Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen der Unterhaltspflichtigen für den Privatschulbesuch eines infolge Krankheit lernbehinderten Kindes sind steuerlich grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastung i. S. des § 33 EStG abziehbar.

 

Normenkette

EStG 1971 § 33

 

Tatbestand

Der 1955 geborene Sohn der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) ist aufgrund einer schweren Entero-Encephalitis, die er im zweiten Lebensjahr durchgemacht hat, in seiner Lernfähigkeit beeinträchtigt. Nach dem Inhalt einer privatärztlichen Bescheinigung vom 18. Dezember 1973 ist wegen dieser Krankheit der Besuch einer Privatschule dringend erforderlich. Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1972 beantragten die Kläger, das Schulgeld im Betrag von 6 000 DM als außergewöhnliche Belastung (§ 33 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1971) zu berücksichtigen. Eine weitere außergewöhnliche Belastung durch Krankheitskosten haben die Kläger für das Streitjahr nicht geltend gemacht. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die beantragte Steuerermäßigung mit der Begründung ab, daß Aufwendungen dieser Art mit dem Kinderfreibetrag (§ 32 EStG 1971) abgegolten seien.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage - nach erfolglosem Einspruchsverfahren - statt. Es führte aus: Entständen einem Steuerpflichtigen durch ungewöhnliche Umstände zusätzliche und damit höhere Aufwendungen für den Schulbesuch eines Kindes, seien diese Kosten nicht als mit dem Kinderfreibetrag (§ 32 EStG 1971) abgegolten anzusehen. Bei Kindern unter 18 Jahren erwüchsen außergewöhnliche Ausbildungskosten äußerst selten. In solch seltenen Fällen belasteten Aufwendungen dieser Art die Steuerpflichtigen jedoch in gleicher Weise wie Krankheitskosten. Es komme hinzu, daß der Besuch der allgemeinbildenden Schulen heute üblicherweise keine besonderen Aufwendungen verursache, so daß der Kinderfreibetrag in aller Regel Aufwendungen für Schuldgeld nicht abgelte.

Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung der §§ 32 und 33 EStG 1971.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Nach § 33 Abs. 1 EStG 1971 wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG 1971). Handelt es sich bei den Aufwendungen um Kosten für den Unterhalt und die Ausbildung von Kindern, setzt die Gewährung einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG 1971 allerdings voraus, daß die Aufwendungen nicht bereits durch die Gewährung des Kinderfreibetrages nach § 32 EStG 1971 abgegolten sind. Nach dieser Vorschrift wird - ohne Rücksicht auf die Höhe der im Einzelfall tatsächlich angefallenen Aufwendungen - für den Unterhalt und die Ausbildung eines Kindes ein für alle Steuerpflichtigen einheitlicher Betrag vom Einkommen abgezogen. § 32 EStG 1971 enthält - neben § 33 a EStG 1971 - eine typisierende Sonderregelung zum Zwecke der Abgeltung grundsätzlich aller durch den Unterhalt und die Ausbildung von Kindern verursachten Belastungen. Der Kinderfreibetrag des § 32 EStG 1971 soll keinen vollen Ersatz solcher Aufwendungen gewähren. Es handelt sich vielmehr um einen Pauschbetrag, der "unter dem Gesichtspunkt der steuerlichen Gleichbehandlung den sozialen Belangen aller Steuerpflichtigen ausgleichend Rechnung tragen soll" (BFH-Urteile vom 9. Juli 1958 VI 144/55 U, BFHE 67, 346, BStBl III 1958, 407, und vom 23. Februar 1968 VI R 236/67, BFHE 91, 418, BStBl II 1968, 374). Sinn und Zweck dieser typisierenden Pauschalregelung schließen es grundsätzlich aus, für den Unterhalt und die Ausbildung eines Kindes zusätzlich Kosten gemäß § 33 EStG 1971 zu berücksichtigen. Nur in Ausnahmefällen, in denen zusätzliche Aufwendungen durch außergewöhnliche Umstände erwachsen, die weder mit der üblichen Unterhaltsgewährung noch mit der normalen Ausbildung zusammenhängen, können diese zusätzlich als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Dies gilt etwa dann, wenn einem Unterhaltsverpflichteten durch Krankheit oder Unterbringung in einer Anstalt im Zusammenhang mit körperlichen oder geistigen Gebrechen eines Kindes zusätzliche Aufwendungen erwachsen (Urteil vom 28. Februar 1964 VI 314/63 U, BFHE 79, 104, BStBl III 1964, 270).

Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die Aufwendungen für den Besuch von Privatschulen regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigungsfähig. Aufwendungen für den Besuch von Schulen, die in ihren Bildungs- und Erziehungszielen öffentlichen Schulen entsprechen, gehören zu den typischen Kosten der Ausbildung, die - unabhängig von ihrer Höhe im Einzelfall - durch den Kinderfreibetrag des § 32 EStG 1971 abgegolten sind (BFH-Urteil vom 5. Juli 1962 IV 5/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 S. 98 - HFR 1963, 98 -). Aufwendungen dieser Art erwachsen aus den verschiedensten Gründen und in unterschiedlichster Höhe. Sie können etwa entstehen, weil ein Kind anlagebedingt schwer lernt, weil es infolge eines Unfalls oder einer von ihm durchgemachten Erkrankung in seiner Lernfähigkeit beeinträchtigt ist, weil es infolge einer Krankheit den Unterricht längere Zeit versäumt hat, weil es durch unzuträgliche Familienverhältnisse in seinem Lernverhalten gestört ist oder weil sich die Erziehungsberechtigten nicht in ausreichendem Maße um die Ausbildung des Kindes kümmern können. Aus der Sicht der Unterhaltspflichtigen ist in allen diesen Fällen die finanzielle Belastung durch die Aufwendungen für den Besuch einer Privatschule - unabhängig von der Verursachung der Aufwendungen im Einzelfall - jeweils die gleiche. Im übrigen wird es regelmäßig von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Unterhaltspflichtigen abhängen, ob sie für ein Kind lediglich eine stundenweise private Hilfe als Ergänzung zum Unterricht an den öffentlichen Schulen in Anspruch nehmen oder ob sie dem Kind den Besuch einer privaten Halbtags- oder Ganztagsschule ermöglichen. Mangels zuverlässiger Abgrenzungskriterien erscheint es dem Senat grundsätzlich nicht gerechtfertigt, Aufwendungen für einen Privatschulunterricht je nach Anlaß und Höhe der Aufwendungen im Einzelfall steuerlich unterschiedlich zu behandeln. Eine grundsätzlich pauschale Abgeltung aller typischen Ausbildungskosten liegt im Interesse der Rechtssicherheit und einer möglichst gleichmäßigen steuerlichen Belastung aller Steuerpflichtigen. Gilt indes der Kinderfreibetrag des § 32 EStG 1971 u. a. alle typischen Ausbildungskosten ab, kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall - etwa durch den Besuch einer Privatschule - höhere als die sonst üblichen Aufwendungen entstehen. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Aufwendungen für Unterhalt und Ausbildung von Kindern durch die Gewährung der Kinderfreibeträge und die sonstigen kinderbedingten steuerlichen und anderen Vergünstigungen bereits im Streitjahr 1972 in nur unzureichender Weise berücksichtigt wurden. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und ab 1. Januar 1975 mit der Neugestaltung des Familienlastenausgleichs durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 (BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) und mit den zwischenzeitlich in Kraft getretenen Änderungen (z. B. Ausbildungsfreibeträge i. S. des § 33 a Abs. 2 EStG ab 1. Januar 1977) gewisse Erleichterungen geschaffen.

An dieser Beurteilung ändert nichts der Umstand, daß an öffentlichen Schulen heutzutage Schulgeld nicht erhoben wird. Abgesehen davon, daß bei Einführung der pauschalen Abgeltung der Aufwendungen für Unterhalt und Ausbildung von Kindern gemäß §§ 32, 33 a EStG regelmäßig Schulgeld zu bezahlen war, die Pauschalregelung mithin Aufwendungen für Schulgeld tatsächlich berücksichtigt, erwachsen den Unterhaltspflichtigen nach Einführung der Schulgeldfreiheit - auch wenn die Kinder öffentliche Schulen besuchen - weiterhin mit der Ausbildung zusammenhängende Kosten, die nach der Systematik des Gesetzes steuerlich als pauschal abgegolten anzusehen sind. Ob eine andere Beurteilung in Ausnahmefällen, etwa bei Aufwendungen für den Besuch von Behindertenschulen (z. B. für Blinde oder Taubstumme) geboten sein kann, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Ein solcher Sachverhalt liegt im Streitfall nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz erscheint es nicht vertretbar, die Aufwendungen für den Privatschulbesuch unter dem Gesichtspunkt von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind nach § 33 EStG 1971 grundsätzlich nur unmittelbare Krankheitskosten abzugsfähig. Hierunter fallen nur die Kosten, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder - in der Person des Kranken selbst - mit dem Ziel aufgewendet werden, die Krankheit erträglich zu machen. Die Berücksichtigung weiterer Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen, würde zu einer nicht vertretbaren steuerlichen Berücksichtigung von Kosten der allgemeinen Lebenshaltung führen, die mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG 1971 nicht vereinbar wäre (BFH-Urteil vom 16. Mai 1975 VI R 132/72, BFHE 116, 130, BStBl II 1975, 536). Wie der BFH bereits im Urteil IV 5/61 ausgeführt hat, rechnen Privatschulkosten - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - auch dann nicht zu den unmittelbaren Krankheitskosten, wenn der Besuch der Privatschule durch eine Krankheit des Kindes verursacht ist.

Die Vorentscheidung, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das FA die steuerliche Berücksichtigung der Privatschulkosten zu Recht abgelehnt hat, war die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72971

BStBl II 1979, 78

BFHE 1979, 302

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