Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Leistungsvereinbarung zwischen einem Sozialhilfeträger und einem privaten Leistungserbringer. Anforderungen an die Kalkulation der Vergütung. Schiedsverfahren über die Vergütung. rechtliche Einordnung der Schiedsstellenentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum zweistufigen Prüfungsverfahren für die von einem Einrichtungsträger beanspruchten Vergütungen.

2. In einen externen Vergleich sind die in demselben Einzugsbereich tätigen Einrichtungen einzubeziehen, unabhängig von der Rechtsform, Ausrichtung oder Tarifbindung des Trägers.

3. Das Unterbleiben der Heranziehung für den externen Vergleich ist eine begründungspflichtige Ausnahme, die etwa durch eine wesentlich abweichende Personalstruktur (Senatsurteil vom 24.11.2011, L 8 SO 135/10 KL, Rn. 44), durch öffentliche Förderungen für einzelne Leistungserbringer (Senatsurteil vom 25.01.2012, L 8 SO 89/09 KL, Rn. 92) oder durch Tarifbindung gerechtfertigt sein kann.

4. Lassen sich derartige Unterschiede nicht feststellen, weil andere Leistungserbringer Angebote des Sozialhilfeträgers angenommen haben, ohne ihre Kalkulation offen zu legen, so dürfen wesentliche Unterschiede nicht unterstellt werden.

5. Auch die Schiedsstelle ist an den Untersuchungsgrundsatz (§ 20 SGB X) gebunden, weil sie mit hoheitlichen Verwaltungsaufgaben beliehen ist und als Behörde tätig wird.

6. Die Grundsätze, die das BSG in seinen Urteilen zu Schiedsstellenentscheidungen nach dem SGB XI entwickelt hat, sind trotz der bestehenden Unterschiede auf das Vergütungsvereinbarungsrecht nach dem SGB XII übertragbar.

7. Die relativ geringe Normendichte im SGB XII erlaubt den ergänzenden Rückgriff auf Rechtsgedanken, die in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum SGB XI bereits ausformuliert worden sind.

8. Weiterführung der Rechtsprechung aus den Urteilen vom 24.11.2011, L 8 SO 223/09 KL, vom 24.11.2011, L 8 SO 135/10 KL und vom 25.01.2012, L 8 SO 89/09 KL sowie zur Kritik von Bieback, jurisPR SozR 7/2012.

 

Orientierungssatz

1. Ein Schiedsbeschluss einer Schiedsstelle nach § 80 SGB 12 in Sozialhilfeangelegenheiten stellt einen Verwaltungsakt dar.

2. Im Streit um die Angemessenheit einer Vergütung von Eingliederungsleistungen im Rahmen einer Leistungsvereinbarung, die ein freier Träger erbringt, geht die Nichtaufklärbarkeit der Wirtschaftlichkeit von Vergleichsangeboten anderer Leistungserbringer nicht zu Lasten des Sozialhilfeträgers, sondern des privaten Leistungserbringers.

3. Im Rahmen einer Leistungsvereinbarung über Eingliederungsleistungen zwischen einem Sozialhilfeträger und einem privaten Leistungserbringer ist die Vergütung auf der Basis einer Kalkulation zur ermitteln, die vor In-Kraft-Treten der Vereinbarung aufgestellt wurde.

 

Tenor

I. Der Beschluss der Schiedsstelle Bayern - Sozialhilfe - vom 8. Dezember 2011 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Schiedsstellenbeschlusses, mit dem die Höhe der Vergütung für Assistenz- und Begleitleistungen festgelegt wurde.

Der Beklagte betreibt in A-Stadt einen ambulanten Pflegedienst. Er erbringt für den Kläger, den überörtlichen Träger der Sozialhilfe, im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen unter anderem Assistenz- und Begleitleistungen nach § 54 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX. Diese Leistungen fördern und ermöglichen die Begegnung und den Umgang mit nicht behinderten Menschen sowie den Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen.

Inhalt, Umfang und Qualität dieser Assistenz- und Begleitleistungen haben die Beteiligten am 14.10.2010 in einer Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII festgelegt. Der Kläger hat, nachdem er als überörtlicher Sozialhilfeträger zum 01.01.2008 für die Gewährung dieser Leistungen zuständig geworden war, derartige Leistungsvereinbarungen auch mit anderen Leistungserbringern abgeschlossen.

Um nach dem Zuständigkeitswechsel auch Vergütungsvereinbarungen abzuschließen, machte der Kläger den 38 Einrichtungsträgern, die in seinem Bereich Assistenz- und Begleitleistungen erbringen, ein Angebot über 11,90 Euro pro Betreuungsstunde. Neun Leistungserbringer nahmen dieses Angebot an. Mit zwei weiteren Diensten einigte sich der Kläger auf 12,67 Euro pro Betreuungsstunde. Einige dieser Leistungserbringer sind tarifgebunden, nicht aber der Beklagte.

Unter anderem mit dem Beklagten konnte der Kläger sich nicht auf eine Vergütung einigen. Dieser legte zur Vergütungsverhandlung eine Kostenkalkulation vor, in der er auf eine Vergütung von 23,08 Euro pro Betreuungsstunde kommt. Dabei geht er von einer Einsatzzeit der Betreuungsperson von 1.719 Stunden im Jahr aus. Bei der Position "Personalkosten" setzt er für eine Hilfskraft die Jahreslohnkosten mit 29.900,00 Euro und die Kosten...

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