Entscheidungsstichwort (Thema)

Kleine dynamische Bezugnahmeklausel. Tarifsukzession. ergänzende Vertragsauslegung. Chefarztvergütung

 

Orientierungssatz

1. Die arbeitsvertragliche Vereinbarung, wonach der Chefarzt eines Krankenhauses eine Vergütung “entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT der Anlage 1a zum BAT (VKA) in der jeweils gültigen Fassung” erhält, ist eine kleine dynamische Bezugnahme, die weder eine Erstreckung auf den TVöD noch eine solche auf den TV-Ärzte/VKA trägt. Da das Objekt der Bezugnahme von den Tarifvertragsparteien nicht mehr weiterentwickelt wird, sind Bezugnahmeklauseln dieses Inhalts seit der Ersetzung des BAT durch den TVöD zum 1. Oktober 2005 lückenhaft.

2. Die Regelungslücke ist zu diesem Zeitpunkt mittels ergänzender Vertragsauslegung regelmäßig dahingehend zu schließen, dass sich die Vergütung des Chefarztes nach der Entgeltgruppe 15Ü TVöD richten soll. Einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA ab 1. August 2006 begründet eine derartige Bezugnahmeklausel nicht.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 242

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 13.08.2009; Aktenzeichen 13 Sa 1673/08)

ArbG Oberhausen (Urteil vom 14.08.2008; Aktenzeichen 4 Ca 488/08)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. August 2009 – 13 Sa 1673/08 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Rz. 1

 Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung Vergütung nach dem zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) geschlossenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) beanspruchen kann.

Rz. 2

 Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Der 1950 geborene Kläger ist seit Juni 1991 als Leitender Arzt (Chefarzt) der Klinik für Kinderheilkunde beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 26. April 1991 vereinbarten die Parteien ua.:

“§ 1

Dienstverhältnis

Das Dienstverhältnis ist bürgerlich-rechtlicher Natur. Neben den Regelungen dieses Vertrages finden auf das Dienstverhältnis die Paragraphen 7 – 10, 13, 14, 18 Abs. 3, 37 Abs. 1, 38, 48, 52, 66 und 70 des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23.02.1961 sowie die vom Krankenhausträger erlassenen Satzungen, Dienstanweisungen und Hausordnungen in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

§ 8

Vergütung im dienstlichen Aufgabenbereich und Einräumung des Liquidationsrechtes

Der Arzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT der Anlage 1a zum BAT (VKA), d. h. Grundvergütung nach § 27 BAT, Ortszuschlag nach Maßgabe des § 29 BAT sowie eine Zuwendung und ein Urlaubsgeld entsprechend der tariflichen Regelungen zum BAT in der jeweils gültigen Fassung, zahlbar jeweils am letzten eines Monats für den abgelaufenen Monat auf ein von dem Arzt eingerichtetes Bank- oder Postscheckkonto.

Darüber hinaus erhält der Arzt eine nicht ruhegehaltsfähige Zulage von jährlich DM 60.000,00 zahlbar in monatlichen Teilbeträgen von DM 5.000,00.

Der Arzt erhält ferner

a) das Liquidationsrecht für die gesondert berechenbaren wahlärztlichen Leistungen bei denjenigen Kranken, die diese Leistungen gewählt, mit dem Krankenhaus vereinbart und in Anspruch genommen haben;

b) das Liquidationsrecht für das Gutachterhonorar bei Aufnahmen zur Begutachtung sowie die gesonderte Berechnung eines Gutachterhonorars neben dem Pflegesatz nach dem Pflegekostentarif des Krankenhauses in der jeweils gültigen Fassung.

…”

Rz. 3

 Nach der Ersetzung des Bundes-Angestelltentarifvertrags (im Folgenden: BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (im Folgenden: TVöD) zum 1. Oktober 2005 vergütete die Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den Kläger nach Entgeltgruppe 15Ü der Anlage 1 zum Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-VKA) vom 13. September 2005. In der Revisionsinstanz haben die Parteien übereinstimmend vorgetragen, der Kläger erhalte Vergütung nach Entgeltgruppe 15 der Durchgeschriebenen Fassung des TVöD für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-K) vom 1. August 2006. An weitere Ärzte leistete die Beklagte ebenfalls Entgeltzahlungen nach dem TVöD-K.

Rz. 4

 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine Vergütung nach Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA zu. Eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe die Anwendung der Vergütungsregelungen des TV-Ärzte/VKA. Bei Letzterem handele es sich um einen seit dem 1. August 2006 geltenden speziellen Ärztetarifvertrag für die an kommunalen Krankenhäusern beschäftigten Ärztinnen und Ärzte. Der TVöD sei dagegen ein allgemeiner, berufsgruppenübergreifender Tarifvertrag für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Die Vergütung nach Entgeltgruppe IV sei zudem um 15 % zu erhöhen, dh. um den Abstand zwischen VergGr. I BAT und VergGr. Ia BAT, nach der die unterstellten Oberärzte vergütet worden seien.

Rz. 5

 Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass sich seine Vergütung als Leitender Arzt der Klinik für Kinderheilkunde des Evangelischen Krankenhauses O… gemäß § 8 des Dienstvertrags ab dem 1. März 2008 nach der Entgeltgruppe IV, Stufe 1, des Tarifvertrags für die Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigungen der Kommunalen Arbeitgeberverbände, in der jeweiligen Fassung, zuzüglich 15 % berechnet;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 32.902,87 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen.

Rz. 6

 Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger sei aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zum 1. Oktober 2005 in die Entgeltgruppe 15 des TVöD-K übergeleitet worden. Mit dem rückwirkenden Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA sei der TVöD nicht ersetzt worden. Ein Wille der Arbeitsvertragsparteien, von zwei Tarifwerken dasjenige zu wählen, welches die höchste Vergütungsgruppe enthalte, lasse sich weder dem Vertrag noch den sonstigen Umständen als hypothetischer Parteiwille entnehmen. Zudem gelte der TV-Ärzte/VKA nicht für Chefärzte.

Rz. 7

 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 8

 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA zuzüglich eines Aufschlags von 15 %.

Rz. 9

 I. Der TV-Ärzte/VKA findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Unabhängig von der fehlenden beiderseitigen Tarifgebundenheit gilt der TV-Ärzte/VKA nach seinem § 1 Abs. 2 nicht für Chefärzte, deren Arbeitsbedingungen einzelvertraglich vereinbart worden sind. Darüber hinaus sind nach § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA in Entgeltgruppe IV (nur) Leitende Oberärzte, denen die ständige Vertretung des Chefarztes übertragen ist (zu den Eingruppierungsmerkmalen des § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA vgl. BAG 9. Dezember 2009 – 4 AZR 836/08 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 5), nicht aber Chefärzte eingruppiert.

Rz. 10

 II. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA nebst einem Aufschlag ergibt sich nicht aus dem Arbeitsvertrag.

Rz. 11

 Gemäß § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags erhält der Kläger für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT der Anlage 1a zum BAT in der jeweils gültigen Fassung. Diese Vereinbarung enthält eine kleine dynamische Bezugnahme.

Rz. 12

 1. Bei § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags handelt es sich nach der Rechtsprechung des Senats (9. Juni 2010 – 5 AZR 696/09 – NZA 2011, 109; 1. März 2006 – 5 AZR 363/05 – Rn. 20 ff., BAGE 117, 155; vgl. auch BAG 24. September 2008 – 6 AZR 76/07 – Rn. 18, BAGE 128, 73) um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Die Vergütungsklausel ist einem Musterchefarztvertrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft entnommen. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (BAG 19. März 2008 – 5 AZR 429/07 – Rn. 24 mwN, BAGE 126, 198). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist durch das Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 26. September 2007 – 5 AZR 808/06 – Rn. 13, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 13).

Rz. 13

 2. Danach enthält § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags eine kleine dynamische Bezugnahme.

Rz. 14

 In § 8 Abs. 1 knüpfen die Parteien die Vergütung, obwohl leitende Ärzte (Chefärzte) nach § 3 Buchst. i BAT von dessen Geltungsbereich ausgenommen sind und dementsprechend die Vergütungsordnungen zum BAT keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte enthalten, pauschal an die VergGr. I der Anlage 1a zum BAT einschließlich der in § 26 BAT vorgesehenen Struktur einer Gesamtvergütung bestehend aus der Grundvergütung und dem Ortszuschlag an und gestalten sie dynamisch. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung. Die Vergütung soll sich nach der VergGr. I der Anlage 1a zum BAT (VKA) in der jeweils gültigen Fassung richten. Damit wollte die nicht tarifgebundene Beklagte in ihrem Krankenhaus das Vergütungssystem des Kommunalen öffentlichen Dienstes für die Vergütung der Chefärzte im dienstlichen Aufgabenbereich anwenden und die dort stattfindende Vergütungsentwicklung nachvollziehen (vgl. BAG 9. Juni 2010 – 5 AZR 696/09 – NZA 2011, 109; 16. Dezember 2009 – 5 AZR 888/08 – Rn. 14, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Bezugnahmen im Arbeitsvertrag auf anderweite normative Regelungen in der Regel dynamisch zu verstehen sind (13. November 2002 – 4 AZR 351/01 – zu III 1b bb der Gründe, BAGE 103, 338; vgl. auch 9. November 2005 – 5 AZR 128/05 – Rn. 22, BAGE 116, 185).

Rz. 15

 3. Eine Erstreckung auf den TV-Ärzte/VKA trägt der Wortlaut der Bezugnahmeklausel aber nicht. Der TV-Ärzte/VKA ist keine “gültige Fassung” des BAT. § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist zeit-, nicht jedoch inhaltsdynamisch ausgestaltet. Ein Zusatz, dass auch die den BAT ersetzenden Tarifverträge Anwendung finden sollen, wurde nicht in die Vergütungsvereinbarung der Parteien aufgenommen (vgl. BAG 9. Juni 2010 – 5 AZR 696/09 – NZA 2011, 109; 16. Dezember 2009 – 5 AZR 888/08 – Rn. 15, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44; 19. Mai 2010 – 4 AZR 796/08 – Rn. 18 f., AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 76 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 48).

Rz. 16

 III. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA nebst einem Aufschlag lässt sich nicht auf eine ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrags stützen.

Rz. 17

 1. Es ist nachträglich eine Regelungslücke entstanden.

Rz. 18

 Im kommunalen Bereich wurde der BAT zum 1. Oktober 2005 durch den TVöD ersetzt, § 2 Abs. 1 TVÜ-VKA. Ab diesem Zeitpunkt wurden der BAT und die Vergütungstarifverträge zum BAT nicht mehr weiterentwickelt. Durch die Tarifsukzession ist die zeitdynamisch angelegte Bezugnahme auf den BAT im Arbeitsvertrag zur statischen geworden. Der letzte Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT datiert vom 31. Januar 2003. Ihn als Grundlage der Vergütung des Klägers zu betrachten, wäre weder mit dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags noch dem Zweck einer zeitdynamischen Bezugnahme vereinbar. Es träte eine statische Fortgeltung der bereits heute überholten tariflichen Rechtslage des Jahres 2003 ein (BAG 16. Dezember 2009 – 5 AZR 888/08 – Rn. 18 ff., AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Mithin lässt sich ohne Vervollständigung der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung nach dem ihr zugrunde liegenden Regelungsplan eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht erzielen (vgl. BAG 19. Mai 2010 – 4 AZR 796/08 – Rn. 23, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 76 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 48; 21. April 2009 – 3 AZR 640/07 – Rn. 33, BAGE 130, 202).

Rz. 19

 2. Die zum 1. Oktober 2005 entstandene nachträgliche Regelungslücke ist zu diesem Zeitpunkt im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen.

Rz. 20

 a) Bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die ergänzende Vertragsauslegung nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise (und nicht nur der konkret beteiligten Parteien) ausgerichtet sein muss. Die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein. Es ist zu fragen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unvollständigkeit ihrer Regelung bekannt gewesen wäre (BAG 9. Juni 2010 – 5 AZR 696/09 – NZA 2011, 109; 25. April 2007 – 5 AZR 627/06 – Rn. 26, BAGE 122, 182; 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 – Rn. 34, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6).

Rz. 21

 b) Aus der dynamischen Ausgestaltung der Bezugnahme auf eine Vergütung entsprechend der VergGr. I BAT der Anlage 1a zum BAT ergibt sich der Wille der Parteien, die Vergütung nicht in einer bestimmten Höhe bis zu einer Vertragsänderung festzuschreiben, sondern sie – dynamisch – an der jeweiligen Höhe der Vergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst, der in die VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT eingruppiert ist, auszurichten. Deshalb hätten die Parteien redlicherweise für den Fall einer Tarifsukzession eine Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe vereinbart, die der im Arbeitsvertrag bezeichneten Vergütungsgruppe nachfolgt und ihr entspricht. Ein “Einfrieren” der Vergütung auf den Zeitpunkt der Tarifsukzession entsprach nicht ihren Interessen.

Rz. 22

 Die VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT galt zwar ab dem 1. Oktober 2005 – für neu eingestellte Beschäftigte – nicht fort, die Ausgestaltung entsprechender Arbeitsverhältnisse erfolgt außertariflich, § 17 Abs. 2 TVÜ-VKA. Zum 30. September 2005 schon Beschäftigte der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT wurden aber in die Entgeltgruppe 15Ü übergeleitet, § 4 Abs. 1 Satz 1 iVm. der Anlage 1 TVÜ-VKA, § 19 Abs. 2 TVÜ-VKA. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Parteien eine Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe 15Ü TVöD vereinbart hätten, wenn sie eine Ersetzung der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT bedacht hätten.

Rz. 23

 3. Mit dem Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA zum 1. August 2006 ist entgegen der Auffassung des Klägers eine (weitere) Regelungslücke nicht entstanden.

Rz. 24

 a) Der TV-Ärzte/VKA hat zwar, allerdings erst mit Wirkung zum 1. August 2006, den BAT für die in den Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA fallenden Ärztinnen und Ärzte ersetzt, § 2 Abs. 1 TVÜ-Ärzte/VKA. § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist dadurch aber nicht – erneut – lückenhaft geworden. Die von den Parteien gewollte Dynamik der Vereinbarung einer Vergütung “entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT der Anlage 1a zum BAT (VKA)” war durch die Schließung der Lücke zum 1. Oktober 2005 durch die Anwendung der Entgeltgruppe 15Ü TVöD erhalten geblieben. Diese ist – jedenfalls bislang – keine “statische” Entgeltgruppe, ihre Tabellenwerte wurden zum 1. Januar 2008, 1. Januar 2009, 1. Januar 2010 sowie 1. Januar und 1. August 2011 erhöht. Zudem gibt es im TV-Ärzte/VKA keine der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT entsprechende Entgeltgruppe. Auch eine Zuordnung der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT bzw. der Entgeltgruppe 15Ü TVöD zu einer der Entgeltgruppen des § 16 TV-Ärzte/VKA erfolgte nicht.

Rz. 25

 b) Selbst wenn man eine Lücke deshalb annehmen würde, weil die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bedenken konnten, das Bezugsobjekt ihrer Vergütungsvereinbarung werde in Zukunft durch zwei die Arbeitsverhältnisse von Ärzten regelnde Tarifwerke (die allerdings beide Chefärzte aus ihrem Geltungsbereich ausgeschlossen haben) ersetzt (so wohl Bayreuther NZA 2009, 935), ist nicht anzunehmen, dass die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien eine Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA vereinbart hätten.

Rz. 26

 aa) Als redliche Vertragsparteien hätten die Parteien, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Vergütungsordnung durch mehrere tarifliche Vergütungssysteme ersetzt werden könnte, eine Anlehnung ihrer Vergütung an das Vergütungssystem gewählt, das der im Arbeitsvertrag benannten “Vergütungsgruppe I BAT der Anlage 1a zum BAT (VKA)” entspricht oder am nächsten kommt. Eine “Überleitung” bzw. “Ersetzung” der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT erfolgte nur durch die Entgeltgruppe 15Ü TVöD. Dagegen enthält der TV-Ärzte/VKA überhaupt keine der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT entsprechende Entgeltgruppe und hat zudem ein gegenüber dem früheren BAT vollständig neues Eingruppierungssystem für die von ihm erfassten Ärztinnen und Ärzte (also nicht für Chefärzte) geschaffen, §§ 16 ff. TV-Ärzte/VKA. Einer derartigen diskontinuierlichen Ersetzung ihrer Vergütungsabrede hätten redliche Vertragsparteien nicht den Vorzug gegenüber der mit einer Vergütung entsprechend Entgeltgruppe 15Ü TVöD kontinuierlichen Entwicklung gegeben (ähnlich Anton ZTR 2009, 2, 5). Es wäre keine angemessene Lösung, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Vergütungsvereinbarung und die Vergütung der Parteien auf ein “neues System” umzustellen, wenn ein die Kontinuität der bisherigen Vergütungsabrede wahrendes Vergütungssystem zur Verfügung steht. Dass über die von den Parteien gewollte Dynamisierung der Vergütung hinaus der Kläger auch an strukturellen Änderungen der tariflichen Vergütungsregelungen oder an neuen tariflichen Entgeltsystemen für Ärzte, die nicht Chefärzte sind, teilhaben soll, lässt sich dem Regelungsplan des § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags nicht entnehmen. Dafür hat der Kläger auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte vorgebracht.

Rz. 27

 bb) Ein anderes Auslegungsergebnis lässt sich nicht damit begründen, der TV-Ärzte/VKA sei der “speziellere” Tarifvertrag. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem tatsächlich so ist (verneinend etwa Bayreuther NZA 2009, 935: “tarifrechtlich […] gleichwertig”). Jedenfalls für Chefärzte ist der TV-Ärzte/VKA schon deshalb nicht “spezieller”, weil er für sie ebenso wie der TVöD nicht gilt, § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA, und keine Regelungen für die Berufsgruppe der Chefärzte enthält. Zudem handelt es sich bei dem Prinzip der Sachnähe oder Spezialität um eine tarifrechtliche Kollisionsregel, die dazu dient, eine Tarifkonkurrenz aufzulösen (vgl. dazu ErfK/Franzen 11. Aufl. § 4 TVG Rn. 65 ff. mwN; BAG 9. Dezember 2009 – 4 AZR 190/08 – Rn. 49, AP TVG § 3 Nr. 48 = EzA TVG § 3 Nr. 34). Eine Tarifkonkurrenz kann aber bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nicht entstehen (BAG 29. August 2007 – 4 AZR 767/06 – Rn. 20, BAGE 124, 34; 27. Januar 2010 – 4 AZR 549/08 (A) – Rn. 99, AP TVG § 3 Nr. 46 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 23). Für die ergänzende Vertragsauslegung ist deshalb das tarifrechtliche Prinzip der Spezialität ohne Belang, sofern sich nicht aus dem Regelungsplan des Vertrags Gegenteiliges ergibt.

Rz. 28

 cc) Eine Vergütung entsprechend dem TV-Ärzte/VKA hätten die Parteien nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien auch nicht deshalb vereinbaren müssen, weil Chefärzte stets mehr verdienen müssten als ihr in Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA eingruppierter ständiger Vertreter.

Rz. 29

 Einen allgemeinen Grundsatz, ein Vorgesetzter sei stets höher zu vergüten als seine ihm unterstellten Mitarbeiter, gibt es im Arbeitsrecht ebenso wenig wie ein “Abstandsgebot” (BAG 9. Juni 2010 – 5 AZR 696/09 – NZA 2011, 109; vgl. für tarifliche Vergütungsregelungen BAG 17. Dezember 2009 – 6 AZR 665/08 – AP TVÜ § 4 Nr. 1). Überdies erzielt ein Chefarzt aufgrund der Einräumung des Liquidationsrechts als variablen weiteren Vergütungsbestandteil neben der Festvergütung in der Regel ein höheres Einkommen als die ihm unterstellten Ärzte.

Rz. 30

 dd) Eine Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung käme selbst dann nicht in Betracht, wenn die Beklagte allen Ärzten, die nicht Chefärzte sind und die sie vor dem 1. Oktober 2005 nach der Vergütungsordnung zum BAT vergütete, ab 1. August 2006 Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA gewähren würde. Aus einer zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags erfolgten, der damaligen Tarifeinheit im öffentlichen Dienst folgenden einheitlichen Anwendung eines tariflichen Vergütungssystems auf alle bei ihr beschäftigten Ärzte einschließlich der Chefärzte ließe sich ein hypothetischer Wille der Beklagten, daran bei späterer Tarifpluralität für Ärzte, die nicht Chefärzte sind, festhalten zu wollen, nicht herleiten. Dafür bietet der Regelungsplan des § 8 Abs. 1 des Arbeitsvertrags keine Anhaltspunkte.

Rz. 31

 Auch der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz – so er im Bereich der Vergütung trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit überhaupt Anwendung findet (vgl. dazu BAG 15. Juli 2009 – 5 AZR 486/08 – AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 209 = EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 20; 17. März 2010 – 5 AZR 168/09 – AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 211 = EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 22) – könnte in diesem Falle die Beklagte nicht zur “Überleitung” der Chefärzte in den TV-Ärzte/VKA verpflichten, weil eine Differenzierung zwischen der Gruppe der Chefärzte und der Gruppe der “sonstigen Ärzte” schon aufgrund von § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA sachlich gerechtfertigt wäre.

Rz. 32

 IV. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts leistete die Beklagte an den Kläger seit dem 1. Oktober 2005 Vergütung nach der Entgeltgruppe 15Ü TVöD. Erstmals in der Revisionsinstanz hat der Kläger geltend gemacht, dass seine Vergütung nicht der Entgeltgruppe 15Ü TVöD entspreche. Er hat jedoch weder entsprechende Anträge gestellt noch eine Wahrung eventueller Ausschlussfristen für Differenzvergütungsansprüche auf der Grundlage der Entgeltgruppe 15Ü TVöD dargelegt.

Rz. 33

 V. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Laux, Schlewing, Spelge, Hromadka, Reinders

 

Fundstellen

FA 2011, 348

AP 2012

NZA-RR 2012, 192

RiA 2012, 110

ArbR 2011, 567

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