Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung

 

Orientierungssatz

Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung ist die Erfüllung der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers, zu der die Anhörung des Arbeitnehmers gehört. Nach Auffassung des Senats kann der Arbeitgeber sich im Prozeß nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung berufen, wenn er schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende Anhörungspflicht verletzt.

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 29.01.1986; Aktenzeichen 7 Sa 102/85)

ArbG Wilhelmshaven (Entscheidung vom 23.07.1985; Aktenzeichen 1 Ca 1260/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung der Beklagten vom 15. November 1984, dem Kläger zugegangen am 17. November 1984.

Die Beklagte betreibt in V ein Autohaus mit Lackiererei und Karosseriebau. Der am 25. Februar 1959 geborene Kläger war dort zum Zeitpunkt der Kündigung seit 1 1/2 Jahren als Autolackierer beschäftigt. Zuletzt verdiente er monatlich 2.000,– DM netto.

Am 8. November 1984 hatte die Beklagte Hinweise der Kriminalpolizei bekommen, daß Waren aus dem Betrieb gestohlen worden seien. Daraufhin verhörte sie die – zum Teil minderjährigen – Auszubildenden getrennt vom Dienstbeginn des 8. November 1984 bis in den Nachmittag hinein. In den schriftlichen Erklärungen beschuldigten sich die Auszubildenden zum Teil selbst, zum Teil auch den Kläger. Der Auszubildende J schrieb zunächst, der Kläger habe sich seines Wissens nicht an den Straftaten beteiligt. An späterer Stelle schrieb er, der Kläger habe ungefähr drei bis fünf Radios, zwei bis vier Konsolen, ein bis drei Booster und Teile aus einem großen Karton in der Lackiererei mitgenommen. An anderer Stelle führte er aus, der Kläger habe sich die Teile, die er mitgenommen habe, vorher immer in aller Ruhe angeschaut, bevor er sie hinten ins Farblager gebracht und dort versteckt habe. Es sei ihm ein Rätsel, wie er die Teile aus der Firma geschafft habe. Der Auszubildende H schrieb, es hätten sich auch die Gesellen, also auch der Kläger, an den Straftaten beteiligt. Dieser habe mehrere Radios und Werkzeuge mitgenommen, z.B. Schraubendreher und Knarrenkästen. Der Auszubildende Jörg K, der Bruder des Klägers, schrieb, er habe vom Kläger einen Equalizer und zwei Radios bekommen. Er habe gehört, daß der Kläger auch etwas mitgenommen und Sachen verkauft habe; soviel er wisse, drei Radiorecorder und zwei Türme sowie zwei Paar Boxen, verschiedene Werkzeugsachen und Schleifpapier. Der Kläger sei nach oben gekommen und habe sich Sachen aus dem Lager geholt, wieviel und was wisse er nicht. Sein Bruder habe ihm auch zwei Radiorecorder gegeben.

Die Kriminalpolizei hatte von Amts wegen angezeigt, der Kläger stehe in dem Verdacht, eine unbegrenzte Anzahl von Radios bzw. Autozubehörteile der Beklagten entwendet zu haben. Sein Bruder Jörg hatte nämlich bereits in der polizeilichen Vernehmung am 7. November 1984 ausgesagt, er habe vom Kläger einen Equalizer und zwei Autoradios mit Cassettenteil bekommen und in seinem Auftrag verkauft. Der Kläger habe die Geräte besorgt. Er, Jörg K, könne nicht sagen, ob der Kläger noch andere Sachen bei der Beklagten entwendet habe.

Der Kläger hat bei seiner Vernehmung bei der Kriminalpolizei eingeräumt, seinem Bruder die von diesem angegebenen Sachen gegeben zu haben. Es habe sich um Ausschußware gehandelt, Reklamationsware oder ähnliches. Ein Mitarbeiter der Beklagten, Sch, habe von der Firmenleitung den Auftrag erhalten, diese Sachen in einem VW-Bus zur Mülldeponie zu fahren. Die Teile seien in Kartons verpackt gewesen. Er habe Herrn Sch gebeten, die Sachen bei ihm zu Hause in der Garage abzuladen, da er für sie Verwendung habe. Nachdem Herr Sch ihn darauf hingewiesen habe, er müsse den Lagerleiter um Erlaubnis fragen, habe er dies getan und vom Lagerleiter das Einverständnis erhalten. Für das Abladen der Ladung in der Garage habe Herr Sch kein Geld erhalten. In den Kartons hätten sich 20 Equalizer, zehn Autoradios, fünf Autoradios mit Cassettenteil, Sonnendächer, Wagenheber, Radkappen, Heckjalousien, Hörner, Lautsprecher, Konsolen und andere Kleinteile befunden. Die Geräte seien nicht defekt gewesen, sondern teilweise nur äußerlich beschädigt. Teilweise habe er die Sachen wieder instandsetzen oder verkaufen können. Einige Teile habe er für sich verwendet. Der vom Kläger benannte Betriebshandwerker Sch hat bei der Kriminalpolizei in seiner Aussage vom 14. November 1984 bestätigt, daß er von der Beklagten den Auftrag erhalten habe, einen VW-Bus mit mehreren Kartons zur Müllkippe zu fahren. Der Lagerleiter St habe erlaubt, daß er den Inhalt bei dem Kläger in der Garage ablade. Er schließe aus, daß sich in den Kartons möglicherweise auch originalverpackte Geräte befunden hätten, deren Verpackung lediglich beschädigt gewesen sei. In seiner Vernehmung bei der Kriminalpolizei V sagte der Auszubildende H aus, der Kläger habe n e u w e r t i g e Radios und Werkzeuge entwendet. Er habe seine Arbeitstasche nicht im Aufenthaltsraum, sondern immer im Fahrraum abgestellt. Er habe des öfteren beobachten können, daß in dieser Tasche sich Radios, Werkzeug und andere Autozubehörteile befunden hätten.

Aufgrund der Hinweise der Kriminalpolizei und der eigenen Ermittlungen teilte die Beklagte dem Kläger am 15. November 1984 mit, sie beabsichtige, ihm wegen der streitbefangenen Vorgänge zu kündigen. Unstreitig hat die Beklagte dem Kläger hierbei eröffnet, daß er durch den eigenen Bruder und weitere Zeugen belastet worden sei, Diebstahl zum Nachteil seines Arbeitgebers begangen zu haben.

Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 15. November 1984 folgende fristlose Kündigung aus:

„Sehr geehrter Herr K, wegen der Ihnen bekannten Vorgänge – insbesondere der von Ihnen begangenen Waren- und Materialdiebstähle kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis fristlos.”

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit der am 28. November 1984 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt.

Da die Beklagte zu der Kammerverhandlung vom 26. März 1985 nicht erschien, gab das Arbeitsgericht der Klage durch Versäumnisurteil statt. Gegen das am 8. Mai 1985 zugestellte Versäumnisurteil erhob die Beklagte am 15. Mai 1985 Einspruch.

Sie hält die Klage für unbegründet. Ihrer Auffassung nach steht fest, daß der Kläger bei ihr Gegenstände gestohlen hat. Die Beklagte beruft sich insbesondere auf die Geständnisse der von ihr vernommenen Auszubildenden, die zumindest einen erheblichen dringenden Tatverdacht begründet hätten. Sie, die Beklagte, habe auch nicht weitere Aufklärungsversuche unternehmen müssen, nachdem die Auszubildenden, unter ihnen der eigene Bruder des Klägers, ausgesagt hätten, dieser habe Autoradios, Radiorecorder und andere Gegenstände aus dem Betrieb der Beklagten gestohlen und nicht davon auszugehen sei, daß sie den Kläger ohne Grund hätten belasten wollen, weil sie zu allererst sich selbst belastet hätten. Schließlich seien die entsprechenden Angaben auch vor der Kriminalpolizei in V gemacht worden. Dem Kläger seien auch am 15. November 1984 die gegen ihn erhobenen Vorwürfe mitgeteilt worden.

Die Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 26. März 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 26. März 1985 aufrechtzuerhalten.

Er hat erwidert, er habe weder eine strafbare Handlung begangen noch bestehe ein dringender Verdacht einer strafbaren Handlung. Er hat auf die Fragwürdigkeit der Geständnisse der Auszubildenden verwiesen und bezweifelt, daß die Aussagen korrekt zustande gekommen seien. Schließlich hat er sich auf den Einstellungsbeschluß der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht O, seine dortige Aussage sowie die Aussagen seines Bruders und der Auszubildenden J, Sch und He berufen.

Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil vom 26. März 1985 aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

A.

Das Landesarbeitsgericht hat, wie das Arbeitsgericht, auf dessen Entscheidungsgründe es Bezug genommen hat, den Sachverhalt nur unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung geprüft. Es hat angenommen, die Voraussetzungen für eine wirksame Verdachtskündigung seien nicht erfüllt, weil die Beklagte nicht alle möglichen und zumutbaren Aufklärungsmöglichkeiten genutzt habe. Das Landesarbeitsgericht vermißt eine Anhörung des Klägers in Verbindung mit einer durchaus möglichen Gegenüberstellung des Klägers mit den übrigen vernommenen bzw. angehörten Mitarbeitern bzw. Auszubildenden. Eine ausreichende Anhörung sei nicht dadurch erfolgt, daß die Beklagte den Kläger mit den ihm gemachten Vorwürfen bekannt gemacht und ihm eröffnet habe, durch den Bruder und weitere Zeugen belastet worden zu sein.

Habe aber die Beklagte die erforderlichen Aufklärungsmöglichkeiten nicht genutzt, komme es nicht darauf an, ob der Kläger dem Verdacht der Beklagten entsprechend tatsächlich gestohlen oder unterschlagen habe.

B.

Der Senat hat den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht folgen können.

I.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene strafbare Handlung oder andere Vertragsverletzungen eines Arbeitnehmers, sondern auch der Verdacht, eine strafbare Handlung oder Pflichtverletzung begangen zu haben, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (BAGE 16, 72 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAGE 29, 7 = AP Nr. 9 zu § 103 BetrVG 1972; Urteil vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; Urteil vom 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 63). Eine Verdachtskündigung liegt aber nur dann vor, wenn es gerade der Verdacht ist, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Rechtsbeschaffenheit des Arbeitnehmers zerstört oder in anderer Hinsicht eine unerträgliche Belastung des Arbeitsverhältnisses darstellt (BAGE 16, 72 = AP aaO = EzA § 626 BGB Nr. 5). Dabei muß der Verdacht objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet sein. Er muß darüber hinaus dringend sein. Es ist also zu prüfen, ob eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der gekündigte Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat. Schwerwiegend muß nicht nur der Verdacht, sondern auch die strafbare Handlung bzw. die Pflichtverletzung sein, deren der Arbeitnehmer verdächtigt wird. Schließlich muß der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben (vgl. dazu insbesondere KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rz 153 ff.).

Im Urteil vom 11. April 1985 (aaO) hat der Senat entschieden, aufgrund der ihm obliegenden Aufklärungspflicht sei der Arbeitgeber auch gehalten, den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zu den gegen ihn erhobenen Verdachtsmomenten zu hören. Die Erfüllung der Aufklärungspflicht sei Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung. Dies hat der Senat damit begründet, anders als bei einem aufgrund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt bestehe bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr, daß ein Unschuldiger betroffen sei. Deshalb sei es gerechtfertigt und erforderlich, strenge Anforderungen an die Verdachtskündigung zu stellen und vom Arbeitgeber zu verlangen, alles zu tun, um den Sachverhalt aufzuklären. Der Arbeitnehmer müsse die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe bzw. die Verdachtsmomente zu beseitigen bzw. zu entkräften und ggf. Entlastungstatsachen geltend zu machen. Mit der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht (Herschel, BlStSozArbR 1977, 113 f.; MünchKomm-Schwerdtner, § 626 BGB Rz 112; Bobrowsky/Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, 7. Aufl., L II Rz 44; Zöllner, Arbeitsrecht, 3. Aufl., S. 230; Heilmann, Verdachtskündigung und Wiedereinstellung nach Rehabilitierung, 1964, S. 28 ff.; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 177) ist der Senat der Auffassung, daß es der Besonderheit des wichtigen Grundes bei der Verdachtskündigung entspricht, die Erfüllung der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verdachtskündigung zu erheben. Verletzt der Arbeitgeber daher schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende Anhörungspflicht, kann er sich im Prozeß nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen. Die darauf gestützte Kündigung ist unwirksam.

II.

1. Vorliegend hat die Beklagte den Kläger fristlos gekündigt mit der Begründung, er habe Waren- und Materialdiebstähle begangen. Es ist also gerade nicht der Verdacht gewesen, der für die Beklagte das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen in die Redlichkeit des Klägers zerstört hat, sondern die nach Auffassung der Beklagten von dem Kläger begangenen strafbaren Handlungen. Dementsprechend hat das Arbeitsgericht im Tatbestand seines Urteils ausgeführt, nach Auffassung der Beklagten stehe fest, daß der Kläger Gegenstände bei ihr gestohlen habe. Zwar hat die Beklagte in der Klageerwiderung vom 3. Januar 1985 ausgeführt, der Kläger stehe in dem begründeten Verdacht, in erheblichem Umfange Warendiebstähle begangen zu haben. Damit ist aber aus der Kündigung wegen einer begangenen Straftat noch nicht eine Verdachtskündigung geworden. Vielmehr hat die Beklagte mit dieser Formulierung das Ergebnis der Ermittlungen der Kriminalpolizei V zusammenfassen wollen, aufgrund dessen die Ermittlungen im Haus der Beklagten am 8. November 1984 begannen. In demselben Schriftsatz werden dann nämlich Aussagen der Auszubildenden Holger J, Olaf H und Jörg K wiedergegeben, die ausgesagt hatten, auch der Kläger habe Radios, Konsolen, Verstärker, Boxen u.ä. gestohlen. Weiterhin hat die Beklagte in der Klageerwiderung ausgeführt, ihr sei bekannt geworden, daß der Kläger eine größere Zahl von Tuben mit Härterpaste gestohlen habe.

Den Ausführungen der Beklagten in der Klageerwiderung und in den späteren Schriftsätzen, vor allem in der Berufungsinstanz, kann nur entnommen werden, daß die Beklagte einen weiteren Kündigungsgrund nachgeschoben hat, nämlich den Verdacht, der Kläger habe Autoradios, Türme, Radiorecorder, Boxen, Equalizer u.ä. gestohlen. Ein solches Nachschieben weiterer Kündigungsgründe ist materiellrechtlich grundsätzlich zulässig. Nur wenn ein Betriebsrat vorhanden wäre und der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitgeteilt hätte, er beabsichtige dem Arbeitnehmer wegen einer nachgewiesenen Straftat fristlos zu kündigen und er später die Kündigung bei unverändertem Sachverhalt auf den Verdacht dieser strafbaren Handlung stützen würde, wäre der nachgeschobene Kündigungsgrund wegen insoweit fehlender Anhörung des Betriebsrats im Kündigungsprozeß nicht zu verwerten (BAG Urteil vom 3. April 1986, aaO). Aus den Akten ergibt sich nicht, daß ein Betriebsrat bei der Beklagten bestanden hat. Da die Frage der Betriebsratsanhörung überhaupt keine Rolle in dem Prozeß gespielt hat, ist im vorliegenden Revisionsverfahren davon auszugehen, daß bei der Beklagten kein Betriebsrat bestanden hat. War die Kündigung danach zulässigerweise sowohl auf Behauptungen gestützt, der Kläger habe verschiedene Straftaten begangen, wie auch auf den Verdacht des Warendiebstahls, hätten Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht den Sachverhalt auch unter beiden rechtlichen Gesichtspunkten prüfen müssen.

2. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben aber den Sachverhalt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung geprüft. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Auf diesem Rechtsfehler beruht auch das Urteil des Landesarbeitsgerichts, denn das Berufungsgericht führt aus, wegen der unterlassenen Anhörung des Klägers in Verbindung mit einer durchaus möglichen Gegenüberstellung des Klägers mit den im übrigen vernommenen bzw. angehörten Mitarbeitern komme es nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich gestohlen oder unterschlagen habe, und dementsprechend seien die entsprechenden Beweisangebote unerheblich.

Eine unterlassene Anhörung des Klägers könnte aber nur zur Unwirksamkeit der Kündigung unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung führen. Über die Wirksamkeit der Kündigung wegen der behaupteten Straftat ist damit noch gar nichts gesagt.

3. Die Beklagte hat auch schlüssig Tatsachen für eine strafbare Handlung des Klägers vorgetragen, indem sie sich auf seine eigene Aussage gestützt hat, er habe seinem Bruder Jörg zwei Autoradios mit Cassettenteil und einen Equalizer gegeben. Die Geräte seien zum Teil nagelneu gewesen, aber entweder sei die Verpackung beschädigt oder auch mal das Gehäuse defekt gewesen. Man könne sagen, es habe sich um Ausschußware, um Reklamationen oder ähnliches gehandelt. Es sei auch richtig, daß die Waren der Firma F gehörten. Streitig ist nur, ob diese zum Teil fabrikneuen und nur leicht beschädigten Waren auf die Mülldeponie gefahren werden sollten und mit Zustimmung des Lagerleiters beim Kläger abgeladen wurden und dieser guten Glaubens annehmen konnte, daß die Beklagte sich dieser Waren entledigen wollte oder ob der Mitarbeiter Sch den Auftrag hatte, leere Kartons zur Mülldeponie zu fahren. Im übrigen hat die Beklagte sich die schriftlichen Aussagen der vernommenen Mitarbeiter zu eigen gemacht und zum Beweis für die Richtigkeit der aufgestellten Behauptungen Beweis angetreten durch Vernehmung der Auszubildenden bzw. Arbeitnehmer Jörg K, Michael M, Manfred B, Holger J, Olaf H und des Sachbearbeiters D der Kriminalpolizei V. Das Landesarbeitsgericht hat den Beweis nicht erhoben, weil es der unrichtigen Auffassung war, es sei nicht entscheidungserheblich, ob der Kläger – wie von der Beklagten behauptet – Waren gestohlen hat.

III.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war auch aufzuheben, weil es an die Anhörungspflicht bei einer Verdachtskündigung zu strenge Voraussetzungen gestellt hat.

1. Der Senat hat in dem Urteil vom 11. April 1985 (aaO) entschieden, Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung sei die Erfüllung der Aufklärungspflicht, zu der die Anhörung des Arbeitnehmers gehöre. Nach Auffassung des Senats kann der Arbeitgeber sich im Prozeß nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung berufen, wenn er schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende Anhörungspflicht verletzt.

2. Vorliegend hat die Beklagte von der Kriminalpolizei am 8. November 1984 erfahren, daß aufgrund der Vernehmung der Mitarbeiter und Auszubildenden Jörg K, Michael M, Manfred B, Holger J und Olaf H der Kläger in dem dringenden Verdacht stehe, diese Waren in nicht unerheblichem Wert von der Beklagten gestohlen zu haben. Die Beklagte hat daraufhin am 8. November 1984 die Auszubildenden vernommen, die sämtlich den Kläger belastet haben, wie auch dieser eingeräumt hat, seinem Bruder zwei Autoradios und einen Equalizer übergeben zu haben. Daraufhin hat die Beklagte am 15. November 1984 den Kläger mit den ihm gemachten Vorwürfen bekannt gemacht und ihm eröffnet, durch seinen Bruder und weitere Zeugen belastet worden zu sein. Gleichzeitig teilte die Beklagte ihm mit, sie beabsichtige, ihm zu kündigen. Das Berufungsgericht hat angenommen, vorliegend habe die Beklagte den Kläger insbesondere deshalb nicht ordnungsgemäß angehört, weil ihm nicht die vernommenen Mitarbeiter gegenübergestellt worden seien.

Eine Pflicht zur Gegenüberstellung des Verdächtigten mit den Zeugen ist vom Senat aber bisher nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung angesehen worden. Von einer entsprechenden Weiterentwicklung der Rechtsprechung wird abgesehen, weil die Gegenüberstellung noch nicht einmal in der Mehrzahl der Fälle eine größere Sicherheit für die Begründetheit des Verdachts geben muß.

IV.

Da das Landesarbeitsgericht weder zu den behaupteten strafbaren Handlungen noch zum Umfang der Anhörung oder zum dringenden Tatverdacht einer strafbaren Handlung Feststellungen getroffen hat, war der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Dr. Weller, Ascheid, Mauer, Dr. Bobke

 

Fundstellen

RzK, I 8c Nr 13 (ST1-2)

NV, (nicht amtlich veröffentlicht)

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