Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung der Dienstreisegrundsätze bei über dreimonatiger Abordnung eines Finanzanwärters; durch Osterferien unterbrochener Kurs als Einheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Finanzanwärter von seinem als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehenden Ausbildungs-Finanzamt vorübergehend an eine andere Ausbildungsstätte abgeordnet, so können für die ersten drei Monate auch dann Dienstreisegrundsätze zur Anwendung kommen, wenn die auswärtige Ausbildung länger als drei Monate dauern soll.

2. Ein fünfmonatiger Kurs, der lediglich durch zweiwöchige Osterferien unterbrochen wird, ist hinsichtlich der Anwendung von Dienstreiseregeln als Einheit zu behandeln.

 

Orientierungssatz

Werden Dienste an unterschiedlichen Tätigkeitsstellen erbracht, ist eine Dienstreise anzunehmen, wenn der vorübergehend aufgesuchten eine regelmäßige Arbeitsstätte gegenübersteht, die der erstgenannten gegenüber als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint. Ob ein derartiger Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Anhaltspunkte für die Bejahung eines solchen Mittelpunktes können neben der Dauer der dort abgeleisteten Dienste und dem Umstand, daß an diesen Ort immer wieder zurückgekehrt wird, die mit den Vorstellungen der Beteiligten übereinstimmende Verkehrsanschauung sein.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 4, Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Der ledige Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1983 als Finanzanwärter dem Finanzamt A zur Ausbildung zugeteilt. Vom 5.Januar bis 18.März 1983 und vom 5.April bis 8.Juni 1983 war er an die Fachhochschule für Finanzen in B abgeordnet.

Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machte der Kläger u.a. Werbungskosten aus Anlaß der Lehrgänge geltend, nämlich für die Zeit vom 5.Januar bis 18.März 1983 Fahrtkosten für zehn Heimfahrten mit 0,42 DM je gefahrenen Kilometer und für die Zeit vom 5.April bis 8.Juni 1983 für neun Heimfahrten mit 0,36 DM je Entfernungskilometer. Außerdem begehrte er für die Lehrgänge (zusammen für 53 Tage) als Verpflegungsmehraufwand 25 v.H. der Tagespauschalen in Höhe von 35 DM als Werbungskosten anzuerkennen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ Fahrtkosten für Familienheimfahrten nur mit 0,36 DM je 184 Entfernungskilometer zum Abzug zu und berücksichtigte keinen Verpflegungsmehraufwand.

Nach insoweit erfolglos gebliebenem Einspruch machte der Kläger mit der Klage wie bisher Verpflegungsmehraufwendungen sowie für die 19 Zwischenheimfahrten Fahrtkosten mit 0,42 DM je Kilometer geltend.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, mit dem zu einer einmonatigen Abordnung an ein anderes Ausbildungs-Finanzamt ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8.Juli 1983 VI R 156/79 (BFHE 139, 67, BStBl II 1983, 679) sei davon auszugehen, daß auch bei Abordnungen zu Lehrgängen der Lehrgangsort erst bei einem auswärtigen Aufenthalt von mehreren Monaten zur neuen regelmäßigen Arbeitsstätte werde. Letzteres sei in Anlehnung an das BFH-Urteil vom 10.November 1978 VI R 13-14/76 (BFHE 126, 420, BStBl II 1979, 157) allenfalls der Fall, wenn die Abordnungszeit ein halbes Jahr überschreite. Daher seien im Streitfall, auch bei Annahme eines zusammenhängenden, nur von einem zweiwöchigen Osterurlaub unterbrochenen Gesamtlehrgangs, Dienstreisegrundsätze anzuwenden mit der Folge, daß die begehrten Fahrtkosten und nach Abschn.25 Abs.6 Nr.3 c der Lohnsteuer-Richtlinien 1981 (LStR) auch die Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten anzuerkennen seien.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 9 Abs.1 Sätze 1 und 3 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Es hält einerseits das Ausbildungs-Finanzamt für eine regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers, da er dorthin einberufen werde, dort seine Arbeitsleistung während der Ausbildung schulde, ihm von dort die Teilnahme an auswärtigen Ausbildungslehrgängen zugewiesen werde und er dorthin jeweils wieder zurückkehre. Andererseits werde ein Lehrgangsort in Abordnungsfällen dann zur neuen regelmäßigen Arbeitsstätte, wenn die Verkehrsauffassung den Mittelpunkt der auf Dauer abgestellten beruflichen Tätigkeit als verändert ansehe. Das hänge von der Zeitdauer der Abordnung wie auch davon ab, wo Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis begründet würden.

Bei Abordnungen wie im Streitfall sei der Auszubildende der Weisungsbefugnis des Schulleiters unterstellt. Nur dessen Anweisungen sei zu folgen und diesem stehe die unmittelbare Disziplinargewalt zu. Der Auszubildende sei verpflichtet, die sich aus dem Dienstverhältnis ergebenden Aufgaben am Lehrgangsort zu erbringen, nämlich am Unterricht teilzunehmen und die übertragenen häuslichen Arbeiten zu erledigen.

Ein Lehrgang, der nur kurz durch Ferien unterbrochen werde, sei einheitlich zu beurteilen (BFH-Urteil vom 24.November 1978 VI R 29/76, nicht veröffentlicht --NV--). Bei der sich daraus hier ergebenden Lehrgangsdauer von fünf Monaten sei nicht mehr von einer zeitweiligen Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit am Ausbildungs-Finanzamt auszugehen. Auch die von vornherein vorgesehene Rückkehr ans Finanzamt A führe nicht zu einer anderen Beurteilung, zumal sich die theoretische Gesamtausbildung über mehrere Lehrgangsblöcke und somit auch über mehrere Jahre erstrecke.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger aus Anlaß des Besuchs der Fachhochschule Dienstreisen vorgenommen hat. Es wird aber weitere Feststellungen zur Höhe der zu berücksichtigenden Werbungskosten zu treffen haben.

1. Aufwendungen, die durch eine Dienstreise verursacht sind, gehören zu den dienstlich veranlaßten Werbungskosten i.S. von § 9 Abs.1 Satz 1 EStG.

a) Eine Dienstreise liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen in einer Entfernung von mindestens 15 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte vorübergehend tätig wird (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 3.Oktober 1985 VI R 129/82, BFHE 145, 513, BStBl II 1986, 369). Danach muß eine von der tatsächlichen Arbeitsstätte abweichende regelmäßige Arbeitsstätte vorhanden sein bzw. es darf der neue Einsatzort nicht seinerseits zur alleinigen oder weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte geworden sein (BFH-Urteil vom 9.Dezember 1988 VI R 199/84, BFHE 155, 362, BStBl II 1989, 296).

b) Werden Dienste an unterschiedlichen Tätigkeitsstellen erbracht, ist eine Dienstreise anzunehmen, wenn der vorübergehend aufgesuchten eine regelmäßige Arbeitsstätte gegenübersteht, die der erstgenannten gegenüber als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint. Ob ein derartiger Mittelpunkt der dienstlichen Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Anhaltspunkte für die Bejahung eines solchen Mittelpunktes können neben der Dauer der dort abgeleisteten Dienste und dem Umstand, daß an diesen Ort immer wieder zurückgekehrt wird, die mit den Vorstellungen der Beteiligten übereinstimmende Verkehrsanschauung sein.

c) Auch die LStR gehen --abgesehen von Ausbildungsdienstverhältnissen-- bis heute von diesen Grundsätzen aus, was sich insbesondere aus der Regelung zum Begriff der vorübergehenden Auswärtstätigkeit in Abschn.37 Abs.3 Nr.2 LStR 1990, zur Abgrenzung von Dienstreisen zur Fahrtätigkeit in Abschn.37 Abs.2 Nr.1 LStR 1990 und zur Einsatzwechseltätigkeit in Abschn.37 Abs.2 Nr.2 LStR 1990 ergibt.

Namentlich Abschn.37 Abs.3 Nr.2 Satz 3 LStR 1990 --so auch schon entsprechenden Vorgängerregelungen, wie dem im Streitfall maßgebenden Abschn.25 Abs.3 Satz 1 LStR 1981-- ist zu entnehmen, daß eine Auswärtstätigkeit auch dann eine vorübergehende sein kann, wenn sie länger als drei Monate dauert, mit der Folge, daß für die ersten drei Monate Dienstreiseregeln Platz greifen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß auch bei einer längeren Abwesenheit als drei Monate der dienstliche Mittelpunkt an der bisherigen Tätigkeitsstelle verblieben sein kann. Hiervon bei Ausbildungsdienstverhältnissen generell abzuweichen, wie dies erstmals in den LStR 1990 ausdrücklich geschieht, besteht auch bezüglich des Streitjahrs 1983 kein hinreichender Grund. Anders als bei dem zweiten in Abschn.37 Abs.3 Nr.2 Satz 2 LStR 1990 erwähnten Beispielsfall, nämlich der Versetzung, bei der in aller Regel nach der Verkehrsanschauung von einem neuen dauerhaften Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit auszugehen sein wird, kann nach den Umständen des Falles auch bei einer länger als drei Monate aufgesuchten weiteren Ausbildungsstätte eine andere Ausbildungsstätte der dauerhafte berufliche Mittelpunkt geblieben sein. Die Tatsache, daß an der auswärtigen Ausbildungsstätte ihrer Funktion entsprechende Dienste zu erbringen sind, besagt nichts darüber, ob sie vorübergehende Tätigkeitsstätte oder neuer beruflicher Mittelpunkt ist. Entsprechendes gilt für den Umstand, daß während einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit andere Personen als bisher dem Arbeitnehmer gegenüber unmittelbar weisungsbefugt sein können.

2. Entsprechend diesen Kriterien ist im Streitfall dem Grunde nach das Vorliegen von Dienstreisen zu bejahen.

a) Der Kläger wurde als Finanzanwärter ausgebildet und hatte somit eine dreijährige Ausbildung zu durchlaufen, wobei in Studienabschnitte gegliederte Fachstudien und berufspraktische Studienzeiten mit dienstbegleitenden Lehrveranstaltungen von jeweils zusammen 18 Monaten zu absolvieren waren (§ 17 ff. der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Steuerbeamte --StBAPO-- vom 6.September 1982, BStBl I 1982, 704). Im Rahmen der berufspraktischen Ausbildung wurde er einem Ausbildungs-Finanzamt zugewiesen (§ 2 Abs.3 StBAPO). An diesem fanden die Einübung in die steuerliche Praxis und dienstbegleitende Lehrveranstaltungen statt (§ 24 Abs.1 StBAPO), sofern nicht ausnahmsweise eine Abordnung an eine andere Behörde erfolgte. Am Ausbildungs- Finanzamt war ein Ausbildungsleiter bestellt, der sich laufend vom Stand der Ausbildung zu überzeugen und eine sorgfältige Ausbildung sicherzustellen hatte (§ 3 Abs.3 StBAPO).

Sofern die Fachstudien jeweils an derselben Bildungseinrichtung und die berufspraktischen Studienzeiten sämtlich im Ausbildungs-Finanzamt absolviert wurden, war der Aufenthalt an beiden Ausbildungsorten von gleicher Dauer. Jedenfalls hat der Kläger einen maßgebenden Teil seiner Ausbildung an seinem Ausbildungs- Finanzamt erhalten. Dorthin kehrte er, was auch das FA betont, nach jedem Studienabschnitt an der Fachhochschule zurück und von dort wurde er über den Verlauf der gesamten Ausbildung betreut. Diese Umstände rechtfertigen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung die Annahme, daß das Ausbildungs-Finanzamt über die gesamte Ausbildungszeit als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit --hier der Ausbildung-- des Klägers anzusehen war (vgl. auch das Urteil des Senats vom 4.Mai 1990 VI R 93/86, BFHE 160, 542). Daraus folgt, daß bei einer vorübergehenden Tätigkeit außerhalb des Ausbildungs-Finanzamts für die ersten drei Monate (vgl. BFH-Urteil vom 14.Juli 1978 VI R 179/76, BFHE 125, 555, BStBl II 1978, 660) auch dann Dienstreisegrundsätze anzuwenden sind, wenn die auswärtige Tätigkeit insgesamt länger als drei Monate dauern sollte.

b) Hiervon ist dem Grunde nach zutreffend auch das FG ausgegangen. Dem angefochtenen Urteil sind dagegen keine Feststellungen darüber zu entnehmen, welche Tage, an denen Fahrtkosten und Verpflegungsmehraufwendungen nach Dienstreisegrundsätzen geltend gemacht worden sind, in den Dreimonatszeitraum fallen. Diese wird das FG nunmehr nachholen müssen. Dabei ist hinsichtlich des streitigen Lehrgangs von einem einheitlichen Kurs auszugehen, weil die Unterbrechung nicht der planmäßigen Verfolgung der Ausbildung an einer anderen Stelle diente, sondern ein fünfmonatiger Kurs lediglich wegen der Osterferien unterbrochen worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63099

BFH/NV 1990, 68

BStBl II 1990, 861

BFHE 160, 538

BFHE 1991, 538

BB 1990, 2171

BB 1990, 2171-2172 (LT)

DB 1990, 2099 (LT)

DStR 1991, 184 (K)

HFR 1990, 688 (LT)

StE 1990, 314 (K)

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