Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrten zur Arbeitsstätte abwechselnd von zwei Wohnungen

 

Leitsatz (NV)

1. Hat ein Arbeitnehmer zwei Wohnungen, von denen er sich abwechselnd zu seiner Arbeitsstätte begibt, so sind auch die Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen, wenn diese Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt (Anschluß an BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221).

2. Auf die Motive, aus denen heraus der Arbeitnehmer den Lebensmittelpunkt an einen bestimmten Ort verlegt, kommt es im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG nicht an.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit Jahren als Arbeitnehmer in A (in der Nähe von H) beschäftigt. Anfang Januar 1978 meldeten sich er und seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), als wohnhaft in N an. Dort hatten sie eine Eigentumswohnung. Ferner besaßen die Kläger in N ein unbebautes Grundstück, für das sie seit Anfang 1978 eine Bebauung planten. Das Bauvorhaben wurde 1983 beendet; seitdem wohnen die Kläger in dem Neubau.

Im Streitjahr 1979 unternahm der Kläger nach eigenen Angaben 120 Fahrten zwischen der Eigentumswohnung in N zu seiner 206 km entfernt liegenden Arbeitsstätte. An den übrigen Arbeitstagen ist er nach eigenen Angaben von der der Mutter der Klägerin gehörenden Eigentumswohnung in H, die 18 km von der Arbeitsstätte entfernt liegt, gefahren. Diese Eigentumswohnung hatte die Mutter im Dezember 1977 von den Klägern gekauft. Der Kläger geht davon aus, daß sich der Mittelpunkt der Lebensführung schon im Streitjahr 1979 in N befunden habe, da sich dort auch die Klägerin mit der im Streitjahr geborenen Tochter aufgehalten habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könne ein Arbeitnehmer, der abwechselnd von zwei Wohnungen zur Arbeitsstätte und zurück fahre, für die Fahrten von der zur Arbeitsstätte weiter entfernt liegenden Wohnung nur unter zwei einschränkenden Bedingungen einen Werbungskostenabzug beanspruchen. Der Arbeitnehmer müsse in der weiter entfernt liegenden Wohnung den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen haben und die Wohnung dürfe nur soweit vom Arbeitsplatz entfernt liegen, daß es ein Arbeitnehmer normalerweise auf sich nehme, eine solche Entfernung mit dem von ihm benutzten Beförderungsmittel trotz des damit verbundenen Zeitaufwandes und der Anstrengungen arbeitstäglich zu bewältigen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306). Nach den Darlegungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung sei es zwar zweifelhaft, ob der Kläger den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen tatsächlich in der Wohnung in N gehabt habe. Trotz der zivilrechtlichen Übertragung der Wohnung in H auf die Schwiegermutter des Klägers habe sich nach seinen Angaben an den tatsächlichen Verhältnissen nichts geändert. Vielmehr seien alle Einrichtungsgegenstände des Klägers und seiner Familie in der Wohnung in H verblieben, während die Schwiegermutter weiterhin ihre eigenen Möbel in der Wohnung in N belassen habe und sich selbst auch fast ausschließlich in dieser Wohnung aufgehalten habe. Das FG gehe davon aus, daß sich zwar die Ehefrau des Klägers mit ihrem im Mai 1979 geborenen Kind in der Wohnung in N aufgehalten habe. Nach den Angaben des Klägers sei dies indes überwiegend darin begründet gewesen, daß die Ehefrau den beginnenden Neubau des Einfamilienhauses in N habe organisieren und beaufsichtigen sollen. Diesem Zweck müßten auch die Fahrten des Klägers zu der Wohnung in N zugerechnet werden. Es sei weiterhin davon auszugehen, daß auch für den Fall, daß der Kläger tatsächlich in N den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gehabt habe, ein Werbungskostenabzug für die Fahrten zwischen der Wohnung in N und der Arbeitsstätte wegen der zu weiten Entfernung im Hinblick auf das Urteil in BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 nicht in Betracht komme. Nach seinen eigenen Aussagen habe der Kläger es gerade nicht auf sich genommen und habe dies auch gerade nicht gewollt, tatsächlich arbeitstäglich von seiner weiter entfernt gelegenen Wohnung in N zur Arbeitsstätte nach A zu fahren.

Mit der Revision begehrt der Kläger die Aufhebung der Vorentscheidung und die anderweitige Festsetzung der Einkommensteuer, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er ist der Auffassung, das FG habe das Urteil in BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 unrichtig angewendet. Das FG habe unzutreffend aus dem BFH-Urteil abgeleitet, die Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung zur Arbeitsstätte müßten tatsächlich arbeitstäglich durchgeführt werden. Der BFH habe aber nur entschieden, daß die Möglichkeit, arbeitstäglich die Entfernung zu bewältigen und trotzdem der beruflichen Tätigkeit nachzugehen, zum Abzug der Fahrtkosten als Werbungskosten ausreichte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) tritt der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat seiner Entscheidung die inzwischen aufgegebene Rechtsprechung des BFH (BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306) zugrunde gelegt, nach der Kosten für Fahrten von einer weiter von der Arbeitsstätte entfernt gelegenen Wohnung nur dann als Werbungskosten abgezogen werden konnten, wenn die Wohnung nicht soweit von der Arbeitsstätte entfernt liegt, daß ein Arbeitnehmer es bei dem von ihm regelmäßig benutzten Beförderungsmittel arbeitstäglich auf die Dauer nicht auf sich nehmen würde, am selben Tag zur Arbeitsstätte hin und zurück zu fahren, um seiner Arbeit am Beschäftigungsort nachgehen zu können. Nach der durch Urteil vom 13. Dezember 1985 VI R 7/83 (BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221) eingeleiteten neueren Rechtsprechung des Senats setzt eine steuerlich anzuerkennende Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht mehr voraus, daß die Fahrt an einem Tag durchführbar ist und außerdem noch eine Arbeitsleistung möglich ist. Die weite Entfernung zwischen N und der Arbeitsstätte in A rechtfertigt somit im Streitfall nicht mehr die Abweisung der Klage. Die Vorentscheidung, die diese neue Rechtsprechung noch nicht berücksichtigen konnte, ist daher aufzuheben.

Die Sache geht an die Vorinstanz zurück. Diese wird nunmehr prüfen müssen, ob die Wohnung in N für die Kläger den Mittelpunkt ihrer Lebensführung dargestellt hat. Das FG hat zwar insoweit Zweifel erkennen lassen. Es hat aber diese Frage noch nicht abschließend gewürdigt. Die bisher festgestellten Tatsachen lassen auch eine Würdigung durch den erkennenden Senat nicht zu. Eine umfassende Würdigung dieser Streitfrage wird eine Vernehmung der Klägerin und auch die Vernehmung von Zeugen, wie es das FA lt. Protokoll über die mündliche Verhandlung beantragt hatte, voraussetzen. Sollte sich die Wohnung in N als Mittelpunkt der Lebensführung der Kläger erweisen, so würde dem Abzug von Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht entgegenstehen, wenn das Motiv für die Verlegung des Lebensmittelpunktes nach N die Überwachung des Neubaus gewesen sein sollte. Denn auf die Motive, aus denen heraus ein Steuerpflichtiger den Lebensmittelpunkt an einen bestimmten Ort verlegt, kommt es im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes nicht an.

Der Senat weist abschließend noch darauf hin, daß die Vorentscheidung nicht mit den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 1. April 1977 VI R 83/74 (BFHE 122, 227, BStBl II 1977, 642) in Einklang steht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62364

BFH/NV 1989, 576

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