Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerweiterbildung. keine Weiterbildung: “Das Meer – Ressource und Abfalleimer”

 

Leitsatz (amtlich)

Eine von einem Landessportbund durchgeführte Veranstaltung an der Costa Brava mit dem Thema “Das Meer – Ressource und Abfalleimer” dient nicht der politischen Weiterbildung, wenn überwiegend Tauchgänge vorgenommen und Kenntnisse zur Naturkunde des Meeres vermittelt werden, auch wenn daneben umwelt- und gesellschaftspolitische Probleme bei der Nutzung des Meeres erörtert werden.

 

Normenkette

AWbG §§ 1, 7

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 02.12.1993; Aktenzeichen 4 Sa 1143/93)

ArbG Bochum (Urteil vom 28.05.1993; Aktenzeichen 3 Ca 2732/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 2. Dezember 1993 – 4 Sa 1143/93 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).

Der Kläger ist im Rechtsamt der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 9. Juli 1992 beantragte er für die Zeit vom 28. August bis 6. September 1992 Freistellung nach dem AWbG für die Teilnahme an einer vom Bildungswerk des Landessportbunds Hessen durchgeführten Veranstaltung zum Thema “Das Meer – Ressource und Abfalleimer”.

Das Programm sah folgenden Ablauf vor:

1. Tag (Samstag)

ca. 11:00

Ankunft in Calella de Palafrugell

16:00

Begrüßung, Erläuterungen zur Gesamtorganisation, Feststellen spezifischer Interessen,

Ausfüllen der Tauchgenehmigungsanträge

2. Tag (Sonntag)

9:00

Seminar

Beschreibung des Areals: Geologie, Zonierungen

Tauchsicherheit: Verhalten unter Wasser, UW-Kommunikation

Erläuterung der Arbeitsmethoden: UW-Tafeln; Fänge, Litoraluntersuchungen.

10:30

Tauchgang

Tauchgerödel aufklaren, Checktauchgang

15:00

Seminar

Einführung in die Meeresbiologie: Grobgliederung der Tier- und Pflanzengruppen.

Lebensraum Meer – globale Probleme

3. Tag (Montag)

9:00

Seminar

Lebensraum: Pelagial, Plankton Tiergruppe: Fische: Merkmale, Unterscheidungen. Physiologie. Die häufigsten Fische und ihre Bestimmungsmerkmale, Erkennen derselben auf den UW-Tafeln.

11:00

Tauchgang

Eintauchen, Gebrauch der UW-Tafeln, Erkennen der Bestimmungsmerkmale, quant. Erfassen von Brassenschwärmen.

13:00

Besprechung des Tauchgangs, Bewertung der Beobachtungen

14:00

Tauchgang

wie am Vormittag

16:00

Seminar

Besprechung des Tauchgangs. Tiergruppe: Fische: Sparidae, Serranidae, Labridae,

Nutzung des Meeres als Ressource:

1. Nahrungsquelle Ozean

2. Aquakultur – die Lösung?

4. Tag (Dienstag)

9:00

Seminar

Lebensraum: Blockgrund und Riff

Tiergruppen: Nesseltiere, Schwämme, Moostierchen

11:00

Tauchgang

Blockgrund und Riff, Wdhl. Fische, Verhaltensbeobachtungen bei Serraniden

13:00

Besprechung des Tauchgangs, Bewertung der Beobachtungen

14:00

Tauchgang

wie am Vormittag; Entnahme einer Algenprobe

16:00

Seminar

Vereinzelung der Proben, Mikroskopieren, Versuch der Zeichnung

Tiergruppen: Manteltiere, sessile Arten der Borstenwürmer

Nutzung des Meeres als Ressource:

3. Schadstoffeinwirkung über die Nahrungskette

20:00

Film

Wie lebt und stirbt das Mittelmeer?

5. Tag (Mittwoch)

9:00

Seminar

Lebensraum: Seegraswiese – das Leben im Verborgenen

Tiergruppen: Weichtiere, Krebstiere, Verhalten von Labriden

11:00

Tauchgang

Seegraswiese, Aufsuchen und Beobachten der Organismen aus den Proben in der natürlichen Umgebung, UW-Lupen, Verhalten von Labriden

13:00

Besprechung des Tauchgangs, Bewertung der Beobachtungen

14:00

Tauchgang

wie am Vormittag, Entnahme einer Seegrasprobe

16:00

Seminar

Mikroskopieren: Aufwuchs auf Seegras, Leben im Wurzelbereich

Nutzung des Meeres als Ressource:

4. Rohstoffe, Energiegewinnung, Verschmutzung, MED POL

6. Tag (Donnerstag)

8:00

Tauchgang

Wrack als sekundärer Hartboden, Neubesiedlung künstlicher Lebensräume

11:00

Seminar

Lebensraum: Sand und Schlick, Sandlückensystem

Tiergruppen: Stachelhäuter, Borstenwürmer, Muscheln

14:00

Tauchgang

Blockgrund. Lageorientierung bei See- und Schlangensternen, Nahrungsaufnahme bei Nesseltieren.

Fluchtverhalten bei Fischen

16:00

Seminar

Beziehungsgefüge – das Meer als nicht-isolierter Lebensraum

Schutz der Meere: Konventionen und Programme, MAP, Blue Plan, Tourismus

7. Tag (Freitag)

8:00

Fischmarkt

Tiergruppen: Fische, Kopffüßler, Muscheln

Wirtschaftliche Bedeutung, Veränderungen der Fangquoten, Gefährdungen durch Verschmutzung und Überfischung

11:00

Tauchgang

Blockgrund und Riff, Kartierungsübung

13:00

Besprechung des Tauchgangs, Bewertung der Beobachtungen

14:00

Tauchgang

wie am Vormittag

16:00

Seminar

Zusammenfassung der Tier- und Pflanzengruppen. Ökologische Systeme

Abschlußdiskussion: Lösungen, sanfte Methoden

8. Tag (Samstag)

ca. 19:00

Abfahrt

Die Beklagte lehnte die Freistellung nach dem AWbG ab, bot dem Kläger aber an, für die Zeit Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen. In zwei Schreiben vom 1. September 1992 und 28. Oktober 1992 erklärte sie sich bereit, nachträglich Bildungsurlaub zu gewähren, wenn das Bundesarbeitsgericht die klägerische Auffassung bestätigen sollte. Der Kläger nahm in der Woche vom 31. August bis 4. September 1992 vier Tage Erholungsurlaub und einen Tag arbeitsfrei nach § 15a BAT und besuchte die vom Hessischen Minister für Frauen, Arbeit- und Sozialordnung anerkannte Veranstaltung.

Er hat danach beantragt

festzustellen, daß dem Kläger über die bisher für 1992 gewährten Urlaubs- und Zeitausgleichstage weitere vier Tage Tarifurlaub und ein Zeitausgleichstag zustehen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von weiterem Erholungsurlaub und Zeitausgleich aus dem Jahre 1992.

I. Der Kläger hat keinen tarifvertraglichen Anspruch auf Gewährung von vier Tagen Erholungsurlaub nach §§ 47, 48 BAT und von einem arbeitsfreien Tag nach § 15a Abs. 1 BAT. Die Beklagte hat diese Ansprüche in der Zeit vom 31. August 1992 bis 4. September 1992 erfüllt.

II. Der Kläger hat auch keine Ansprüche nach dem AWbG. Nach diesem Gesetz gibt es keine Rechtsgrundlage für die Nachgewährung von Erholungsurlaub oder anderen Freistellungsansprüchen.

III. Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Erholungsurlaub und Zeitausgleich folgt auch nicht aus den von ihm akzeptierten Erklärungen der Beklagten vom 1. September 1992 und 28. Oktober 1992. Die Parteien haben damit zwar eine einzelvertragliche, besondere Vereinbarung im Sinne der Senatsrechtsprechung (Urteile vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – BAGE 72, 200 = AP Nr. 1 zu § 9 BildungsUrlaubsG Hessen, vom 24. August 1993 – 9 AZR 252/89 – nicht veröffentlicht und vom 24. August 1993 – 9 AZR 240/90 – AP Nr. 9 zu § 1 BildungsUrlaubsG NRW, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) getroffen, wonach der Kläger der Arbeit für die Dauer der Veranstaltung fernbleiben durfte und sich die Beklagte verpflichtete, dem Kläger noch einmal Erholungsurlaub und arbeitsfrei zu gewähren, wenn eine gerichtliche Klärung ergeben sollte, daß die Beklagte die Freistellung nach dem AWbG zu Unrecht verweigert habe. Die Beklagte hat die Freistellung nach dem AWbG aber nicht zu Unrecht verweigert. Die vom Kläger besuchte Veranstaltung diente nicht der politischen Weiterbildung des Klägers.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats dient eine Veranstaltung dem Ziel der politischen Weiterbildung, wenn das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge verbessert werden soll und die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache in Staat, Gesellschaft und Beruf gefördert wird. Dazu ist erforderlich, daß nach dem didaktischen Konzept sowie der zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der einzelnen Lerneinheiten das Erreichen dieses Ziels uneingeschränkt ermöglicht wird. Davon ist das Landesarbeitsgericht ausgegangen, wenn auch seine Ausführungen das nicht immer hinreichend deutlich machen.

2. Das vom Kläger vorgelegte Veranstaltungsprogramm gliederte den Kurs in die drei Bereiche Tauchgänge, Vermittlung von Kenntnissen der Meeresbiologie, Meeressoziologie und Meeresgeologie sowie die Vermittlung von Kenntnissen über die Möglichkeit der Nutzung des Meeres als Ressource und dessen Verschmutzung.

a) Den größten Teil der Seminarzeit nahmen die Tauchgänge und deren Vorbereitung ein. Dabei handelt es sich nicht um die Vermittlung von Kenntnissen, die das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge verbessern kann. Tauchen ist eine sportliche Betätigung. Deshalb kann dieser Teil der Veranstaltung nur als ein von einem Sportbund durchgeführter Tauchkurs angesehen werden. Soweit der Kläger erstmals in der Revision entgegenstehende Tatsachen dazu vorgetragen hat, handelt es sich um neues, in der Revisionsinstanz nicht statthaftes Vorbringen.

b) Nach dem Veranstaltungsprogramm dienten die Tauchgänge allerdings nicht nur dem Erlernen des Tauchens, sondern der Erkundung der Vielfalt des Meeres. Dadurch mag der Veranstaltung ein anderes Konzept als ein Tauchkurs gegeben worden sein, nämlich die Weiterbildung auf dem Gebiet der Naturkunde des Meeres. Die Vermittlung dieser Kenntnisse für sich genommen oder in Verbindung mit den Tauchgängen dient aber ebenfalls nicht der politischen Weiterbildung.

c) Lediglich die Verbindung der in den Tauchgängen und den sich anschließenden Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen erworbenen Kenntnisse zu den gesellschaftlichen und sozialen Problemen der Nutzung des Meeres als Nahrungsquelle, Existenzgrundlage für die Anwohner, Erholungsquelle, Energiequelle und “Abfalleimer” kann geeignet sein, das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern und die Mitsprache in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern. Nach dem vorgelegten Programm ist jedoch nicht erkennbar, daß die Veranstaltung auf die Vermittlung dieser Kenntnisse abzielte. Denn lediglich in Nachmittags- und Abendveranstaltungen wurden auch diese Themen behandelt, ohne daß zu erkennen ist, welche Zeiträume auf sie außer der Vermittlung meereskundlicher Kenntnisse verwendet wurden, die ebenfalls Gegenstand der Nachmittags- und Abendveranstaltungen waren.

d) Das Seminarprogramm insgesamt beurteilt, läßt so nur erkennen, daß Themen der politischen Weiterbildung auch behandelt wurden, der Schwerpunkt jedoch auf der Vermittlung von biologischen, zoologischen und geologischen Kenntnissen lag.

3.  Der ergänzende Vortrag des Klägers in den Instanzen, der nach der Senatsrechtsprechung geeignet sein kann, das Ziel des Seminars inhaltlich anders zu beschreiben als es dem Seminarplan zu entnehmen ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn der Kläger hat ausdrücklich vorgetragen, daß das Seminar so, wie in dem Plan beschrieben, durchgeführt worden ist.

4. Die Beurteilung des Senats steht nicht im Widerspruch zu seinen Ausführungen im Urteil vom 24. August 1993 (– 9 AZR 240/90 –, aaO). Anders als in dem damals zu beurteilenden Rechtsstreit ist nicht erkennbar, daß die vom Kläger besuchte Veranstaltung darauf abzielte, die Teilnehmer zu motivieren, sich mit den Problemen der Meeresverschmutzung zu befassen, die Interessenkonflikte zwischen Wirtschaft und Naturschutz zu untersuchen und ein größeres Verständnis für das Beziehungsgeflecht zwischen dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, den politischen Rahmenbedingungen, den Bedürfnissen der Wirtschaft und den sozialen Folgewirkungen zu wecken. Vielmehr zeigen Ablaufplan und Vortrag des Klägers, daß die Veranstaltung im wesentlichen ein Naturerlebnis vermitteln sollte.

5. Unbegründet ist die Revisionsrüge des Klägers, die Beklagte habe erstinstanzlich vorgetragen, die Bildungsveranstaltung diene vorrangig dem Erkennen der ökonomischen Problematik der Meeresverschmutzung und sei deshalb keine Lehrveranstaltung, die der politischen Weiterbildung zugänglich sei. Die Beklagte hat damit nicht unstreitig gestellt, daß die Themen der Umweltverschmutzung im Mittelpunkt der Veranstaltung gestanden haben. Sie hat vielmehr nur eine Bewertung der Gesamtveranstaltung abgegeben, nicht aber Tatsachen unstreitig gestellt. So hat das Vorbringen nicht zur Folge, daß die Gerichte für Arbeitssachen die Veranstaltung nicht mehr auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüfen können.

6. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt, das streitgegenständliche Seminar ordne sich in das gemeinsame Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung, des Umweltbundesamtes und des Landesverbandes der Volkshochschulen Niedersachsens “Ökologie in der Erwachsenenbildung” ein. Dieses Vorbringen ist ohne Substanz. Es ist nicht ersichtlich, welchen Einfluß eine nicht näher definierte “Einordnung” auf die Beurteilung des Seminars haben kann.

7. Die Revisionsrüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, ihn gemäß § 139 ZPO darauf hinzuweisen, daß er im einzelnen das didaktische Konzept der Veranstaltung hätte darlegen müssen, ist im Ergebnis unbegründet. Der Kläger hat zwar in der Revisionsbegründung vorgetragen, was er bei einer entsprechenden Auflage vorgebracht hätte. Das ist aber ungenügend. Denn auch bei Berücksichtigung diese Vorbringens zum didaktischen Konzept wäre die Klage unschlüssig geblieben. Mit der Rüge nach § 139 ZPO mußte der Kläger darlegen, inwiefern die Teile des Seminars, die sich nicht unmittelbar mit dem umweltpolitischen Thema befaßten, der Vor- und Nachbereitung des eigentlichen Themas dienten und nicht nur bloßes Naturerlebnis waren. Das gilt insbesondere dann, wenn zeitlich überwiegend getaucht und biologische/zoologische Kenntnisse vermittelt worden sind und auch die Seminarabschnitte des Nachmittags und des Abends nicht zwischen Vermittlung naturkundlichen Wissens und Vermittlung umweltpolitischer Kenntnisse unterscheiden.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Leinemann, Düwell, Dörner, R. Schmidt, Schodde

 

Fundstellen

Haufe-Index 871648

BAGE, 185

BB 1996, 384

NZA 1996, 647

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