Leitsatz (amtlich)

Mittagsheimfahrten sind auch bei Körperbehinderten den allgemeinen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen. Durch § 9 Abs. 2 EStG wird der in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG enthaltene Begriff der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht erweitert.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2; LStDV § 20 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrte im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1973 die Anerkennung von Aufwendungen für Mittagsheimfahrten als Werbungskosten, da er infolge einer Kopfverletzung mit Lähmungserscheinungen und schwerer Gehbehinderung zu 50 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert und ihm ärztlich ein Mittagsschlaf verordnet sei. Sein Einspruch gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich war erfolglos.

Das FG erkannte in der Klage nur bestimmte, nicht mehr streitige Gewerkschaftsbeiträge als Werbungskosten an. Es führte u. a. aus:

Die Kosten für die mittäglichen Heimfahrten seien auch bei ärztlicher Verordnung Kosten der privaten Lebensgestaltung (Urteil des BFH vom 10. April 1970 VI R 250/68, BFHE 99, 359, BStBl II 1970, 680). Zwar könnten nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 EStG bei Körperbehinderten unter bestimmten Voraussetzungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf Antrag die tatsächlichen Aufwendungen abgezogen werden, jedoch beziehe sich diese Bestimmung auf den ansonsten nur anzuerkennenden Pauschbetrag von 0,36 DM je km.

 

Entscheidungsgründe

Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde bringt der Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor. Sie werfe die Rechtsfrage auf, ob bei Körperbehinderten i. S. des § 9 Abs. 2 Nr. 2 EStG die Kosten ärztlich verordneter Mittagsheimfahrten Werbungskosten seien. Diese Frage sei im BFH-Urteil VI R 250/68 offengelassen worden. Das FG hat der Nichtzulassungsbeschwerde nicht abgeholfen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulassig, jedoch unbegründet. Hat das FG die Revision nicht zugelassen und übersteigt der Streitwert die nach § 115 Abs. 1 FGO, Art. 2 Nr. 2 des BFH-EntlastG vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) erforderliche Grenze von 1 000 DM nicht, dann kann sie auf Beschwerde hin zugelassen werden, wenn eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO vorliegt. Im Streitfall liegt der Streitwert offensichtlich unter 1 000 DM. Der Kläger beruft sich auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Eine Rechtssache hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. die Beschlüsse vom 15. Juli 1966 VI B 2/66, BFHE 86, 708, BStBl III 1966, 628; vom 20. September 1966 VI B 23/66, BFHE 87, 27) grundsätzliche Bedeutung, wenn an einer Sachentscheidung des BFH über die streitige Rechtsfrage unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung oder der einheitlichen Rechtsanwendung ein allgemeines Interesse besteht. Dieses Interesse ist nicht erst dann zu verneinen, wenn bereits eine gefestigte Rechtsprechung zu der streitigen Rechtsfrage vorliegt, sondern die Rechtsfrage kann schon dann nicht mehr klärungsbedürftig sein, wenn von vornherein die Antwort praktisch außer Zweifel steht (vgl. Beschluß des Bundessozialgerichts vom 4. Juni 1975 11 BA 4/75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1976 S. 127). Das ist hier der Fall. Die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte werden nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG, § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV als Werbungskosten bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs für jeden Arbeitstag nur in Höhe von 0,36 DM für jeden Kilometer anerkannt, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt. Körperbehinderte können zwar nach § 9 Abs. 2 EStG, § 20 Abs. 3 LStDV unter bestimmten Voraussetzungen die tatsächlichen Aufwendungen abziehen, jedoch eröffnet diese Bestimmung lediglich die Möglichkeit für Körperbehinderte, anstelle der in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG vorgesehenen Pauschbeträge in Höhe von 0,36 DM oder 0,16 DM je km die tatsächlichen Kosten geltend zu machen. Da die gesetzliche Grundlage des Werbungskostenabzugs der Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auch für Körperbehinderte in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG liegt und der Begriff selbst in § 9 Abs. 2 EStG nicht verändert worden ist, gilt die dort enthaltene Regelung über die Anzahl der Fahrten auch für Körperbehinderte, ebenso wie die inzwischen allgemein weggefallene 40-Kilometer-Grenze auch bei Körperbehinderten zu beachten war. Zwar hat der Senat im Urteil VI R 250/68 die Frage offengelassen, ob bei Körperbehinderten i. S. des § 9 Abs. 2 Nr. 2 EStG die Kosten ärztlich verordneter Mittagsheimfahrten Werbungskosten sind, da es im dort entschiedenen Fall nicht darauf ankam. Inzwischen hat aber der Senat im Urteil vom 4. Juli 1975 VI R 30/73 (BFHE 116, 356, BStBl II 1975, 738) nochmals betont, daß Mittagsheimfahrten den allgemeinen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen sind. Daher können sie, wenn überhaupt, dann nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung als Werbungskosten anerkannt werden, die jedoch fehlt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71615

BStBl II 1976, 452

BFHE 1976, 465

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