Entscheidungsstichwort (Thema)

Warnstreiks und ultima-ratio-Prinzip

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Senat hält an seiner Entscheidung vom 12. September 1984 (- 1 AZR 342/83 = BB 1984, 1807 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt) fest, wonach kurze befristete Warnstreiks in der Form der Neuen Beweglichkeit während noch laufender Tarifverhandlungen zulässig sind.

 

Orientierungssatz

Die gleiche Entscheidung wie Urteil vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; EuSC Art. 6 Nr. 4, Art. 31 Abs. 2, 1; BGB § 823 Abs. 2, 1; ZPO § 256 Abs. 1-2; BGB § 1004 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 31.01.1984; Aktenzeichen 7 Sa 88/82)

ArbG Hannover (Entscheidung vom 02.04.1982; Aktenzeichen 10 Ca 354/81)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die von der beklagten IG Metall im Frühjahr 1981 während der laufenden Tarifverhandlungen organisierten Streiks, die die Beklagte als "Warnstreiks" bezeichnet, rechtlich zulässig oder rechtswidrig waren und ob die Beklagte verpflichtet ist, in Zukunft solche Arbeitskämpfe zu unterlassen und Auszubildende überhaupt zu Arbeitskämpfen aufzurufen.

Der Kläger zu 1) ist ein Arbeitgeberverband der Metallindustrie im Tarifgebiet Niedersachsen. Ihm gehören etwa 400 Firmen mit insgesamt etwa 100.000 Beschäftigten an. Die Klägerinnen zu 2) und 3) sind Mitgliedsfirmen des klagenden Verbandes.

Der klagende Verband und die beklagte Gewerkschaft haben ständig Tarifverträge abgeschlossen, zuletzt Lohn- und Gehaltstarifverträge, die die IG Metall zum 31. Januar 1981 gekündigt hatte. Mit Schreiben vom 18. Dezember 1980 gab die IG Metall dem Arbeitgeberverband ihre Forderungen bekannt; sie forderte im wesentlichen die Erhöhung der Tariflöhne und -gehälter sowie der Ausbildungsvergütung.

Die Tarifverhandlungen, für die der Kläger dem Gesamtverband der metallindustriellen Arbeitgeberverbände e.V. (Gesamtmetall) Vollmacht erteilt hatte, wurden am 15. Januar 1981 aufgenommen. In weiteren Verhandlungen kam zunächst keine Einigung zustande. Zu einem Tarifabschluß kam es erst am 5. Mai 1981.

In der Zeit vom 5. März 1981 bis zum 22. April 1981 wurden die Verhandlungen der Tarifvertragsparteien von Arbeitsniederlegungen begleitet, zu denen die IG Metall aufgerufen hatte. Diese Arbeitsniederlegungen dauerten zwischen 30 und 210 Minuten. Einige Unternehmen wurden nur einmal bestreikt (Anlage A zur Klageschrift), andere mehrmals (Anlage B zur Klageschrift). In einigen Betrieben rief die Beklagte auch die Auszubildenden zu Arbeitsniederlegungen auf (Anlage C zur Klageschrift).

Bei der Klägerin zu 2) wurden 608 Arbeitnehmer zu Warnstreiks aufgerufen, und zwar am 6. April 1981 für 60 Minuten und am 22. April 1981 für 45 Minuten, bei der Klägerin zu 3) am 13. März 1981 606 Arbeitnehmer und am 22. April 1981 603 Arbeitnehmer für jeweils 60 Minuten. An diesen beiden Arbeitsniederlegungen nahmen auch Auszubildende teil.

Die Arbeitsniederlegungen fanden statt nach Ablauf der in § 3 Abs. 1 der Schlichtungs- und Schiedsvereinbarung vom 1. Januar 1980 vereinbarten Frist. § 3 Abs. 1 und 4 dieser Vereinbarung haben folgenden Wortlaut:

§ 3 Verhalten nach Ablauf eines Tarifvertrages

(1) Die Tarifvertragsparteien verpflichten

sich, nach Ablauf eines Tarifvertrages

während einer Frist von vier Wochen

aus ihren Forderungen in diesen Ta-

rifverhandlungen nicht zu streiken

oder auszusperren.

.....

(4) Aus der Festlegung dieser Fristen al-

lein kann die Rechtmäßigkeit von Ar-

beitsniederlegungen nicht hergeleitet

werden.

.....

Der Kläger zu 1) hat behauptet, die IG Metall habe in der Zeit vom 5. März bis zum 21. April 1981 111.845 Arbeitnehmer in 176 Betrieben ihrer Mitgliedsunternehmen zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Aus Anlaß der bundesweiten Streikaktion am 22. April 1981 seien alle Beschäftigten der Metallindustrie im Tarifgebiet des Klägers zur Arbeitsniederlegung aufgefordert worden.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Streikaktionen der IG Metall seien rechtswidrig gewesen. Die IG Metall habe den Grundsatz verletzt, wonach Arbeitskämpfe nur eingeleitet werden dürften, wenn alle Verständigungsmöglichkeiten erschöpft seien (ultima-ratio-Prinzip). Bei den Kampfmaßnahmen der IG Metall habe es sich um Erzwingungsstreiks gehandelt. Arbeitskämpfe in der geplanten Form der Neuen Beweglichkeit seien mit der Warnfunktion eines Warnstreiks nicht mehr zu vereinbaren. Auch dürften Auszubildende zur Teilnahme an Streiks nicht aufgerufen werden.

Der klagende Arbeitgeberverband ist der Ansicht, er könne aus eigenem Recht die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Streiks und deren künftige Unterlassung verlangen. Er macht weiter die Rechte eines Mitgliedsunternehmens aus dieser Warnstreikaktion im eigenen Namen geltend, das ihn zur Prozeßführung ermächtigt hat. Drei Mitgliedsunternehmen haben ihre Ansprüche gegen die IG Metall an ihn abgetreten. Die Kläger zu 2) und 3) haben sich in der Berufungsinstanz dem Verfahren angeschlossen.

Der Kläger zu 1) hat beantragt:

I. 1. Es wird festgestellt, daß die Arbeitskampf-

maßnahmen, zu denen die Beklagte die Ar-

beitnehmer in den Betrieben der beim Kläger

organisierten Mitgliedsunternehmen in der

Zeit vom 5. März bis zum 22. April 1981 auf-

gerufen hat, rechtswidrig und daher zu unter-

lassen waren;

hilfsweise:

es wird festgestellt,

a) daß die Arbeitskampfmaßnahmen, zu denen

die Beklagte die Arbeitnehmer in den Be-

trieben der beim Kläger organisierten,

in Anlage A namentlich bezeichneten Mit-

gliedsunternehmen - die nur einmal be-

streikt wurden - in der Zeit vom 5. März

bis zum 22. April 1981 aufgerufen hat,

rechtswidrig und deshalb zu unterlassen

waren, sowie weiterhin

b) daß die Arbeitskampfmaßnahmen, zu denen die

Beklagte die Arbeitnehmer in den Betrieben

der beim Kläger organisierten, in Anlage B

namentlich bezeichneten Mitgliedsunterneh-

men - die mehrmals bestreikt wurden - in

der Zeit vom 5. März bis zum 22. April 1981

aufgerufen hat, rechtswidrig und deshalb zu

unterlassen waren, sowie weiterhin

c) daß die in der Zeit vom 5. März bis zum 22.

April 1981 erfolgten Aufrufe der Beklagten

zur Arbeitsniederlegung an die Auszubilden-

den in den in der Anlage C genannten Be-

trieben rechtswidrig und deshalb zu unter-

lassen waren.

2. Der Beklagten wird unter Androhung eines in

das Ermessen des Gerichts gestellten Ordnungs-

geldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung un-

tersagt,

a) die im Tarifgebiet Niedersachsen bei den

Mitgliedsunternehmen des Klägers beschäf-

tigten Arbeitnehmer während noch laufender

Tarifverhandlungen und eines sich ggf.

anschließenden Schlichtungsverfahrens zu

Arbeitsniederlegungen jedweder Dauer aufzu-

rufen und einen Arbeitskampf jedweder Dauer

zu führen;

b) die Auszubildenden in den Mitgliedsunter-

nehmen des Klägers im Tarifgebiet Nieder-

sachsen überhaupt zur Teilnahme an Arbeits-

kampfmaßnahmen aufzurufen.

II. 1. Es wird festgestellt, daß die Arbeitskampf-

maßnahmen, zu denen die Beklagte die Arbeitneh-

mer bei den Firmen W , H

KG und O GmbH - Unter-

nehmen, die ihre Ansprüche an den Kläger zu 1)

abgetreten haben - in der Zeit vom 5. März bis

zum 22. April 1981 aufgerufen hat, rechtswid-

rig und daher zu unterlassen waren,

hilfsweise,

es wird festgestellt,

daß die in der Zeit vom 5. März bis zum 22.

April 1981 erfolgten Aufrufe der Beklagten zur

Arbeitsniederlegung an die Auszubildenden der

Firmen W und O GmbH

rechtswidrig und deshalb zu unterlassen waren.

2. Der Beklagten wird unter Androhung eines in das

Ermessen des Gerichts gestellten Ordnungsgeldes

für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,

a) die bei den Firmen W , H

KG und O GmbH beschäf-

tigten Arbeitnehmer während noch laufender

Tarifverhandlungen und eines sich ggf. an-

schließenden Schlichtungsverfahrens zu Ar-

beitsniederlegungen jedweder Dauer aufzuru-

fen und einen Arbeitskampf jedweder Dauer

zu führen,

b) die Auszubildenden in den Firmen W

und O GmbH überhaupt

zur Teilnahme an Arbeitskampfmaßnahmen auf-

zurufen.

Die Klägerinnen zu 2) und 3) haben beantragt:

III. 1. Es wird festgestellt, daß die Arbeitskampf-

maßnahmen, zu denen die Beklagte die Arbeit-

nehmer in den Betrieben der Klägerinnen zu 2)

und 3) in der Zeit vom 5. März bis zum 22.

April 1981 aufgerufen hat, rechtswidrig und

daher zu unterlassen waren,

hilfsweise,

es wird feststellt,

daß die in der Zeit vom 5. März bis 22. April

1981 erfolgten Aufrufe der Beklagten zur Ar-

beitsniederlegung an die Auszubildenden bei

der Klägerin zu 3) rechtswidrig und deshalb

zu unterlassen waren.

2. Der Beklagten wird unter Androhung eines in

das Ermessen des Gerichts gestellten Ordnungs-

geldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter-

sagt,

a) die bei den Klägerinnen zu 2) und 3) be-

schäftigten Arbeitnehmer während noch

laufender Tarifverhandlungen und eines sich

ggf. anschließenden Schlichtungsverfahrens

zu Arbeitsniederlegungen jedweder Dauer

aufzurufen und einen Arbeitskampf jedwe-

der Dauer zu führen,

b) die Auszubildenden bei der Klägerin zu 3)

überhaupt zur Teilnahme an Arbeitskampf-

maßnahmen aufzurufen.

Die beklagte Gewerkschaft hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie hält die Klagen für unzulässig, zumindest aber für unbegründet. Die von ihr durchgeführten Arbeitskampfmaßnahmen seien rechtmäßig gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage des Arbeitgeberverbandes insoweit stattgegeben, als es der IG Metall untersagt hat, die bei den Mitgliedsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer während laufender Tarifverhandlungen mehr als einmal je Betrieb zur Arbeitsniederlegung aufzurufen sowie Arbeitskampfmaßnahmen auf mehr als 30 Minuten zu erstrecken. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung hat es der IG Metall ein Ordnungsgeld angedroht. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat den Anschluß der Klägerinnen zu 2) und 3) gestattet. Es hat die Berufung der IG Metall zurückgewiesen und im übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert. Es hat der IG Metall untersagt, bei den Mitgliedsunternehmen beschäftigte Arbeitnehmer und die Auszubildenden während noch laufender Tarifverhandlungen und eines sich gegebenenfalls anschließenden Schlichtungsverfahrens zu Arbeitsniederlegungen jedweder Dauer aufzurufen. Den Feststellungsantrag hat es für unzulässig erachtet.

Gegen dieses Urteil haben beide Seiten Revision eingelegt. Die IG Metall will erreichen, daß die Klagen insgesamt abgewiesen werden. Die Kläger verfolgen ihre Sachanträge weiter, soweit sie abgewiesen wurden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten Gewerkschaft ist begründet. Die Klagen müssen insgesamt abgewiesen werden. Die Revisionen der Kläger sind dagegen unbegründet.

A. Die Klage des Arbeitgeberverbandes

Der klagende Arbeitgeberverband hat keinen Anspruch auf Unterlassung von Kampfmaßnahmen. Er hat auch nicht das Recht, Ansprüche Dritter im eigenen Namen geltend zu machen. Ansprüche von Mitgliedsfirmen hat er nicht erworben; die erfolgten Abtretungen sind unwirksam.

1. Die Klage auf Unterlassung von Kampfmaßnahmen ist zulässig. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 12. September 1984 (1 AZR 342/83 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt) für die gleichlautende Klage eines anderen Arbeitgeberverbandes im einzelnen dargelegt. Diese Entscheidung ist den Parteien bekannt. Darauf kann hier verwiesen werden.

2. Für einen Anspruch des Klägers auf künftige Unterlassung von Aufrufen zu Warnstreiks gibt es weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Grundlage.

a) Der Senat hat in der genannten Entscheidung vom 12. September 1984 im einzelnen begründet, warum weder aus § 3 Abs. 4 und 5 des Schlichtungsabkommens noch aus Dauerrechtsbeziehungen der Parteien, aus nachwirkenden oder sich anbahnenden Vertragsbeziehungen sich ein vertraglicher Anspruch des Klägers gegen die beklagte Gewerkschaft ergibt, Arbeitskampfmaßnahmen während noch laufender Tarifverhandlungen zu unterlassen. Die Revision hat insoweit neue Gesichtspunkte nicht vorgetragen. Auf die Begründung des Senats kann Bezug genommen werden. An ihr ist festzuhalten.

b) Ein Unterlassungsanspruch aus unerlaubter Handlung steht dem Kläger ebenfalls nicht zu. Die umstrittenen Arbeitskampfmaßnahmen der beklagten Gewerkschaft stellen gegenüber dem Kläger als Arbeitgeberverband keine unerlaubte Handlung dar.

Der Kläger hat als Verband keinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ihm gegenüber kann daher dieses sonstige Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB nicht verletzt werden.

In sein durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütztes Recht auf koalitionsmäßige Betätigung wird durch Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaft nicht eingegriffen. Seine aus diesem Recht fließende Befugnis, den Abschluß eines Tarifvertrags mit einem bestimmten Inhalt abzulehnen, wird nicht verletzt, wenn die Gewerkschaft durch Arbeitskampfmaßnahmen oder nur durch die Androhung solcher Maßnahmen Druck auf den Kläger ausübt, um dessen Entscheidung zu beeinflussen. Das Tarifvertragssystem, in dessen Rahmen sich die koalitionsmäßige Betätigung des Arbeitgeberverbandes entfalten kann, geht davon aus, daß Tarifverträge letztlich nur unter dem Druck zumindest möglicher Arbeitskämpfe zustande kommen. Es gibt daher kein "druckfreies Verhandeln" und kein Recht einer Koalition, frei von Druck verhandeln zu dürfen. In der Androhung oder der Führung von Arbeitskämpfen liegt daher keine Beeinträchtigung des jeweils gegnerischen Rechts auf koalitionsmäßige Betätigung. Dabei ist es unerheblich, ob die jeweilige Arbeitskampfmaßnahme rechtswidrig ist oder nicht. Auch das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 12. September 1984 im einzelnen begründet. Der Senat hält daran fest, das Vorbringen der Revision ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu rechtfertigen.

c) Die Revision macht geltend, mit dieser Begründung verkenne der Senat die Dimension der Warnstreikaktionen und die Strategie der beklagten Gewerkschaft. Deren Sinn sei es, Druck auf ihn, den Verband, nicht aber auf die Firmen auszuüben. Ob ein Arbeitskampf rechtswidrig ist, könne nicht "sektoral", d. h. bezogen auf das jeweils betroffene Unternehmen, beurteilt werden. Damit verkennt die Revision die Sicht des Senats.

Der Senat geht davon aus und ist in seiner Entscheidung vom 12. September 1984 davon ausgegangen, daß jede Arbeitskampfmaßnahme und damit auch die Warnstreiks der beklagten Gewerkschaft darauf gerichtet sind, Druck auf den Arbeitgeberverband auszuüben, indem sie durch die Vorenthaltung der Arbeitskraft die Mitgliedsunternehmen schädigt, um diese zu bewegen, Einfluß auf die Willensbildung des Verbandes zu nehmen. Diese Schädigung müssen die Mitgliedsunternehmen bei einem rechtmäßigen Arbeitskampf hinnehmen. Der rechtswidrige Arbeitskampf ist hingegen eine unerlaubte Handlung, gegen die die betroffenen Unternehmen sich zur Wehr setzen können. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Frage, ob eine Arbeitskampfmaßnahme rechtswidrig ist, nur im Hinblick auf das einzelne betroffene Unternehmen zu beantworten ist. Der Umstand, daß jedes einzelne betroffene Unternehmen nur eigene Unterlassungs- oder Schadenersatzansprüche geltend machen kann, ändert nichts daran, daß die Arbeitskampfmaßnahme insgesamt als Einheit zu sehen und zu werten ist.

d) Ein eigener Unterlassungsanspruch des Arbeitgeberverbandes gegen rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen folgt entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus § 9 TVG. Diese Vorschrift erstreckt zunächst nur die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen über Bestand und Inhalt eines Tarifvertrages auf Dritte, auf nicht am Prozeß beteiligte Personen. Sie setzt voraus, daß Tarifvertragsparteien aus eigenem Recht über Bestand und Inhalt eines Tarifvertrages einen Rechtsstreit führen können. Immer geht es aber bei diesen Rechtsstreitigkeiten um die Frage, ob ein Tarifvertrag mit einem bestimmten Inhalt zwischen den Tarifvertragsparteien besteht und damit entweder um das Bestehen vertraglicher Rechte der Tarifvertragsparteien gegeneinander aus dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages oder um das Bestehen einer bestimmten durch den Tarifvertrag gesetzten normativen Ordnung. Die Frage, ob eine Arbeitskampfmaßnahme gegenüber dem Arbeitgeberverband eine unerlaubte Handlung darstellt, hat damit nichts zu tun.

e) Mit der Entscheidung, daß ein rechtswidriger Arbeitskampf gegenüber dem Arbeitgeberverband keine unerlaubte Handlung darstellt, setzt sich der Senat auch nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 19. Juni 1984 (1 AZR 361/82 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). In diesem Rechtsstreit war darüber zu entscheiden, ob die Gerichte im Vorfeld von Tarifverhandlungen über die rechtliche Zulässigkeit einzelner Tarifziele entscheiden können. Der Senat hat dies verneint und als Begründung dafür, daß eine solche Vorprüfung nicht erforderlich ist, u.a. darauf verwiesen, daß die Arbeitgeber oder der Arbeitgeberverband sich gegen einen Streik, der ein tariflich nicht regelbares Ziel verfolgt und deswegen rechtswidrig ist, zur Wehr setzen können. Er hat dabei auf die Möglichkeit verwiesen, Schadenersatzansprüche geltend zu machen oder auf Unterlassung zu klagen. Auf die einzelnen Voraussetzungen dieser Ansprüche näher einzugehen, bestand in diesem Zusammenhang kein Anlaß. Der Entscheidung kann daher nicht entnommen werden, der Senat habe auch für den Arbeitgeberverband im Falle eines rechtswidrigen Streiks einen Unterlassungsanspruch anerkannt.

f) Der Senat hält daher an seiner Entscheidung fest, daß einem Arbeitgeberverband aus eigenem Recht kein aus unerlaubter Handlung folgender Anspruch auf Unterlassung gegen einen rechtswidrigen Streik zusteht. Damit erweist sich die Klage, soweit der Kläger mit ihr einen eigenen Unterlassungsanspruch geltend gemacht hat, als unbegründet.

3. Auch soweit der Kläger Unterlassungsansprüche einzelner Mitgliedsunternehmen im eigenen Namen geltend macht, kann seine Klage keinen Erfolg haben. Sie ist unzulässig. Für diese gewillkürte Prozeßstandschaft fehlt es an dem erforderlichen eigenen rechtsschutzwürdigen Interesse des Klägers, Unterlassungsansprüche seiner Mitgliedsunternehmen im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Der Senat hat dies in der genannten Entscheidung vom 12. September 1984 im einzelnen begründet. Er hält an dieser Begründung fest. Die Revision hat insoweit keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen.

4. Einen etwaigen Unterlassungsanspruch einzelner Mitgliedsfirmen hat der Kläger durch die Abtretung nicht erworben. Eine solche Abtretung war unzulässig. Das hat der Senat in der genannten Entscheidung vom 12. September 1984 näher begründet. Er hält daran fest.

5. Der Feststellungsantrag ist unzulässig. Er ist einmal auf die Feststellung eines in der Vergangenheit liegenden tatsächlichen Verhaltens gerichtet. Zum anderen fehlt es für die begehrte Feststellung, daß die Warnstreiks zu unterlassen waren, an einem Feststellungsinteresse. Das ist in der Entscheidung vom 12. September 1984 im einzelnen begründet worden. Der Senat hält auch daran fest. Die Revision hat insoweit keine neuen Gesichtspunkte geltend gemacht.

B. Die Klagen der Klägerinnen zu 2) und 3)

1. Der Feststellungsantrag der Klägerinnen zu 2) und 3) ist aus den gleichen Gründen unzulässig wie der Feststellungsantrag des klagenden Arbeitgeberverbandes. Auf die Begründung (oben A 5) wird verwiesen.

2. Der Unterlassungsantrag ist zwar zulässig, er ist jedoch nicht begründet.

Die Klägerinnen können die künftige Unterlassung von Warnstreiks und von Aufrufen an Auszubildende, sich an Warnstreiks zu beteiligen, nicht verlangen. Der Senat hat in der genannten Entscheidung vom 12. September 1984 ausgesprochen, daß das ultima-ratio-Prinzip kurze und zeitlich befristete Streiks, zu denen die Gewerkschaft nach Ablauf der Friedenspflicht während laufender Tarifverhandlungen aufruft, nicht verbietet und daher auch Warnstreiks der IG Metall in Form der Neuen Beweglichkeit zulässig sind, wenn nur zu kurzen zeitlich befristeten Arbeitsniederlegungen aufgerufen wird. Zu solchen Arbeitsniederlegungen können auch Auszubildende aufgerufen werden. Daran hält der Senat fest.

Sind damit auch während noch laufender Tarifverhandlungen kurze und zeitlich befristete Streiks zulässig und können auch Auszubildende zur Teilnahme an solchen Streiks aufgerufen werden, so erweist sich der Antrag der Klägerinnen zu 2) und 3), der Beklagten während dieser Zeit Aufrufe zu Arbeitsniederlegungen jedweder Dauer und auch an Auszubildende zur Teilnahme an Arbeitskämpfen überhaupt zu untersagen, als unbegründet.

Der Senat kann auch nicht - wie von der Revision gefordert - im Rahmen der gestellten Anträge aussprechen, daß während der genannten Zeit jedenfalls solche Arbeitsniederlegungen zu unterlassen sind, die eine bestimmte Dauer überschreiten oder die Klägerinnen zu 2) und 3) zwei-, drei- oder mehrfach betreffen. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß jede Arbeitskampfmaßnahme unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit steht (vgl. zuletzt Urteil vom 12. März 1985 - 1 AZR 636/82 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Das gilt auch für Warnstreiks in der Form der Neuen Beweglichkeit. Ob und wann solche Warnstreiks gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen, kann nicht im voraus gesagt werden. Ob ein Arbeitskampf unverhältnismäßig ist, bestimmt sich nicht allein nach seiner zeitlichen Dauer oder danach, wie oft einzelne Betriebe betroffen werden. Wie oben (A 2 c) dargelegt und von der Revision selbst geltend gemacht, ist die jeweilige Arbeitskampfmaßnahme insgesamt als Einheit zu sehen und zu werten.

C. Aus dem Gesagten folgt, daß die Unterlassungsklage des Arbeitgeberverbandes selbst dann unbegründet wäre, wenn der Senat die Frage, wem der Unterlassungsanspruch zusteht, dem Arbeitgeberverband oder den Mitgliedsunternehmen, zugunsten des Arbeitgeberverbandes entschieden hätte. Auch dann hätte die Unterlassungsklage abgewiesen werden müssen, weil der Arbeitgeberverband die künftige Unterlassung von Warnstreiks und von Aufrufen an Auszubildende, sich an Warnstreiks zu beteiligen, nicht verlangen kann. Der Senat hat daher auch keinen Anlaß gesehen, den Rechtsstreit mit Rücksicht auf die von einigen Arbeitgeberverbänden erhobene Verfassungsbeschwerde gegen seine Entscheidung vom 12. September 1984 auszusetzen.

Danach war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern. Die Klagen mußten abgewiesen werden. Der Senat hat die Entscheidungsformel der Klarheit halber neu gefaßt. Die Kosten des Rechtsstreits haben nach § 91 ZP0 die Kläger zu tragen.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Blanke Dr. Münzer

 

Fundstellen

Haufe-Index 437170

DB 1985, 1697-1699 (LT1)

EzB, (LT1)

AP, Arbeitskampf (LT1)

EzA, Arbeitskampf Nr 56 (LT1)

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