Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf Sozialplanansprüche

 

Leitsatz (redaktionell)

Macht ein Sozialplan den Anspruch auf eine - weitere - Abfindung davon abhängig, daß der Arbeitnehmer im Anschluß an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses 12 Monate arbeitslos ist, so bedarf ein alsbald nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einem Vergleich erklärter Verzicht des Arbeitnehmers auf einen Teil dieser weiteren Abfindung nicht der Zustimmung des Betriebsrates, da es sich bei dem Vergleich um einen sogenannten Tatsachenvergleich handelt.

Im Zeitpunkt des Vergleichs war ungewiß, ob der Kläger die Voraussetzungen für den weiteren Abfindungsanspruch je erfüllen würde.

 

Normenkette

BGB § 779; BetrVG §§ 112, 77 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 10.01.1996; Aktenzeichen 9 Sa 28/95)

ArbG Lörrach (Entscheidung vom 17.10.1994; Aktenzeichen 3 Ca 419/94)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung aus einem Sozialplan.

Der Kläger war seit dem 15. Februar 1987 im Betrieb der Beklagten als Entwicklungsingenieur zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 5.564,-- DM beschäftigt. Der Kläger ist 1958 geboren, verheiratet und gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtet.

Unter dem 26. September 1991 vereinbarten die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan wegen beabsichtigter Personalreduzierung.

Der Sozialplan hat - soweit vorliegend von Interesse - folgenden Wortlaut:

"§ 3

Leistungen bei Kündigungen/Aufhebungsverträgen

1. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch

Aufhebungsvertrag oder betriebsbedingte Kündi-

gung beendet wird, erhalten eine einmalige Ab-

findung. Die Abfindung errechnet sich nach

folgender Formel:

...

4. Härtefälle

Für Arbeitnehmer, die innerhalb von 12 Monaten

nach Austritt, frühestens jedoch nach Ablauf

der vertraglichen Kündigungsfrist (Leistungs-

periode für Härtefälle), arbeitslos sind, gilt

folgende Regelung:

..."

Nach den Berechnungsformeln des Sozialplans beträgt die Abfindungssumme für den Kläger unstreitig nach § 3 Ziffer 1 7.200,-- DM, nach § 3 Ziffer 4 (Härtefall) 23.547,-- DM.

Mit Schreiben vom 29. Juni 1992 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. September 1992 aus betriebsbedingten Gründen.

Im Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien im Kammertermin vom 2. November 1992 den nachfolgenden Vergleich:

"1. Die Parteien sind sich darüber einig, daß das

Arbeitsverhältnis des Klägers durch ordentli-

che betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung vom

29.06.1992 zum 30.09.1992 beendet worden ist.

2. Die Beklagte zahlt an den Kläger eine Sozial-

abfindung gemäß den §§ 9 und 10 KSchG in Höhe

von DM 13.200,--.

3. Damit sind alle finanziellen Ansprüche zwi-

schen den Parteien abgegolten (inkl. Abfin-

dung Sozialplan/Härteregelung).

4. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben."

Der Kläger war bis zum 30. September 1993 12 Monate arbeitslos. Er verlangt nunmehr die Differenz zwischen der Sozialplanabfindung nach der Härtefallregelung (23.547,-- DM) und der gemäß dem Vergleich gezahlten Abfindungssumme (13.200,-- DM). Er ist der Auffassung, der vergleichsweise Verzicht auf die höhere Sozialplanabfindung sei mangels Zustimmung des Betriebsrats unwirksam, denn die vereinbarte Abfindungssumme sei gegenüber der Härtefallregelung im Sozialplan ungünstiger. Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.347,-- DM

netto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1993

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Vergleichsabschluß habe nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedurft, denn die im gerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindungssumme sei für den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses gegenüber der Sozialplanabfindung um 6.000,-- DM günstiger gewesen. Im übrigen sei der Vergleich gerade im Hinblick auf die Unsicherheit der Tatsache, ob der Kläger zukünftig noch arbeitslos sein würde, abgeschlossen worden. Der Kläger handele treuwidrig, wenn er nunmehr Leistungen nachfordere.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgerichts haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger kann von der Beklagten keine weitere Abfindung beanspruchen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger habe mit dem am 2. November 1992 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich rechtswirksam auf weitere Zahlungen aus dem Sozialplan verzichtet. Der Vergleich verstoße nicht gegen § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses sei die einzelvertragliche Regelung für den Kläger schon deshalb günstiger gewesen, weil er gegenüber der Sozialplanregelung 6.000,-- DM mehr erhalten habe, als ihm zu diesem Zeitpunkt zugestanden hätte. Einer realen Besserstellung des Arbeitnehmers sei im Rahmen des erforderlichen Günstigkeitsvergleichs nicht die bloße Chance gegenüberzustellen, durch den Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses eine höhere Leistung erhalten zu können. Schließlich sei eine Zustimmung des Betriebsrats auch deshalb nicht erforderlich gewesen, weil sich die Parteien über die tatsächlichen Voraussetzungen der Härtefallregelung verglichen hätten. Die Vergleichsregelung enthalte die unwiderlegliche Vermutung, der Kläger werde vor Ablauf von 12 Monaten einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Im übrigen handele der Kläger treuwidrig, wenn er im Hinblick auf die Ungewißheit, einen neuen Arbeitsplatz zu erlangen, zunächst eine günstigere Regelung akzeptiert, dann aber nach 12monatiger Arbeitslosigkeit weitergehende Sozialplanleistungen fordert.

Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis und weitgehend in der Begründung zu folgen.

2. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung weiterer 10.347,-- DM aus dem Sozialplan ist durch den gerichtlichen Vergleich vom 2. November 1992 erloschen.

a) Die Parteien haben in Ziffer 3 des Vergleichs geregelt, daß alle finanziellen Ansprüche zwischen ihnen abgegolten sind. Damit haben die Parteien vereinbart, daß zwischen ihnen - abgesehen von den Regelungen des Prozeßvergleichs - für die Zukunft keine Ansprüche mehr bestehen, also auch keine Sozialplanansprüche.

Diese Vereinbarung der Parteien ist ein selbständiges negatives Schuldanerkenntnis im Sinne von § 397 Abs. 2 BGB, das alle Ansprüche zum Erlöschen bringt, die den Erklärenden bekannt waren oder mit deren Bestehen zu rechnen war (BAGE 65, 171 = AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit, m.w.N.). Das schließt nach dem ausdrücklichen Inhalt des gerichtlichen Vergleichs auch Sozialplanabfindungsansprüche des Klägers aus der sogenannten Härteregelung ein.

b) Der vom Kläger erklärte Verzicht auf den Sozialplananspruch aus der Härteregelung verstößt nicht gegen § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG. Danach ist an sich ein Verzicht auf Rechte, die dem Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung eingeräumt werden, nur mit Zustimmung des Betriebsrates zulässig.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die im Vergleich vereinbarte Regelung für den Kläger günstiger und schon deswegen zulässig war. Der im Vergleich erklärte Verzicht des Klägers auf eine weitere Sozialplanabfindung aus der Härteregelung bedurfte nicht der Zustimmung des Betriebsrates.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 21. Dezember 1972 - 5 AZR 319/72 - AP Nr. 1 zu § 9 LohnFG; Urteil vom 20. August 1980 - 5 AZR 955/78 - AP Nr. 12 zu § 6 LohnFG) und überwiegender Auffassung der Literatur (MünchArbR/Matthes, § 319 Rz 32; GK-BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 77 Rz 238; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 132; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 77 Anm. 120; Galperin/Löwisch, 6. Aufl., § 77 Rz 39, Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 77 Rz 185) ist ein Verzicht auf an sich unverzichtbare Ansprüche dann nicht unzulässig, wenn über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs gestritten wird und die Ungewißheit hierüber durch gegenseitiges Nachgeben in einem Vergleich beseitigt wird, es sich also um einen sogenannten Tatsachenvergleich handelt. Unter den gleichen Voraussetzungen bedarf auch ein Verzicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung dann nicht der Zustimmung des Betriebsrates.

Im vorliegenden Fall waren im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses die tatsächlichen Voraussetzungen eines weiteren Abfindungsanspruchs aus der Härteregelung des Sozialplans aus tatsächlichen Gründen ungewiß. Der Sozialplananspruch aus der Härteregelung stand unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) einer Arbeitslosigkeit des Klägers in den ersten 12 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Im Bewußtsein der Ungewißheit über den Eintritt dieser Bedingung einigten sich die Parteien auf die Zahlung von 6.000,-- DM über der bereits damals entstandenen Grundabfindung aus dem Sozialplan.

Im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses war für den Kläger ein über 6.000,-- DM hinausgehender Anspruch auf eine weitere Abfindung nach der Härteregelung noch nicht entstanden. Allenfalls standen ihm nach zweimonatiger Arbeitslosigkeit 2/12 der vollen Härteabfindung, das sind rund 2.725,-- DM, zu. Ob ihm ein weiterer Anspruch erwachsen würde, hing davon ab, wann er eine neue Stelle finden würde. Der Vergleich gewährte ihm rund 3.200,-- DM auch für den Fall, daß er alsbald wieder ein Arbeitsverhältnis eingehen konnte. Dem stand das Risiko gegenüber, länger arbeitslos zu sein und so einen weiteren Teil der Abfindung aus der Härteregelung zu vergeben. Das Risiko, entweder zuviel zu zahlen oder zuwenig zu bekommen, haben die Parteien im Prozeßvergleich dahin beseitigt, daß sie sich im Ergebnis darauf geeinigt haben, der Kläger werde etwa insgesamt viereinhalb Monate arbeitslos sein. Das aber ist ein Vergleich über eine im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses ungewisse Tatsache.

Damit hat der Kläger wirksam auf weitere Ansprüche aus dem Sozialplan verzichtet, so daß das Landesarbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Seine Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Matthes Hauck Richter Böck ist

durch Urlaub an der

Unterschrift verhindert.

Matthes

Schaeff Schlaefke

 

Fundstellen

BB 1996, 2524 (L1)

DB 1997, 882-883 (LT1)

BuW 1996, 922 (K)

EBE/BAG 1996, 171-172 (LT1)

EBE/BAG Beilage 1996, Ls 342/96 (L1)

AiB 1997, 350 (LT1)

ARST 1996, 282 (L1)

NZA 1997, 167

NZA 1997, 167-169 (LT1)

RdA 1997, 62 (L1)

ZIP 1996, 1995

ZIP 1996, 1995-1997 (LT1)

ZTR 1997, 191 (L1)

AP § 112 BetrVG 1972 (L1), Nr 109

AP § 77 BetrVG 1972 (LT1), Nr 63

AP § 779 BGB (L1), Nr 13

AR-Blattei, ES 1470 Nr 71 (LT1)

ArbuR 1997, 32 (L1)

EzA-SD 1996, Nr 23, 4-6 (LT1)

EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 88 (LT1)

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