Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Anordnung gegen die Weiterleitung eines Auskunftsersuchens an eine ausländische Steuerbehörde

 

Leitsatz (NV)

Die Gefahr der Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen zu einem ausländischen Geschäftspartner wegen eines Auskunftsersuchens an eine ausländische Steuerbehörde im Rahmen der zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfe begründet grundsätzlich keine wesentlichen Nachteile i. S. d. § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO, die durch eine einstweilige Anordnung abzuwenden wären.

 

Normenkette

FGO § 114; AO 1977 §§ 117, 85, 88, 208, 393; EGAHiG § 1 Abs. 3; DBA GBR Art. XIX

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine KG, exportiert hauptsächlich Industrieerzeugnisse in das Ausland. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist ihr persönlich haftender Gesellschafter und führt mehrere Unternehmen, u. a. die Antragstellerin.

Die Antragstellerin verbuchte in den Wirtschaftsjahren 1975/1976 bis 1980/1981 7,5 % der Rechnungsbeträge - insgesamt rd. 1,6 Mio. DM - auf ein Provisionskonto des ausländischen Abnehmers.

Das zuständige Finanzamt (FA) begann am 9. Juni 1981 bei der Antragstellerin mit einer Außenprüfung, die u. a. die gesonderten Feststellungen der Einkünfte 1972 bis 1979 betraf. Am 11. August 1981 legten die beiden Prüfer schriftlich nieder, daß u. a. wegen der Provisionen an ausländischen Abnehmer der Verdacht der Steuerhinterziehung bestehe. Dabei gingen sie von den Zahlungen in den Wirtschaftsjahren 1976/1977 bis 1980/1981 aus. Am 13. August 1981 übernahm die Staatsanwaltschaft das Verfahren.

Gegen eine im Januar 1982 von einem der Prüfer fernmündlich angekündigte Kontrollmitteilung an die Finanzbehörden am Sitz des ausländischen Abnehmers hatten die Antragsteller Bedenken erhoben. Die Prüfer hielten nach einer Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion (OFD) ein Auskunftsersuchen an die zuständigen Finanzbehörden im Ausland für notwendig. Die Finanzbehörde hat das Auskunftsersuchen vom 17. Februar 1982 mit Schreiben vom 29. September 1982 dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (dem Bundesminister der Finanzen - BMF -) mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige ausländische Finanzbehörde vorgelegt. Es ist bisher noch nicht weitergeleitet worden.

In dem Prüfungsbericht vom 28. Mai 1982 sind die Provisionen als Betriebsausgaben behandelt worden. Die aufgrund der Prüfung erlassenen Bescheide sind insoweit vorläufig gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangen. Ein Hauptsacheverfahren ist nicht anhängig.

Die Antragsteller beantragten im März 1985 bei dem Finanzgericht (FG) Hamburg eine einstweilige Anordnung gegen den BMF, mit der diesem die Weiterleitung des Auskunftsersuchens untersagt werden sollte. Das Auskunftsersuchen sei unverhältnismäßig. Die Weiterleitung würde zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen mit dem ausländischen Abnehmer und damit zum Zusammenbruch des Unternehmens der Antragstellerin sowie zur Vernichtung von etwa 35 Arbeitsplätzen führen.

Der BMF hielt das Auskunftsersuchen für notwendig, da sonstige Aufklärungsmöglichkeiten nicht bestünden; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt.

Das FG hat den Antrag abgelehnt. Es hielt den Finanzrechtsweg nicht für gegeben und eine Verweisung des Rechtsstreits nicht für zulässig. Eine entsprechende Entscheidung des FG in einer gleichliegenden Sache ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 508 veröffentlicht.

Mit ihren Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihre Begehren weiter.

In den Anträgen auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung vom 5. März 1985 sei der jeweilige Anordnungsanspruch eingehend dargelegt worden. Zur Begründung im einzelnen und zur Glaubhaftmachung haben sich die Antragsteller auf die Beiakten bezogen.

 

Entscheidungsgründe

. . .

3. Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist nicht begründet; die besonderen Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 FGO sind nicht voll erfüllt.

a) Die Antragsteller wollen innerhalb der zwischen ihnen und dem Staat bestehenden steuerrechtlichen Beziehungen (Steuerrechtsverhältnis) durch die gerichtliche Anordnung die Weiterleitung des Auskunftsersuchens durch den BMF an die zuständige Finanzbehörde im Ausland vorläufig verhindern und damit die Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erreichen (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO; sog. Regelungsanordnung; vgl. dazu im allgemeinen u. a. Tipke/Kruse, a.a.O., § 114 FGO Tz. 3 ff.; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 114, Anm. 10; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 114 Tz. 10 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., § 395 Anm. 1; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 10. Aufl., § 935 Anm. 1).

Nach dem im wesentlichen mit § 940 der Zivilprozeßordnung (ZPO) übereinstimmenden § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO (vgl. auch § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) ist der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nur gerechtfertigt (zulässig), wenn neben den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen auch alle besonderen und zusätzlichen Voraussetzungen des § 114 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Juli 1973 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633, und vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233) gegeben sind. Diese tatbestandsmäßigen Voraussetzungen sind im Streitfall - unabhängig von dem behaupteten (Anordnungs-)Anspruch - bezüglich der weiteren besonderen Voraussetzung des Anordnungsverfahrens, nämlich des Anordnungsgrundes, nicht erfüllt.

b) Den Antragstellern entstehen bei Zugrundelegung der in den genannten Entscheidungen aufgeführten Grundsätze für die Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO keine wesentlichen Nachteile, die durch eine einstweilige Anordnung abzuwenden wären. Die Darlegungen über einen möglichen Abbruch der Geschäftsbeziehungen durch den ausländischen Abnehmer, über die Gefährdung des Unternehmens der Antragstellerin und schließlich über den Verlust von Arbeitsplätzen reichen dazu nicht aus. Sie bestehen nach dem Vorbringen der Antragsteller aus einer Mischung von Behauptungen, Prognosen, Kombinationen und Annahmen; diese haben sich noch nicht zu einem Anordnungsgrund verdichtet, der eine Regelungsanordnung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren rechtfertigen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen könnte. Die von den Antragstellern befürchteten Nachteile und Risiken folgen letztlich aus der mit dem Auskunftsersuchen erstrebten zutreffenden Besteuerung der Antragsteller und ihrer Geschäftspartner. Das aber wären keine wesentlichen Nachteile im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO; eine solche Besteuerung ist nach den maßgebenden einschlägigen Vorschriften gerade Zweck des Auskunftsersuchens (vgl. dazu § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO 1977; § 1 Abs. 2, § 3 EG-Amtshilfe-Gesetz; Art. 26 des OECD-Musterabkommens 1963/1977). Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen durch den ausländischen Abnehmer erscheint dann unwahrscheinlich, wenn die in dem Auskunftsersuchen enthaltenen Angaben durch die ausländischen Finanzbehörden ebenso bestätigt werden wie eine entsprechende (zutreffende) Besteuerung. In einem solchen Falle würde weder das Unternehmen der Antragstellerin gefährdet noch würde es (zwingend) zu Entlassungen von Arbeitnehmern kommen müssen. Eine Gefahr für die Geschäftsbeziehungen könnte nur dann entstehen, wenn eine zutreffende Besteuerung der Geschäftspartner (erst) aufgrund des Auskunftsersuchens erreicht werden würde und daraus für diese zusätzliche Belastungen entstehen würden. Welche Auswirkungen sich in einem solchen Falle für die Geschäfte der Antragstellerin entwickeln könnten, ist weder eindeutig erfaßbar noch läßt es sich mit genügender Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Eine sich ergebende Einschränkung der Geschäftsbeziehungen oder sogar deren Abbruch durch den ausländischen Abnehmer wäre aber ein Schaden, der dem Zweck des Auskunftsersuchens unterzuordnen wäre, spräche nicht gegen die Zulässigkeit eines solchen Ersuchens (vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. Februar 1979 VII R 16/78, BFHE 127, 104 [114], BStBl II 1979, 268 [273] jeweils unter B III 6c) und wäre von den Antragstellern hinzunehmen.

Der Hinweis der Antragsteller, die Geschäftspartner seien nahezu ausnahmslos Staatsangehörige aus Drittländern, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Auskunftsersuchen richtet sich nicht an eine Finanzbehörde dieser Länder. Dazu weist der BMF zu Recht darauf hin, daß aufgrund des Auskunftsersuchens nur Ermittlungs- und Besteuerungsmaßnahmen des ersuchten Staates unter Wahrung des Steuergeheimnisses (vgl. Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, Kommentar, DBA-Großbritannien 1964/70, Anm. zu Art. XIX) zu erwarten seien. Unter diesen Umständen dürfte das Auskunftsersuchen nach Auffassung des Senats auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in den Drittländern weder unmittelbar noch mittelbar zu einer Gefährdung für Leib und Leben der betroffenen Personen führen. Die Antragsteller haben diese möglichen Gefahren zwar immer wieder hervorgehoben, aber - wie sie selbst einräumen - keine konkreten Tatsachen in dieser Hinsicht bezüglich der in Betracht kommenden Personen vortragen können. Der BMF hat sich im übrigen bereiterklärt, ,,im Rahmen des Möglichen" den Befürchtungen der Antragsteller Rechnung zu tragen und die ausländischen Finanzbehörden darauf besonders hinzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414823

BFH/NV 1988, 313

BFHE 1987, 492

BB 1987, 1381

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