Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitaufstieg und Wehrdienst

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 6 Abs 4 Satz 2 ArbPlSchG ist auf tarifliche Entgeltregelungen, die einen Zeitaufstieg vorsehen, entsprechend anzuwenden. Der Arbeitnehmer erhält für die Zeit, um die sich wegen des Grundwehrdienstes der Zeitaufstieg verzögert, eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zu dem Tariflohn, der ihm nach einem Zeitaufstieg zustünde.

2. Die Entgeltstufen nach § 9 Abs 2 des Bundesentgelttarifvertrages für die chemische Industrie vom 18.7.1987 sind "Lohn- oder Vergütungsgruppen" im Sinne von § 6 Abs 4 ArbPlSchG.

 

Normenkette

TVG § 1; ArbPlSchG § 6

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.09.1993; Aktenzeichen 4 Sa 1145/93)

ArbG Celle (Entscheidung vom 18.05.1993; Aktenzeichen 1 Ca 112/93)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, wie sich die Zeit des vom Kläger abgeleisteten Grundwehrdienstes auf dessen tariflichen Entgeltanspruch nach dem Bundesentgelttarifvertrag für die chemische Industrie vom 18. Juli 1987 in der Fassung vom 24. Juni 1992 (BETV) auswirkt.

Der Kläger ist seit dem 1. Juni 1985 bei der Beklagten beschäftigt. Beide Parteien sind an die Tarifverträge der chemischen Industrie gebunden. Der Kläger wurde bei der Beklagten zum Drucker ausgebildet und nach erfolgreicher Ausbildung am 1. Juni 1988 in ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit übernommen. Er wurde in die Entgeltgruppe E 6 des BETV eingestuft.

Vom 1. Juli 1991 bis zum 30. Juni 1992 leistete der Kläger seinen Grundwehrdienst ab. Die Parteien streiten darum, nach welcher Entgeltstufe der Entgeltgruppe E 6 des BETV der Kläger in der Zeit von August 1992 bis Februar 1993 zu entlohnen ist.

In § 9 BETV in der ab dem 1. August 1992 geltenden Fassung heißt es:

"Entgeltgarantieregelung

1. Für die Entgeltgruppen E 5 bis E 8 muß die

Entgeltgestaltung in den Betrieben einschließ-

lich etwaiger Leistungsvergütungen im Monats-

durchschnitt eine über das Tarifentgelt hin-

ausgehende zusätzliche Bezahlung nach Maßgabe

der Ziffer 2 sicherstellen (tarifliche

Entgeltgarantie).

Tarifliche Zulagen und Zuschläge bleiben bei

dieser Berechnung außer Betracht.

2. Die Entgeltgarantie beträgt je Monat:

...

in der Entgeltgruppe 6

nach 2 Jahren Tätigkeit in dieser Gruppe 6 %

des Tarifentgelts

nach 4 Jahren Tätigkeit in dieser Gruppe 11 %

des Tarifentgelts

nach 6 Jahren Tätigkeit in dieser Gruppe

16 % des Tarifentgelts

..."

Im Streitzeitraum zahlte die Beklagte an den Kläger eine Entgeltgarantie nach der ersten Entgeltstufe der Entgeltgruppe E 6 in Höhe von 6 % des Tarifentgelts. Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe eine Entgeltgarantie nach der zweiten Entgeltstufe zu, weil sein Grundwehrdienst bei der geforderten Tätigkeitszeit mitzuberücksichtigen sei.

Mit Schreiben vom 2. März 1993 verlangte er zunächst erfolglos die Entgeltdifferenzen zur zweiten Entgeltstufe in Höhe von 0,93 DM je Arbeitsstunde für die Zeit von August bis Dezember 1992. Mit einem der Beklagten am 13. April 1993 zugestellten Schriftsatz erweiterte er seine Forderung auf die Differenz für die Monate Januar und Februar 1993.

Der Kläger hat den Standpunkt vertreten, seine Wehrdienstzeit sei im Sinne von § 9 BETV als Zeit der Tätigkeit in der Entgeltgruppe 6 mitzuberücksichtigen. Er habe die für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe E 6 erforderliche berufliche Ausbildung. Nach dem Schutzgedanken des § 6 ArbPlSchG sei er für die Zeit seines Wehrdienstes so zu stellen, als wäre er tatsächlich beruflich tätig gewesen. Die Beklagte müsse deshalb über die gezahlten Tarifentgelte hinaus den - rechnerisch unstreitigen - Differenzbetrag von 1.132,00 DM brutto an ihn zahlen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.132,08 DM

brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf den sich

aus 827,04 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit

dem 26. Februar 1993 und aus weiteren 305,04 DM

brutto seit dem 13. April 1993.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Steigerungsvoraussetzung "Jahre in der Gruppe" sei durch den Bundesentgelttarifvertrag erstmals bundeseinheitlich eingeführt worden und in den meisten Tarifbezirken an die Stelle von Lebensalters- oder Berufsjahrestaffeln getreten. Das System der "Jahre in der Gruppe" berücksichtige die in der jeweiligen Gruppe erworbene Routine als Maßstab für die Steigerung des Tarifentgeltes und entspreche so auch dem bisherigen Tarifaufbau in Niedersachsen. Im übrigen sei ein Großteil der Forderung nach § 17 des Manteltarifvertrages für die chemische Industrie verfallen, der eine dreimonatige Verfallfrist vorsieht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil abgeändert und dem Klageantrag entsprochen. Mit der Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf das zusätzliche tarifliche Entgelt nach § 9 BETV. Er kann aber in entsprechender Anwendung von § 6 Abs. 4 ArbPlSchG eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages verlangen. Ein Teilbetrag hiervon in Höhe von 500,99 DM brutto ist allerdings verfallen. Insoweit muß die klageabweisende Entscheidung erster Instanz wiederhergestellt werden.

I. Der Kläger kann nicht verlangen, daß die Zeit seines Grundwehrdienstes als Jahr der Tätigkeit in der Entgeltgruppe 6 berücksichtigt wird. Er hat deshalb keinen Anspruch darauf, vom 1. August 1992 an nach der zweiten Entgeltstufe der Entgeltgruppe 6 bezahlt zu werden.

1. Ein Anspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Tarifvertrag.

a) Obwohl § 9 BETV nur von einer Entgeltgarantie spricht, wird mit den Entgeltstufen nicht nur eine Entgeltsicherung eingeführt. § 9 BETV begründet einen Anspruch auf ein zusätzliches tarifliches Entgelt. Bisher gezahlte übertarifliche Leistungen können zwar mit den Entgeltgarantieansprüchen verrechnet werden. Deshalb handelt es sich bei § 9 BETV aber nicht um eine Effektivklausel, mit der der übertarifliche Bereich tarifiert würde (vgl. MünchArbR/Löwisch, § 252 Rz 59, m.w.N.). Der Anspruch aus der Entgeltgarantieregelung besteht zusätzlich zum tariflichen Grundlohn unabhängig davon, ob der Arbeitgeber bisher übertarifliche Leistungen erbracht hat (Förster/Hausmann, WSI-Mitteilungen 1993, 782, 785; Bundesarbeitgeberverband Chemie, Erläuterungen zum Bundesentgelttarifvertrag für die chemische Industrie vom 18. Juli 1987, Erl. zu § 9 ÄS. 38Ü; IG Chemie, Papier, Keramik, Bundesentgelttarifvertrag mit Kommentar, § 9, Erl. zu Ziff. 1).

b) Der Kläger ist seit dem 1. Juni 1988 zutreffend in die Entgeltgruppe 6 des BETV eingruppiert. Hiervon sind die Parteien und die Vorinstanzen zu Recht ausgegangen. Der Kläger hatte zuvor die Ausbildung zum Drucker erfolgreich absolviert und arbeitet seither in seinem erlernten Beruf für die Beklagte (vgl. § 8 E 6 BETV).

c) Der Kläger erfüllt aber noch nicht die tariflichen Voraussetzungen für eine Entgeltgarantie nach der zweiten Entgeltstufe der Entgeltgruppe E 6. Es fehlt die tariflich vorausgesetzte Tätigkeit. Am 1. August 1992 hatte der Kläger noch nicht vier Jahre Tätigkeit in dieser Gruppe zurückgelegt. § 9 BETV verlangt eine tatsächliche berufliche Tätigkeit, nicht lediglich den Ablauf bestimmter Zeiten seit Berufs- oder Tätigkeitsbeginn. Der Kläger war am 1. August 1992 erst drei Jahre und zwei Monate als Drucker tätig. Während der Zeit seines Grundwehrdienstes setzte er mit dieser Tätigkeit aus. Sein Arbeitsverhältnis ruhte. Diese Zeit des Ruhens ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Tarifvertrages nicht zu berücksichtigen.

2. Ein tarifvertraglicher Anspruch ergibt sich auch nicht im Zusammenhang mit § 6 ArbPlSchG. Die Zeit des Grundwehrdienstes ist bei der Ermittlung der Entgeltstufen des § 9 BETV nicht zu berücksichtigen.

a) § 6 Abs. 1 ArbPlSchG verlangt nur, daß dem Arbeitnehmer aus seiner Abwesenheit, die durch den Wehrdienst veranlaßt war, in beruflicher und betrieblicher Hinsicht kein Nachteil entsteht, wenn er seine Tätigkeit im Anschluß an den Grundwehrdienst wieder aufnimmt. Der Arbeitnehmer muß so behandelt werden, als hätte er den Grundwehrdienst nicht abgeleistet. § 6 Abs. 1 ArbPlSchG ordnet nicht an, daß eine Zeit tatsächlicher Tätigkeit im Betrieb, wie sie § 9 BETV verlangt, als während des Grundwehrdienstes zurückgelegt gilt.

b) Auch § 6 Abs. 2 ArbPlSchG führt nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Diese Vorschrift, die das Benachteiligungsverbot des § 6 Abs. 1 konkretisiert, schreibt nur die Anrechnung von Zeiten der Berufs- oder Betriebszugehörigkeit vor. Nur dort, wo Rechtsfolgen von der Berufs- oder Betriebszugehörigkeit abhängen, muß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, der seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat, so behandeln, als hätte der Arbeitnehmer auch während dieser Zeit dem Beruf und dem Betrieb angehört. Verlangt die Anspruchsnorm mehr als die bloße Berufs- oder Betriebszugehörigkeit, können die Anspruchsvoraussetzungen auch mit Hilfe von § 6 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG nicht erfüllt werden.

So verhält es sich im vorliegenden Fall. § 9 Abs. 2 BETV fordert für den Aufstieg innerhalb der Entgeltstufen nicht nur bestimmte Zeiten der Berufs- oder Betriebszugehörigkeit. Erforderlich ist weiter, daß der Arbeitnehmer in den betreffenden Zeiträumen tatsächlich tätig war, und zwar in der durch die Merkmale der betreffenden Entgeltgruppe näher bestimmten qualifizierten Art und Weise (ebenso für eine im wesentlichen wortgleiche Tarifnorm BAG Urteil vom 10. September 1980 - 4 AZR 719/78 - AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 1. Juni 1988 - 4 AZR 30/88 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität).

Der Kläger beruft sich demgegenüber zu Unrecht auf das Urteil des Vierten Senats vom 23. Mai 1984 (- 4 AZR 287/82 - AP Nr. 1 zu § 16 a ArbPlSchG). Diese Entscheidung betrifft einen Tarifvertrag des Tischlerhandwerks, demzufolge die Lohnhöhe für Facharbeiter nach dem ersten, zweiten und dritten "Gesellenjahr" gestuft war. Hierzu hat der Vierte Senat entschieden, der Begriff Gesellenjahr werde berufsbezogen verwendet. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag sei davon auszugehen, daß mit diesem Begriff die Zugehörigkeit zum Beruf des Facharbeiters nach Ablegung der Gesellenprüfung gemeint sei. Dies ergebe auch einen vernünftigen Sinn. Länger andauernde Berufszugehörigkeit bringe im allgemeinen eine größere Erfahrung mit sich, die eine höhere Vergütung rechtfertige. Der Vierte Senat hat zugleich deutlich gemacht, daß er dann anders entschieden hätte, wenn sich aus dem Tarifvertrag irgendwelche Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, daß die Eingruppierung nach Gesellenjahren eine qualifizierte Tätigkeit in einer bestimmten Beschäftigungsgruppe voraussetzt. Damit hat der Vierte Senat lediglich klargestellt, daß die Berufszugehörigkeit regelmäßig erst mit dem erfolgreichen Abschluß der Berufsausbildung beginnt. Wird die Folgezeit nicht näher als lediglich mit einer bestimmten Zahl von Gesellenjahren definiert, handelt es sich bei ihr nur um eine Zeit der Berufszugehörigkeit im Sinne von § 6 Abs. 2 ArbPlSchG.

Grundsätzlich anders ist es bei dem anspruchsbegründenden Merkmal der "Jahre der Tätigkeit in der Entgeltgruppe". Hiermit wird nicht allgemein eine bestimmte Berufsausbildung und eine daran anschließende Beschäftigungszeit gefordert. Für das Erreichen der nächsthöheren Entgeltstufe verlangt § 9 Abs. 2 BETV, daß die Beschäftigungszeit in der tariflich näher bestimmten Qualifikationsstufe zurückgelegt wurde. § 6 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG ist damit auf die Entgeltregelung des § 9 Abs. 2 BETV nicht anwendbar.

Auch im besonderen Fall des Klägers gilt nichts anderes. Zwar war für dessen konkrete Einstufung in die Entgeltgruppe 6 nicht mehr erforderlich als die erfolgreich absolvierte Berufsausbildung. Dies erlaubt jedoch keine ausnahmsweise Übertragung der Grundsätze des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Mai 1984 (aaO) auch auf den Regelungsbereich des BETV. § 9 Abs. 2 BETV verlangt für alle dort angesprochenen Arbeitnehmer bestimmte Zeiten der Tätigkeit in einer näher bestimmten Qualifikationsstufe. Er knüpft damit nicht mittelbar allein an die Zeit der Berufszugehörigkeit an. Es kann zufällig aufgrund eines einzelnen Tätigkeitsmerkmales so sein, daß die Qualifikationsstufe allein mit Hilfe einer erfolgreichen Berufsausbildung und einer dementsprechenden Tätigkeit erreicht wird. Dies ändert aber nichts daran, daß Grundlage für die Einstufung nicht die Zugehörigkeit zum Beruf, sondern die Erfüllung eines bestimmten konkreten Tätigkeitsmerkmals ist. Auf dieses Anspruchsmerkmal findet § 6 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG keine Anwendung.

c) § 6 Abs. 2 Satz 2 ArbPlSchG kann dem Kläger nicht weiterhelfen. Diese Vorschrift gilt nur für Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnisse die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst Anwendung finden.

d) Der Kläger hat damit keinen Anspruch aus dem BETV in Verbindung mit § 6 Abs. 1 und 2 ArbPlSchG.

II. Die Klage ist gleichwohl dem Grunde nach erfolgreich. Der Kläger hat gegen die Beklagte für die Zeit ab dem 1. August 1992 einen Anspruch auf eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen seinem tariflichen Arbeitsentgeltanspruch und dem Anspruch, der ihm bei der Einstufung in die zweite Entgeltstufe zustehen würde. Dieser Anspruch folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 BETV.

1. Der Anspruch wird von dem Klageziel erfaßt. Der Kläger macht einen bezifferten Zahlungsanspruch geltend, den er auf der Grundlage einer vierjährigen Tätigkeit in der Entgeltgruppe 6 berechnet. Dieses Ziel ist über eine Einstufung nach § 9 Abs. 2 BETV, aber auch über einen Zulagenanspruch nach § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG zu erreichen.

2. § 6 Abs. 4 ArbPlSchG findet allerdings keine unmittelbare Anwendung.

a) Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut dann anwendbar, wenn die Einstufung in eine höhere Vergütungsgruppe davon abhängig ist, daß eine bestimmte Bewährungszeit zurückgelegt wurde. Das Gesetz greift hier auf den im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes entwickelten Begriff der Bewährungszeit zurück, der inzwischen auch in Entgelttarifverträgen der Privatwirtschaft verwendet wird. Als Bewährungszeiten gelten Beschäftigungszeiten, in denen der Arbeitnehmer sich den Anforderungen gewachsen gezeigt hat, die in der ihm übertragenen Tätigkeit aufgetreten sind (vgl. § 23 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BAT). Für hieran anknüpfende Entgeltregelungen ordnet § 6 Abs. 4 Satz 1 ArbPlSchG zwar an, daß die Zeit des Grundwehrdienstes nicht auf die Bewährungszeit anzurechnen ist. Wurde die Höhergruppierung im Wege des Bewährungsaufstiegs aber durch den Grundwehrdienst verzögert, erhält der Arbeitnehmer für die Zeit, um die sich die Höhergruppierung verzögert hat, eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages. Er wird also wirtschaftlich so gestellt, als habe er während des Grundwehrdienstes Bewährungszeit durchlaufen.

b) Im Unterschied dazu verlangt § 9 Abs. 2 BETV nicht, daß Bewährungszeiten vor einer Höhergruppierung zurückgelegt werden müssen. Es geht zwar auch hier um die Einstufung in eine höhere Vergütungsgruppe. Der Begriff Vergütungsgruppe ist im Arbeitsplatzschutzgesetz nach Sinn und Zweck umfassend zu verstehen. Mit dem Begriff sind alle auf ein Arbeitsverhältnis einwirkenden Bestimmungen angesprochen, die Entgeltansprüche unterschiedlicher Höhe in einem gestuften System von der Erfüllung bestimmter Merkmale abhängig machen. Hierzu gehören nicht nur Entgeltgruppen, sondern auch Entgeltstufen innerhalb einer Entgeltgruppe, wie sie § 9 Abs. 2 BETV vorsieht.

§ 9 Abs. 2 BETV setzt aber für einen Aufstieg innerhalb der Entgeltstufen nicht bestimmte Zeiten der Bewährung voraus. Es kommt nicht darauf an, welche Leistungen der Arbeitnehmer erbracht hat. Die Bestimmung verlangt lediglich Tätigkeitszeiten in einer genau bezeichneten Qualifikationsstufe. Sie regelt damit einen Fall des bloßen Zeitaufstiegs, mit dem sich § 6 Abs. 4 ArbPlSchG nach seinem Wortlaut nicht befaßt.

3. § 6 Abs. 4 ArbPlSchG findet auf Entgeltregelungen, die einen Zeitaufstieg vorsehen, entsprechende Anwendung.

a) § 6 ArbPlSchG enthält nach dem erkennbaren Regelungsplan des Gesetzgebers, was die Behandlung des Zeitaufstiegs angeht, eine Lücke (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 372). Arbeitnehmer sollen im Arbeitsverhältnis jedenfalls keine wirtschaftlichen Nachteile daraus erleiden, daß sie mit dem Grundwehrdienst ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllt haben und deshalb die Berufstätigkeit unterbrechen mußten. Dabei regeln § 6 Abs. 2 und § 6 Abs. 4 ArbPlSchG Randbereiche möglicher Auswirkungen, die sich daraus ergeben können, daß der Grundwehrdienst während des Arbeitsverhältnisses abgeleistet wurde. Innerhalb des hierdurch umschriebenen Regelungsbereichs liegt die Problematik des Zeitaufstiegs.

§ 6 Abs. 2 ArbPlSchG bestimmt zunächst, daß der Grundwehrdienst einer Berufs- oder Betriebszugehörigkeit gleichgestellt werden muß. Diese Gleichsetzung ist bei arbeitsvertraglichen Regelungen, die Rechtsfolgen allein daran anknüpfen, daß Berufs- oder Betriebszugehörigkeitszeiten zurückgelegt wurden, nicht unangemessen. Werden Zeiten der Berufs- oder Betriebszugehörigkeit zurückgelegt, hat dies jedenfalls nicht ohne weiteres die Folge, daß der Wert der Arbeitskraft des einzelnen Arbeitnehmers steigt. Dazu kann es zwar kommen. Insbesondere bei einem Einsatz auf Arbeitsplätzen mit unterschiedlichen Anforderungen und Wertigkeiten kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß zuvor geleistete Arbeiten die Qualität der jetzigen Aufgabenerfüllung beeinflussen. Es verhält sich anders, wenn Ansprüche davon abhängen, daß Bewährungszeiten zurückgelegt wurden. Der Arbeitnehmer muß sich hier in Tätigkeiten einer bestimmten Qualifikationsstufe bewährt haben. Darauf aufbauende Ansprüche belohnen tendenziell die mit dem Erwerb von Erfahrungswissen regelmäßig einhergehende Steigerung des Arbeitswertes. Es widerspräche diesem Regelungsziel, sähe das Gesetz vor, Zeiten des Grundwehrdienstes auch auf Bewährungszeiten anzurechnen. Dem trägt der Gesetzgeber in Satz 1 des im Jahre 1967 neu eingefügten § 6 Abs. 4 ArbPlSchG Rechnung. Im Hinblick darauf, daß der Arbeitnehmer den Grundwehrdienst im Interesse des Gemeinwohls abgeleistet hat, ordnet § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG dann aber an, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wirtschaftlich ebenso stellen soll, als hätte er während des Grundwehrdienstes die Bewährungszeit erfolgreich zurückgelegt.

Die Regelungen in § 6 Abs. 2 und § 6 Abs. 4 ArbPlSchG lassen den Willen des Gesetzgebers erkennen, die Belange der Arbeitnehmer, die während des Arbeitsverhältnisses ihren Grundwehrdienst abgeleistet haben, möglichst umfassend zu regeln. Solche Arbeitnehmer sollen im Arbeitsverhältnis zumindest wirtschaftlich so gestellt werden, als hätten sie während des Grundwehrdienstes in gleicher Weise und mit gleichem Erfolg wie während des vollzogenen Arbeitsverhältnisses gearbeitet. Das Gesamtkonzept kommt auch in der amtlichen Begründung zum Ausdruck, die im Jahre 1967 für die Ergänzung des Arbeitsplatzschutzgesetzes um § 6 Abs. 4 ArbPlSchG gegeben wurde (BT-Drucks. V/1397, S. 5 f.). Dort heißt es unter I. von der bis dahin geltenden Rechtslage ausgehend u. a.:

"Nicht ausdrücklich geregelt ist, ob der Wehr-

dienst auf die Zeit anzurechnen ist, in der der

Arbeitnehmer - nach der eigentlichen Ausbildung

für den Beruf - Berufserfahrungen sammeln soll,

um die Befähigung für eine höherwertige Tätigkeit

zu erlangen. Bisher wurde die Wehrdienstzeit auf

solche Zeiten nicht angerechnet. Die Nichtanrech-

nung des Wehrdienstes hat verschiedentlich zu

Härten geführt, so vor allem in den Fällen, in

denen Arbeitnehmer eine im Beruf weiterführende

Prüfung - z. B. die Meisterprüfung im Handwerk -

ablegen wollen und hierzu eine mehrjährige Be-

rufstätigkeit nachweisen müssen.

Ebenso wirkt sich für die Arbeitnehmer nachteilig

aus, daß der Wehrdienst nicht auf solche Bewäh-

rungszeiten angerechnet wird, die zur Einstufung

in eine höhere Lohn- oder Vergütungsgruppe erfor-

derlich sind.

Ähnliche Nachteile erlangen die jungen Beam-

ten ...

Diese Härten sollen durch den vorliegenden Ent-

wurf eines Änderungsgesetzes weitgehend beseitigt

werden."

Gemessen am Konzept des Gesetzgebers enthält § 6 ArbPlSchG eine Lücke. Der Fall des Zeitaufstiegs wird nicht behandelt, obwohl er innerhalb des gesetzlichen Regelungsbereiches liegt, der auf der einen Seite durch die Behandlung der Berufs- und Betriebszugehörigkeit und auf der anderen Seite durch die Regelung der Bewährungszeiten gebildet wird. Ausgehend vom Regelungszweck ist der Zeitaufstieg gegenüber dem Bewährungsaufstieg ein Weniger. Seine Voraussetzungen, die Tätigkeit in der Qualifikationsstufe während eines bestimmten Zeitraumes, muß zunächst erfüllt sein, bevor die weitere Voraussetzung des Bewährungsaufstiegs, die Bewährung des Arbeitnehmers in dieser Zeit, festzustellen ist (vgl. für den Bereich des BAT: Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Februar 1994, § 23 a Erl. 4; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann, BAT, Stand 1. Januar 1994, § 23 a Erl. 2; Böhm/Spiertz/Steinherr/Sponer, BAT, Stand Mai 1994, § 23 a Erl. 12). Wenn angesichts dessen ein Arbeitnehmer, der seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat, sogar dann, wenn Bewährungszeiten gefordert werden, wirtschaftlich so zu behandeln ist, als hätte er solche Zeiten auch während des Grundwehrdienstes zurückgelegt, muß dies erst recht für Rechtsfolgen gelten, für die nur ein Zeitaufstieg verlangt wird.

b) Die Regelungslücke in § 6 ArbPlSchG ist durch eine entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 2 und nicht des § 6 Abs. 2 ArbPlSchG zu schließen. Der Fall des Zeitaufstiegs liegt näher an dem des Bewährungsaufstiegs als an den Regelungen, die an die Berufs- oder Betriebszugehörigkeit anknüpfen. Sieht eine Entgeltregelung einen Zeitaufstieg vor, so soll damit regelmäßig der durch den Erwerb von Erfahrungswissen gesteigerte Arbeitswert entgolten werden (so für § 9 Abs. 2 BETV: Erläuterungen des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie zum Bundesentgelttarifvertrag, S. 42).

c) Der entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 4 ArbPlSchG steht nicht entgegen, daß der Kläger nicht im öffentlichen Dienst tätig ist. § 6 Abs. 4 ArbPlSchG ist keine Vorschrift, die nur für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst gilt. Sie kann auch in der Privatwirtschaft entsprechend angewendet werden. Auch Tarifverträge in der Privatwirtschaft kennen Regelungen über den Bewährungsaufstieg. Der Gesetzgeber hat nicht zum Ausdruck gebracht, daß § 6 Abs. 4 ArbPlSchG nur für die Fälle eines Bewährungsaufstiegs gelten soll, die sich im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes finden. Dies wäre bei einem entsprechenden Regelungswillen zu erwarten gewesen, zumal der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 ArbPlSchG den Sonderbereich des öffentlichen Dienstes ausdrücklich angesprochen hat. Daß es in § 6 ArbPlSchG insgesamt nicht um eine Sonderregelung für den öffentlichen Dienst geht, zeigt auch die Gesetzesgeschichte. Ursprünglich galt Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift nur für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Diese Einschränkung ist zusammen mit der Neuregelung des § 6 Abs. 4 ArbPlSchG im Jahre 1967 weggefallen. Seither wird in § 6 Abs. 2 Satz 2 ArbPlSchG nur noch auf die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst Bezug genommen. Wer diese Tarifverträge anwendet, ist nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers unerheblich (BT-Drucks. V/1397, Begründung II Nr. 4 a).

d) Dem Anspruch des Klägers steht nicht entgegen, daß die Tarifvertragsparteien einem Arbeitnehmer wie dem Kläger den der zweiten Entgeltstufe entsprechenden höheren Lohn erst nach vierjähriger tatsächlicher Tätigkeit in der Entgeltgruppe 6 zuerkennen wollten. § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG ist zwingendes Recht. Die Vorschrift steht nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Das Gesetz enthält keine Tariföffnungsklausel. Der übergeordneten Wertungen folgende soziale Schutzzweck des § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG schließt es auch aus, hier von einer stillschweigenden Ermächtigung an die Tarifvertragsparteien auszugehen, abweichende Regelungen zu schaffen. Nach seinem Regelungsziel hat § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG im Gegenteil gerade die Aufgabe, einem Arbeitnehmer nach abgeleistetem Grundwehrdienst wegen dieses Opfers für die Gemeinschaft einen Entgeltvorteil zuzuwenden, der ihm nach dem Willen der Tarifvertragsparteien noch nicht zustehen sollte.

e) Die entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG auf Fälle des Zeitaufstieges steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts. In seinem Urteil vom 1. Juni 1988 (- 4 AZR 30/88 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität) hat sich der Vierte Senat mit dieser rechtlichen Möglichkeit nicht befaßt. In einem späteren Urteil vom 30. Januar 1991 (- 4 AZR 324/90 -, n.v.) hat er die Vorschrift wie der erkennende Senat auf eine ähnliche Fallgestaltung entsprechend angewendet.

III. Ein Teil des Anspruchs ist verfallen.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Zulagen in der Höhe erworben, die sich bei einer vorzeitigen Einstufung in die zweite Entgeltstufe der Entgeltgruppe 6 ergäbe. Dies macht, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, rechnerisch einen Betrag von 1.132,08 DM aus. Der Anspruch auf die Zulagen unterliegt jedoch den Verfallfristen des kraft beiderseitiger Tarifbindung geltenden Manteltarifvertrages für die chemische Industrie (MTV). Nach § 17 Abs. 2 MTV müssen die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Geltendmachung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind alle Ansprüche auf eine Zulage bis einschließlich Oktober 1992 in Höhe eines Teilbetrages von 500,99 DM erloschen.

Der Kläger hat erstmals mit Schreiben vom 2. März 1993 gegenüber der Beklagten eine höhere Bezahlung wegen des absolvierten Grundwehrdienstes verlangt. Zwischen den Parteien steht fest, daß die monatlichen Abrechnungen am 15. des jeweiligen Folgemonats erfolgt sind. Damit hat der Kläger nur die Restlohnansprüche in Höhe von 631,09 DM, die seit dem Abrechnungsmonat November 1992 angelaufen sind, rechtzeitig geltend gemacht. Hinsichtlich dieses Teilbetrages schuldet die Beklagte die geltend gemachte Verzinsung nach §§ 288, 291 ZPO.

Dr. Heither Griebeling Bepler

Furchtbar Martschin

 

Fundstellen

BAGE 00, 00

BAGE, 154

BB 1994, 2148

DB 1995, 1336-1337 (LT1-2)

AiB 1994, 767 (ST1)

BetrR 1994, 150-151 (LT1-2)

ARST 1995, 65-69 (LT1-2)

NZA 1995, 433

NZA 1995, 433-436 (LT1-2)

SAE 1995, 110-114 (LT1-2)

ZAP, EN-Nr 333/95 (L)

ZAP, EN-Nr 961/94 (S)

AP § 6 ArbPlatzSchutzG (LT1-2), Nr 6

AR-Blattei, ES 1800 Nr 24 (LT1-2)

EzA § 6 ArbPlSchG, Nr 3 (LT1-2)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge