Leitsatz (amtlich)

1. Veräußert ein Steuerpflichtiger sein betrieblich genutztes Grundvermögen im Zuge eines Brückenneubaues und führt er seinen Gewerbebetrieb nach der Grundstücksveräußerung in gemieteten Räumen fort, so handelt es sich um die Veräußerung von Einzelwirtschaftsgütern und nicht um eine Betriebsveräußerung.

2. Wird das Ladengeschäft einer Bäckerei am bisherigen Standort geschlossen und nach kurzer Umzugsdauer an einem neuen 200 bis 300 m entfernt liegenden Standort wiedereröffnet, so sprechen die fortlaufend und artgleich ausgeübte gewerbliche Tätigkeit, die geringe Entfernung zwischen den beiden Standorten und gegebenenfalls die sich fortsetzende Umsatzentwicklung für die Annahme einer bloßen Betriebsverlegung und gegen eine Betriebsaufgabe mit anschließender Neueröffnung.

 

Normenkette

GewStG § 2; EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb bis zum Juli 1973 auf dem in seinem Eigentum stehenden und zu 50 v. H. betrieblich genutzten, bebauten Grundstück in H, B-Weg 2, eine Bäckerei und Konditorei. Grundstück und Gebäude veräußerte er aus Anlaß eines Brückenneubaues an die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) - Bundesstraßenbauverwaltung. Die dadurch aufgedeckten stillen Reserven wurden in eine Rücklage gemäß § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) eingestellt.

Mit Wirkung vom 1. Juli 1973 erwarb der Kläger das Grundstück H, K-Straße 3, auf dem er in der Folgezeit ein ebenfalls teilweise betrieblich genutztes Gebäude errichtete. Die Rücklage gemäß § 6b EStG übertrug er auf die Anschaffungskosten des Grund und Bodens und auf die Herstellungskosten des Gebäudes.

Im August 1973 verlegte der Kläger die Backstube in die vorübergehend angemieteten Räume in H, P-Straße 12. Aus diesem Anlaß erwarb er einen neuen Backofen. Im Oktober 1974 verlegte der Kläger das Ladengeschäft aus dem Gebäude B-Weg 2 und die provisorische Backstube aus den Räumen P-Straße 12 in das neu errichtete Gebäude K-Straße 3. Dabei fand der im Jahre 1973 erworbene Backofen wieder Verwendung. Im übrigen wurden der Laden mit einer neuen Ladeneinrichtung und die Backstube mit neuen Maschinen ausgestattet. Die Grundstücke B-Weg 2 und K-Straße 3 liegen ca. 200 bis 300 m voneinander entfernt.

Der Kläger erhielt aus Anlaß der Geschäftsverlegung von der Bundesstraßenbauverwaltung eine Geschäftsausfallentschädigung in Höhe von 80 000 DM sowie eine Inventarentschädigung von 41 496 DM. Er behandelte beide Entschädigungen als Teil eines Betriebsaufgabegewinns.

Nach einer Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) berichtigten Gewerbesteuermeßbescheid 1973. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit der Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung des § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und des § 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG).

Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Niedersächsische Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nur teilweise begründet.

A.

1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß der Kläger seinen Bäckereibetrieb im Streitjahr 1973 weder veräußert noch aufgegeben, sondern lediglich verlegt hat.

2. Eine Betriebsveräußerung i. S. des § 16 Abs. 1 EStG liegt vor, wenn ein Betrieb mit seinen wesentlichen Grundlagen und unter Aufrechterhaltung des geschäftlichen Organismus auf einen Erwerber übergeht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Januar 1966 IV 76/63, BFHE 84, 461, BStBl III 1966, 168 ). Nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der erkennende Senat in Ermangelung zulässiger und begründeter Rügen gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, fehlt es an dieser Voraussetzung schon deshalb, weil der Betrieb auf keine andere Person übergegangen ist. Der Kläger hat lediglich das teilweise betrieblich genutzte Grundstück nebst aufstehendem Gebäude als Einzelwirtschaftsgüter an die Bundesrepublik verkauft. Die Bundesrepublik hat jedoch nicht den Bäckereibetrieb des Klägers erworben. Vielmehr wurde dieser von dem Kläger auch noch nach dem Zeitpunkt der Grundstücksveräußerung für eine Übergangszeit in dem Gebäude B-Weg 2 fortgeführt.

3. a) Eine Aufgabe des ganzen Betriebs i. S. von § 16 Abs. 3 EStG liegt dann vor, wenn der Inhaber des Betriebs seine gewerbliche Tätigkeit einstellt und die dem Betrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter in einem einheitlichen Vorgang innerhalb eines kurzen Zeitraums entweder veräußert oder in das Privatvermögen überführt und dadurch die stillen Reserven in einem Zug aufdeckt (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juli 1981 IV R 136/79, BFHE 134, 23, BStBl II 1981, 798 ). Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Kläger hat seine gewerbliche Tätigkeit nicht eingestellt, sondern während, vor und nach dem Streitjahr 1973 eine Bäkkerei betrieben. Er hat auch nicht alle dem Betrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter in einem einheitlichen Vorgang innerhalb eines kurzen Zeitraums in das Privatvermögen überführt, sondern das Geschäftsinventar und den Warenbestand am neuen Standort weiterhin betrieblich verwendet. Veräußert wurde nur das Geschäftsgrundstück nebst aufstehendem Gebäude. Außerdem waren gewisse Einrichtungsgegenstände und Außenanlagen am neuen Standort nicht mehr verwendbar. Der Kläger ist lediglich mit seinem Betrieb in neu errichtete Betriebsräume umgezogen. Er hat den Standort seines Betriebs verlegt.

b) Verlegt ein Steuerpflichtiger seinen Betrieb an einen neuen Standort, so kann dies steuerlich auch als die Aufgabe des bisherigen Betriebs und die Eröffnung eines neuen Betriebs zu beurteilen sein. Ob im Einzelfall eine Betriebsaufgabe mit anschließender Neueröffnung oder aber eine bloße Betriebsverlegung anzunehmen ist, hängt wesentlich davon ab, ob der "stillgelegte" und der "wiederaufgenommene" Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise identisch sind (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 200/72, BFHE 119, 430, BStBl II 1976, 672 ). Die Bejahung bzw. Verneinung der wirtschaftlichen Identität gehört jedoch zu den auf tatsächlichem Gebiet liegenden Feststellungen des FG, an die der BFH als Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, soweit der Kläger nicht zulässige und begründete Revisionsrügen erhebt. Die Nachprüfungsbefugnis ist deshalb - von Revisionsrügen i. S. des § 118 Abs. 2 FGO abgesehen - auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt.

Das FG hat die wirtschaftliche Identität zwischen dem "stillgelegten" und dem "wiederaufgenommenen" Betrieb aus der fortlaufend und artgleich ausgeübten gewerblichen Tätigkeit, aus der buchmäßigen Behandlung durch den Kläger, aus der geringen räumlichen Entfernung zwischen den beiden hier interessierenden Standorten und aus der Umsatzentwicklung des Klägers geschlossen. Die vom FG gezogenen Schlußfolgerungen sind weder in sich widersprüchlich noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Insbesondere deutet die praktisch ohne Unterbrechung ausgeübte Tätigkeit auf die wirtschaftliche Identität zwischen dem "alten" und dem "neuen" Betrieb hin, weil eine bloße Betriebsunterbrechung voraussetzt, daß schon im Zeitpunkt der Einstellung der werbenden gewerblichen Tätigkeit es nach den äußerlich erkennbaren Umständen wahrscheinlich ist, daß die Betätigung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums in gleichartiger oder ähnlicher Weise wieder aufgenommen wird (vgl. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 16 Anm. 34). Wird deshalb die werbende Tätigkeit nur für die Dauer eines Umzugs unterbrochen, so spricht die vorher und nachher gleichartig ausgeübte Tätigkeit für die Annahme einer bloßen Betriebsunterbrechung. In gleicher Weise ergibt sich aus der Fortführung der Buchwerte des "alten" Betriebs die konkludente Behauptung des Klägers, daß er den alten und den neuen Betrieb als wirtschaftlich identisch ansieht. Schließlich deutet eine Entfernung zwischen den beiden Standorten von nur 200 bis 300 m jedenfalls bei einer Bäckerei und Konditorei darauf hin, daß nur eine Betriebsverlegung stattgefunden hat. Dem steht nicht entgegen, daß sich schon bei einer Entfernung von 200 bis 300 m der Kundenstamm wesentlich verändern kann. Strukturveränderungen innerhalb eines Betriebs schließen die Annahme einer bloßen Betriebsverlegung nicht aus (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168 ). Im übrigen wird der Geschäftswert eines Betriebs nicht nur durch einen namensmäßig abgegrenzten Kundenkreis gebildet. Vielmehr kommt es auch auf den "guten Ruf" an. Der "gute Ruf" eines Betriebs pflegt aber über eine räumliche Entfernung von 200 bis 300 m erhalten zu bleiben. Endlich deutet auch die Umsatzentwicklung des Klägers darauf hin, daß er nicht mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, wie sie für einen neu eröffneten Betrieb typisch sind.

c) Soweit der Kläger in der Revisionsbegründung zu einer anderen Beurteilung gelangt, beruht diese im wesentlichen darauf, daß er von einem Sachverhalt ausgeht, den das FG nicht festgestellt hat. Aus der Revisionsbegründung ergeben sich jedoch keine Rügen dahin, daß das FG Tatsachen, die für die Beurteilung einer Betriebsveräußerung bzw. Betriebsaufgabe erheblich waren, nicht, falsch und/oder nur unvollständig ermittelt oder gewürdigt habe. Vielmehr wendet sich der Kläger mit der Revisionsbegründung gegen das Ergebnis der Beweiswürdigung als solches. Insoweit kann jedoch der erkennende Senat als Revisionsgericht nur prüfen, ob das FG den festgestellten Sachverhalt wie geschehen würdigen konnte. Dies ist - wie unter b) ausgeführt - zu bejahen.

B.

1. Das FG hätte allerdings prüfen müssen, ob das FA die Entschädigungen, die der Kläger von der Bundesrepublik erhielt, in voller Höhe bei der Gewinnermittlung 1973 erfolgswirksam berücksichtigen durfte. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG wurden die Entschädigungen für den Geschäftsausfall und das Inventar gezahlt. Es liegt jedoch auf der Hand, daß ein Geschäftsausfall in erster Linie durch die Verlegung des Ladengeschäfts drohte. Dieses wurde aber erst im Oktober 1974 in das Gebäude K-Straße 3 verlegt. Bis zum Oktober 1974 wurde es an dem alten Standort fortgeführt. Soweit die Entschädigung auf die Verlegung des Ladengeschäfts entfiel und schon in 1973 an den Kläger gezahlt wurde, ist sie steuerlich gesehen gewinneutral als Anzahlung zu behandeln. Nach dem sogenannten Realisationsprinzip sind nämlich Gewinne erst auszuweisen, wenn sie verwirklicht sind (vgl. BFH-Urteil vom 3. Mai 1979 I R 49/78, BFHE 128, 364, BStBl II 1979, 738 ; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., Stand: Juli 1973, § 5 EStG Anm. 49 m und 49 s). Dementsprechend sind Gewinne aus schwebenden Lieferungsoder Leistungsverträgen erst anzusetzen, wenn der Unternehmer die vereinbarte Lieferung oder Leistung erbracht hat. Besteht aber die vereinbarte Leistung aus der Verlegung einer Backstube einerseits und eines Ladengeschäfts andererseits und werden beide Teilleistungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erbracht, so ist die gezahlte Entschädigung auf die Teilleistungen aufzuteilen und zu den unterschiedlichen Zeitpunkten gewinnerhöhend zu verbuchen. Für die Inventarentschädigung gilt Entsprechendes. Insoweit ist darauf abzustellen, ob das zu entschädigende Inventar durch die Verlegung der Backstube oder des Ladengeschäfts unbrauchbar wurde.

2. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist dem Senat eine Aufteilung der Entschädigung in einen schon 1973 und einen erst 1974 gewinnerhöhend anzusetzenden Teil unmöglich. Das FG hat sich zu der Aufteilung der Entschädigung nicht geäußert. Aus diesem Grund ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG wird die fehlenden Feststellungen nachholen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 426073

BStBl II 1985, 131

BFHE 1985, 381

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