Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Anspruch auf Erhöhung der Arbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Inhalt und Bedeutung einer tarifvertraglichen Regelung, die vorschreibt, daß der Wunsch einer Teilzeitkraft auf Aufstockung ihrer Arbeitszeit bei der betrieblichen Stellenbesetzung bevorzugt zu berücksichtigen ist.

 

Normenkette

TVG § 1 Auslegung; TVG § 1 Tarifverträge: MTVM Massa; TVG § 4 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 315, 280 Abs. 1, §§ 276, 278, 31; BetrVG § 95 Abs. 3, § 99

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 01.10.1993; Aktenzeichen 4 (14) Sa 172/93)

ArbG Siegburg (Urteil vom 15.12.1992; Aktenzeichen 5 Ca 1553/92)

 

Tenor

1. Auf die Revisionen der Klägerinnen wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 1. Oktober 1993 – 4 (14) Sa 172/93 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die beiden Klägerinnen nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der Massa AG (MTV Massa) einen Anspruch darauf haben, als Vollzeitkräfte beschäftigt zu werden. § 2 Nr. 5 MTV Massa enthält folgende Regelung:

„Die Umwandlung eines Vollzeitin ein Teilzeitarbeitsverhältnis ist nur auf Wunsch des Arbeitnehmers und nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig.

Wünscht ein Teilzeitarbeitnehmer eine Aufstockung seiner Arbeitszeit oder ein Vollzeitarbeitsverhältnis, so ist dieser Wunsch bevorzugt bei der betrieblichen Stellenbesetzung unter Beteiligung des Betriebsrates zu berücksichtigen.”

Beide Klägerinnen sind in der Metzgereiabteilung der Beklagten als Verkäuferinnen tätig. Die am 21. August 1957 geborene Klägerin L, die über einen Berufsabschluß als Kinderpflegerin verfügt, wurde zunächst ab 1. Juli 1985 mit monatlich 100 Stunden als Verkaufshilfe eingesetzt. Seit 1. April 1989 wird sie mit monatlich 130 Stunden als Verkäuferin beschäftigt und nach der Gehaltsgruppe I vergütet. Die Klägerin L ist geschieden und erhält von ihrem früheren Ehemann keinen Unterhalt. Für die auswärtige Unterbringung ihres sprach- und lernbehinderten Sohnes muß sie monatlich 400,00 bis 500,00 DM aufbringen. Ab Mitte 1994 entfällt ihre Unterhaltspflicht.

Die am 8. August 1947 geborene Klägerin K ist verheiratet und vier Kindern unterhaltspflichtig. Sie verfügt über den Abschluß im Lehrberuf „Feinkost/Delikatessen”. Seit Mai 1981 war sie in der Metzgereiabteilung der Beklagten als Verkäuferin tätig und zwar zunächst mit monatlich 100 Stunden, seit 1. März 1983 mit monatlich 130 Stunden, seit 1. Januar 1984 wieder mit 100 Stunden und seit 1. März 1989 erneut mit 130 Stunden. Ihr Gehalt bemißt sich nach der Gehaltsgruppe II.

Nachdem zwei Vollzeitkräfte in der Metzgerei gekündigt hatten und sich die Beklagte entschlossen hatte, das freigewordene Stundenkontingent von 320 Stunden (= 2 × 160 Stunden) um weitere 10 Stunden zu erhöhen, schrieb sie für diese Abteilung drei Teilzeitstellen aus, davon zwei mit monatlich 100 und eine mit monatlich 130 Stunden. Die Klägerinnen, die bereits früher vergeblich um eine weitere Aufstockung ihrer monatlichen Arbeitszeit gebeten hatten, beantragten eine Vollzeitbeschäftigung mit monatlich 160 Stunden ab 1. April 1992. Bei einer Vollzeitbeschäftigung hätte sich die monatliche Bruttovergütung der Klägerin L von 2.405,00 DM auf 2.960,00 DM und die der Klägerin K von monatlich 2.839,40 DM auf 3.495,00 DM erhöht. Der Betriebsrat ersuchte die Beklagte, „zuerst die Stundenerhöhung L und K vorzunehmen”. Ansonsten könne er keiner Einstellung zustimmen. Daraufhin blieben die drei zum 1. April 1992 ausgeschriebenen Teilzeitstellen unbesetzt.

Nachdem die im Jahre 1974 geborene Auszubildende D ihre dreijährige Ausbildung zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk erfolgreich abgeschlossen hatte, wurde sie mit Zustimmung des Betriebsrats zum 16. Juni 1993 in ein Vollzeitarbeitsverhältnis übernommen, als Verkäuferin in der Metzgereiabteilung beschäftigt und nach Gehaltsgruppe I entlohnt. Die Beklagte ist bestrebt, möglichst jedem Auszubildenden ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis anzubieten.

Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, spätestens ab 16. Juni 1993 hätten sie von der Beklagten als Vollzeitkräfte beschäftigt werden müssen. § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa räume den Teilzeitkräften einen individualrechtlichen Anspruch auf Aufstok,ckung der Arbeitszeit ein, wenn ein entsprechendes Stundenkontingent vorhanden sei. Die Beklagte hätte bereits bei der Stellenplanung den Wunsch der Klägerinnen beachten und ihnen eine Vollzeitbeschäftigung mit 160 Stunden anbieten müssen. Frau D hätte mit den verbleibenden 100 Stunden als Teilzeitkraft beschäftigt werden können. Abgesehen davon, daß die Beklagte auch mit Teilzeitarbeitsverhältnissen den Verkäufernachwuchs habe sichern können, dürfe die Nachwuchsförderung nicht zu Lasten anderer Arbeitnehmergruppen gehen. Auf Qualifikationsunterschiede könne sich die Beklagte nicht berufen. Die Klägerin K verfüge nicht nur über die einschlägige Fachausbildung, sondern auch über eine langjährige Berufserfahrung. Da § 2 Abs. 3 Buchst. b des Gehaltstarifvertrages eine überwiegend im Verkauf ausgeübte kaufmännische Berufstätigkeit von drei Jahren der abgeschlossenen kaufmännischen Berufsausbildung gleichsetze, könne auch der Klägerin L die erforderliche Qualifikation nicht abgesprochen werden. Auf das in § 2 Nr. 5 MTV Massa angesprochene Beteiligungsrecht des Betriebsrats könne sich die Beklagte nicht berufen. Da sie nicht bereit gewesen sei, die Arbeitszeit der Klägerinnen aufzustocken, habe sie eine entsprechende Beteiligung des Betriebsrats unterlassen. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Übernahme der Auszubildenden D in ein Vollzeitarbeitsverhältnis spiele keine Rolle, zumal der Betriebsrat einem Rechtsirrtum unterlegen sei und von einer Verpflichtung der Beklagten zum Abschluß eines Vollzeitarbeitsverhältnisses mit Frau D ausgegangen sei.

Die Klägerinnen haben zuletzt, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, das Angebot der Klägerinnen zur Erhöhung ihrer Arbeitszeit auf 160 Stunden pro Monat anzunehmen;
  2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin L 2.294,60 DM brutto (Gehaltsdifferenz für die Monate Juni bis September 1993) nebst 4 % Zinsen vom Nettobetrag und an die Klägerin K 1.942,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen vom Nettobetrag, die Zinsen jeweils ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa räume den Teilzeitkräften keinen Anspruch auf Aufstockung ihrer Arbeitszeit ein. Da der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die den Anforderungen des Rechts- und Arbeitslebens am ehesten gerecht werde, sei dieser tariflichen Regelung nur deklaratorische Bedeutung beizumessen. Ein Kontrahierungszwang wäre zudem durch die Normsetzungsbefugnis des § 1 Abs. 1 TVG nicht gedeckt. Selbst wenn aber § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa als individualrechtliche Regelung anzusehen sei, stünden den Klägerinnen die geltend gemachten Ansprüche schon deshalb nicht zu, weil für den Abschluß eines unbefristeten Vollzeitarbeitsvertrages mit der Auszubildenden D sachliche Gründe vorgelegen hätten. Sie sei auf keinen freien Arbeitsplatz übernommen worden. Die „außerstellenplanmäßige” Einstellung der Auszubildenden D habe ausschließlich der Nachwuchsförderung gedient. Im übrigen könnten die Klägerinnen und die übernommene Auszubildende D nach Bezahlung und Qualifikation nicht miteinander verglichen werden. Während die Auszubildende D als Verkäuferin in Gehaltsgruppe I eingestellt worden sei, verlange die Klägerin K eine Vollzeitbeschäftigung nach Vergütungsgruppe II. Die Klägerin L verfüge über keine einschlägige Fachausbildung. Im Gegensatz zu ihr sei Frau D als ausgebildete Fachverkäuferin umfassend einsetzbar. Abgesehen davon würden die Klageansprüche am Beteiligungsrecht des Betriebsrats scheitern. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Übernahme der Auszubildenden D enthalte gleichzeitig einen Widerspruch gegen die Aufstockung der Arbeitszeit einer der beiden Klägerinnen. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen scheitere zumindest am fehlenden Verschulden der Beklagten.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen der Klägerinnen zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihren Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihr bisheriges Klagebegehren, soweit es noch rechtshängig ist, weiter. Die Beklagte beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Klägerinnen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

A. Eine der beiden Klägerinnen kann verlangen, daß ihr Angebot zur Erhöhung ihrer Arbeitszeit auf monatlich 160 Stunden von der Beklagten angenommen wird. Zur Beantwortung der Frage, welcher der beiden Klägerinnen der Anspruch zusteht, sind noch weitere tatsächliche Feststellungen nötig.

I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa den einzelnen Teilzeitkräften Ansprüche einräumt. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung als auch aus dem Sinn und Zweck dieser Tarifvorschrift.

1. § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa befaßt sich nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht nur mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrats, sondern regelt auch, wie sich die Beklagte gegenüber einer Teilzeitkraft zu verhalten hat, die eine Aufstockung ihrer Arbeitszeit oder ein Vollzeitarbeitsverhältnis wünscht. Die in § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa vorgeschriebene bevorzugte Berücksichtigung des Wunsches einer Teilzeitkraft auf Arbeitszeitänderung betrifft die individualrechtliche Rechtsstellung dieses Arbeitnehmers. Entgegen der Auffassung der Beklagten gibt § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa nicht nur eine Hoffnung auf Erfüllung eines Wunsches. Vielmehr soll nach dem Wortlaut „ist bevorzugt zu berücksichtigen” eine rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer tarifgerechten Behandlung des Arbeitnehmerwunsches begründet werden. Der einzelne Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Erfüllung dieser Verpflichtung, die seine Rechtsstellung verbessert.

2. Auch die übrigen Bestimmungen des § 2 MTV Massa befassen sich mit der Rechtsstellung des einzelnen Arbeitnehmers und beschränken sich nicht auf betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Die wortgetreue Auslegung der Nummer 5 Abs. 2 entspricht damit dem Aufbau und dem sonstigen Inhalt des § 2 MTV Massa.

3. Mit Sinn und Zweck des § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa läßt sich die von der Beklagten vertretene einschränkende Auslegung, die sich über den Tarifwortlaut hinwegsetzt, nicht begründen. § 2 Nr. 5 MTV Massa will den Schutz der bei der Beklagten beschäftigten Teilzeitkräfte verbessern und ihnen den Wechsel in ein Vollzeitarbeitsverhältnis erleichtern. Das Regelungsziel würde weitgehend verfehlt, wenn den Teilzeitkräften keine gerichtlich durchsetzbare Rechtsposition, sondern nur eine vage Hoffnung eingeräumt würde.

4. Entgegen der Auffassung der Beklagten verstößt eine tarifvertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers zum Abschluß eines Änderungsvertrages, der dem Wunsch einer Teilzeitkraft auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit nachkommt, nicht gegen § 1 Abs. 1 TVG. Vielmehr kann der Tarifvertrag Rechtsnormen enthalten, die den Inhalt oder den Abschluß von Arbeitsverträgen regeln. Ein sogenannter einseitiger Kontrahierungszwang (lediglich Verpflichtung des Arbeitgebers zum Vertragsschluß) fällt unter die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien und begegnet grundsätzlich keinen rechtlichen Bedenken (vgl. u. a. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 32 V 1 und 3, S. 157 f.; Hagemeier/Kempen/Zachert/ Zilius, TVG, 2. Aufl., § 1 Rz 28; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 211; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 871).

a) Eine verfassungswidrige Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit entsteht durch den von der Beklagten selbst abgeschlossenen Manteltarifvertrag (Haustarifvertrag) nicht. Zum einen kommt eine Verpflichtung der Beklagten zum Abschluß eines Änderungsvertrages nur im Rahmen der „Stellenbesetzung” in Betracht. Der Beklagten wird aber nicht vorgeschrieben, in welchem Umfang sie Stellen schafft und besetzt. Zum anderen kann die Beklagte ihren berechtigten Interessen bei der Stellenbesetzung ausreichend Rechnung tragen. Der Wunsch einer Teilzeitkraft auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit ist nicht das einzige Entscheidungskriterium.

b) Die Tarifvertragsparteien haben ihre Regelungsbefugnis auch nicht durch die Einbeziehung der Arbeitsverhältnisse von nichtorganisierten Arbeitnehmern überschritten. § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa gilt gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer normativ. Der Beklagten steht es jedoch frei, bei der Stellenbesetzung nichttarifgebundene Teilzeitkräfte ebenso zu berücksichtigen wie tarifgebundene.

II. Ein Anspruch nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa kommt nur in Betracht, wenn eine Teilzeitkraft die Erhöhung ihrer Arbeitszeit wünscht und eine Stellenbesetzung ansteht. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Unstreitig haben die Klägerinnen den Wunsch geäußert, künftig mit 160 Stunden monatlich beschäftigt zu werden. Mit der Übernahme der Auszubildenden D in ein Vollzeitarbeitsverhältnis ist auch eine „Stellenbesetzung” erfolgt.

1. Mit dem Wort „Stellenbesetzung” haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, daß sich die Tarifvorschrift nicht mit der Stellenplanung und der Stellenerrichtung befaßt. § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa ist grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn sich der Arbeitgeber dazu entschlossen hat, Arbeitsplätze tatsächlich zu besetzen. Die „Stellenbesetzung” besteht, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, im Abschluß von Arbeitsverträgen. Dagegen ist das Tatbestandsmerkmal „Stellenbesetzung” nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitsplatz unbesetzt läßt. Schon aus diesem Grunde können sich die Klägerinnen nicht auf die am 1. April 1992 ausgeschriebenen drei Teilzeitstellen berufen. Unstreitig nahm die Beklagte von den zunächst vorgesehen Einstellungen Abstand. Erst mit der Übernahme der Auszubildenden D in ein Vollzeitarbeitsverhältnis liegt eine „Stellenbesetzung” vor.

2. Die Beklagte entscheidet allein darüber, welche Stellen sie schaffen will. Die „Stellen” werden vor allem durch Art, Ort und Umfang der Tätigkeit gekennzeichnet. Die Beklagte muß die Arbeitszeitwünsche der Teilzeitkräfte nur im Rahmen der Besetzung der von ihr bereitgestellten Arbeitsplätze berücksichtigen. Die Teilzeitkräfte können nicht verlangen, daß die Beklagte die „Stellen” umgestaltet oder andere Stellen als die vorgesehenen besetzt.

a) Die Ausgestaltung und der Zuschnitt der vom Arbeitgeber bereitgestellten Arbeitsplätze bilden den „Rahmen” für die Berücksichtigung der Arbeitszeitwünsche der Teilzeitkräfte. Zu einer Veränderung und einer sich daraus ergebenden Aufwertung der zu besetzenden Stellen ist die Beklagte nicht verpflichtet. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Stelle einer in die Gehaltsgruppe I einzugruppierenden Verkäuferin in der Metzgereiabteilung besetzt. Die Klägerin K hat einen Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung bei ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen geltend gemacht. Ob sie eine Vollzeitbeschäftigung nach Gehaltsgruppe II verlangen kann, hängt davon ab, ob sie bisher eine in die Gehaltsgruppe II einzugruppierende höherwertige Tätigkeit ausübte oder aus welchen Gründen sie übertariflich entlohnt wurde. Werden die Teilzeitkraft, die eine Vollzeitbeschäftigung wünscht, und die Arbeitskraft, mit der die Stelle dann besetzt wurde, unterschiedlich vergütet, so ist dies nur insoweit von Bedeutung, als die Gehaltsunterschiede auf andersartigen Arbeitsinhalten, Aufgaben oder Kompetenzen beruhen und deshalb die „Stellen” nicht miteinander vergleichbar sind. Dagegen verändern personenbezogene, arbeitsplatzunabhängige Vergütungsbestandteile wie etwa die Anzahl der Berufsjahre oder eine individuelle übertarifliche Bezahlung die „Stelle” als solche nicht. Das Landesarbeitsgericht hat dementsprechend zu prüfen, weshalb die Beklagte der Klägerin K – bisher Vergütung nach Gehaltsgruppe II zahlte.

b) Die Klägerinnen können auch nicht verlangen, daß die Stelle einen anderen zeitlichen Zuschnitt erhält. Deshalb steht nur einer der beiden Klägerinnen ein Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung zu.

Die Beklagte hatte sich entschlossen, eine Vollzeitstelle zu besetzen. Die Klägerinnen können nicht verlangen, daß die Beklagte die Arbeit umverteilt und die Stellen anders gestaltet. Nach der Planung der Beklagten sollen zwei Teilzeitkräfte mit 130 Stunden monatlich (bisher die Klägerinnen) und eine weitere Vollzeitkraft mit 160 Stunden monatlich in der Metzgereiabteilung Verkaufstätigkeiten verrichten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, entgegen ihrer Personalplanung zwei Vollzeitkräfte mit je 160 Stunden und eine Teilzeitkraft mit 100 Stunden einzusetzen.

In einer Metzgerei schwankt ebenso wie an einem Imbißstand die Zahl der Kunden im Laufe des Tages und der Woche. In der freien unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers liegt es, wie er auf die Bedürfnisse des Marktes reagiert und welche Arbeitsplätze (Stellen) er schafft. Die Bestimmung, inwieweit ein bestimmter Dienstleistungsbedarf mit Vollzeit- und inwieweit er mit Teilzeitkräften abgedeckt wird, gehört zum Bereich der „Unternehmenspolitik” (vgl. BAG Urteil vom 19. Mai 1993 – 2 AZR 584/92 – AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 e bb der Gründe). Die personelle Konzeption stellt eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Organisationsentscheidung dar. Sie ist ebenso wie im Kündigungsrecht nur dann unbeachtlich, wenn sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. u. a. BAGE 31, 157, 162 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II 1 b der Gründe; BAGE 55, 262, 269 ff. = AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu III 2 der Gründe; BAG Urteil vom 19. Mai 1993 – 2 AZR 584/92 –, aaO, zu II 2 c der Gründe). Dafür haben die Klägerinnen nichts vorgetragen. Vielmehr gibt es für die vermehrte Beschäftigung von Teilzeitkräften einleuchtende Gründe, zumal dadurch ein flexibler, kundenorientierter Personaleinsatz ermöglicht wird und auch die übrigen Mitarbeiter besser entlastet werden. Dies wird durch ein Schreiben vom 26. März 1992 unterstrichen, in dem zwölf Mitarbeiter, darunter auch die Klägerin L, der Beklagten folgendes mitteilten:

„Wir sind der Meinung, daß wir alle durch die Einstellung von Teilzeitkräften am besten entlastet werden könnten. Deren Arbeitszeit könnte sinnvoll auf die umsatzstärksten Zeiten verteilt werden. Deshalb bitten wir Sie, möglichst bald für die Neueinstellung von Teilzeitkräften zu sorgen.”

Die Beklagte hätte zwar in ihrem Haustarifvertrag Einschränkungen ihrer Organisationsfreiheit vereinbaren können. Im vorliegenden Fall fehlen aber ausreichende Anhaltspunkte hierfür.

3. Wenn mehr Teilzeitkräfte eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit wünschen als Stellen zur Verfügung stehen, hat die Beklagte, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, die Auswahl nach billigem Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) vorzunehmen. Insoweit steht der Beklagten ein Bestimmungsrecht zu, auf das § 315 BGB anzuwenden ist (vgl. BAGE 60, 362, 365 = AP Nr. 14 zu § 50 BAT, zu B I 2 c der Gründe).

Die Beklagte hat jedoch ihr Bestimmungsrecht nicht einmal hilfsweise ausgeübt, obwohl ihr das Landesarbeitsgericht im Berufungsverfahren dazu Gelegenheit gegeben hatte. Zu Recht hat daraufhin das Landesarbeitsgericht nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BGB die Auswahl durch Urteil getroffen. Seine Auswahlentscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Klägerin K für schutzwürdiger erachtet als die Klägerin L. Die Klägerin L ist zwar alleinerziehende Mutter. Ihre Unterhaltspflicht entfiel jedoch ab Mitte 1994. Die Klägerin K ist dagegen vier Kindern unterhaltspflichtig, um etwa 10 Jahre älter und etwa vier Jahre länger bei der Beklagten beschäftigt.

III. Die Beklagte hat keine tragfähigen Gründe für die Ablehnung des Wunsches auf Vollzeitbeschäftigung vorgebracht.

1. Der Tarifvertrag verlangt eine bevorzugte Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigten bei der Stellenbesetzung. Deshalb braucht der Arbeitgeber dem Wunsch einer Teilzeitkraft auf Vollzeitbeschäftigung im Rahmen einer Stellenbesetzung nicht unter allen Umständen nachzukommen. Der Arbeitsplatzwunsch einer Teilzeitkraft ist nicht das einzige Entscheidungskriterium bei der Stellenbesetzung. Andererseits wird diesem Wunsch mit dem Gebot, ihn „bevorzugt” zu berücksichtigen, ein besonderes Gewicht zuerkannt. Den Teilzeitbeschäftigten wird ein gewisser Vorrang eingeräumt. Ihnen soll eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit erleichtert werden. Insoweit sollen sie „bevorzugt” werden. Dementsprechend muß sich die Beklagte, wenn sie dem Arbeitszeitwunsch einer Teilzeitbeschäftigten nicht nachkommen will, auf Gründe stützen können, die von erheblichem Gewicht sind und die unter Berücksichtigung der den Teilzeitkräften tarifvertraglich eingeräumten Vorzugsstellung eine anderweitige Stellenbesetzung gerechtfertigt erscheinen lassen.

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts fehlen im vorliegenden Fall solche Gründe.

a) Qualifikationsunterschiede zwischen den Stellenbewerbern sind zwar für die Besetzungsentscheidung von wesentlicher Bedeutung. Eignung und Leistung müssen aber arbeitsplatz „stellen”)bezogen beurteilt werden. Außerdem reicht es nicht aus, wenn Mitbewerber gegenüber der zu bevorzugenden Teilzeitkraft eine lediglich geringfügig bessere Qualifikation aufweisen und keine nennenswerten Unterschiede bei der Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu erwarten sind.

aa) Im vorliegenden Fall stützt sich die Beklagte darauf, daß die übernommene Auszubildende D die Abschlußprüfung im Lehrberuf „Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk” mit der Note „Gut” bestanden hat. Die Klägerin K verfügt nicht nur über eine langjährige Berufserfahrung, sondern auch über einen einschlägigen Berufsausbildungsabschluß. Die Klägerin L kann zwar keinen derartigen Abschluß vorweisen. § 2 Abs. 3 Buchst. b des einschlägigen Gehaltstarifvertrags stellt aber „eine kaufmännische Berufstätigkeit überwiegend im Verkauf von drei Jahren und im übrigen von vier Jahren” einer abgeschlossenen kaufmännischen Berufsausbildung zur Verkäuferin gleich. Diese tarifvertragliche Wertung schließt es aus, Verkäuferinnen, die keine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen, jedoch mehrere Jahre den Beruf ausgeübt haben, generell als weniger qualifiziert anzusehen. In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer acht gelassen werden, daß die Tätigkeit eines Verkäufers nach der Überschrift zur Gehaltsgruppe I als „einfache kaufmännische Tätigkeit” anzusehen ist.

bb) Frau D ist als Verkäuferin eingestellt worden und zwar für die Metzgereiabteilung, in der die Klägerin L schon seit acht Jahren tätig war. Die Beklagte hat nicht näher vorgetragen, inwiefern Frau D, bezogen auf diese „Stelle”, der Klägerin L deutlich überlegen war.

b) Die Beklagte kann nicht geltend machen, daß die Auszubildende D auf eine außerplanmäßige Vollzeitstelle übernommen worden sei, die ausschließlich der Nachwuchsförderung gedient habe und die dementsprechend bei einem fehlenden Interesse der Auszubildenden an einer Übernahme überhaupt nicht besetzt worden wäre. Ob dieser Vortrag der Beklagten zutrifft, ist unerheblich.

Da Frau D unbefristet eingestellt wurde und sie nicht auf Dauer über den von der Beklagten veranschlagten Bedarf hinaus außerplanmäßig beschäftigt werden sollte, mußte später eine freiwerdende Vollzeitstelle wegfallen oder die ansonsten erforderliche Schaffung einer weiteren Vollzeitstelle unterbleiben. Die Einstellung der Frau D wirkte wie ein Vorgriff auf eine Stelle, auf die sich die Klägerinnen sonst hätten bewerben können. Der Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrages mit der Auszubildenden D betraf auf Dauer gesehen eine Stelle, die auch ohne Übernahme der Auszubildenden besetzt worden wäre, und ging damit schon aus diesem Grunde zu Lasten der an einer Vollzeitbeschäftigung interessierten Teilzeitkräfte. Dementsprechend mußte die Beklagte nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 des Manteltarifvertrags prüfen, ob bei der Besetzung dieser „Dauerstelle” der Arbeitszeitwunsch einer Teilzeitkraft übergangen werden durfte.

c) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß die beabsichtigte Nachwuchsförderung trotz ihrer nicht zu unterschätzenden Bedeutung jedenfalls im vorliegenden Fall keinen ausreichenden Grund für die Übergehung der Teilzeitkräfte abgab.

aa) Während nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa der Wunsch einer Teilzeitkraft auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit bei einer Stellenbesetzung bevorzugt zu berücksichtigen „ist”, bestimmt Nr. 6 der Betriebsvereinbarung vom 1. März 1989, daß die Auszubildenden nach erfolgreicher Ausbildung weiterbeschäftigt werden „sollen”. Abgesehen davon, daß eine Sollvorschrift schwächere Rechtsfolgen zeitigt als eine Mußvorschrift, können die Rechtswirkungen einer Tarifvorschrift ohne entsprechende Tariföffnungsklausel nicht durch Betriebsvereinbarungen zu Lasten einer Arbeitnehmergruppe eingeschränkt werden (§ 4 Abs. 3 TVG, § 77 Abs. 3 BetrVG).

bb) Im übrigen hat sich die Beklagte mit dem Einwand der Klägerinnen, daß zur Nachwuchsförderung der Abschluß eines Teilzeitarbeitsverhältnisses mit 130 Stunden monatlich ausgereicht hätte, nicht näher auseinandergesetzt. Nach dem Vortrag der Beklagten ist nicht einmal auszuschließen, daß die Auszubildende D einen Teilzeitarbeitsvertrag über 130 Stunden abgeschlossen hätte.

IV. Der Anspruch einer der beiden Klägerinnen auf Abschluß eines Änderungsvertrages zur Begründung eines Vollzeitarbeitsverhältnisses scheitert auch nicht an der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats.

1. Nach § 99 BetrVG bedurfte es keiner Zustimmung des Betriebsrats. Die bloße Aufstockung der Arbeitszeit stellt weder eine Einstellung noch eine Versetzung dar. Nach der Begriffsbestimmung des § 95 Abs. 3 BetrVG liegt eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne bei Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor. Entscheidend ist, ob sich der Gegenstand der geschuldeten Arbeitsleistung, der Inhalt der Arbeitsaufgabe und das Gesamtbild der Tätigkeit geändert haben (BAGE 59, 371, 377 = AP Nr. 55 zu § 99 BetrVG 1972, zu B II 3 a der Gründe, m.w.N.; BAGE 67, 236, 243 = AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG 1972, zu B II 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 27. Juli 1993 – 1 ABR 8/93 – AP Nr. 51 zu § 118 BetrVG 1972, zu II der Gründe). Der räumlich und funktional zu sehende Arbeitsbereich wird nicht durch den Umfang der Tätigkeit bestimmt. Er ändert sich nicht schon durch die Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit (BAGE 68, 155, 159 f. = AP Nr. 28 zu § 95 BetrVG 1972, zu B II 5 der Gründe; BAG Urteil vom 4. Mai 1993 – 1 AZR 55/93 – n.v., zu I 2 d der Gründe; ebenso u. a. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 99 Rz 25; Galperin/Löwisch, BetrVG, Bd. II,6. Aufl., § 99 Rz 18 a; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 99 Rz 47; Stege/Weinspach, BetrVG, 7. Aufl., §§ 99 bis 101 Rz 158 a).

2. Auch § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa schreibt keine Zustimmung des Betriebsrats zur bevorzugten Berücksichtigung des Wunsches einer Teilzeitkraft auf Aufstockung ihrer Arbeitszeit vor.

a) Soweit nach dem MTV Massa eine Maßnahme des Arbeitgebers der Zustimmung des Betriebsrats bedarf oder nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erfolgen kann, ist dieses Erfordernis in den einzelnen Tarifvorschriften ausdrücklich aufgeführt (vgl. § 2 Nr. 5 Abs. 1 und Nr. 6 Satz 2, § 3 Nr. 3 Satz 1, § 5 Nr. 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Nr. 4 Abs. 2 sowie § 16 Nr. 7 Satz 2 MTV Massa). Demgegenüber spricht § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa nur von einer „Beteiligung des Betriebsrats”.

b) Dem § 18 Nr. 5 MTV Massa läßt sich nicht entnehmen, daß die „Beteiligung des Betriebsrats” trotz des sonst eindeutigen Wortlauts im Manteltarifvertrag ebenfalls in einem Zustimmungs- oder Einvernehmenserfordernis besteht. Nach § 18 Nr. 5 Abs. 1 MTV Massa wird bei mitbestimmungspflichtigen Vorgängen gemäß den Bestimmungen der §§ 2 Nr. 5 und 6, 3 Nr. 3, 5 Nr. 3 und 4 sowie 16 Nr. 7 eine zentrale Schiedsstelle tätig. Da § 18 Nr. 5 Abs. 1 MTV Massa nur auf Paragraphen und Nummern, nicht aber auf Absätze und Sätze Bezug nimmt und § 2 Nr. 5 Abs. 1 im Gegensatz zu Abs. 2 die Einholung der Zustimmung des Betriebsrats vorsieht, läßt sich der Verweisungsnorm des § 18 Nr. 5 nicht entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien auch die in § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa vorgeschriebene bevorzugte Berücksichtigung der Arbeitszeitwünsche von Teilzeitkräften als mitbestimmungspflichten Vorgang angesehen haben. § 18 Nr. 5 MTV regelt lediglich das Mitbestimmungsverfahren für die Vorgänge, für die in den aufgeführten Vorschriften ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vorgesehen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, daß alle in diesen Vorschriften genannten Vorgänge mitbestimmungspflichtig sind.

c) Auch der Sinn und Zweck der Beteiligung des Betriebsrats nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa spricht nicht dafür, daß der Arbeitgeber dem Wunsch einer Teilzeitkraft auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit nur mit Zustimmung des Betriebsrats nachkommen kann. § 2 Nr. 5 MTV soll die Rechtsstellung der Teilzeitkräfte verbessern und ihnen eine erleichterte Möglichkeit zur Erhöhung ihrer Arbeitszeit verschaffen. Durch die Beteiligung des Betriebsrats soll die Durchsetzung der Arbeitszeitwünsche der Teilzeitkräfte nicht erschwert oder vereitelt werden. Vielmehr erhält der Betriebsrat durch das Mitbestimmungsrecht zusätzliche Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten, um die ordnungsgemäße Erfüllung der tariflichen Verpflichtung der Beklagten nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa sicherzustellen.

B. Diejenige Klägerin, die einen Anspruch auf Abschluß eines Vollzeitarbeitsvertrages hat, kann von der Beklagten für die Monate Juni bis September 1993 auch die Gehaltsdifferenz zwischen ihrer bisherigen Teilzeitarbeit und der ihr zustehenden Vollzeitarbeit verlangen. Insoweit steht ihr ein Schadenersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 in Verbindung mit § 251 Abs. 1, § 252 BGB zu, weil eine vertragliche Änderung der Arbeitszeit für die zurückliegenden Monate dadurch unmöglich geworden ist, daß die Beklagte ihre Verpflichtung nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa nicht erfüllt und dies nach § 276 in Verb. mit § 31 oder § 278 BGB zu vertreten hat.

1. Nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Schuldner, sofern nichts anderes bestimmt ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Nach allgemeiner Ansicht entlastet allerdings nicht nur ein unverschuldeter Tatsachenirrtum, sondern auch ein unverschuldeter Rechtsirrtum (vgl. u. a. BAGE 9, 7, 17 f. = AP Nr. 1 zu § 209 BGB, zu II 2 der Gründe; BAGE 30, 189, 200 ff. = AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III 2 der Gründe; BAG Urteil vom 12. November 1992 – 8 AZR 503/91 – AP Nr. 1 zu § 285 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 1 der Gründe; RGZ 146, 133, 144 f.; BGH Urteil vom 9. Februar 1951 – I ZR 35/50 – NJW 1951, 398 = LM BGB § 285 Nr. 1; BGH Urteil vom 7. März 1972 – VI ZR 169/70 – NJW 1972, 1045 f. = LM BGB § 812 Nr. 99; BGHZ 89, 296, 303; BGH Urteil vom 27. September 1989 – IV a ZR 156/88 – NJW-RR 1990, 160, 161). Im vorliegenden Fall liegt jedoch kein unverschuldeter Rechtsirrtum vor.

2. Ein Verschulden entfällt nicht schon dann, wenn die Auslegung eines Tarifvertrags nicht einfach ist. An einen unverschuldeten Rechtsirrtum sind strenge Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich erfordert der Geltungsanspruch des Rechts, daß der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums selbst trägt und nicht dem Gläubiger zuschieben kann (BGH Urteil vom 26. Januar 1983 – IV b ZR 351/81 – NJW 83, 2318, 2321; BGHZ 89, 296, 303; BGH Urteil vom 27. September 1989 – IV a ZR 156/88 – NJW-RR 1990, 160, 161).

a) Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte nicht darauf vertrauen, daß § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa nur deklaratorische Bedeutung habe und den Teilzeitkräften keinen Anspruch einräume. Dem Wortlaut und der Systematik des Tarifvertrags konnte die Beklagte unschwer entnehmen, daß ihre Ansicht unrichtig ist.

b) Ebensowenig läßt die Überbetonung der Nachwuchsförderung das Verschulden entfallen. Es konnten keine ernsthaften Zweifel darüber bestehen, daß die in der Sollvorschrift einer Betriebsvereinbarung vorgesehene Nachwuchsförderung nicht zu Lasten der durch eine tarifvertragliche Mußvorschrift geschützten Teilzeitkräfte betrieben werden darf. Eine umsichtige Personalleitung konnte auch erkennen, daß sich die Übernahme der Auszubildenden D in ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis – jedenfalls langfristig gesehen – nachteilig auf die Teilzeitkräfte auswirkte, die eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit wünschten, selbst wenn für Frau D vorerst eine außerplanmäßige Stelle geschaffen wurde. Noch leichter war zu erkennen, daß die Beklagte den Teilzeitkräften allenfalls dann eine Vollzeitbeschäftigung vorenthalten durfte, wenn sich ansonsten die angestrebte Nachwuchsförderung nicht erreichen ließ, insbesondere die Auszubildende D zur Übernahme einer Teilzeitbeschäftigung nicht bereit war.

c) Die Beklagte konnte nicht damit rechnen, daß die Regelung des § 4 Nr. 5 MTV Massa zum Wegfall ihrer Verpflichtung nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa geführt habe. § 4 Nr. 5 MTV Massa bestimmt, daß der Vertragspartner, der nicht beabsichtigt, nach Abschluß der Ausbildung ein Arbeitsverhältnis mit dem anderen einzugehen, dies dem anderen Vertragspartner spätestens drei Monate vor Ablauf der vertraglichen Ausbildungszeit, oder, wenn der Auszubildende vorzeitig zur Abschlußprüfung zugelassen wird, unverzüglich nach Kenntnis der Zulassung schriftlich mitteilen muß. Für den vorliegenden Fall ist es unerheblich, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn eine rechtzeitige Mitteilung unterbleibt. Die Übernahme einer Auszubildenden ist jedenfalls eine Stellenbesetzung. Die Beklagte konnte nicht erwarten, daß sie ihre Verpflichtungen nach § 2 Nr. 5 Abs. 2 MTV Massa durch eigene Untätigkeit unterlaufen kann. Selbst wenn der Betriebsrat demselben Rechtsirrtum wie die Beklagte unterlag, ändert dies nichts daran, daß die Organe oder Erfüllungsgehilfen der Beklagten, die eigenständig und eigenverantwortlich die Rechtslage zu prüfen hatten, schuldhaft gehandelt haben und sich die Beklagte deren Verschulden nach §§ 31, 278 BGB zurechnen lassen muß.

d) Falls die Klägerin L den Abschluß eines Vollzeitarbeitsvertrages verlangen kann, liegt auch insoweit kein unverschuldeter Rechtsirrtum vor, als die Beklagte Frau D wegen ihres Abschlusses im Lehrberuf „Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk” als deutlich qualifizierter ansah und dies für ausreichend hielt, den Arbeitszeitwunsch der Klägerin L nicht zu erfüllen. Das Landesarbeitsgericht hat zwar diese Auffassung der Beklagten geteilt. Sowohl die im einschlägigen Gehaltstarifvertrag vorgesehene Gleichsetzung von kaufmännischen Berufsabschlüssen und praktischer Tätigkeit als auch eine arbeitsplatz(stellen)bezogene Betrachtung der Qualifikationsunterschiede lagen aber nahe. Die Beklagte mußte deshalb damit rechnen, daß der geltend gemachte Anspruch nicht an Qualifikationsunterschieden scheitert.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Bepler, Kremhelmer, Michels, Köhne

 

Fundstellen

Dokument-Index HI952032

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