BAG-Urteil vom 13.02.2002, AZ.: 5 AZR 753/00

Beschäftigungsverbot

Für ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG sind der individuelle Gesundheitszustand und die konkrete Arbeitstätigkeit der schwangeren Arbeitnehmerin maßgebend. Es genügt, dass die Fortsetzung der Arbeit mit einer Gefährdung der Gesundheit von Mutter oder Kind verbunden ist. Unerheblich ist die genaue Ursache der Gefährdung. Die Arbeitstätigkeit der Schwangeren oder ihr räumlicher Arbeitsbereich müssen nicht gesundheitsgefährdend sein. Ein Beschäftigungsverbot ist vielmehr auch dann auszusprechen, wenn die Beschäftigung für andere Frauen unabhängig von einer Schwangerschaft keinerlei Gefährdung ergibt, aber im Einzelfall auf Grund der individuellen Verhältnisse der schwangeren Frau die Gesundheit von Mutter oder Kind gefährden würde. Unter dieser Voraussetzung können auch psychische Belastungen der Arbeitnehmerin ein Beschäftigungsverbot begründen. Das individuelle Beschäftigungsverbot des § 3 Abs. 1 MuSchG greift aber erst ein, wenn der Arzt eine Gefährdung attestiert. Das ärztliche Zeugnis ist für das Beschäftigungsverbot konstitutiv (BAG 1. Oktober 1997 – 5 AZR 685/96 – BAGE 86, 347, 350; 11. November 1998 – 5 AZR 49/98 – BAGE 90, 125, 130 f.; 21. März 2001 – 5 AZR 352/99 – AP MuSchG 1968 § 3 Nr. 16, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 der Gründe mwN).

Der Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG besteht nur, wenn allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot dazu führt, dass die Schwangere mit der Arbeit aussetzt. Das Beschäftigungsverbot muss die nicht wegzudenkende Ursache für das Nichtleisten der Arbeit und den damit verbundenen Verdienstausfall sein. Für die Zeit, in der die Schwangere arbeitsunfähig krank ist, ist dieser alleinige Ursachenzusammenhang nicht gegeben. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf des 6-Wochenzeitraums nicht mehr zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle verpflichtet ist. Es kommt also darauf an, ob ein krankhafter Zustand, sei es im Zusammenhang mit der Schwangerschaft, sei es unabhängig von dieser besteht, der zur Arbeitsunfähigkeit der Schwangeren führt. Ist dies der Fall, so ist krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. Ein gleichzeitig ausgesprochenes Beschäftigungsverbot hat die Wirkungen der § 3 Abs. 1, §§ 21, 24 MuSchG, begründet aber keine Vergütungspflicht nach § 11 MuSchG. Worauf die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit beruht, ist unerheblich. Liegt dagegen keine Krankheit vor oder führt diese nicht zur Arbeitsunfähigkeit, bleibt die Vergütungspflicht durch das Beschäftigungsverbot aufrechterhalten. Je nachdem, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder nicht, hat die Schwangere also entweder einen – gesetzlich auf 6 Wochen beschränkten – Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gegen den Arbeitgeber (§ 3 EFZG) und anschließend auf Krankengeld gegen die Krankenkasse (§ 44 SGB V), oder sie hat gegen den Arbeitgeber einen – nicht auf 6 Wochen beschränkten – Anspruch nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (BAG 12. März 1997 – 5 AZR 766/95 – BAGE 85, 237, 242 f.; 1. Oktober 1997 – 5 AZR 685/96 – BAGE 86, 347, 350 f.). Der behandelnde Arzt hat zu beurteilen, ob krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder ohne eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist. Hierbei besteht für den Arzt ein gewisser Beurteilungsspielraum (BAG 5. Juli 1995 – 5 AZR 135/94 – BAGE 80, 248, 253; 31. Juli 1996 – 5 AZR 474/95 – BAGE 84, 1, 4; 12. März 1997 – 5 AZR 766/95 – BAGE 85, 237, 243 mwN).

Allerdings führt die Beschäftigung nur selten allein zu der in § 3 Abs. 1 MuSchG vorausgesetzten Gefährdung und nicht gleichzeitig auch zur Arbeitsunfähigkeit. Hätte der Arzt die Möglichkeit des Ausspruchs eines Beschäftigungsverbots nicht, würde er im Falle einer Lebens- oder Gesundheitsgefährdung in aller Regel Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Die arbeitsbedingte Gefährdung von Leben oder Gesundheit im Sinne von § 3 MuSchG ist zumeist mit Arbeitsunfähigkeit verbunden. Die Schwangere darf unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 MuSchG nicht beschäftigt werden. Die Norm verlangt eine Prognose, ob die Gefährdung von Leben oder Gesundheit eintritt, wenn die Beschäftigung andauert. Nur wenn Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wie sie jede Arbeitnehmerin treffen kann, gilt allein das Entgeltfortzahlungsrecht. Deshalb kommt es dann, wenn die entscheidende Verschlechterung der Gesundheit erst durch die Fortführung der Beschäftigung eintreten würde, darauf an, ob die Ursache hierfür ausschließlich in der Schwangerschaft begründet ist. In diesem Fall ist das sich verwirklichende Risiko der § 3 Abs. 1, § 11 MuSchG dem Arbeitgeber zuzuweisen, die Arbeitsunfähigkeit dagegen subsidiär. Bei einer anderen Auslegung liefe § 11 MuSchG weitgehend leer.

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