Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Kündigung aus Anlaß der Erkrankung innerhalb der Wartezeit des § 3 Abs 3 EntgFG

 

Orientierungssatz

Parallelentscheidung ohne Langtextwiedergabe zum Urteil des BAG vom 26.5.1999, 5 AZR 476/98, das vollständig dokumentiert ist.

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Januar 1998 - 11 Sa

1740/97 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des

Arbeitsgerichts Nienburg vom 24. Juli 1997 - 2 Ca 500/97 -

insgesamt abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu

gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.558,53 DM

nebst 4 % Zinsen seit dem 18. April 1997 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist.

Die Klägerin klagt aus übergegangenem Recht. Bei ihr war Herr R F als Arbeitnehmer der Beklagten für den Fall der Krankheit gesetzlich versichert. Herr F wurde von der Beklagten am 4. November 1996 als Schlosser eingestellt. Am 7. November 1996 wurde er arbeitsunfähig krank. Am gleichen Tag wurde das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und Herrn F beendet - ob einvernehmlich auf dessen Wunsch oder einseitig durch Kündigung der Beklagten ist zwischen den Parteien streitig.

Die Arbeitsunfähigkeit von Herrn F dauerte an bis zum 1. März 1997. Für die Zeit vom 2. Dezember 1996 bis zum 12. Januar 1997 leistete die Klägerin an Herrn F Krankengeld in Höhe von insgesamt 3.558,53 DM.

Mit ihrer Klage verlangt sie von der Beklagten die Erstattung dieses Betrages. Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis mit Herrn F aus Anlaß von dessen Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Sie hat die Auffassung vertreten, daraus folge, daß die Beklagte nach Ablauf der vierwöchigen Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG zur Entgeltfortzahlung für die folgenden sechs Wochen verpflichtet sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.558,53 DM nebst 4 % Zinsen

seit dem 18. April 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, von einer Arbeitsunfähigkeit des Herrn F erst erfahren zu haben, nachdem im Verlauf eines Gesprächs mit diesem am Morgen des 7. November 1996 das Arbeitsverhältnis wegen "unterschiedlicher Vorstellungen von Arbeitsmoral" einvernehmlich beendet worden sei. Im übrigen hat sie die Ansicht vertreten, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei jedenfalls deshalb nicht entstanden, weil das Arbeitsverhältnis von Herrn F weniger als 4 Wochen bestanden habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr für die Zeit vom 2. bis zum 19. Dezember 1996 in Höhe von 1.519,97 DM nebst Zinsen stattgegeben. Vom 7. November 1996 an gerechnet war Herr F am Ende dieses Zeitraums insgesamt sechs Wochen arbeitsunfähig.

Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht die Klageforderung in vollem Umfang zu. Das Landesarbeitsgericht hat einen Entgeltfortzahlungsanspruch zu Unrecht auf die Zeit bis zum Ablauf der sechsten Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Herrn F begrenzt. Der Anspruch besteht stattdessen bis zum Ablauf von sechs Wochen nach dem Ende der Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZG. Die Klägerin ist Anspruchsinhaberin gemäß § 115 SGB X.

I. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein wegen Krankheit arbeitsunfähiger Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Gemäß § 3 Abs. 3 EFZG entsteht dieser Anspruch, wenn das Arbeitsverhältnis vier Wochen ununterbrochen bestanden hat. Wird das Arbeitsverhältnis eines erkrankten Arbeitnehmers vor Ablauf der vierwöchigen Wartefrist wieder beendet, ist die Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für die Zeit, in der das Arbeitsverhältnis bestanden hat, ausgeschlossen.

II. Die Klägerin macht Ansprüche für die Zeit vom 2. Dezember 1996 bis zum 12. Januar 1997 geltend. Sie macht damit Ansprüche für eine Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihres Versicherten geltend. Unstreitig ist das Arbeitsverhältnis am 7. November 1996 beendet worden; die Parteien streiten nur darüber, ob einvernehmlich oder einseitig durch Kündigung der Beklagten. Auch eine Kündigung wäre wirksam: Das Kündigungsschutzgesetz findet keine Anwendung (§ 1 Abs. 1 KSchG).

III. Für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses ist ein Entgeltfortzahlungsanspruch auch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht gegeben. Etwas anderes gilt nur unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Nach dieser Vorschrift wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts "nicht dadurch berührt", daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Die Regelung soll verhindern, daß sich der Arbeitgeber zu Lasten der Sozialversicherung der gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflicht entzieht. Zugleich soll sie den Arbeitnehmer davor bewahren, noch während der Erkrankung einen anderen Arbeitsplatz suchen zu müssen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Aufl., § 98 IV 2; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, Entgeltfortzahlungsgesetz, 4. Aufl., § 8 Rz 4). Zudem wäre es widersprüchlich, wenn dem erkrankten Arbeitnehmer zwar der Schutz des Entgeltfortzahlungsgesetzes eingeräumt würde, es dem Arbeitgeber aber möglich wäre, ihm diesen Schutz durch eine wegen der Erkrankung ausgesprochene Kündigung wieder zu entziehen (BAG 22. Dezember 1971 - 1 AZR 180/71 - AP Nr. 2 zu § 6 LFZG; Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz, 3. Aufl., § 8 Rz 3).

IV. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG liegen im Streitfall vor.

1. Das Landesarbeitsgericht ist nach Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, daß die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Herrn F gekündigt und dabei Kenntnis von dessen Arbeitsunfähigkeit gehabt habe. Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Beklagte mit einer Verfahrensrüge nicht entgegengetreten. Sie sind für das Revisionsgericht darum bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aus seinen Feststellungen im Wege des Beweises des ersten Anscheins geschlossen, die Kündigung sei aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit von Herrn F erfolgt. Dem ersten Anschein nach spricht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und Kündigung für das Vorliegen eines entsprechenden Anlasses, wenn dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bei Kündigungsausspruch bekannt war (BAG 20. August 1980 - 5 AZR 218/78 - AP LohnFG § 6 Nr. 11). Dies war hier der Fall. Den sich daraus ergebenden Anschein hat die Beklagte nicht entkräftet.

2. Aufgrund der Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis bereits zu einem Zeitpunkt geendet, zu dem die Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZG noch nicht abgelaufen war. Fraglich ist, ob dieser Umstand den Eintritt der Rechtsfolge des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG und die Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für die Zeit nach Ablauf der Wartefrist hindert. Die Frage ist mit dem Landesarbeitsgericht zu verneinen.

a) Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht dadurch berührt, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Die Vorschrift, die wörtlich dem früheren § 6 Abs. 1 Satz 1 LFZG entspricht, ist durch das Gesetz vom 25. September 1996 nicht geändert worden. Ihrem Wortlaut läßt sich nicht eindeutig entnehmen, wie sich der neu eingefügte § 3 Abs. 3 EFZG auf ihre Rechtsfolgen auswirkt, wenn die durch Krankheit veranlaßte Kündigung innerhalb der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen wurde. Bis zum Inkrafttreten des § 3 Abs. 3 EFZG am 1. Oktober 1996 war bei Ausspruch einer durch Krankheit veranlaßten Kündigung der Entgeltfortzahlungsanspruch als solcher regelmäßig schon entstanden. Nach der Einfügung des § 3 Abs. 3 EFZG ist dies bei einer krankheitsveranlaßten Kündigung in den ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses nicht mehr der Fall; der Anspruch entsteht erst nach Ablauf dieser Frist.

Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG läßt nunmehr zwei unterschiedliche Deutungen zu: Er kann einmal dahin verstanden werden, daß nur der schon "bestehende" Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch eine krankheitsveranlaßte Kündigung nicht berührt wird. Dem läge die Überlegung zugrunde, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung müsse bei Kündigungsausspruch bereits bestanden haben, weil nur ein bestehender Anspruch "berührt" oder "nicht berührt" werden könne.

Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG kann mit Blick auf § 3 Abs. 3 EFZG aber ebenso dahin verstanden werden, daß durch die betreffende Kündigung auch "die Entstehung" des Anspruchs auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht berührt wird. Diese Auslegung verdient den Vorzug.

b) Für eine solche Auslegung von § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG sprechen zunächst systematische Gesichtspunkte. "Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts" im Sinne dieser Vorschrift ist gleichbedeutend mit dem "Anspruch auf Entgeltfortzahlung" gem. § 3 Abs. 1 EFZG. Die Voraussetzungen und der Inhalt des Anspruchs sind außer in § 3 Abs. 1 EFZG auch in Abs. 2 und 3 der Vorschrift geregelt, seine Höhe ergibt sich aus § 4 EFZG. "Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung" wird folglich durch mehrere Regelungen im einzelnen ausgestaltet. Für den so geregelten Anspruch ordnet § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG an, er werde durch eine krankheitsveranlaßte Kündigung nicht berührt. Unberührt bleibt damit auch die Möglichkeit seiner Entstehung, falls die bei Kündigungsausspruch vorliegende Arbeitsunfähigkeit länger als vier Wochen nach Beginn des Arbeitsverhältnisses andauert.

Dieses Ergebnis stimmt damit überein, daß § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG den Arbeitnehmer bezüglich des Entgeltfortzahlungsanspruchs so stellt, als wäre das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden. Die durch Krankheit veranlaßte Kündigung ist für den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers hinwegzudenken, das Arbeitsverhältnis wird insoweit als fortbestehend fingiert (Steckhan, GK-EFZR, § 6 LFZG, Rz 2). Das bedeutet für die Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG, daß sie trotz krankheitsveranlaßter Kündigung bei andauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vier Wochen nach Beginn des Arbeitsverhältnisses als erfüllt gilt. Das wiederum hat zur Folge, daß dem erkrankten Arbeitnehmer von diesem Zeitpunkt an, also nach Ablauf von vier Wochen seit Vertragsbeginn, dieselben Entgeltfortzahlungsansprüche zustehen, wie wenn das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden wäre.

c) Überdies sprechen Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG für eine Auslegung, nach der auch "die Entstehung" des Anspruchs auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts durch eine krankheitsveranlaßte Kündigung nicht berührt wird. Die Vorschrift soll verhindern, daß der Arbeitgeber sich durch die Kündigung seinen gesetzlichen Sozialverpflichtungen entzieht. Da § 8 EFZG durch das Gesetz vom 25. September 1996 keinerlei Änderung erfahren hat, ist davon auszugehen, daß auch das mit der Vorschrift bis dahin verfolgte gesetzgeberische Ziel durch die neu eingefügte Vorschrift des § 3 Abs. 3 EFZG nicht geändert oder eingeschränkt worden ist. Dieses Ziel aber würde verfehlt, falls eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des Vier-Wochen-Zeitraums einen Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers trotz fortdauernder Arbeitsunfähigkeit auch dann ausschlösse, wenn das Arbeitsverhältnis aus Anlaß der Krankheit gekündigt wurde. Es würde im Gegenteil, falls die Kündigungsfrist hinreichend kurz ist, ein Anreiz zum sofortigen Ausspruch einer Kündigung geschaffen.

Beruht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZG auf einer durch Krankheit veranlaßten Kündigung, steht sie der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht entgegen. Für die Klageforderung ist deshalb der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 3. März 1997 hinaus zu fingieren, so als wäre es nicht gekündigt worden.

V. Welche Folgen der Ablauf der vierwöchigen Wartezeit für den Entgeltfortzahlungsanspruch des schon zuvor erkrankten Arbeitnehmers hat, wenn das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt wird, ist streitig.

1. Nach einer Ansicht entsteht der Anspruch auch nach Ablauf der vierten Woche überhaupt nicht; § 3 Abs. 3 EFZG schließe einen Entgeltfortzahlungsanspruch für alle zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen aus, deren erster Tag innerhalb der Wartezeit liege (Sieg, BB 1996, Beilage 17, S. 18, 19).

Nach anderer Ansicht gilt § 3 Abs. 3 EFZG nur für solche Erkrankungen, die innerhalb der Wartezeit auch zu Ende gehen; dauerten sie über das Fristende hinaus an, entstehe der Entgeltfortzahlungsanspruch rückwirkend vom ersten Tag der Erkrankung an für die Zeit von insgesamt sechs Wochen (Buschmann, AuR 1996, 285, 290).

Ferner wird vertreten, durch § 3 Abs. 3 EFZG werde die Entstehung des Anspruchs in der Weise gehemmt, daß er nach Ablauf der vierwöchigen Wartezeit zwar entstehe, aber auf den Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 EFZG die Arbeitsunfähigkeitszeiten innerhalb der Wartezeit anzurechnen seien (Giesen, RdA 1997, 193, 194; Preis, NJW 1996, 3369, 3374). Dieser Ansicht hat sich auch das Landesarbeitsgericht angeschlossen.

Nach überwiegender Auffassung schließlich wird durch § 3 Abs. 3 EFZG die Entstehung des Anspruchs mit der Folge gehemmt, daß nach Ablauf der Wartezeit die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers gegebenenfalls für die volle Dauer weiterer sechs Wochen beginnt (ArbG Frankfurt, Urteil vom 3. August 1998, BB 1998, 1850; ErfK-Dörner, § 3 EntgeltfortzG, Rz 68; Schaub, aaO, Anhang II § 98 IX 3 c; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, aaO, § 3 EFZG, Rz 105 a; Schmitt, aaO, § 3 EFZG, Rz 141; Worzalla/Süllwald, Kommentar zur Entgeltfortzahlung, 2. Aufl., S. 104, Rz 90; Marienhagen/Künzl, Entgeltfortzahlungsgesetz, Stand Juni 1998, EFZG § 3 Rz 67 b; Vossen, Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen, S. 30, Rz 70; derselbe, NZA 1998, 354, 356; Wedde/Gerntke/Kunz/Platow, Entgeltfortzahlungsgesetz, 2. Aufl., § 3 Rz 126; Hanau, RdA 1997, 205, 207; Geyer/Knorr/ Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Stand Dezember 1998, EFZG § 3 Rz 172 c; Bauer/Lingemann, BB 1996, Beilage 17, S. 8, 9; Schwedes, BB 1996, Beilage 17, S. 2).

2. Der überwiegend vertretenen Auffassung ist zu folgen. Nach § 3 Abs. 3 EFZG entsteht nach vierwöchiger Dauer des Arbeitsverhältnisses "der Anspruch nach Abs. 1". Gemäß § 3 Abs. 1 EFZG ist dies " der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen".

a) Der Wortlaut von § 3 Abs. 3 EFZG gibt weder einen Anhaltspunkt dafür, daß der Anspruch nur für die Zeit einer solchen Arbeitsunfähigkeit entsteht, die erst nach Ablauf der Wartefrist eingesetzt hat, noch läßt sich aus ihm ableiten, der Anspruch entstehe rückwirkend bezogen auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Nach dem Wortlaut entsteht der Anspruch vielmehr auch für eine schon bestehende Arbeitsunfähigkeit, aber dies nur zukunftsgerichtet.

Der Gesetzeswortlaut spricht auch gegen die vom Landesarbeitsgericht vertretene Ansicht, die Anspruchsdauer sei bei einer über die Wartefrist andauernden Arbeitsunfähigkeit auf die Zeit von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt. Hätte der Gesetzgeber eine solche Regelung gewollt, hätte es nahegelegen, dies so wie im früheren § 1 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Lohnfortzahlungsgesetz klar auszudrücken. Nach dieser Vorschrift bestand ein Lohnfortzahlungsanspruch für solche Arbeiter nicht, deren Arbeitsverhältnis für höchstens vier Wochen begründet worden war. Wurde das Arbeitsverhältnis über vier Wochen hinaus fortgesetzt, so entstand der Anspruch vom Tag der Vereinbarung der Fortsetzung an. Sodann hieß es: "Vor diesem Zeitpunkt liegende Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sind auf die Anspruchsdauer von sechs Wochen anzurechnen". Dem Gesetzgeber des Jahres 1996 war die entsprechende Regelungstechnik daher geläufig. Gleichwohl hat er nur eine vierwöchige Wartefrist vorgesehen, ohne eine besondere Regelung über die Dauer des Anspruchs zu treffen. Daraus ist zu schließen, daß der Gesetzgeber eine zeitliche Begrenzung des mit Ablauf der Wartefrist entstehenden Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht beabsichtigt hat. Nach dem Wortlaut beträgt die anschließende Dauer des Anspruchs vielmehr volle sechs Wochen.

b) Die am Wortlaut orientierte Auslegung des § 3 Abs. 3 EFZG steht in Übereinstimmung mit dem gesetzgeberischen Ziel. Die Vorschrift wurde durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I, S. 1476) der bis dahin geltenden Regelung des § 3 EFZG angefügt. In der allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen (BT-Drucks. 13/4612) heißt es dazu, durch die Einführung einer vierwöchigen Wartezeit werde eine Kostenentlastung der Arbeitgeber erreicht. Zudem werde das Prinzip von Leistung und Gegenleistung stärker betont: Es erscheine unbillig, dem Arbeitgeber die Kosten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aufzubürden, wenn ein gerade erst eingestellter Arbeitnehmer krankheitsbedingt ausfalle. Der erkrankte Arbeitnehmer erhalte während der Wartezeit Krankengeld.

Beide Ziele, eine Kostenentlastung der Arbeitgeber und die Stärkung des Prinzips von Leistung und Gegenleistung, werden jedenfalls dann erreicht, wenn die Erkrankung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Wartezeit keine sechs Wochen andauert. Der Arbeitgeber hat dann - je nachdem, wann die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich begonnen und geendet hat - die Kosten entweder für den gesamten in die Wartezeit fallenden Zeitraum oder doch zumindest für die an weiteren vollen sechs Wochen fehlende Zeit erspart. Daß eine noch weitergehende Entlastung der Arbeitgeber gewollt gewesen sei, läßt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Dort werden die ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses als "Wartezeit" bezeichnet. Dieser Begriff ist u.a. aus dem Urlaubsrecht bekannt. Auch nach § 4 BUrlG wird der Urlaubsanspruch nach erfüllter Wartezeit in vollem Umfange erworben und nicht durch in die Wartezeit fallende Anteile gemindert. Hätte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 3 Abs. 3 EFZG für die Entgeltfortzahlung eine solche Minderung bezweckt, so wäre zu erwarten gewesen, daß dieses Ziel zumindest in der Gesetzesbegründung deutlich hervorgehoben worden und die ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses nicht lediglich als "Wartezeit" bezeichnet worden wären. Statt dessen heißt es auch in der Einzelbegründung zu § 3 Abs. 3 EFZG lediglich, daß nunmehr "der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Abs. 1 erst nach Ablauf einer Wartezeit von vier Wochen entsteht". Nach bisherigem Recht entstand dieser Anspruch - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - "mit dem Tag der vereinbarten Arbeitsaufnahme". Daß der Anspruchszeitraum bei einer Erkrankung innerhalb der Wartezeit um den Teil gekürzt werden sollte, der in diese Zeit fällt, läßt sich auch daraus nicht entnehmen.

§ 3 Abs. 3 EFZG ist deshalb dahin auszulegen, daß nach Ablauf der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses ein Entgeltfortzahlungsanspruch des schon in dieser Zeit erkrankten Arbeitnehmers ggf. bis zur Dauer weiterer sechs Wochen entsteht.

VI. Für den Streitfall bedeutet dies, daß Herr F trotz der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses innerhalb der bis zum 1. Dezember 1996 dauernden Wartezeit für die weiteren sechs Wochen seiner Arbeitsunfähigkeit vom 2. Dezember 1996 bis zum 12. Januar 1997 einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG in Verb. mit § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG erworben hat. Dieser Anspruch ist nach § 115 SGB X auf die Klägerin übergegangen.

Griebeling Reinecke Kreft

W. Hinrichs Dombrowsky

 

Fundstellen

Dokument-Index HI610971

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