Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifauslegung: Landwirtschaftliche Betriebe und deren Nebenbetriebe

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Produktionsgenossenschaft, die selbst keine Bodenbewirtschaftung betreibt, unterfällt auch dann nicht dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft vom 20. November 1973 (ZVL-TV), wenn sie ausschließlich Produkte ihrer landwirtschaftlich tätigen Genossen verwertet.

  • Es handelt sich nicht um einen Betrieb der Landwirtschaft, weil hiervon nur dann gesprochen werden kann, wenn der Unternehmer Grund und Boden planmäßig nutzt oder mit der Bodennutzung verbundene Tierhaltung betreibt, um pflanzliche oder tierische Erzeugnisse zu gewinnen.
  • Es handelt sich auch nicht um den Nebenbetrieb eines landwirtschaftlichen Betriebes, weil dies voraussetzen würde, daß der Inhaber des landwirtschaftlichen Hauptbetriebes und des nicht landwirtschaftlichen Nebenbetriebes identisch sind.
 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Land- und Forstwirtschaft; Tarifvertrag über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZVL-TV) §§ 1, 9; HGB § 3; GenG § 17; Gesetz über das Branntweinmonopol § 25

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 07.02.1994; Aktenzeichen 16 Sa 1412/93)

ArbG Kassel (Urteil vom 01.07.1993; Aktenzeichen 1 Ca 264/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger eine Beihilfe nach dem Tarifvertrag über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft vom 20. November 1973 (ZVL-TV) zusteht.

Der Kläger ist am 8. August 1925 geboren. Er war vom 14. August 1947 bis zum 30. Juni 1975 zunächst als Praktikant, dann als Brennmeister der Gutsbrennerei und ab dem 1. Oktober 1972 als Sudmeister bei der F… Gutsverwaltung und Schloßbrennerei in E… beschäftigt. Vom 1. September 1975 bis zum 31. Mai 1984 und vom 1. September 1984 bis zum 31. August 1988 war er bei der Brennereigenossenschaft O… bei C… beschäftigt. Diese von mehreren Landwirten betriebene Genossenschaft verwertet die von ihren Mitgliedern angelieferten Kartoffeln und sonstigen zum Abbrennen in landwirtschaftlichen Brennereien jeweils zugelassenen Rohstoffe. Die dabei anfallende Schlempe wird an die Landwirte zurückgegeben, die sie als Futter oder Bodendünger weiterverwenden.

Die Beklagte führt nach § 16 des Gesetzes über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZVALG) vom 31. Juli 1974 u.a. die Aufgaben gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien der Land- und Forstwirtschaft durch, die eine Zusatzaltersversorgung für Arbeitnehmer der Land- und Forstwirtschaft zum Gegenstand haben. Hierüber haben die Mitgliedsverbände des Gesamtverbandes der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände sowie die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft am 20. November 1973 den zwischenzeitlich allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZVL-TV) abgeschlossen. In diesem Tarifvertrag heißt es u.a.:

“§ 1 Geltungsbereich

  • Fachlich:

    Für alle

    Betriebe der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des landwirtschaftlichen Obst- und Gemüsebaues, des Weinbaues sowie der Teichwirtschaft und der Fischzucht, deren Nebenbetriebe;

    gemischten Betriebe mit überwiegend landwirtschaftlichem, forstwirtschaftlichem, wein-, obst- oder gemüsebaulichem Charakter;

    selbständigen Nebenbetriebe oder Betriebsabteilungen gewerblicher Unternehmen mit landwirtschaftlichem, forstwirtschaftlichem, wein-, obst- oder gemüsebaulichem Charakter.

  • Persönlich:

    Für alle ständig beschäftigten und in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Arbeitnehmer und Auszubildenden in Betrieben des unter Abs. 2 genannten fachlichen Geltungsbereiches.

§ 2 Zusatzversorgungswerk

  • Die Tarifvertragsparteien gründen ein “Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft e.V. – (ZLF)” als gemeinsame Einrichtung im Sinne von § 4 Abs. 2 TVG.
  • Das ZLF gewährt an land- und forstwirtschaftliche Arbeitnehmer (§ 1 Nr. 3) und deren Witwen/Witwer im Rentenfalle Beihilfe. Zur Finanzierung dieser Beihilfen leisten die land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber Beiträge an das ZLF.
  • Die Aufgaben des ZLF führt die Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft – ZLA – (Gesetz über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft – ZVALG –) durch.

§ 9 Voraussetzungen der Beihilfe

  • Die Beihilfe wird gewährt, wenn

    • die Wartezeit erfüllt ist

      und

    • ein Rentenbescheid des Rentenversicherungsträgers vorliegt.
  • Die Wartezeit beträgt 180 Kalendermonate

§ 10 Höhe der Beihilfen

  • Die Höhe der Beihilfen beträgt für die Zeit vom 1. Juli 1973 bis zum 30. Juni 1978

    • zum Altersruhegeld und zur Erwerbsunfähigkeitsrente monatlich 2,50 DM je zwölf Monate, für die nach § 3 Beitragspflicht bestand; …”

Der Kläger, der sich seit dem 1. September 1988 im Ruhestand befindet, beantragte am 20. Juli 1990, an ihn eine Beihilfe nach dem ZVL-TV zu zahlen. Unter dem 31. Juli 1990 teilte die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Niederbayern/Oberfranken, die Beihilfen nach dem ZVL-TV auszuzahlen hat, dem Kläger mit, daß die Voraussetzungen einer tarifvertraglichen Beihilfe erfüllt seien. Der Kläger erhalte ab dem 1. September 1988 eine monatliche Beihilfe in Höhe von 37,50 DM.

Mit Schreiben vom 24. Juni 1992 unterrichtete die Berufsgenossenschaft den Kläger davon, daß die Beschäftigungszeit bei der Brennereigenossenschaft O… nicht in die tariflich vorgesehene Wartezeit als Voraussetzung des Beihilfeanspruchs eingerechnet werden könne. Die Zahlung der Beihilfe werde daher mit Ablauf des letzten Auszahlungszeitraumes am 30. Juni 1991 eingestellt.

Mit seiner Klage macht der Kläger die Zahlung der Beihilfe für die Zeit vom 1. Juli 1991 bis zum 31. Dezember 1992 in Höhe von 675,-- DM sowie die weitere Zahlung der monatlichen Beihilfe von 37,50 DM geltend. Er hat die Auffassung vertreten, bei der Genossenschaftsbrennerei handele es sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des ZVL-TV. Die von diesem Betrieb überwiegend wahrgenommene Tätigkeit stehe im Zusammenhang mit der Bodennutzung und ermögliche diese. Die Verbindung einer Brennerei mit einem landwirtschaftlichen Betrieb sei als wirtschaftliche Einheit notwendig. Die Beklagte habe die einmal versprochene Zahlung auch nicht ohne weiteres einstellen können.

Der Kläger hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 675,--DM nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen;
  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 37,50 DM pro Monat – zahlbar jeweils nach dem 30.06. eines Jahres –, nebst 4 % Zinsen seit dem 01.01.1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei der Genossenschaftsbrennerei nicht um einen landwirtschaftlichen, sondern um einen gewerblichen Betrieb. Wesentliches Merkmal eines landwirtschaftlichen Betriebes sei die Bodenbewirtschaftung. Daran fehle es bei der Genossenschaftsbrennerei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Sachanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beihilfe nach dem Tarifvertrag über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft vom 20. November 1973 (ZVL-TV). Die Beklagte hat auch kein rechtsbegründendes Schuldanerkenntnis über eine solche Verpflichtung abgegeben.

I. Der Kläger hat keinen tarifvertraglichen Anspruch auf Beihilfe zum Altersruhegeld.

1. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des allgemeinverbindlichen ZVL-TV wird die Beihilfe nur dann gezahlt, wenn die in § 9 Abs. 2 ZVL-TV festgelegte Wartezeit erfüllt ist. Sie beträgt 180 Kalendermonate und wird durch alle versicherungspflichtigen Tätigkeiten im Bereich der Land- und Forstwirtschaft erfüllt, soweit nach dem ZVL-TV Beitragspflicht für das Unternehmen bestand. Ein Arbeitnehmer muß also insgesamt 15 Jahre in einem Betrieb gearbeitet haben, der in den fachlichen Geltungsbereich des ZVL-TV fällt. Zum fachlichen Geltungsbereich des ZVL-TV gehören nach § 1 Nr. 2 des Tarifvertrages Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, deren Nebenbetriebe, gemischte Betriebe mit überwiegend landwirtschaftlichem Charakter sowie selbständige Nebenbetriebe und Betriebsabteilungen gewerblicher, also nicht landwirtschaftlicher, Unternehmen, die landwirtschaftlichen Charakter haben.

2. Der Kläger hat nicht die nach § 9 ZVL-TV erforderliche 15-jährige Wartezeit im fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages zurückgelegt. Er war nur drei Jahre lang, als Sudmeister der F… Gutsverwaltung und Schloßbrennerei, im fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages tätig. Die anschließende fast 13-jährige Tätigkeit bei der Brennereigenossenschaft O… ist nicht zu berücksichtigen. Hier handelt es sich nicht um einen landwirtschaftlichen Betrieb oder den Nebenbetrieb eines landwirtschaftlichen Betriebes im Sinne des ZVL-TV.

a) Bei der Bestimmung, welche Betriebe zu den in § 1 ZVL-TV genannten Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und deren Nebenbetrieben gehören, ist auf die im Arbeits- und Wirtschaftsleben geltenden Begriffsinhalte abzustellen. Dabei kann auch auf die Gesetzesentwicklung zurückgegriffen werden, an welche die Tarifvertragsparteien angesichts der gewählten Begriffe offenbar angeknüpft haben.

Das Recht der Landarbeit war stets ein Sondergebiet des Arbeitsrechts, weil die tatsächlichen Arbeitsbedingungen der hier Beschäftigten in besonderem Umfang von Wechsel der Jahreszeiten und den Witterungseinflüssen abhängig sind (Sahmer, AR-Blattei, Landarbeit I A; Winterfeld, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. II, § 179 Rz 3; Richardi, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. I, § 26 Rz 15). Der Reichsbauernrat und der Landarbeiterrat hatten deshalb bereits am 24. Januar 1919 eine vorläufige Landarbeitsordnung geschaffen, der der Gesetzgeber der Weimarer Republik Gesetzeskraft verliehen hat. Diese vorläufige Landarbeitsordnung galt bis zum 31. August 1969 in der Bundesrepublik fort. Sie beinhaltete eine Vielzahl von Spezialvorschriften, die auf die Besonderheiten der Landwirtschaft Rücksicht nahmen. Nach § 1 der vorläufigen Landarbeitsordnung galt dieses Gesetz für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft einschließlich ihrer Nebenbetriebe. Diese § 1 Nr. 2 Abs. 1 ZVL-TV entsprechende Zweiteilung fand sich ähnlich auch in § 1 Abs. 1 Nr. 1 AZO und § 417 RVO und findet sich bis heute in § 3 Abs. 1 und Abs. 3 HGB. In allen diesen Bereichen wurden und werden die in § 1 Nr. 2 Abs. 1 ZVL-TV genannten Begriffe im wesentlichen mit gleichem Inhalt verwendet.

b) Dabei versteht man unter Landwirtschaft die planmäßige Nutzung des Bodens und die mit der Bodennutzung verbundene Tierhaltung zur Gewinnung pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse (Urproduktion) einschließlich von deren Verwertung. Wesensmerkmal landwirtschaftlicher Tätigkeit ist es also, daß der landwirtschaftliche Unternehmer über Grund und Boden verfügt, der mit dem Ziel bearbeitet wird, organische Naturprodukte zu erzeugen (Molitor, Vorläufige Landarbeitsordnung, 2. Aufl., § 1 Rz 3; Fendel, Das Recht der Landarbeit, 1958, S. 11; Sahmer, AR-Blattei, Landarbeit I B 1; Meisel/Hiersemann, AZO, 2. Aufl., § 1 Rz 8; Denecke/Neumann, AZO, 11. Aufl., § 1 AZO Rz 22; BSG Urteil vom 28. April 1964 – 3 RK 44/60 – SozR RVO § 235 Nr. 3; Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl., § 3 Rz 1, 3; Heymann/Emmerich, HGB, Stand 1989, § 3 Rz 3, 4; Staub/Brüggemann, HGB, 4. Aufl., § 3 Rz 4; Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., § 3 Rz 4 ff.; GK-HGB-Nickel, 4. Aufl., § 3 Rz 3; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 4. Aufl., § 10 VI 2a; ebenso auch BAG Urteil vom 3. Oktober 1979 – 4 AZR 903/77 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Land- und Forstwirtschaft). Seinem Urteil vom 3. Oktober 1979 (aaO) hat der Vierte Senat deshalb zu Recht bei seiner Feststellung, ein Rinderbesamungsunternehmen gehöre zur Landwirtschaft, darauf abgestellt, daß dieses Unternehmen für seine Bullenstation 30 ha Weideland bewirtschaftete.

Auch der Begriff des Nebenbetriebes eines landwirtschaftlichen Betriebes wird im hier wesentlichen jeweils gleich verstanden: Es muß sich um eine selbständige Einheit zur Verfolgung eines technischen Zwecks handeln, der mit dem landwirtschaftlichen Zweck des Hauptbetriebes nicht zusammenfällt, aber der Förderung dieses Hauptzweckes zu dienen bestimmt ist. Hierzu gehören insbesondere organisatorisch verselbständigte Produktionseinheiten, in denen die im Hauptbetrieb gewonnenen Erzeugnisse verarbeitet oder sonst verwertet werden, wie z.B. Käsereien, Brennereien, Marmeladefabriken, Keltereien und vergleichbare Einrichtungen. Für die Annahme, daß ein Nebenbetrieb vorliegt, ist aber darüber hinaus auch erforderlich, daß der Betriebsinhaber des Nebenbetriebes derselbe ist, wie der des Hauptbetriebes (allgemein zur Identität des Betriebsinhabers bei “selbständigen Nebenbetrieben”: BAG Urteil vom 5. März 1958 – 4 AZR 501/55 – AP Nr. 8 zu § 4 TVG Geltungsbereich; zu Nebenbetrieben in der Landwirtschaft: Molitor, aaO, § 1 Rz 14; Fendel, aaO, S. 17; Sahmer, aaO, B 2; Meisel/Hiersemann, aaO, § 1 Rz 17; Denecke/Neumann, aaO, § 1 AZO Rz 31, 26; Heymann/Emmerich, aaO, § 3 Rz 17 ff.; Baumbach/Hopt, aaO, § 3 Rz 4, 6; Staub/Brüggemann, aaO, § 3 Rz 9, 10; BSG Urteil vom 28. April 1964 – 3 RK 44/60 – SozR RVO § 235 Nr. 3). Aus diesem Grund handelt es sich auch dann nicht um einen Nebenbetrieb eines landwirtschaftlichen Unternehmens, wenn sich mehrere Landwirte zur Bearbeitung oder Verwertung ihrer landwirtschaftlichen Produkte zu einer Genossenschaft zusammenschließen (Molitor, aaO, § 1 Rz 14; Fendel, aaO, S. 17, 18; Sahmer, aaO, B 2a; BSG, aaO ≪Molkereigenossenschaft≫).

c) Geht man von diesen das Arbeitsrecht der Landwirtschaft prägenden Begriffsinhalten aus, ist die Brennereigenossenschaft O… nicht dem fachlichen Geltungsbereich des ZVL-TV zuzuordnen.

Bei der Brennereigenossenschaft handelt es sich um eine selbständige juristische Person (§ 17 GenG). Sie betreibt keine Landwirtschaft. Grund und Boden werden von ihr nicht bewirtschaftet, um daraus Naturerzeugnisse zu erzielen. Es werden lediglich landwirtschaftliche Erzeugnisse weiterverarbeitet, die von Dritten angeliefert wurden. An diese Dritten werden dann auch Abfallprodukte zur weiteren Verwertung abgegeben. Die landwirtschaftlich tätigen Genossen der Genossenschaft sind Dritte in diesem Sinne. Sie sind von der juristischen Person der Genossenschaft verschieden.

Aus diesem Grund handelt es sich bei der Brennereigenossenschaft auch nicht um einen Nebenbetrieb der landwirtschaftlichen Unternehmen der Genossen. Es fehlt an der für den Nebenbetrieb erforderlichen Identität des Inhabers von Haupt- und Nebenbetrieb. Zwar hätte jeder einzelne Landwirt eine Brennerei in Form eines Nebenbetriebes unterhalten können, um dort die bei ihm geernteten Kartoffeln zu brennen. Überträgt er diese Funktion jedoch auf eine rechtlich selbständige juristische Person, wird aus der Produktionseinheit ein selbständiger Gewerbebetrieb außerhalb des Geltungsbereichs des § 1 Nr. 2 Abs. 1 ZVL-TV.

Die Geltung des ZVL-TV nach § 1 Nr. 2 Abs. 2 oder Abs. 3 ZVL-TV kommt nach diesen Feststellungen von vornherein nicht in Betracht.

d) Der Ausschluß einer rechtlich selbständigen Brennereigenossenschaft aus dem Arbeitsrecht der Landwirtschaft steht in Übereinstimmung mit dem Sinn und Zweck solcher Sonderbestimmungen: Zwar ist eine Brennereigenossenschaft in eine arbeitsteilige landwirtschaftliche Produktion und Produktionsverwertung eingebunden. Dies allein reicht jedoch für die arbeitsrechtliche Zuordnung nicht aus. Jedes Unternehmen, das Naturerzeugnisse verarbeitet, erfüllt diese Bedingung (z.B. Zuckerraffinerien, Baumwollspinnereien u.ä.). Entscheidend ist für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts der Landwirtschaft, ob die im fraglichen Unternehmen tätigen Arbeitnehmer zumindest in etwa unter den Arbeitsbedingungen zu arbeiten haben, die für die Landwirtschaft typisch sind, oder ob es sonstige Gründe gibt, für Arbeitnehmer, die an sich keine landwirtschaftlichen Tätigkeiten verrichten, gleichwohl die hierfür geschaffenen Regelungen anzuwenden. Beides ist bei einer Brennereigenossenschaft nicht der Fall. Eine Brennereigenossenschaft wird in festen Gebäuden betrieben und ist von Witterungseinflüssen und der Jahreszeit im wesentlichen unabhängig. Sie unterscheidet sich nicht erkennbar von einer Brennerei, die von verschiedenen Produzenten oder Großhändlern die zu brennenden Naturerzeugnisse erwerben muß. Wird die Brennerei rechtlich unabhängig von den anliefernden landwirtschaftlichen Betrieben geführt, gibt es auch keinen Anlaß, arbeitsrechtliche Bestimmungen, die für die Arbeitnehmer eines landwirtschaftlichen Betriebes entwickelt wurden, über diesen Bereich hinaus zu erstrecken. Die fachliche Geltung des ZVL-TV auch für Nebenbetriebe landwirtschaftlicher Betriebe hat erkennbar den Zweck, für alle Arbeitnehmer eines Unternehmers, der sich im Schwerpunkt, in seinem Hauptbetrieb, landwirtschaftlich betätigt, gleiches Tarifrecht zu schaffen. Dies wird bestätigt durch die entsprechende Festlegung bei gemischten Betrieben in § 1 Nr. 2 Abs. 2 ZVL-TV, während der Tarifvertrag nach § 1 Nr. 2 Abs. 3 bei Unternehmen mit gewerblichem Hauptbetrieb nur für die Arbeitnehmer des landwirtschaftlichen Nebenbetriebes gelten soll, auf deren besondere Arbeitsbedingungen die tariflichen Regelungen abgestimmt wurden.

e) § 25 Abs. 3 des Gesetzes über das Branntweinmonopol steht dem nicht entgegen. In diesem Gesetz, mit dem im Jahre 1922 anstelle der bis dahin geltenden Besteuerung das Branntweinmonopol eingeführt wurde, auf dessen Grundlage die Herstellung und der Vertrieb von Branntwein überwacht werden soll (vgl. hierzu im einzelnen Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Bd., 4. Aufl., S. 7, 19 f., Stichwort: “Branntweinsteuer”), wird zwar von landwirtschaftlichen Brennereien in Form von Gemeinschaftsbrennereien gesprochen, die auch als Genossenschaftsbrennereien betrieben werden können. Dabei geht es für den Gesetzgeber aber nur darum, die historisch vorgefundenen, unterschiedlichen Produktionsverhältnisse zu erfassen und zu erhalten sowie Regelungen entsprechend ihrer Besonderheit zu treffen. Eine für das Arbeitsrecht verbindliche Begriffsbestimmung läßt sich hieraus nicht entnehmen. Der Gesetzgeber wollte eine Sonderregelung für die Brennereien schaffen, die allgemein im landwirtschaftlichen Bereich angesiedelt sind. Für diese Zuordnung ist es unerheblich, unter welchen Bedingungen die Arbeitnehmer in diesen Betrieben arbeiten und wer jeweils die Arbeitgeberstellung innehat. Diese Gesichtspunkte müssen aber Ausgangspunkt dafür sein, den Geltungsbereich arbeitsrechtlicher Regelungen zu bestimmen.

Aus diesem Grund sind auch die Feststellungen, die der Kläger und das von ihm vorgelegte Rechtsgutachten zur Einbindung von Genossenschaftsbrennereien in den Bereich der Landwirtschaft getroffen haben, ohne entscheidungserhebliche Bedeutung. Daß landwirtschaftliche Genossenschaftsbrennereien gefördert werden sollen, um die Strukturbedingungen für kartoffelerzeugende Betriebe zu verbessern, sagt nichts darüber aus, daß solche rechtlich selbständigen Brennereien dem für Arbeitnehmer in landwirtschaftlichen Betrieben entwickelten tariflichen Arbeitsrecht unterliegen müssen.

Nichts anderes gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß Kartoffelbrennereien aus historischer Sicht als Nebenbetriebe landwirtschaftlicher Hauptbetriebe angelegt waren und eine landwirtschaftliche Funktion erfüllen. Der zeitlich parallel zum Branntweinmonopolgesetz entwickelte, maßgeblich an der arbeitsrechtlichen Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern orientierte Begriff des Nebenbetriebes eines landwirtschaftlichen Betriebes verlangt nicht nur die tatsächliche Einbindung in einen allgemeinen landwirtschaftlichen Produktionskreislauf. Es kommt auf die rechtliche Einbindung in ein Unternehmen mit im Schwerpunkt landwirtschaftlicher Betätigung durch Identität des Betriebsinhabers an.

II. Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf die Mitteilung der Bevollmächtigten der Beklagten über die Gewährung einer Beihilfe vom 31. Juli 1990 und die darauf zunächst folgende Auszahlung der Beihilfe stützen. Hierin liegt kein rechtsbegründendes Schuldanerkenntnis.

Das Formularschreiben vom 31. Juli 1990 knüpft ausdrücklich an die tarifvertraglichen Regelungen an. Aus ihm wird für jeden verständigen Empfänger deutlich, daß es um die Mitteilung eines aufgrund Tarifvertrages entstandenen Anspruchs, nicht um dessen Begründung geht.

Die in diesem Zusammenhang vom Kläger erhobene Verfahrensrüge nach § 286 ZPO ist unbegründet. Er macht geltend, das Landesarbeitsgericht habe nicht den gesamten Parteivortrag zum Gegenstand seiner Beurteilung gemacht. Es hätte berücksichtigen müssen, daß die Beklagte selbst in ihrem Schriftsatz vom 25. Mai 1993 darauf hingewiesen habe, daß sie in einem vergleichbaren Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kassel unterlegen sei, diese Entscheidung aber hingenommen habe, obwohl sie nicht mit ihrer Auffassung in Übereinstimmung gestanden habe. Es ist nicht erkennbar, inwiefern die Berücksichtigung dieses Vorbringens zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis des Rechtsstreites hätte führen können. Der Kläger behauptet nicht, daß er von einem solchen Verhalten der Beklagten vorprozessual Kenntnis hatte. Darüber hinaus kann aus einem solchen Verhalten auch nicht geschlossen werden, die Beklagte wollte gegenüber dem Kläger wegen dessen Tätigkeit bei der Brennereigenossenschaft einen über ihre tarifvertragliche Verpflichtung hinausgehenden Beihilfeanspruch anerkennen. Im übrigen ist eine in einem bestimmten Rechtsstreit unterlegene Partei, die dort die Rechtsauffassung eines Gerichts hingenommen hat, nicht gezwungen, in künftigen vergleichbar liegenden Fällen ebenfalls von dieser Rechtsauffassung auszugehen.

Das Vertrauen des Klägers, die Beklagte werde seine Tätigkeit bei der Brennereigenossenschaft O… anerkennen, wird nicht geschützt. Selbst wenn die Beklagte nach dem ZVL-TV Beiträge der Brennereigenossenschaft entgegengenommen haben sollte, könnte dies nur dann zu einem entsprechenden Vertrauenstatbestand geführt haben, wenn der Kläger von diesen allein von der Arbeitgeberin aufzubringenden Beiträgen gewußt hätte. Dies behauptet er nicht.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Bepler, Michels, O. Hofmann

Richter Kremhelmer ist im Urlaub.

Dr. Heither

 

Fundstellen

Haufe-Index 870890

BAGE, 14

NZA 1995, 1205

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