Entscheidungsstichwort (Thema)

Erweiterung der Anfechtungsklage nach Ablauf der Klagefrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid ist regelmäßig auch insoweit zulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert wurde.

2. Hat der Kläger jedoch eindeutig zu erkennen gegeben, daß er von einem weitergehenden Klagebegehren absieht, ist die Klage insoweit unzulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist erweitert wird.

 

Orientierungssatz

1. Der Große Senat des BFH beschließt in seiner Stammbesetzung darüber, welche anderen Senate berechtigt sind, einen weiteren Richter zu den Sitzungen des Großen Senats des BFH zu entsenden (vgl. BFH-Beschluß vom 26.11.1979 GrS 2/79). Über die weiteren Verfahrensfragen entscheidet der Große Senat des BFH in seiner erweiterten Besetzung.

2. Ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH die Zuständigkeit für die Entscheidung des anhängigen Revisionsverfahrens auf einen anderen Senat des BFH übergegangen, so ist, wenn die Vorlage an den Großen Senat des BFH vom ursprünglich zuständigen Senat des BFH beschlossen wurde, der nunmehr zuständige Senat des BFH der vorlegende Senat i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO (vgl. BFH-Beschluß vom 1.12.1986 GrS 1/85).

3. Die Anrufung des Großen Senats des BFH wegen Divergenz geht bei der Entscheidung über das Entsendungsrecht in jedem Fall vor, da in den Fällen des § 11 Abs. 3 FGO das Recht zur Entsendung weiterer Richter umfassender geregelt ist als bei Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. BFH-Rechtsprechung).

4. Ob der Große Senat des BFH eine mündliche Verhandlung anberaumt, steht in seinem Ermessen (vgl. BFH-Beschluß vom 21.10.1985 GrS 2/84).

5. Die Anrufung des Großen Senats des BFH setzt voraus, daß die vorgelegte Rechtsfrage für die Entscheidung des vorlegenden Senats entscheidungserheblich ist. Dabei ist kein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

6. Über ein Begehren, das erstmals in der Revisionsinstanz durch Erweiterung des Klageantrags anhängig gemacht wird, ist gerichtlich noch nicht entschieden, so daß es insoweit an einem Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung fehlt (vgl. BFH-Urteil vom 21.4.1983 IV R 217/82).

7. Die Zulässigkeit der Klage ist nicht davon abhängig, daß innerhalb der Klagefrist das Klagebegehren vorliegt oder ein Klageantrag gestellt wird. Bis zum Ende der Klagefrist müssen lediglich Erfordernisse beachtet werden, von denen es abhängt, ob ein Schriftstück sich überhaupt als Klageschrift qualifizieren läßt (vgl. BFH-Rechtsprechung und BVerwG-Rechtsprechung). Die weiteren in § 65 FGO genannten Voraussetzungen müssen nicht vor Ablauf der Klagefrist vorliegen.

8. Die in § 65 Abs. 2 FGO vorgesehene Frist zur Ergänzung der Klage ist keine Ausschlußfrist (vgl. BFH-Rechtsprechung).

9. Eine Klage ist insoweit unzulässig, als der angefochtene Verwaltungsakt bereits --teilweise-- bestandskräftig geworden ist. Eine Teilbestandskraft kann insbesondere dadurch eintreten, daß der Kläger eine Teilanfechtungsklage erhebt. Ob eine betragsmäßig beschränkte Anfechtungsklage eine Teilanfechtung in diesem Sinne --mit der Folge einer Teilbestandskraft-- darstellt, beurteilt sich im Rahmen der Vorschriften des jeweiligen Verfahrensrechts und unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Rechtsmaterien mit dem erklärten (im Zweifel durch Auslegung --§ 133 BGB--) zu ermittelnden Willen des Rechtssuchenden.

10. Werden bei Feststellungsbescheiden, die mehrere Feststellungen enthalten, welche nicht unselbständige Bestandteile der Feststellung sind, innerhalb der Klagefrist nur bestimmte Feststellungen angefochten, ist die nach Ablauf der Klagefrist erhobene Klage bezüglich anderer Feststellungen unzulässig (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 2 Sätze 1-2, § 348; BGB § 133; EStG § 2 Abs. 6-7, §§ 3c, 4 Abs. 3, § 5 Abs. 1, § 25 Abs. 1, § 32a Abs. 1, § 34c Abs. 1 S. 1; FGO § 11 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, 2 S. 2, Abs. 4, § 40 Abs. 1, § 65 Abs. 1-2, § 47 Abs. 1, §§ 123, 76 Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 2, § 100 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 155; ZPO § 264 Nr. 2; BFHEntlG Art. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

BFH (Entscheidung vom 19.07.1988; Aktenzeichen IX R 101/82)

BFH (Entscheidung vom 22.09.1987; Aktenzeichen IX R 101/82)

 

Tatbestand

A. Sachverhalt, Anrufungsbeschluß des IX.Senats und Stellungnahmen der Beteiligten

I. Vorgelegte Rechtsfrage

Der IX.Senat hat mit Beschluß vom 22.September 1987 IX R 101/82 (BFHE 150, 576; 152, 304, BStBl II 1987, 863; BStBl II 1988, 541), ergänzt durch Beschluß vom 19.Juli 1988 IX R 101/82 (BFH/NV 1989, 10), dem Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) gemäß § 11 Abs.3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Kann die Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid auch noch

nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert werden?

1. Dem Anrufungsbeschluß liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Streitjahr 1974 zur Einkommensteuer. Die Kläger begehrten im Einspruchsverfahren erfolglos, einen Betrag von 420 DM als Spende zum Abzug zuzulassen.

Die Kläger erhoben innerhalb der Klagefrist Anfechtungsklage mit dem Antrag, den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1974 dahingehend zu berichtigen, daß der zu versteuernde Einkommensbetrag um 420 DM gekürzt und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt werde. Nach Ablauf der Klagefrist erweiterten sie ihren Klageantrag dahin, daß sie nunmehr zusätzlich begehrten, der Einkommensteuer für das Jahr 1974 unterworfene Überschüsse aus Devisentermingeschäften von 74 793,18 DM einkommensteuerfrei zu belassen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage in Höhe des ursprünglichen Klagebegehrens mit der Begründung statt, Überschüsse aus Devisentermingeschäften unterlägen nicht der Einkommensteuer (BFH-Urteil vom 8.Dezember 1981 VIII R 125/79, BFHE 135, 426, BStBl II 1982, 618). Im übrigen wies es die Klage als unzulässig ab, weil es die betragsmäßige Klageerweiterung nach Ablauf der Klagefrist für unzulässig hielt.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 47 Abs.1 und des § 76 Abs.2 FGO. Sie beantragen, das angefochtene Urteil und den Einkommensteuerbescheid 1974 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

2. Anrufungsbeschluß des IX.Senats des BFH

Der anrufende Senat hält in dem Vorlagebeschluß die Revision der Kläger für begründet. Er beabsichtigt, das angefochtene Urteil aufzuheben. Er hält die Klage für zulässig. Er sehe sich jedoch an einer Entscheidung in diesem Sinne gehindert, weil er damit von dem Urteil des VII.Senats des BFH vom 26.Januar 1982 VII R 85/77 (BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358), den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 23.März 1972 III C 132.70 (BVerwGE 40, 25, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1973, 36) sowie vom 26.April 1974 VII C 30.72 (BStBl II 1975, 317) und dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.September 1981 1 RJ 94/80 (Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1982, 349) abweichen würde.

II. Stellungnahmen der Beteiligten

1. Die Kläger vertreten im wesentlichen die im Anrufungsbeschluß dargelegte Rechtsansicht des IX.Senats.

2. Das FA widerspricht der Rechtsauffassung des IX.Senats. Es führt aus, Streitgegenstand der Klage i.S. des § 65 Abs.1 FGO seien die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Verwaltungsakts und nicht die einzelnen Besteuerungsgrundlagen. Im Rahmen des in § 96 Abs.1 Satz 2 FGO niedergelegten Verfügungsgrundsatzes bestimme der Kläger, inwieweit nach § 100 Abs.1 Satz 1 FGO das Gericht den Steuerbescheid betragsmäßig aufhebe. Der Kläger lege also fest, in welcher Höhe seiner Rechtsfolgenbehauptung vom Gericht nachgegangen werden solle. Die Voraussetzungen der rechtzeitig und formal wirksamen Klageerhebung seien in den §§ 47, 65 FGO niedergelegt. Hierzu sei ausreichend, daß die Aufhebung des Steuerbescheids insgesamt beantragt werde. Der gesamte Steuerbescheid würde dann Streitgegenstand werden. Der Kläger könne daher den Gegenstand des Verfahrens bestimmen und einen Teil des Steuerbescheides mit der Erhebung der Klage als Streitgegenstand bezeichnen.

3. Der dem Verfahren gemäß § 122 FGO beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) vertritt die Auffassung, daß mit der Teilanfechtung innerhalb der Klagefrist eine sachliche Überprüfung des nicht angefochtenen Teils ausgeschlossen sei. Dies ergebe sich --zusammengefaßt-- daraus, daß bei Teilanfechtung einer teilbaren Regelung, wie sie der Einkommensteuerbescheid enthalte, der nicht angegriffene Teil unanfechtbar werde. Vorschriften der FGO, die eine Sachprüfung und -entscheidung nach einer Klageerweiterung oder Klageänderung zuließen, bestünden nicht. Die grundlegenden Unterschiede der Verfahren stünden einer Anwendung des § 264 Nr.2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) jedenfalls insoweit entgegen, als der Steuerpflichtige als Schuldner die durch einen Verwaltungsakt festgesetzte Forderung nicht mit der Klage angegriffen habe und der Verwaltungsakt infolgedessen unanfechtbar geworden sei. Auch aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit sei die Möglichkeit einer zur Sachentscheidung führenden Klageerweiterung bei unanfechtbaren Teilregelungen abzulehnen. Bei Abwägung der Interessen der Prozeßbeteiligten als Schuldner und Gläubiger erscheine diese Lösung auch angemessen.

 

Entscheidungsgründe

B. Entscheidung des Großen Senats zu den Verfahrensfragen

I. Entsendungsrecht

Der Große Senat beschließt in seiner Stammbesetzung (§ 11 Abs.2 Satz 1 FGO) darüber, welche anderen Senate berechtigt sind, einen weiteren Richter zu entsenden (Beschluß des BFH vom 26.November 1979 GrS 2/79, BFHE 129, 246, BStBl II 1980, 156).

1. Berechtigt zur Entsendung eines weiteren Richters ist der X.Senat. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vorlagegrund nach § 11 Abs.4 FGO (grundsätzliche Bedeutung) oder der Anrufungsgrund nach § 11 Abs.3 FGO (Divergenz) zum Zuge kommt. Der X.Senat ist bei Annahme einer Divergenz ein beteiligter Senat. Er ist bei Vorlage wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 11 Abs.4 FGO der "erkennende Senat".

Der X.Senat ist entsendungsberechtigt, obwohl die Vorlage vom IX.Senat beschlossen wurde. Auf den X.Senat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan 1989 die Zuständigkeit für die Entscheidung des anhängigen Revisionsverfahrens am 1.Januar 1989 übergegangen (vgl. Nr.1 Buchst.d der Zuständigkeit des X.Senats, wonach der X.Senat für Streitsachen zuständig ist, die sonstige Einkünfte betreffen).

Der X.Senat ist nunmehr der vorlegende Senat i.S. des § 11 Abs.2 Satz 2 FGO (BFH-Beschluß vom 1.Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264 unter II. 1.). Der IX.Senat ist nicht entsendungsberechtigt, weil der nunmehr vorlegende X.Senat mit seiner Vorlage von keiner Entscheidung des IX.Senats abweicht.

2. Weiterhin entsendungsberechtigt ist der VII.Senat des BFH, weil der vorlegende Senat von einer Entscheidung des VII.Senats abweichen will.

Es kann offenbleiben, ob der vorlegende Senat den Großen Senat nach § 11 Abs.3 oder Abs.4 FGO anrufen wollte. Die Anrufung ist bei der Entscheidung über das Entsendungsrecht als auf Divergenz gestützt zu behandeln. Die Anrufung wegen Divergenz geht bei der Entscheidung über das Entsendungsrecht in jedem Falle vor, da in den Fällen des § 11 Abs.3 FGO das Recht zur Entsendung weiterer Richter umfassender geregelt ist als bei Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (BFH-Beschlüsse vom 21.Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, und vom 30.November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).

Die in dem Vorlagebeschluß vertretene Ansicht weicht von der Rechtsauffassung des VII.Senats ab, die dieser in dem Urteil in BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358 vertreten hat. Der VII.Senat hat seine Entscheidung mit dem Rechtssatz begründet, daß bei einer nur beschränkten Anfechtung eines Steuerbescheides dieser hinsichtlich des nicht angefochtenen Betrages mit Ablauf der Klagefrist unanfechtbar werde. Demgegenüber hält der vorlegende Senat im Falle der Anfechtung eines Steuerbescheides eine Klageerweiterung auch nach Ablauf der Klagefrist für zulässig.

Die beteiligten Senate haben von ihrem Entsendungsrecht Gebrauch gemacht.

II. Weitere Verfahrensfragen

Über die weiteren Verfahrensfragen entscheidet der Große Senat in seiner erweiterten Besetzung.

1. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Ob der Große Senat eine mündliche Verhandlung anberaumt, steht in seinem Ermessen (Art.1 Nr.2 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs --BFHEntlG--; BFH-Beschluß vom 21.Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207). Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

2. Erheblichkeit der Rechtsfrage

Die Anrufung des Großen Senats setzt voraus, daß die vorgelegte Rechtsfrage für die Entscheidung des vorlegenden Senats entscheidungserheblich ist. Dabei ist kein strenger Maßstab anzulegen (BFH-Beschluß vom 17.Juli 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285; vgl. auch Beschlüsse vom 28.November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 unter B I 2b; vom 26.November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132, und vom 3.Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291).

Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des X.Senats erheblich. Bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des VII.Senats wäre die Revision der Kläger unbegründet und vom X.Senat gemäß § 126 Abs.2 FGO zurückzuweisen. Bei Zulässigkeit der erweiterten Klage hingegen müßte der X.Senat nach § 126 Abs.3 FGO verfahren.

C. Entscheidung der vorgelegten Rechtsfrage

I.

1. Der Große Senat versteht den Vorlagebeschluß in dem Sinne, daß der vorlegende Senat der Meinung ist, eine Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid, die nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert wird, sei auch hinsichtlich der Erweiterung zulässig, sofern keine sonstigen Gründe gegen die Zulässigkeit sprechen. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Klageerweiterung an sich statthaft ist. Uneinigkeit besteht nur darüber, inwieweit durch eine teilweise Anfechtung innerhalb der Klagefrist eine Teilbestandskraft eintritt, die zu einer teilweisen Unzulässigkeit der Klage führt.

2. Die Entscheidung des Großen Senats bezieht sich nicht auf die Klageerweiterung in der Revisionsinstanz. Über ein Begehren, das erstmals in der Revisionsinstanz durch Erweiterung des Klageantrags anhängig gemacht wird, ist gerichtlich noch nicht entschieden, so daß es insoweit an einem Gegenstand der revisionsgerichtlichen Nachprüfung fehlt (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 21.April 1983 IV R 217/82, BFHE 138, 292, BStBl II 1983, 532). Die Unzulässigkeit der Klageerweiterung wird insoweit nicht auf den Gesichtspunkt der Teilbestandskraft gestützt.

3. Ob eine nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweiterte Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt hinsichtlich des Erhöhungsbetrages zulässig ist, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.

a) Gegen die Zulässigkeit der nach Ablauf der Klagefrist erweiterten Klage hinsichtlich des Mehrbetrages sprechen sich bei auf Geldbeträge lautenden Verwaltungsakten u.a. aus: Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Urteil vom 26.April 1967 I OVG A 287/65 (Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte --OVGE-- Münster und Lüneburg, Bd.23, 391); OVG Lüneburg, Urteil vom 10.August 1971 I OVG A 160/69 (Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 1972, 584); BVerwG-Urteile vom 23.März 1972 III C 132.70 (BVerwGE 40, 25 *= HFR 1973, 36); vom 26.April 1974 VII C 70.72 (BStBl II 1975, 317); Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6.Dezember 1974 Nr.76 I 70 (Bayerische Verwaltungsblätter --BayVBl-- 1976, 495); BSG-Urteil vom 22.September 1981 1 RJ 94/80 (MDR 1982, 349 und Sozialrecht 1750, § 521 ZPO Nr.3) und BFH-Urteil in BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358; Dänzer-Vanotti (Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1984, 219); Gräber/von Groll (Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., 1987, § 47 Anm.3); Kopp (Kommentar zur VwGO, 8.Aufl., § 74 Rz.7); Mittelbach (Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1975, 351, 353); in Abweichung von Mittelbach (Inf 1967/A, 49 ff.).

b) Für die Zulässigkeit der Klage, soweit sie nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert wurde, sprechen sich u.a. aus: Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23.September 1957 III ZR 224/56 (BGHZ 25, 225); BFH-Urteil vom 21.Januar 1972 III R 57/71 (BFHE 104, 471, BStBl II 1972, 374); BGH-Urteil vom 3.Juli 1972 III ZR 84/69 (Versicherungsrecht --VersR-- 1973, 53); Hessisches FG, Urteil vom 20.Oktober 1982 X 408/80 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1983, 245 --rechtskräftig--); FG München, Urteil vom 5.Oktober 1983 IX 365/81 G (EFG 1984, 242 --rechtskräftig durch Rücknahme der Revision lt. EFG 1984, 425--); FG Berlin, Urteil vom 6.Juni 1984 VI 446/82 (EFG 1985, 28 --rechtskräftig durch Rücknahme der Revision lt. EFG 1985, 530--); FG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.Oktober 1984 II (III) K 231/82 (EFG 1985, 134 --rechtskräftig--); FG des Saarlandes, Urteil vom 6.Februar 1985 I 132/84 (EFG 1985, 356 --rechtskräftig lt. EFG 1985, 377--), und FG Düsseldorf, Urteil vom 15.Januar 1988 15 K 226/82 E (EFG 1988, 479 --nicht rechtskräftig--); Lohse in Anmerkung zur Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK-Anm.-- (Finanzgerichtsordnung, § 65 Rechtsspruch 33) und in Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann (Rechtsschutz in Steuersachen, Rz.7378); Rößler (DStZ/A 1984, 316); Rudloff (Betriebs-Berater --BB-- 1984, 669); Tipke/Kruse (Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl. 1988, § 67 FGO Anm.1 a); von Wallis (Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 1967/68, 407, 419); Weber-Grellet (DStZ 1984, 72) und Ziemer (Finanz-Rundschau --FR--, 1969, 232, 253, 258).

II.

Die Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid ist nach der Beurteilung des Großen Senats regelmäßig auch insoweit zulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist erweitert wird.

1. Eine Klageerweiterung ist gemäß § 264 Nr.2 ZPO statthaft. Die Vorschrift findet nach § 155 FGO Anwendung.

2. Der Große Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerwG und des BSG --und entgegen der Ansicht des vorlegenden Senats-- davon aus, daß eine Klage insoweit unzulässig ist, als der angefochtene Verwaltungsakt bereits --teilweise-- bestandskräftig geworden ist. Eine Teilbestandskraft kann insbesondere dadurch eintreten, daß der Kläger eine Teilanfechtungsklage erhebt. Ob eine betragsmäßig beschränkte Anfechtungsklage eine Teilanfechtung in diesem Sinne --mit der Folge einer Teilbestandskraft-- darstellt, beurteilt sich im Rahmen der Vorschriften des jeweiligen Verfahrensrechts und unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Rechtsmaterien nach dem erklärten (im Zweifel durch Auslegung zu ermittelnden) Willen des Rechtsuchenden. Der Große Senat läßt sich dabei von den folgenden Erwägungen leiten.

3. Ein Verwaltungsakt wird nur dann zum Teil bestandskräftig, wenn die im Verfügungssatz enthaltene Regelung teilbar ist und der Verwaltungsakt nur zum Teil angefochten ist. Danach kann ein Steuerbescheid zum Teil bestandskräftig werden. Verfügungssatz ist lediglich die in einer Zahl ausgedrückte Steuerschuld. Diese ist in dem Sinne teilbar, daß ein Steuerbescheid auch dann noch sinnvoll ist, wenn die Steuerschuld auf einen anderen als den ursprünglichen Betrag festgesetzt wird. Steht bis zum Ablauf der Klagefrist endgültig fest, in welchem Umfang der Steuerbescheid angefochten ist, so wird der nicht angefochtene Teil bestandskräftig. Von einer Teilbestandskraft geht das Gesetz an mehreren Stellen ausdrücklich aus (vgl. § 173 Abs.2 Sätze 1 und 2 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Einen Anwendungsbereich dieser Grundsätze bildet u.a. die Rechtsprechung zu den Feststellungsbescheiden, die mehrere Feststellungen enthalten. Werden innerhalb der Klagefrist nur bestimmte Feststellungen angefochten, ist die nach Ablauf der Klagefrist erhobene Klage bezüglich anderer Feststellungen unzulässig (BFH-Urteile vom 10.Dezember 1986 II R 88/85, BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292; vom 16.September 1987 II R 237/84, BFH/NV 1988, 690, und FG Hamburg, Urteil vom 12.Januar 1988 V 236/85, EFG 1988, 345 --rechtskräftig--). Es handelt sich dabei um Fälle, in denen im Feststellungsbescheid mehrere Feststellungen enthalten sind, die nicht unselbständige Bestandteile einer Feststellung sind (vgl. bezüglich der Gewinnfeststellungsbescheide BFH-Urteile vom 10.Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; vom 29.September 1977 VIII R 67/76, BFHE 123, 315, BStBl II 1978, 44; vom 27.September 1973 IV R 212/70, BFHE 110, 453, BStBl II 1974, 121; vom 26.Oktober 1972 I R 229/70, BFHE 107, 265, BStBl II 1973, 121, und bezüglich der Einheitswertbescheide über ein Grundstück BFH-Urteil vom 13.November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88).

4. Durch die Klage kann die Aufhebung, in den Fällen des § 100 Abs.2 FGO auch die Änderung eines Verwaltungsakts im Wege der Anfechtungsklage begehrt werden (§ 40 Abs.1 FGO). Unter die Verwaltungsakte nach § 100 Abs.2 FGO fallen vor allem Steuerbescheide; denn sie gehören zu den in § 348 AO 1977 bezeichneten Verwaltungsakten. Ob und inwieweit der Kläger nur einen Teil des Steuerbescheids anficht, steht in seiner Disposition. Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Maßgebend ist das Klagebegehren, das nach den allgemeinen Grundsätzen auszulegen ist. Die Vorschrift des § 133 BGB ist auch bei der Auslegung von Prozeßhandlungen zu beachten (BGH-Urteil vom 29.November 1956 III ZR 121/55, BGHZ 22, 267/269). Bei dieser Auslegung ist die Eigenart der in dem Steuerbescheid getroffenen Regelung zu berücksichtigen; aus ihr kann bei Würdigung der Interessenlage des Klägers geschlossen werden, ob sich der Kläger endgültig binden wollte oder nicht.

III.

1. Die Besonderheiten des Einkommensteuerrechts gebieten es, regelmäßig davon auszugehen, daß der Kläger mit der Nennung eines bestimmten Teilbetrags nicht eine Teilbestandskraft herbeiführen will.

a) Der Kläger will regelmäßig nur die betragsmäßigen Auswirkungen andeuten, die sich ergeben, wenn die Klage aus den von ihm zunächst geltend gemachten Gründen Erfolg hätte. Wegen der Komplexität des Einkommensteuerbescheides ist regelmäßig nicht anzunehmen, der Kläger wolle mit der Nennung eines Betrages erreichen, daß der Einkommensteuerbescheid zum Teil bestandskräftig werde. Gerade wegen der Besonderheiten des Einkommensteuerrechts lassen sich die betragsmäßigen Auswirkungen nicht genau absehen, die sich ergeben, wenn der Einkommensteuerbescheid aus einem bestimmten Grunde nicht rechtmäßig ist. Nur wenn der Kläger zuvor eindeutig zu erkennen gegeben hat, er werde von einem weitergehenden Klagebegehren absehen, ist die Klage insoweit unzulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist erweitert wird.

b) Der Einkommensteuerbescheid ist durch seinen komplexen Regelungsinhalt gekennzeichnet. Der im Verfügungsteil des Einkommensteuerbescheids festgestellten Einkommensteuer liegt das Einkommen zugrunde, das der Steuerpflichtige in einem Kalenderjahr bezogen hat (vgl. § 25 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Die festzusetzende Steuer ist die tarifliche Steuer, vermindert um Steuerermäßigungen (§ 2 Abs.6 EStG 1975). Die tarifliche Steuer bemißt sich nach dem zu versteuernden Einkommen (§ 32a Abs.1 Satz 1 EStG 1975). Das zu versteuernde Einkommen wird auf der Grundlage der im Kalenderjahr erzielten Einkünfte und von Abzügen ermittelt. Die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer sind entsprechend dem Charakter der Einkommensteuer als Jahressteuer (§ 2 Abs.7 Satz 1 EStG 1975) für ein Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs.7 Satz 2 EStG 1975). Die seit 1975 gültige Fassung kann herangezogen werden; sie brachte im wesentlichen eine Klarstellung der bereits im Streitjahr 1974 bestehenden Rechtslage (vgl. BTDrucks 7/1470 S.238 rechte Sp. zu § 4 EStG --entspricht § 2 EStG 1975--).

Der festzusetzenden Einkommensteuer liegen damit Lebenssachverhalte zugrunde, die während eines Kalenderjahres verwirklicht werden und die auf unterschiedlichen Stufen in die Ermittlung der festzusetzenden Steuer Eingang finden. Vielfach sind sie lediglich Teilkomponenten bei der Ermittlung der Einkünfte, wie die Einnahmen aus einzelnen Rechtsgeschäften bei Steuerpflichtigen, die Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielen und den Gewinn gemäß § 4 Abs.3 EStG ermitteln. Bei den den Gewinn im Wege des Bestandsvergleichs ermittelnden Steuerpflichtigen beeinflussen einzelne Lebenssachverhalte die Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Die einzelnen Posten eines Abschlusses (Bilanz), aufgrund derer das Betriebsvermögen berechnet wird (§ 5 Abs.1 EStG), sind wiederum auf unterschiedliche Sachverhalte zurückzuführen.

c) Während bestimmte Vorgänge zur Erhöhung des Einkommens beitragen, haben andere gegenläufige Auswirkungen. Dies gilt nicht nur für solche, die bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens letztlich zu Abzügen von der Summe der Einkünfte führen, sondern auch für Sachverhalte, die bei der Ermittlung der Einkünfte diese über Werbungskosten, Betriebsausgaben bzw. eine Verminderung des Betriebsvermögens ermäßigen. Vorgänge, die grundsätzlich geeignet sind, das zu versteuernde Einkommen zu mindern, können dieses gleichzeitig erhöhen. So löst die Herabsetzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit eine Erhöhung dieses Gewinns aus, als eine gebildete Gewerbesteuerrückstellung anteilig aufzulösen ist. Wird geltend gemacht, daß bestimmte Einnahmen steuerfrei sind, führt dies dazu, daß bestimmte Ausgaben die Einkünfte nicht mindern dürfen (§ 3c EStG). Eine Verminderung des Gesamtbetrags der Einkünfte kann insofern eine Erhöhung des zu versteuernden Einkommens bewirken, als ausländische Steuern nicht in dem Umfang auf die deutsche Steuer angerechnet werden können, wie dies ohne die Ermäßigung des Gesamtbetrags der Einkünfte der Fall gewesen wäre (vgl. § 34c Abs.1 Satz 1 EStG).

2. Vorschriften der FGO stehen nicht der Annahme entgegen, der Kläger wolle mit der Klage regelmäßig keine Teilbestandskraft des Einkommensteuerbescheides herbeiführen.

a) Die Zulässigkeit der Klage ist nicht davon abhängig, daß innerhalb der Klagefrist das Klagebegehren vorliegt oder ein Klageantrag gestellt wird. Bis zum Ende der Klagefrist müssen lediglich die Erfordernisse beachtet werden, von denen es abhängt, ob ein Schriftstück sich überhaupt als Klageschrift qualifizieren läßt (BFH-Urteile vom 1.April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532, und vom 12.Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846, und BVerwG- Beschluß vom 5.Mai 1982 7 B 201.81, Die Öffentliche Verwaltung --DÖV-- 1982, 827). Die weiteren in § 65 FGO genannten Voraussetzungen müssen nicht vor Ablauf der Klagefrist vorliegen. Dies ergibt sich aus § 65 Abs.2 FGO. Danach hat der Vorsitzende, wenn der Kläger den Streitgegenstand nicht bezeichnet, den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Die Regelung geht erkennbar davon aus, daß das Klagebegehren nach Ablauf der Klagefrist nachgeholt werden kann. Hierfür spricht auch, daß die in § 65 Abs.2 FGO vorgesehene Frist keine Ausschlußfrist ist (BFH-Urteile vom 10.Juni 1980 VIII R 128/77, BFHE 131, 178, BStBl II 1980, 696; vom 5.Dezember 1972 VIII R 160/71, BFHE 108, 276, BStBl II 1973, 498; BFH-Beschluß vom 5.Dezember 1972 VIII R 73/71, BFHE 108, 87, BStBl II 1973, 262; BFH-Urteile vom 21.November 1972 VIII R 127/69, BFHE 108, 6, BStBl II 1973, 188; vom 12.Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957; vom 15.April 1971 IV R 173-174/70, BFHE 104, 309, BStBl II 1972, 348; BVerwG-Beschluß in DÖV 1982, 827).

Die Auslegung, daß das Klagebegehren regelmäßig nicht auf die Herbeiführung einer Teilbestandskraft gerichtet ist, trifft grundsätzlich auch dann zu, wenn innerhalb der Klagefrist ein bezifferter Klageantrag gestellt wird. Wenn der Kläger früher als erforderlich die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt, kann daraus im allgemeinen nicht geschlossen werden, er wolle damit eine Teilbestandskraft herbeiführen.

b) Aus § 96 Abs.1 Satz 2 FGO kann nichts für die Teilbestandskraft eines Einkommensteuerbescheides abgeleitet werden. Aus der Vorschrift ergibt sich, daß die Entscheidungsbefugnis des Gerichtes durch das Klagebegehren eingeschränkt ist. Aus ihr kann nicht entnommen werden, ein auf einen bestimmten Teilbetrag beschränkter Klageantrag führe stets zur Teilbestandskraft. Aus ihr geht lediglich hervor, daß für die Entscheidung des Gerichts das Klagebegehren maßgebend ist, das bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung bzw. --wenn keine mündliche Verhandlung stattfindet-- bis zum Hinausgehen der Entscheidung vorgebracht ist.

c) Nach § 100 Abs.1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufzuheben, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Gemäß § 100 Abs.2 Satz 1 FGO kann das Gericht bei einer Klage gegen einen Verwaltungsakt der in § 348 AO 1977 bezeichneten Art, wenn es einen anderen Betrag feststellt, diesen selbst festsetzen. Die Vorschrift bezieht sich nach ihrem Wortlaut in erster Linie auf den Fall, daß das Gericht den Verwaltungsakt aus materiell-rechtlichen Gründen nur zum Teil für rechtswidrig hält. Soweit sie auch den Fall betrifft, daß ein Einkommensteuerbescheid zum Teil bestandskräftig ist, läßt sich daraus nicht ableiten, daß ein auf einen bestimmten Teilbetrag beschränkter Klageantrag stets zu einer Teilbestandskraft führe.

3. Der Große Senat bejaht, wie ausgeführt, mit dem BVerwG und dem BSG die Möglichkeit einer Teilbestandskraft und damit einer Teilunanfechtbarkeit von Verwaltungsakten mit der Folge, daß im gerichtlichen Verfahren hinsichtlich des unanfechtbar gewordenen Teils die Klage unzulässig ist. Der Große Senat weicht nicht von der Rechtsprechung der genannten obersten Gerichtshöfe ab, wenn er für den Einkommensteuerbescheid eine Teilbestandskraft und damit eine Teilunanfechtbarkeit regelmäßig verneint.

a) Der Große Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von den Urteilen des BVerwG in BVerwGE 40, 25, HFR 1973, 36, und in BStBl II 1975, 317 ab. Die Urteile betrafen nicht Verwaltungsakte, die die Besonderheiten eines Einkommensteuerbescheids aufwiesen.

Das Urteil in BVerwGE 40, 25 betraf die Feststellung eines Vertreibungsschadens an anderen privatrechtlichen Ansprüchen als Reichsmarkspareinlagen (vgl. § 12 Abs.1 Nr.2 Buchst.d des Lastenausgleichsgesetzes --LAG--). Grundlage des angefochtenen Verwaltungsakts war dabei der Verlust bestimmter Vermögensgegenstände infolge der Vertreibung und nicht --wie bei einem Einkommensteuerbescheid-- die Regelung einer Vielzahl von Lebenssachverhalten innerhalb eines Kalenderjahres, die sich in der dargestellten komplexen Weise auf die Bemessungsgrundlage auswirken.

Zwar werden auch in Fällen der vom BVerwG entschiedenen Art u.U. in einer Festsetzung mehrere Ansprüche zusammengefaßt (vgl. zu einer entsprechenden Rechtslage nach dem Währungsausgleichsgesetz BVerwG-Urteil vom 22.Oktober 1958 III C 148.57, BVerwGE 7, 276). Dies macht jedoch hinsichtlich der Frage der Teilbestandskraft die Feststellung nicht mit dem Einkommensteuerbescheid vergleichbar. Es handelt sich im Gegensatz zum Einkommensteuerbescheid in derartigen Fällen um die Feststellung einer Summe bestehender Ansprüche, an denen infolge der Vertreibung ein Schaden entstanden ist.

b) Der Große Senat weicht auch nicht von dem Urteil des BVerwG in BStBl II 1975, 317 ab.

Der Große Senat muß nicht darauf eingehen, ob einer Abweichung entgegenstünde, daß es in dem vom BVerwG entschiedenen Fall u.U. deswegen nicht auf die Frage der Teilbestandskraft ankam, weil die Klage in der Revisionsinstanz erweitert wurde (vgl. oben unter C I 2).

Eine Abweichung besteht auch dann nicht, wenn man den Gesichtspunkt für maßgebend ansieht, auf den das BVerwG seine Entscheidung stützte. Das BVerwG hielt den angefochtenen Steuerbescheid deswegen nur für beschränkt richterlich überprüfbar, weil der Kläger den Steuerbescheid sowohl im Vorverfahren als auch im Klageverfahren nur teilweise angefochten hatte. Obwohl für das BVerwG damit auch entscheidend war, daß der Steuerbescheid innerhalb der Klagefrist nur teilweise durch eine Klage angefochten wurde, weicht der Große Senat vom Urteil des BVerwG nicht ab. Dem Urteil des BVerwG lag ein Schankerlaubnissteuerbescheid zugrunde, der nicht die Besonderheiten eines Einkommensteuerbescheides aufweist, die es als geboten erscheinen lassen, eine Teilbestandskraft regelmäßig zu verneinen. Gegenstand der Schankerlaubnissteuer ist die Erlaubnis zum ständigen Betrieb einer Schankwirtschaft (vgl. Ziff.2 Buchst.b des Urteils des BVerwG in BStBl II 1975, 317) und nicht --wie beim Einkommensteuerbescheid-- ein Komplex vielfältiger sich teilweise in ihrer Wirkung auf die Besteuerungsgrundlagen überschneidender Lebenssachverhalte innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Demgegenüber fällt nicht ins Gewicht, daß sich die Schankerlaubnissteuer in dem vom BVerwG entschiedenen Falle nach dem Umsatz bemaß.

c) Der Große Senat weicht schließlich nicht von dem Urteil des BSG in MDR 1982, 349 und Sozialrecht 1750, § 521 ZPO Nr.3 ab. Das BSG hat die teilweise Unanfechtbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht damit begründet, daß die Klagefrist abgelaufen war. Es hat seine Entscheidung auf § 1290 Abs.2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestützt, wonach die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit vom Beginn des Antragsmonats an zu gewähren ist, wenn der Antrag später als drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit gestellt wird. Das BSG sah den erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht gestellten Antrag, die Rente über einen bestimmten Stichtag hinaus zu gewähren, als Antrag i.S. des § 1290 Abs.2 RVO an, weshalb infolge der zeitlichen Einschränkung des Antrags eine Rente nicht mehr in Betracht kam, soweit sie auf Zeiträume entfiel, die vor dem Zeitpunkt lagen, für den der Rentenanspruch ursprünglich zugestanden wurde.

D. Entscheidung des Großen Senats

Der Große Senat entscheidet die vorgelegte Rechtsfrage wie folgt:

1. Die Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid ist regelmäßig auch insoweit zulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert wurde.

2. Hat der Kläger jedoch eindeutig zu erkennen gegeben, daß er von einem weitergehenden Klagebegehren absieht, ist die Klage insoweit unzulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist erweitert wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62467

BFH/NV 1990, 28

BStBl II 1990, 327

BFHE 159, 4

BFHE 1990, 4

BB 1990, 547

BB 1990, 547-549 (LT)

DB 1990, 615-616 (ST)

DStR 1990, 153 (KT)

HFR 1990, 306 (LT)

StE 1990, 99 (K)

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