Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehrarbeitsvergütung nach beendetem Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (redaktionell)

Folgt aus einer an sich zulässigen Bezugnahme auf beamtenrechtliche Bestimmungen, daß ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung verliert, so ist die entsprechende vom Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes einseitig vorformulierte und daher der richterlichen Inhaltskontrolle unterliegende Vertragsklausel unbillig und damit unwirksam, weil sie zu einer unangemessenen und sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung des Arbeitnehmers führt.

 

Normenkette

BAT § 70; BG BY Art. 80; BGB §§ 242, 271, 315, 611-612

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 14.01.1993; Aktenzeichen 7 Sa 625/92)

ArbG München (Entscheidung vom 02.04.1992; Aktenzeichen 9 Ca 13122/91)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für bis dahin nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichene Mehrarbeitsstunden, die sie dienstplanmäßig geleistet hat, eine Vergütung in Geld beanspruchen kann.

Die Klägerin war vom 1. Juli 1985 bis zum 31. Januar 1991 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge im Klinikum G des Beklagten am Institut für Anästhesiologie als hauptberufliche "Wissenschaftliche Hilfskraft" - Ärztin - beschäftigt. Zuvor war sie dort bereits als Krankenschwester im Angestelltenverhältnis bei Geltung des BAT tätig gewesen.

In den vom Beklagten vorformulierten Arbeitsverträgen vom 9. Januar 1986 und vom 10. Dezember 1987 lautete der Befristungsgrund:

"Die Beschäftigung dient auch der Weiterbildung

als wissenschaftlicher Nachwuchs oder der beruf-

lichen Aus-, Fort- oder Weiterbildung (§ 57 b

Abs. 2 Nr. 1 Hochschulrahmengesetz - HRG -)."

In § 4 der ihrem Wortlaut nach identischen Verträge heißt es u.a.:

"§ 4 Anzuwendende Vorschriften

(1) Auf das Vertragsverhältnis finden

1. §§ 4 (Schriftform, Nebenabrede), 6 (Gelöb-

nis), 7 (Ärztliche Untersuchung), 9

(Schweigepflicht), 10 (Belohnungen und Ge-

schenke), 13 (Personalakten), 14 (Haftung),

18 (Arbeitsversäumnis), 37 (Krankenbezüge

bei Schadensersatzansprüchen gegen Dritte),

40 (Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und

Todesfällen, Unterstützungen), 41 (Sterbe-

geld), 42 (Reisekostenvergütung), 44 (Um-

zugskostenvergütung, Trennungsgeldentschä-

digung), 57 (Schriftform der Kündigung), 61

(Zeugnisse und Arbeitsbescheinigung) und 70

(Ausschlußfrist) des Bundes-Angestelltenta-

rifvertrages (BAT),

2. Art. 9 Abs. 1 Nr. 2, Art. 62 Abs. 2 (Allge-

meine Pflichten) des Bayer. Beamtengesetzes

(BayBG) sowie die für Akademische Räte a.

Zeit geltenden beamtenrechtlichen Vor-

schriften über die Nebentätigkeit (Art. 73

- 78 BayBG, Bayer. Nebentätigkeitsverord-

nung, Bayer. Hochullehrernebentätigkeits-

verordnung), die Arbeitszeit (Art. 80

BayBG, Arbeitszeitverordnung) und den Ur-

laub (Art. 99 BayBG, Urlaubsverordnung)

in der jeweiligen Fassung entsprechende Anwen-

dung. § 37 BAT gilt mit der Maßgabe, daß an Stel-

le der Dienstzeit (§ 20 BAT) die Zeit der haupt-

beruflichen Tätigkeit als wissenschaftliche

Hilfskraft tritt. Über die Regelung des Art. 80

BayBG hinaus ist die Bezahlung einer Mehrarbeit

ausgeschlossen, auch soweit bei Beendigung des

Arbeitsverhältnisses kein Freizeitausgleich ge-

währt wird."

Die Vergütung der Klägerin erfolgte vereinbarungsgemäß nach der Besoldungsgruppe A 13. Die Klägerin ist nicht Mitglied eines den BAT auf Arbeitnehmerseite abschließenden Verbandes. Sie leistete als Ärztin dienstplanmäßig im Jahre 1989 272 und im Jahre 1990 239 Stunden Mehrarbeit, die nicht durch Freizeitgewährung oder besondere Vergütung ausgeglichen wurden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete mit dem 31. Januar 1991. Mit Wirkung vom 1. Februar 1991 wurde die Klägerin in das Beamtenverhältnis übernommen. Mit Schreiben vom 23. Juli 1991 machte sie gegenüber dem Beklagten eine Mehrarbeitsvergütung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 12.479,01 DM geltend.

Das im Freistaat Bayern vorgeschriebene Abhilfeverfahren wurde durchgeführt. Die Ludwigs-Maximilians-Universität wies die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche mit Bescheid vom 2. September 1991 zurück.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe einen vertraglichen Anspruch auf Vergütung der Mehrarbeit erworben. Die in § 4 der vorgedruckten Verträge vereinbarte Einbeziehung einzelner Vorschriften aus dem Bundes-Angestelltentarifvertrag und aus dem Bayerischen Beamtengesetz (BayBG) sei wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unwirksam. Im Beamtenrecht sei die Besoldung nicht Gegenleistung für geleistete Arbeit. Die beamtenrechtlichen Grundsätze könnten nicht auf Arbeitsverhältnisse übertragen werden, da hier Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem Austauschverhältnis zueinander ständen. Sie, die Klägerin, sei auch nicht wissenschaftliche Hilfskraft gewesen, bei welcher die Ansprüche auf Mehrarbeitsentgelt ausgeschlossen seien. Sie sei als Ärztin angestellt worden. Die Weiterbildung zur Fachärztin könne nicht als wissenschaftliche Hilfstätigkeit qualifiziert werden. Ebensowenig finde § 70 BAT Anwendung. Die Vereinbarung der Ausschlußfrist lediglich durch Bezugnahme im Arbeitsvertrag sei mangels Vorliegens des Textes bei Vertragsschluß unwirksam. Zudem verstoße die isolierte Vereinbarung gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 12.479,01 DM

nebst 4 % Zinsen aus diesem Betrag seit dem

16. August 1991 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe wegen der Begrenzung in Art. 80 BayBG keinen Anspruch auf die geltend gemachte Mehrarbeitsvergütung. Hierin sei keine unangemessene Benachteiligung zu sehen, da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nach Art. 25 BayHSchLG nicht nur der reinen Arbeitsleistung, sondern auch der Qualifizierung als wissenschaftlicher Nachwuchs gedient habe. Zudem seien die Ansprüche für den Zeitraum bis zum 30. September 1990 gemäß § 70 BAT verfallen. Die in § 4 der Arbeitsverträge vereinbarte Geltung dieser Ausschlußklausel sei wirksam. Die Klägerin habe auch den Wortlaut der Tarifvorschrift gekannt. Dieser sei ihr mit Schreiben vom 22. Dezember 1982 zugesandt worden. Außerdem hätte sie bei der Klinikverwaltung und bei der zentralen Universitätsverwaltung in den Text Einsicht nehmen können. Gegen die Einbeziehung einzelner tarifvertraglicher Normen in einen Einzelarbeitsvertrag bestünden überdies keine Bedenken.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Beklagten auf die Berufung der Klägerin verurteilt, an sie 2.364,10 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 16. August 1991 zu zahlen, im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin ihren Zahlungsanspruch in Höhe von weiteren 10.114,91 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 16. August 1991 weiterverfolgt. Der Beklagte wendet sich mit seiner Revision gegen die Verurteilung durch das Landesarbeitsgericht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Revision des Beklagten ist dagegen unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf volle Mehrarbeitsvergütung für die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch Freizeit ausgeglichenen Überstunden.

A. Die Revision der Klägerin ist begründet.

I. Der Klageanspruch ergibt sich, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, aus den §§ 611, 612 BGB. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung für die ihr bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gewährte Dienstbefreiung. Die Parteien haben einen solchen Anspruch nicht wirksam ausgeschlossen. Das Landesarbeitsgericht geht zu Unrecht von einem teilweisen Verfall der Ansprüche gemäß § 70 BAT aus.

1. Der Klägerin stand bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Freizeitausgleich für die geleistete Mehrarbeit von 511 Stunden zu.

a) Nach § 4 (1) 2. des Arbeitsvertrages findet für die Regelung der Arbeitszeit der Klägerin Art. 80 BayBG Anwendung. Diese Bezugnahme bedeutet, daß damit auch die Regelung zur Abgeltung der Mehrarbeitszeit des Art. 80 BayBG anzuwenden ist. Nach Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG ist die dienstlich angeordnete Mehrarbeit von mehr als fünf Stunden im Monat innerhalb von drei Monaten mit entsprechender Dienstbefreiung auszugleichen. Ist dies aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle bis zu 40 Mehrarbeitsstunden im Monat vergütet werden.

Die Klägerin hat für die in den Jahren 1989 und 1990 erbrachten 511 Mehrarbeitsstunden weder Freizeit noch eine Vergütung erhalten. Ihr stand damit während des Anstellungsverhältnisses ein Anspruch auf Dienstbefreiung nach Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG zu. Die Erfüllung der hierfür zu fordernden Voraussetzungen ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Mehrarbeit war dienstlich angeordnet. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts leistete die Klägerin die Mehrarbeitsstunden dienstplanmäßig. Die Einteilung nach einem Dienstplan ist als Anordnung im Sinne des Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG anzusehen. Die Klägerin ist durch die Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht worden. Es kommt für den Anspruch auf Freizeitausgleich nicht darauf an, ob zwingende dienstliche Gründe die Mehrarbeit erforderten (Weiss/Niedermayer/Summer/Zängl, Kommentar zum Bayerischen Beamtengesetz (BayBG), Bd. I, Erl. 18 zu Art. 80, S. 22).

Die Ansprüche auf Dienstbefreiung sind auch nicht gemäß Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG nach Ablauf des dreimonatigen Ausgleichszeitraums untergegangen. Zwar ist die Dienstbefreiung innerhalb von drei Monaten zu gewähren, es handelt sich bei diesem Zeitraum jedoch nicht um eine Ausschlußfrist (Senatsurteil vom 25. Juli 1984 - 5 AZR 294/82 -, nicht veröffentlicht, zu 2. der Gründe). Der Anspruch auf Dienstbefreiung hat sich auch nicht in Höhe von 40 Stunden je Monat in einen Vergütungsanspruch umgewandelt. Nach Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayBG ist dafür erforderlich, daß die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist. Hierzu haben die Parteien nichts vorgetragen. Zudem obliegt dem Dienstherrn die Entscheidung darüber, ob er bei Vorliegen dieser Voraussetzungen eine Vergütung zahlen oder Dienstbefreiung gewähren will. Diese Entscheidung hat er nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (vgl. Weiss/Niedermayer/Summer/Zängl, aaO, Erl. 20 zu Art. 80). Eine entsprechende Entscheidung hat der Beklagte jedoch nicht getroffen.

b) Der Freizeitausgleich für 511 Mehrarbeitsstunden stand der Klägerin auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Januar 1991 noch zu. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt ein Verfall nach § 70 BAT nicht in Betracht. Dabei kann es dahinstehen, ob die Auffassung der Klägerin zutrifft, die formularmäßige Bezugnahme auf § 70 BAT in § 4 Ziff. 1 des Anstellungsvertrages sei unwirksam. Selbst bei Geltung dieser Ausschlußfrist wären die Ansprüche der Klägerin nicht verfallen.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Anspruch auf Arbeitsfreistellung für die noch nicht ausgeglichenen und nicht bezahlten Mehrarbeitsstunden sei mit Ablauf des jeweiligen Monats des dreimonatigen Ausgleichszeitraums in Art. 80 Abs. 2 BayBG im Sinne des § 70 BAT fällig geworden. Die erstmalige schriftliche Geltendmachung vom 23. Juli 1991 verhindere lediglich den Verfall des Ausgleichsanspruchs für die Mehrarbeitsstunden, die bis einschließlich September 1990 angefallen seien. Hierbei verkennt das Landesarbeitsgericht jedoch, daß das beklagte Land auch nach Ablauf des dreimonatigen Ausgleichszeitraums des Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG die Dienstbefreiung hätte gewähren können und müssen. Die Gewährung geschieht durch eine Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arzt, durch die er auf sein vertragliches Recht auf Leistung der geschuldeten Dienste in einem bestimmten Umfang verzichtet und damit die Dienstleistungspflicht des Arztes zum Erlöschen bringt (BAG Urteil vom 7. Dezember 1989 - 6 AZR 129/88 -, nicht veröffentlicht, zu II 2 a der Gründe).

Eine solche Erklärung hat der Beklagte nicht abgegeben. Er hat die Klägerin vielmehr ohne entsprechende Befreiung dienstplanmäßig weiter eingeteilt. Der Freizeitanspruch hatte sich wegen dieser fehlenden Bestimmung durch die Beklagte damit zeitlich noch nicht konkretisiert. Eine Mitwirkung des Arbeitnehmers, insbesondere eine Geltendmachung der Dienstbefreiung, ist in Art. 80 Abs. 2 BayBG nicht vorgesehen. Der Dienstherr ist vielmehr verpflichtet, die Dienstbefreiung von sich aus zu gewähren. Wann der einzelne Arzt von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird und in welchem Umfang dies geschieht, bedarf einer weiteren Entscheidung des Arbeitgebers (BAG Urteil vom 7. Dezember 1989, aaO). Eine Fälligkeit des Anspruchs auf Dienstbefreiung konnte folglich während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht eintreten. Nach § 271 Abs. 1 BGB kann die Festlegung der Leistungszeit einer Vertragspartei überlassen werden. Ist das der Fall, muß die Bestimmung nach § 315 Abs. 1 BGB im Zweifel nach billigem Ermessen erfolgen (Palandt/Heinrichs, BGB, 51. Aufl., § 271 Rz 6). Nach Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG war es die Pflicht des Dienstherrn, die Dienstbefreiung zu gewähren und damit den Freistellungszeitraum zu bestimmen. Zwar hat der Beamte einen Rechtsanspruch auf Gewährung innerhalb von drei Monaten, wovon der Dienstherr nur wegen zwingender dienstlicher Gründe abweichen darf. Wird die Dienstbefreiung dennoch ohne Vorliegen dieser Gründe nicht innerhalb dieser Frist gewährt, bleibt dem Beamten der Anspruch auf Freizeitausgleich weiterhin erhalten (Weiss/Niedermayer/Summer/Zängl, aaO, Erl. Nr. 20 zu Art. 80). Die Festlegung der Leistungszeit tritt dann ohne entsprechende Bestimmung des Dienstherrn auch nicht mit Ablauf des dreimonatigen Zeitraums ein. Der Freizeitanspruch setzt im übrigen lediglich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses voraus (BAGE 66, 154, 166 = AP Nr. 7 zu § 3 BAT, zu V 1 der Gründe).

2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Vereinbarung der Parteien über den Ausschluß der Vergütung von Mehrarbeit, auch soweit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Freizeitausgleich gewährt worden ist, sei unwirksam.

a) Ein Verstoß gegen die Vorschriften des AGBG kommt allerdings nicht in Betracht. Zwar ist der vorliegende Arbeitsvertragstext von dem Beklagten vorformuliert worden. Nach § 23 Abs. 1 AGBG findet dieses Gesetz bei Verträgen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts jedoch keine Anwendung. Wegen dieser ausdrücklichen Bereichsausnahme scheidet damit auch eine entsprechende Anwendung aus (BAG Urteil vom 27. Mai 1992 - 5 AZR 324/91 - EzA § 339 BGB Nr. 8, zu II 2 der Gründe).

b) Die Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG läßt die arbeitsrechtliche Inhaltskontrolle unberührt (BAG Urteil vom 23. September 1992 - 5 AZR 569/91 - AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitnehmerdarlehen, zu II 2 d der Gründe). Der Arbeitgeber, der vorformulierte Arbeitsvertragstexte verwendet, hat diese Formulierungen wegen seiner stärkeren Verhandlungsmacht einseitig durchsetzen können. Aus dieser einseitigen Vertragsgestaltung resultiert seine Pflicht, bei der Abfassung die Interessen des Vertragspartners angemessen zu berücksichtigen (BGH Urteil vom 8. Mai 1973 - IV ZR 158/71 - BGHZ 60, 377, 380). Die Vertragsgestaltung unterliegt damit einer richterlichen Inhaltskontrolle (BAG Urteil vom 24. März 1988 - 2 AZR 630/87 - AP Nr. 1 zu § 241 BGB, zu II 2 b, aa der Gründe). Dabei kann es dahinstehen, ob sich die richterliche Kontrolle zur Vermeidung eines Mißbrauchs der Vertragsfreiheit aus § 242 BGB (BGH Urteil vom 8. Mai 1973, aaO) oder aus § 315 BGB (Senatsurteil vom 5. Februar 1986 - 5 AZR 564/84 - AP Nr. 12 zu § 339 BGB, zu II 2 der Gründe) ergibt (vgl. weiter BAGE 22, 189, 194 = AP Nr. 1 zu § 242 BGB Ruhegehalt - Unterstützungskassen, zu 2 b der Gründe). Einer richterlichen Korrektur bedarf die Vertragsgestaltung dann, wenn sie die Interessen des Arbeitnehmers unverhältnismäßig außer acht läßt (BAGE 64, 179, 194 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu II 5 der Gründe). Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der vertragliche Ausschluß der Zahlung der Mehrarbeitsvergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei unbillig. Der Beklagte habe mit dieser vertraglichen Regelung einseitig seine Interessen berücksichtigt. Anders als im Beamtenverhältnis gelte im Arbeitsverhältnis der Grundsatz, daß gerade unerwünschte und sogar verbotene Mehrarbeit zu vergüten sei, weil der Arbeitgeber durch die hohen Lohnkosten davon abgehalten werden solle, in derartigem Umfang Mehrarbeit zu verlangen.

Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Der vertragliche Ausschluß der Abgeltung der nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichenen und wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr ausgleichbaren Mehrarbeit führt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers.

aa) Grundsätzlich nicht zu beanstanden ist dabei die Bezugnahme auf Art. 80 BayBG. Wegen der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Beamten (§ 79 BBG, § 48 BRRG) kann davon ausgegangen werden, daß die beamtenrechtliche Regelung sachgerecht ist (BAGE 39, 138, 144 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht). Zudem regelt Art. 80 BayBG nicht den Fall, daß der Anspruch auf Freizeitabgeltung bei Beendigung des Rechtsverhältnisses noch besteht. Das Beamtenverhältnis bedarf einer solchen Regelung nicht, da es in der Regel auf Dauer angelegt ist (Senatsurteil vom 25. Juli 1984 - 5 AZR 294/82 -, nicht veröffentlicht, zu 3 a der Gründe). Im Bereich des Arbeitsrechts ist das befristete oder vorzeitig beendete Arbeitsverhältnis dagegen nicht ungewöhnlich. Auch die Klägerin war nur aufgrund befristeter Arbeitsverhältnisse bei dem Beklagten beschäftigt. Der Senat hat daher in einer früheren Entscheidung bei ausschließlicher Bezugnahme auf Art. 80 BayBG einen Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers durch ergänzende Vertragsauslegung gewonnen (Senatsurteil vom 25. Juli 1984, aaO, unter 3 c der Gründe). Dieses Verfahren braucht hier jedoch nicht angewandt zu werden.

bb) Der Anstellungsvertrag der Parteien enthält insoweit keine Vertragslücke, sondern schließt ausdrücklich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Bezahlung der Mehrarbeit aus. Das ist unbillig und führt zu einer unangemessenen und sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung des Arbeitnehmers. Der Beklagte greift in das dem Arbeitsverhältnis eigene Synallagma ein und verschiebt das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig zu seinen Gunsten. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß der Arbeitgeber nicht verlangen könne, der Arbeitnehmer solle die Mehrarbeitsstunden entschädigungslos erbringen. Der Beklagte hätte bei ordnungsgemäßer Gewährung der Freizeit die von der Klägerin geleistete Arbeit einem Dritten übertragen müssen und wäre dadurch mit den gleichen Kosten belastet worden (Senatsurteil vom 25. Juli 1984, aaO, zu 3 c der Gründe). Hinzu kommt, daß es nach dem vertraglich anzuwendenden Art. 80 Abs. 2 BayBG Pflicht des Beklagten gewesen wäre, die Dienstbefreiung zu gewähren. Dieser Pflicht ist er bei seiner dienstplanmäßigen Einteilung nicht nachgekommen und will hieraus bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Vorteil herleiten, auch keine finanzielle Abgeltung der Mehrarbeit vornehmen zu müssen. Dem kann nicht gefolgt werden.

Die Billigkeit eines vertraglichen Ausschlusses läßt sich auch nicht aus der fehlenden Abgeltungsregelung für Beamte herleiten. Der Beamte erhält eine regelmäßige Besoldung nicht für seine Tätigkeit im Rahmen einer bestimmten Arbeitszeit. Nach den Grundsätzen des Beamtenrechts stellt der Beamte dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung und hat als Gegenleistung dafür Anspruch auf amtsangemessene Alimentation in Gestalt der Dienstbezüge. Mehrarbeit wird regelmäßig, soweit überhaupt, durch Freizeit ausgeglichen (BVerwG Urteil vom 21. Februar 1991 - 2 C 48.88 - ZTR 1991, 349, 350). Insoweit ist die Lage beim Arbeitnehmer anders.

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch keine Ausnahme vom Synallagma, weil die Klägerin im Arbeitsvertrag als wissenschaftliche Hilfskraft bezeichnet wurde und ihre Tätigkeit auch der Weiterbildung zur Fachärztin diente. Nach Art. 25 BayHSchLG besteht das Hauptmerkmal der wissenschaftlichen Hilfskräfte zwar in der Verpflichtung zum Erbringen von wissenschaftlichen Dienstleistungen gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 HRG. Nach § 54 HRG sind hauptberuflich an der Hochschule tätige Personen mit ärztlichen Aufgaben den wissenschaftlichen Mitarbeitern gleichgestellt. Hieraus wird deutlich, daß ärztliche Tätigkeit an sich keine wissenschaftliche Dienstleistung im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 3 HRG, Art. 22 Abs. 1 Satz 3 BayHSchLG darstellt (BAGE 66, 154, 160 f. = AP Nr. 7 zu § 3 BAT, zu B I 1 d der Gründe). Die Klägerin ist dienstplanmäßig als Ärztin tätig gewesen. Hierfür hat sie Anspruch auf eine Vergütung als Gegenleistung. Ebensowenig ergibt sich eine Besonderheit aus ihrer Weiterbildung zur Fachärztin. Bei dieser Weiterbildung handelt es sich von ihren Inhalten und Zielsetzungen her nicht um eine Tätigkeit in Forschung und Lehre, also ebenfalls nicht um eine wissenschaftliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne (BAG Urteil vom 24. Oktober 1990, aaO, zu B I 1 e der Gründe).

Der vereinbarte Ausschluß der Mehrarbeitsvergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist damit unwirksam.

3. Zur Begründung des Anspruchs auf eine entsprechende Vergütung bedarf es nicht des Rückgriffs auf eine ergänzende Vertragsauslegung. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die Bestimmung des § 612 BGB angewandt. Bei Fehlen einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung erfolgt die Lückenfüllung für den Vergütungsanspruch durch § 612 Abs. 2 BGB. Danach ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Diese ist in der geltend gemachten Höhe zwischen den Parteien unstreitig. Der Zahlungsanspruch ist ebenfalls nicht nach dem vertraglich anzuwendenden § 70 BAT verfallen. Die Klägerin hat ihn mit Schreiben vom 23. Juli 1991 innerhalb der sechsmonatigen Ausschlußfrist geltend gemacht. Die Zahlung ist frühestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Januar 1991 fällig geworden. Wird das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Ausgleichszeitraums beendet, werden die Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung mit der Beendigung fällig, da der Freizeitausgleichsanspruch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses voraussetzt (BAG Urteil vom 24. Oktober 1990, aaO, zu B V 1 der Gründe).

II. Der Zinsanspruch für die Klageforderung ergibt sich aus §§ 284 Abs. 1 und 2, 288 Abs. 1 BGB. Der Beklagte hat hierzu lediglich sein Verschulden bestritten. Entgegen seiner Auffassung hat er die rechtswidrige Verzögerung der Leistung im Sinne von § 285 BGB zu vertreten. Er kann sich insbesondere nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Unverschuldet ist ein Rechtsirrtum nur dann, wenn der Schuldner sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung berufen kann oder die Rechtslage objektiv zweifelhaft ist und er sie sorgfältig geprüft hat (BAG Urteil vom 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - AP Nr. 1 zu § 285 BGB, zu I 1 der Gründe). Hierzu hat der Beklagte nichts dargelegt.

B. Die Revision des Beklagten ist aus den dargelegten Gründen erfolglos. Wegen der Einzelheiten wird auf das zu A. Ausgeführte verwiesen.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Reinecke

Enck Hecker

 

Fundstellen

Haufe-Index 439795

BAGE, 133

BB 1994, 796

ARST 1994, 131-133 (LT1)

JR 1994, 440

JR 1994, 440 (L)

NZA 1994, 759

NZA 1994, 759-761 (LT1)

ZAP, EN-Nr 462/94 (S)

ZTR 1994, 255-256 (LT1)

AP § 611 BGB Mehrarbeitsvergütung (LT1), Nr 11

EzA § 611 BGB Mehrarbeit, Nr 1 (LT1)

JuS 1994, 1083 (L)

MDR 1995, 75 (LT1)

PersV 1995, 523 (L)

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