Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung - Tarifliche Ausschlußfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

Erfaßt eine tarifliche Ausschlußfrist allgemein Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, so gilt sie auch für einen Anspruch auf Zahlung einer einmaligen Abfindung aus einem Sozialplan anläßlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 08.12.1993; Aktenzeichen 15 Sa 104/93)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 18.05.1993; Aktenzeichen 18 Ca 23694/92)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.

Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin vom 1. September 1964 bis zum 30. Juni 1991 zuletzt mit einem Bruttoarbeitsentgelt von 2.579,-- DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Angestellten der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet II, vom 10. März 1991 (MTV) Anwendung. Dessen Nr. 13 lautet wie folgt:

"Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeits-

verhältnis

13.1 Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind

beiderseits innerhalb einer Frist von drei

Monaten nach ihrer Fälligkeit, jedoch späte-

stens innerhalb von zwei Monaten nach Been-

digung des Arbeitsverhältnisses, geltend zu

machen.

13.2 Sind die Ansprüche rechtzeitig geltend ge-

macht, ist ihre Erfüllung jedoch abgelehnt

worden oder ist eine Erklärung hierzu inner-

halb von zwei Wochen nicht erfolgt, so ist

innerhalb weiterer sechs Wochen Klage beim

Arbeitsgericht zu erheben oder die tarifli-

che Gütestelle anzurufen.

13.3 Die in vorstehenden Ziffern 13.1 und 13.2

vorgesehenen Fristen sind Ausschlußfristen

der Art, daß mit dem fruchtlosen Ablauf der

Frist das geltend zu machende Recht er-

lischt.

13.4 Die Ausschlußfristen der Ziffern 13.1 und

13.2 gelten nicht für die Geltendmachung von

Ansprüchen aufgrund bewußter Unterschreitung

tariflicher Bestimmungen. Solche Ansprüche

sind spätestens innerhalb von zwei Monaten

nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ge-

richtlich geltend zu machen.

13.5 ..."

Der Kläger legte bei der Personalabteilung der Beklagten unter dem Datum 16. Juni 1991 ein von ihm handschriftlich verfaßtes und unterzeichnetes Schreiben mit folgendem Inhalt vor:

"Aufhebungsvertrag

Auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Situa-

tion und Perspektiven unseres Betriebes bitte ich

um Aufhebung meines Arbeitsverhältnisses zum

30. Juni 1991."

Herr K , Leiter eines technischen Bereichs innerhalb der technischen Direktion der Beklagten und zugleich stellvertretender technischer Direktor, versah das Schreiben am 18. Juni 1991 mit seinem Handzeichen.

Nachdem der Kläger im Einverständnis mit der Beklagten in der letzten Woche des Juni 1991 seinen Urlaub eingebracht hatte, schied er am 30. Juni 1991 aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten aus.

Die Beklagte und der in ihrem Betrieb bestehende Betriebsrat vereinbarten am 9. Juli 1991 einen Sozialplan, nach dessen Nr. 1 die Leistungen bei einem Ausscheiden im gegenseitigen Einvernehmen erhalten bleiben sollten. Weiter regelt der Sozialplan in Nr. 6 "Sonstige Regelungen":

"...

Dieser Sozialplan tritt mit Unterzeichnung in

Kraft und gilt für alle Arbeitnehmer, die im

Zeitraum 01.07.1990 bis zur Beendigung der Ge-

schäftstätigkeit der B GmbH betriebsbedingt

gekündigt wurden."

Die Beklagte stellte ihre Produktionstätigkeit am 31. Dezember 1991 ein; sie befindet sich seit dem 2. Juni 1992 in Liquidation.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 1991 beantragte der Kläger die Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan bei der Beklagten. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

"Antrag auf Abfindungszahlung

...,

wie ich von ehemaligen Arbeitskollegen erfuhr,

soll B -Mitarbeitern, die in diesem Jahr ihr

Arbeitsverhältnis über einen Aufhebungsvertrag im

gegenseitigen Einvernehmen mit der B -GmbH lö-

sten, eine Abfindung gezahlt werden. Es dürfte

Ihnen bekannt sein, daß ich nach 27-jähriger Be-

triebszugehörigkeit wegen der schlechten wirt-

schaftlichen Situation und Perspektive der B --

GmbH um Aufhebung meines Arbeitsverhältnisses zum

30.06.91 bat. Diesem Wunsche wurde seitens der

B -GmbH sofort stattgegeben. In der Annahme,

daß ich richtig informiert wurde, bitte ich um

schnellstmögliche Bearbeitung meines Antrages und

um kurzfristige Benachrichtigung ..."

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 4. Februar 1992 die Zahlung einer Abfindung ab, weil der Kläger nicht zum begünstigten Personenkreis nach dem Sozialplan und dem Interessenausgleich gehöre.

Mit seiner Klage vom 28. August 1992 machte der Kläger die Zahlung der Sozialplanabfindung beim Arbeitsgericht Berlin geltend. Er ist der Auffassung, ihm stehe nach Nr. 1 des Sozialplans die Abfindung zu, da er im gegenseitigen Einvernehmen auf Veranlassung der Beklagten ausgeschieden sei. Dem Sozialplanabfindungsanspruch stünden tarifvertragliche Ausschlußfristen nicht entgegen, da dieser nicht "aus dem Arbeitsverhältnis", sondern wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben sei. Aufgrund des versorgungsähnlichen Charakters sei der Sozialplananspruch nicht mit einem Anspruch auf Abfindung nach § 113 BetrVG vergleichbar, sondern mit dem Stammrecht auf eine betriebliche Altersversorgung und den aus ihm erwachsenen Ruhegeldraten. Im übrigen sei eine Verfallklausel, die meist zu Lasten der Arbeitnehmer gehe, vom grundlegenden Zweck der Tarifautonomie nicht gedeckt und daher unzulässig.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.761,46 DM

netto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, der Kläger falle nicht unter den Sozialplan, weil er sein Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1991 selbst gekündigt habe. Im übrigen sei ein möglicher Anspruch des Klägers aus dem Sozialplan aufgrund der Ausschlußfristen des Manteltarifvertrags verfallen. Der Zweck tariflicher Ausschlußfristen, schnellstmögliche Klarheit über Ansprüche der Parteien eines Arbeitsvertrages zu gewinnen, treffe auch auf eine Sozialplanabfindung zu.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der Abfindung verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter; der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Ein evtl. Abfindungsanspruch des Klägers aus dem Sozialplan vom 9. Juli 1991 ist aufgrund der tariflichen Ausschlußfristen im MTV verfallen.

1. Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizupflichten, daß der Kläger die Sozialplanabfindung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 10.761,45 DM grundsätzlich beanspruchen kann, weil er unter den Geltungsbereich des Sozialplans vom 9. Juli 1991 fällt. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, wird der Kläger vom Sozialplan erfaßt, weil er im maßgeblichen Zeitraum vom 1. Juli 1990 bis zur Beendigung der Geschäftstätigkeit der Beklagten am 31. Dezember 1991 im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Im Schreiben des Klägers vom 16. Juni 1991 kann eine Eigenkündigung nicht gesehen werden. Mit diesem Schreiben bittet der Kläger um Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1991. Aufgrund der dem Schreiben vorangestellten Überschrift "Aufhebungsvertrag" und der in dem Schreiben geäußerten Bitte um Aufhebung des Arbeitsverhältnisses folgt schon aus dem Wortlaut, daß der Kläger eine einseitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausgesprochen hat. Wenn der Kläger ausdrücklich um Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses bittet, gibt er zu erkennen, daß dazu auch eine Erklärung der Beklagten erforderlich ist. Für dieses Auslegungsergebnis spricht auch, daß aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers eine ordentliche Arbeitnehmerkündigung am 16. Juni 1991 zum 30. Juni 1991 nicht möglich war und Gründe für eine außerordentliche Kündigung nicht ersichtlich sind. Liegt somit in dem Schreiben des Klägers vom 16. Juni 1991 ein Angebot auf Abschluß eines Aufhebungsvertrages, so ist davon auszugehen, daß die Beklagte dieses Angebot durch ihr Einverständnis mit dem vorzeitigen Ausscheiden des Klägers zum 30. Juni 1991 angenommen hat.

2. Dem Landesarbeitsgericht kann aber nicht gefolgt werden, soweit es angenommen hat, der Abfindungsanspruch des Klägers werde nicht von den Ausschlußfristen in Nr. 13 des MTV für die Angestellten der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet II, vom 10. März 1991 erfaßt, weil der Sozialplan erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers abgeschlossen worden sei und Sozialplanabfindungen versorgungsähnlichen Charakter hätten.

a) Der Abfindungsanspruch des Klägers aus dem Sozialplan vom 9. Juli 1991 unterfällt den Ausschlußfristen in Nr. 13 MTV, der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Da der Kläger die Ausschlußfristen dieses Tarifvertrags nicht gewahrt hat, ist sein Abfindungsanspruch erloschen. Seine Klage ist daher abzuweisen.

b) Die Sozialplanabfindung nach § 112 BetrVG ist ein Anspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Sie wird wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber gezahlt und ist - wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis auch - Arbeitseinkommen (BAG Urteil vom 13. November 1991 - 4 AZR 20/91 - AP Nr. 13 zu § 850 ZPO). Nach § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG können in einem Tarifvertrag auch für Rechte, die Arbeitnehmer aus einer Betriebsvereinbarung erwerben, Ausschlußfristen vereinbart werden (BAG Urteil vom 3. April 1990 - 1 AZR 131/89 - EzA § 4 TVG Ausschlußfristen Nr. 94). Die tarifliche Vereinbarung von Ausschlußfristen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ist zulässig (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 205 I 2 m.w.N.).

c) Die einmalig zu zahlende Abfindung aus dem Sozialplan vom 9. Juli 1991 ist demnach ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, der von der Ausschlußfrist nach Nr. 13 des MTV erfaßt wird. Danach sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beiderseits innerhalb einer Frist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, geltend zu machen (Nr. 13.1); wird nach rechtzeitiger Geltendmachung der Ansprüche entsprechend Nr. 13.1 ihre Erfüllung abgelehnt oder eine Erklärung hierzu innerhalb von zwei Wochen nicht abgegeben, muß innerhalb weiterer sechs Wochen Klage zum Arbeitsgericht erhoben werden (Nr. 13.2); mit dem Ablauf dieser Fristen erlischt das Recht (Nr. 13.3).

d) Aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 3. April 1990 (- 1 AZR 131/89 - aaO), nach der tarifliche Ausschlußfristen auf solche Sozialplanansprüche nicht anzuwenden sind, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden und Überbrückungs- und Vorsorgefunktion für die Zeit nach Durchführung der nachteiligen Betriebsänderung haben, folgt nicht, daß auch der Anspruch des Klägers von einer Ausschlußfrist nicht erfaßt wird. In jenem Rechtsstreit hat das Bundesarbeitsgericht nur für Ansprüche auf ein aus dem Sozialplan monatlich zu zahlendes Ausgleichsgeld angenommen, daß sie mit einer betrieblichen Altersversorgung und den monatlichen Ruhegeldraten zu vergleichen seien. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um eine einmalig zu zahlende Abfindung aus einem Sozialplan, auf den die Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts in jenem Urteil nicht übertragen werden können.

e) Der Anwendung der Ausschlußfristen nach Nr. 13 MTV auf den Sozialplananspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, daß der Sozialplan nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers vereinbart worden ist. Handelt es sich bei dem Sozialplanabfindungsanspruch generell um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, so stellt sich im Hinblick auf die nachträgliche Vereinbarung des Sozialplans lediglich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die tarifliche Ausschlußfrist läuft.

Vorliegend kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die dreimonatige Frist nach Fälligkeit des Anspruchs oder die zweimonatige Frist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einschlägig ist, da der Kläger jedenfalls die zweite Stufe der Ausschlußklausel, nämlich die Frist für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs nach Ablehnung durch den Arbeitgeber oder Nichterklärung innerhalb von zwei Wochen nicht gewahrt hat. Geht man davon aus, daß der Kläger mit seinem Schreiben vom 3. Dezember 1991 die Sozialplanabfindung zunächst fristgemäß bei der Beklagten geltend gemacht hat, so hat er jedenfalls die weitere Ausschlußfrist in Nr. 13.2 MTV dadurch versäumt, daß er erst Ende August/Anfang September 1992 die Sozialplanabfindung klageweise geltend gemacht hat. Daher ist dieser Abfindungsanspruch nach Nr. 13.3 in Verbindung mit Nr. 13.2 bzw. 13.1 MTV erloschen.

f) Auf die Revision der Beklagten war nach allem das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und durch Zurückweisung der Berufung des Klägers das klageabweisende Ersturteil wieder herzustellen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Matthes Hauck Böck

Hromadka Hannig

 

Fundstellen

BB 1995, 520

BB 1995, 520-521 (LT1)

DB 1995, 781-782 (LT1)

EBE/BAG 1995, 42-43 (LT1)

BetrR 1995, 105 (LT1)

BetrVG, (19) (LT1)

WiB 1995, 511-512 (LT)

ARST 1995, 111-113 (LT1)

EWiR 1995, 499 (L1)

NZA 1995, 643

NZA 1995, 643-644 (LT1)

AP § 112 BetrVG 1972 (LT1), Nr 88

AR-Blattei, ES 1470 Nr 63 (LT1)

EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 108 (LT1)

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