.S. des § 40a EStG für Aushilfslöhne angemeldet. Schuldner einer pauschalen Lohnsteuer ist gemäß § 40 Abs.3 Satz 2 EStG der Arbeitgeber. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40a EStG aber nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht erfüllt waren, also eine sog. fehlgeschlagene Pauschalierung vorlag, konnte die Klägerin nicht Schuldnerin dieser pauschalen Lohnsteuer werden (vgl. dazu Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 12.Aufl., § 40 Anm.8). Vielmehr ist gemäß § 38 Abs.2 Satz 2 EStG im Zeitpunkt der Lohnzahlung durch die Klägerin Lohnsteuer in der sich nach §§ 38a ff. EStG ergebenden Höhe entstanden. Schuldner dieser Lohnsteuer waren gemäß § 38 Abs.2 Satz 1 EStG die Arbeitnehmer der Klägerin. Da allein der Steuerschuldner Zinsschuldner i.S. des § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 sein kann, war ausschließlich in der Person der Arbeitnehmer der Tatbestand dieser Vorschrift erfüllt.

An dieser Beurteilung hätte sich selbst im Falle einer Nettolohnvereinbarung nichts geändert. Denn durch eine Nettolohnvereinbarung wird das Schuldverhältnis zwischen Steuergläubiger und Steuerschuldner nicht berührt; der Arbeitnehmer bleibt Steuerschuldner (vgl. Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 39b Anm.5).

2. Eine Zinsschuldnerschaft der Klägerin ist auch nicht gemäß § 235 Abs.1 Satz 3 AO 1977 gegeben. Diese Vorschrift bestimmt, daß dann, wenn eine Steuerhinterziehung dadurch begangen wird, daß ein anderer als der Steuerschuldner seine Verpflichtung, einbehaltene Steuern an die Finanzbehörde abzuführen (1.Alternative) oder Steuern zu Lasten eines anderen zu entrichten (2.Alternative), nicht erfüllt, dieser Zinsschuldner ist. Durch diese Vorschrift werden die Fälle geregelt, in denen der Steuerschuldner deshalb nicht Zinsschuldner ist, weil die Steuern nicht zu seinem Vorteil hinterzogen worden sind (vgl. dazu im einzelnen BFH-Urteil in BFHE 166, 4, BStBl II 1992, 163). Hier soll Zinsschuldner derjenige sein, der den Vorteil aus der Steuerhinterziehung erlangt hat.

a) Im Streitfall hat die Klägerin nicht gegen ihre Verpflichtung verstoßen, einbehaltene Steuern abzuführen (1.Alternative). Dies hätte vorausgesetzt, daß die Klägerin Lohnsteuer zwar einbehalten, jedoch nicht abgeführt hatte. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, daß die Klägerin die von ihren Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer nicht einbehalten, sondern diesen mit der Folge ausbezahlt hat, daß die Arbeitnehmer und nicht die Klägerin in den Genuß des Vorteils der Steuerhinterziehung gelangt sind.

Zwar könnte eine (vorschriftsmäßige) Einbehaltung von Lohnsteuer durch die Klägerin dann angenommen werden, wenn sie mit ihren Arbeitnehmern eine Nettolohnabrede getroffen hätte. Das FG hat aber keine Tatsachen festgestellt, die den Schluß auf eine Nettolohnabrede zwischen der Klägerin und ihren Arbeitnehmern zulassen. Es kann bei einer fehlgeschlagenen Pauschalierung nach § 40a EStG --wie sie im Streitfall vorliegt-- auch keine Nettolohnabrede unterstellt werden (vgl. BFH-Urteil vom 13.Oktober 1989 VI R 36/85, BFHE 158, 394, BStBl II 1990, 30). Das gleiche gilt für den Fall einer gemeinsamen Steuerhinterziehung durch Verabredung sog. "schwarzer" Lohnzahlungen (vgl. BFH-Urteil vom 21.Februar 1992 VI R 41/88, BFHE 166, 558, BStBl II 1992, 443).

Auch der Umstand, daß ein Arbeitgeber sich später nach einer fehlgeschlagenen Pauschalierung --wie im Streitfall-- zur Übernahme der Lohnsteuer im Rahmen einer Pauschalierung nach § 40 Abs.1 Nr.2 EStG bereit erklärt, rechtfertigt es nicht, ihn so zu behandeln, als habe er eine Nettolohnabrede mit seinen Arbeitnehmern getroffen. Daran ändert auch der Einwand des FA nichts, es sei wegen einer sog. Ermessensreduzierung auf Null verpflichtet, dem Antrag des Arbeitgebers auf Pauschalierung gemäß § 40 Abs.1 Nr.2 EStG zu entsprechen. Denn eine Ermessensreduzierung auf Null wäre im allgemeinen dann nicht anzunehmen, wenn wegen der Pauschalierung dem FA die Realisierung des Zinsanspruchs gemäß § 235 Abs.1 AO 1977 wesentlich erschwert oder gar unmöglich würde.

Soweit das FA gegen die Annahme des FG, die Klägerin habe die Lohnsteuer nicht einbehalten, sondern ausbezahlt, im Revisionsverfahren Einwendungen erhebt, setzt es sich damit in Widerspruch zu seinem eigenen vorangegangenen Verhalten. Denn der von dem FA gegenüber der Klägerin erlassene Pauschalierungsbescheid, den das FA zur Bemessungsgrundlage seiner Zinsberechnung gemacht hat, ist auf § 40 Abs.1 Satz 1 Nr.2 EStG gestützt. Eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach dieser Vorschrift setzt aber voraus, daß "der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten hat" und mithin der Betrag den Arbeitnehmern ausgezahlt worden ist. Im Falle der Einbehaltung der Lohnsteuer hätten die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs.1 Satz 1 Nr.2 EStG für den Erlaß eines Pauschalierungsbescheides daher überhaupt nicht vorgelegen.

b) Die zweite Alternative des § 235 Abs.1 Satz 3 AO 1977 ist ebenfalls nicht erfüllt. Sie setzt die Verpflichtung voraus, Steuern zu Lasten eines anderen zu entrichten. Es handelt sich dabei um die Fälle, daß vom Steuerschuldner an den Dritten bezahlte Steuern nicht entrichtet werden (vgl. z.B. § 38 Abs.4 EStG, § 7 Abs.1 Sätze 1 und 3 des Versicherungssteuergesetzes --VersStG--) und deshalb nicht der Steuerschuldner, sondern der Dritte in den Genuß des steuerlichen Vorteils der Hinterziehung gelangt ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 166, 4, BStBl II 1992, 163). Im Streitfall haben nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Arbeitnehmer der Klägerin keine Beträge an die Klägerin geleistet (vgl. § 38 Abs.4 EStG), die zu entrichten die Klägerin unterlassen hätte.

3. Das Ergebnis der Auslegung des § 235 Abs.1 AO 1977, wonach ein Arbeitgeber dann, wenn er nicht der Steuerschuldner und auch nicht der (steuerliche) Nutznießer der Hinterziehung ist, nicht als Schuldner der Hinterziehungszinsen in Anspruch genommen werden kann, steht mit der gesetzlichen Wertung im Einklang, wie sie in anderen Vorschriften der AO 1977 zum Ausdruck gekommen ist. Nach § 71 AO 1977 haftet der Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei kraft ausdrücklicher Erwähnung des § 235 AO 1977 auch für die Hinterziehungszinsen. Dadurch ist eine Haftung des Arbeitgebers für Hinterziehungszinsen bei Lohnsteuer in den Fällen gegeben, in denen der Arbeitgeber eine natürliche Person ist und eine Hinterziehung von Lohnsteuer als Täter oder Teilnehmer begangen hat. Ist der Arbeitgeber --wie im Streitfall-- keine natürliche Person, so richtet sich seine Haftung nach § 70 AO 1977. Danach haftet der Vertretene (Arbeitgeber), soweit er nicht bereits der Steuerschuldner ist und soweit die in §§ 34, 35 AO 1977 bezeichneten Personen Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung sind, nur für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Zinsen nach § 235 AO 1977 sind in § 70 AO 1977 --anders als in § 71 AO 1977-- nicht erwähnt. Dies läßt nur den Schluß zu, daß nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bei dieser Fallkonstellation für die Hinterziehungszinsen nur der Täter oder Teilnehmer der Steuerhinterziehung, nicht aber der damit nicht identische Arbeitgeber haften soll.

4. Ein von dieser Intention der AO 1977 abweichendes Ergebnis ergibt sich im Falle der Pauschalierung der Lohnsteuer auch nicht deshalb, weil gemäß § 40 Abs.3 Satz 1 EStG der Arbeitgeber die pauschale Lohnsteuer zu übernehmen hat und gemäß Satz 2 dieser Vorschrift Schuldner der pauschalen Lohnsteuer wird. Der gesetzlich angeordneten Übernahme der pauschalen Lohnsteuer kann nicht im Wege der Auslegung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus die Bedeutung beigemessen werden, daß der Arbeitgeber die Schuld aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977) des Arbeitnehmers und damit die steuerlichen Nebenleistungen i.S. des § 3 Abs.3 AO 1977 zu übernehmen hat. Ein derartiges Verständnis der Vorschrift scheitert nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz und ungeachtet evtl. weiterer Überlegungen schon daran, daß die mit einem Pauschsteuersatz (Nettosteuersatz) zu berechnende pauschale Lohnsteuer nicht identisch ist mit der Summe der bis zum Erlaß des Pauschalierungsbescheides von den einzelnen Arbeitnehmern geschuldeten Lohnsteuer. Hätte der Gesetzgeber im Falle der Pauschalierung der Lohnsteuer die Vereinfachung des Erhebungsverfahrens auch auf die Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO 1977 erstrecken und eine Steuerschuldnerschaft des Arbeitgebers wegen der Hinterziehungszinsen unabhängig davon begründen wollen, ob der Arbeitgeber den (steuerlichen) Vorteil aus der Steuerhinterziehung gezogen hat, so hätte er dies --ebenso wie für die Haftung in § 71 AO 1977-- ausdrücklich anordnen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64600

BFH/NV 1994, 33

BStBl II 1994, 557

BFHE 173, 192

BFHE 1994, 192

BB 1994, 779

BB 1994, 779 (L)

DB 1994, 1169-1170 (LT)

DStR 1994, 612-613 (KT)

DStZ 1994, 349 (KT)

HFR 1994, 338-340 (LT)

StE 1994, 233 (K)

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