Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbstauflösung einer Gewerkschaft

 

Leitsatz (amtlich)

  • Eine Gewerkschaft (hier die Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU) in der Gewerkschaft Kunst im Deutschen Gewerkschaftsbund), die sich durch Beschluß aufgelöst und durch Vertrag alle Forderungen und Rechte aus den von ihr abgeschlossenen Tarifverträgen auf eine andere Gewerkschaft übertragen hat, hat ihre koalitionspolitische Betätigung eingestellt und ihre Tariffähigkeit verloren.
  • Damit hat diese Gewerkschaft auch die Fähigkeit verloren, als Klägerin eine Klage nach § 9 TVG zu erheben und einen solchen Rechtsstreit fortzuführen.
 

Normenkette

ArbGG § 10; ZPO §§ 50, 61; BGB § 49 Abs. 2; TVG § 9

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 04.04.1988; Aktenzeichen 9 Sa 1069/87)

ArbG München (Urteil vom 24.09.1987; Aktenzeichen 23 Ca 11026/86)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 4. April 1989 – 9 Sa 1069/87 – wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
  • Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die in einem Versorgungstarifvertrag vorgesehene Obergrenze der betrieblichen Versorgungsleistungen auch dann gilt, wenn sich die Versorgung eines Mitarbeiters nach einer früheren, vom Arbeitgeber erlassenen Versorgungsordnung richtet.

Der Kläger ist ein Verband der Gewerkschaft Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU), die sich am 14. April 1989 aufgelöst hat. Zwischen der RFFU und der beklagten Rundfunkanstalt bestand seit dem 14. Mai 1957 ein Haustarifvertrag, der vorsah, daß Arbeitnehmer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis nach drei Jahren eine Versorg ungszusage erhielten (TZ 521). Die Versorgungszusage hatte nach zehnjähriger Wartezeit eine steigende Anwartschaft auf Invaliden-, Alters- und Hinterbiletenenrente vorzusehen und festzulegen, inwieweit Betriebszugehörigkeit anzurechnen sei (TZ 522). Demgemäß erließ der Intendant des Beklagten eine Versorgungsordnung, die in ihrer Fassung vom 3. Dezember 1969 eine Altersrente mit einem Höchstbetrag von 60 % der versorgungsfähigen Bruttobezüge vorsah.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1981 schlossen die RFFU und andere Gewerkschaften sowie die beklagte Rundfunkanstalt den “Tarifvertrag über die Altersversorgung im Bayerischen Rundfunk -TVA” ab. Dieser Tarifvertrag enthielt eine mit der Versorgungsordnung übereinstimmende Berechnungsregel für das Altersruhegeld. Außerdem sah der Tarifvertrag eine Gesamtversorgungsobergrenze von 75 % der letzten Bruttobezüge vor, die sich bis auf 85 % erhöhen konnte (TZ 224.1). Mitarbeitern, die bereits vor dem 1. Januar 1981 eine Versorgungszusage erhalten hatten, wurde das Recht eingeräumt, bis zum 31. Dezember 1986 zu wählen, ob sich ihre Versorgung nach dem Tarifvertrag oder der Versorgungsordnung in der am 1. Januar 1981 geltenden Fassung richten sollte (TZ 811).

Am 11. April 1984 trafen dieselben Tarifvertragsparteien eine “Tarifvereinbarung über die Begrenzung der Altersversorgung”. Darin wurde für Mitarbeiter, deren versorgungsfähige Dienstzeit vor dem 1. April 1984 begonnen hatte, eine Gesamtversorgungsobergrenze in Höhe von 91,75 % des Nettovergleichseinkommens vorgesehen. Diese Regelung wurde mit Wirkung vom 9. August 1985 in den Versorgungstarifvertrag aufgenommen (TZ 911).

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß diese Gesamtversorgungsobergrenze nicht für solche Mitarbeiter gelte, die ihr Wahlrecht zugunsten der Versorgungsordnung der beklagten Anstalt ausgeübt hatten. Der Kläger hat geltend gemacht, es sei den Tarifvertragsparteien verwehrt, eine vertragliche Versorgungsordnung zu ändern.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Tarifziffer 811 Satz 1 TVA mit der Maßgabe unverändert rechtswirksam ist, daß der dort genannte Personenkreis nach ausgeübtem Wahlrecht Versorgungsansprüche nach der VO vom 1. Januar 1970 in der zum 1. Januar 1981 geltenden Fassung ohne die in der Vereinbarung über die Änderung des TVA vom 9. August 1985 enthaltenen Einschränkung hat.

Die beklagte Rundfunkanstalt hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die nettobezogene Gesamtversorgungsobergrenze gelte auch für die von ihr erlassene Versorgungsordnung. Diese Versorgungsordnung stelle selbst durch spätere Tarifverträge abänderbares Tarifrecht dar; in ihr sei das in dem Haustarifvertrag vom 14. Mai 1957 enthaltene Bestimmungsrecht ausgeführt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der klagende Verband nicht aktiv legitimiert sei. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Beide Berufungen blieben ohne Erfolg.

Nach Zustellung des Berufungsurteils hat sich die RFFU mit Beschluß vom 14. April 1989 aufgelöst. Durch einen Überleitungsvertrag vom selben Tage hat sie ihr gesamtes Vermögen auf die im Jahre 1985 gegründete IG Medien übertragen. Zugleich hat sie “alle Forderungen und Rechte” aus den von ihr abgeschlossenen Tarifverträgen auf die IG Medien übertragen; diese ist in die Rechte und Pflichten aus diesen Tarifverträgen eingetreten (VI. des Überleitungsvertrags). Der klagende Verband der RFFU verfolgt sein Feststellungsbegehren mit der Revision weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet, da die Klage durch die Auflösung der RFFU unzulässig geworden ist.

A. Die Revision ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nicht deshalb unzulässig geworden, weil der Kläger vor der Einlegung der Revision seine Parteifähigkeit verloren hat (§ 50 ZPO); beim Streit über die Parteifähigkeit ist die Partei als parteifähig zu behandeln (BAGE 36, 125 = AP Nr. 4 zu § 50 ZPO; BAG Urteil vom 22. März 1988 – 3 AZR 350/86 – AP Nr. 6 zu § 50 ZPO; BGHZ 74, 212). Nichts anderes gilt, wenn ein die Parteifähigkeit beseitigendes Ereignis erst nach der Zustellung des anzufechtenden Urteils aber vor der Einlegung des Rechtsmittels eingetreten ist. Auch in diesem Fall muß den Parteien die Gelegenheit erhalten bleiben, den Streit über die Parteifähigkeit im Rechtsmittelzug auszutragen.

B. Die Revision ist indes unbegründet, weil die Klage mit dem Wegfall der Parteifähigkeit des Klägers unzulässig geworden ist.

1. Der Kläger hat eine Klage nach § 9 TVG erhoben: Die Klage richtet sich gegen den Bayerischen Rundfunk als Tarifvertragspartei; der Kläger will, ebenfalls als Tarifvertragspartei, mit Rechtskraftwirkung gegenüber Dritten festgestellt haben, daß die tarifliche Gesamtversorgungsobergrenze nicht für Versorgungsempfänger gelte, die Leistungen nach der von der beklagten Rundfunkanstalt erlassenen Versorgungsordnung erhalten. Es handelt sich mithin um einen Streit zwischen Tarifvertragsparteien aus einem Tarifvertrag, nämlich um einen Streit um die Reichweite der tariflichen Versorgungsobergrenze.

2. Mit ihrer Auflösung am 14. April 1989 haben die RFFU und deren Untergliederungen aufgehört als Gewerkschaften zu bestehen. Sie haben damit ihre Parteifähigkeit verloren.

a) Während § 50 Abs. 1 ZPO die Fähigkeit in einem Prozeß Kläger oder Beklagter zu sein an die Rechtsfähigkeit knüpft und § 50 Abs. 2 ZPO dem nicht rechtsfähigen Verein nur die passive Parteifähigkeit zugesteht, erklärt § 10 ArbGG Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch für den Aktivprozeß für parteifähig. Zu den Merkmalen einer Gewerkschaft gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Tariffähigkeit, d.h. die Fähigkeit, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder durch Tarifvertrag zu regeln (BAGE 4, 351 = AP Nr. 11 zu § 11 ArbGG 1953; 23, 230 = AP Nr. 2 zu § 97 ArbGG 1953; 29,72 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG).

b) Es erscheint zweifelhaft, ob der klagende Verband als Unterorganisation der RFFU selbst tariffähig war. Das hängt davon ab, ob der Kläger gegenüber der Gesamtorganisation selbständig handlungsfähig war (vgl. die Nachweise bei Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 10 Rz 11). Nach der Satzung der RFFU lag die Tarifhoheit bei dieser, und sie wurde durch den Hauptvorstand ausgeübt. Andererseits sah die Satzung vor, daß ein Tarifvertrag von der Verhandlungskommission eines Verbandes abgeschlossen wurde; er bedurfte dann der Zustimmung des Hauptvorstands. Die Frage, ob der Kläger als Landesverband selbständig tariffähig war, kann hier jedoch auf sich beruhen, da inzwischen die Parteifähigkeit der Gesamtorganisation und damit jedenfalls auch die des Klägers erloschen ist.

c) Durch ihre Auflösung haben die RFFU und der Kläger als Unterorganisation ihre Tariffähigkeit verloren. Die RFFU hat sich durch ihre Selbstauflösung dazu entschlossen, ihre verbandspolitische Betätigung aufzugeben.

Daß sich der Kläger noch als Gewerkschaft in Liquidation bezeichnet und ein nichtrechtsfähiger Verein bis zur Beendigung der Liquidation als fortbestehend gilt (§ 49 Abs. 2 BGB), ändert hieran nichts. Es kommt im Streitfall auch nicht darauf an, ob es zu den Aufgaben einer Gewerkschaft in Liquidation gehört, Rechte und Pflichten aus zuvor abgeschlossenen Tarifverträgen wahrzunehmen (vgl. dazu BAGE 23, 46 = AP Nr. 28 zu § 2 TVG, mit Anm. von Wiedemann). In ihrem Überleitungsvertrag vom 14. April 1989 haben die RFFU und die IG Medien eine Liquidation nur für die vermögensrechtliche Abwicklung vorgesehen (III. des Vertrags). Sämtliche Rechte und Pflichten aus den abgeschlossenen Tarifverträgen wurden sogleich auf die IG Medien übertragen, die ihrerseits den Eintritt in diese Rechte und Pflichten erklärte (VI. des Vertrags). Diese Vereinbarung enthält zugleich die Erklärung der RFFU, künftig verbandspolitische Ziele nicht mehr wahrnehmen zu wollen, und zwar auch nicht für eine Übergangszeit. Ihre Tariffähigkeit ist mit diesem Vertrag beendet worden und damit ist auch ihre Parteifähigkeit erloschen. Rechte und Pflichten aus den früheren Tarifverträgen der RFFU und des Klägers muß nunmehr die IG Medien wahrnehmen.

3. Der Beitritt der Gewerkschaften, die zusammen mit der RFFU den umstrittenen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Ist auf das Ergebnis ohne Einfluß. Diese Gewerkschaften sind zwar notwendige Streitgenossen i.S. des § 61 ZPO, sie haben jedoch das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts nicht mit Rechtsmitteln angegriffen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Fieberg, Schoden

 

Fundstellen

BAGE, 71

RdA 1991, 62

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