Entscheidungsstichwort (Thema)

“Überflüssige” Änderungskündigung. Änderungskündigung. Wechsel der Lohnform durch Betriebsvereinbarung. Betriebsverfassungsrecht. Kündigung. Parallelverfahren 1 AZR 420 bis 424/03

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Änderungskündigung verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn es ihrer nicht bedarf, da die angestrebte Änderung der Arbeitsbedingungen bereits auf Grund anderer Umstände eingetreten ist. Dennoch kann eine Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG (aF) in diesem Fall keinen Erfolg haben, weil ihre Begründetheit voraussetzt, dass zu dem Termin, zu welchem die Änderungskündigung ausgesprochen wurde, das Arbeitsverhältnis noch zu den unveränderten Bedingungen bestand.

 

Orientierungssatz

  • Gegenstand einer Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG (in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung) ist nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern – auf Grund der unter Vorbehalt erklärten Annahme nach § 2 Satz 1 KSchG – lediglich die Änderung der Arbeitsbedingungen.
  • Eine Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG (aF) ist unbegründet, wenn zum Kündigungstermin die dem Arbeitnehmer angetragene Änderung der Arbeitsbedingungen bereits auf Grund anderer Umstände, wie etwa der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung, eingetreten war.
  • Eine betriebliche Regelung über den Wechsel vom Leistungszum Zeitlohn unterfällt dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
  • Die Bestimmungen des LRTV in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Hessen vom 15. Januar 1982 stehen einer Betriebsvereinbarung, durch die vom Leistungsauf Zeitlohn umgestellt wird, auch dann nicht entgegen, wenn damit für die Arbeitnehmer eine Lohnminderung verbunden ist.
 

Normenkette

KSchG § 2 S. 1 a.F., § 4 S. 2 a.F., § 7 a.F.; BetrVG § 75 Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 10; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 17.03.2003; Aktenzeichen 16 Sa 678/02)

ArbG Marburg (Urteil vom 22.03.2002; Aktenzeichen 2 Ca 139/01)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17. März 2003 – 16 Sa 678/02 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Änderungskündigung. Die Beklagte betreibt eine Werkzeugfabrik mit ca. 130 Arbeitnehmern. Auf das Arbeitsverhältnis des seit dem 3. Juni 1985 bei der Beklagten beschäftigten Klägers finden auf Grund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen Anwendung, darunter auch der Lohnrahmentarifvertrag vom 15. Januar 1982. Dieser enthält ua. folgende Bestimmungen:

“§ 2

Lohnregelung

1. Die Arbeit wird im Zeitlohn, im Akkordlohn (Zeit- oder Stück- bzw. Geldakkord) oder Prämienlohn ausgeführt.

§ 5

Akkordarbeit

1. Betriebsvereinbarung über die Einführung von Akkordarbeit

Zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ist zu vereinbaren, ob und wo in Akkord gearbeitet wird. …

§ 6

Wechsel von Akkord- und Zeitlohnarbeit

4. Wird ein ständiger Akkordarbeiter für dauernd in Zeitlohnarbeit versetzt, so ist die Umsetzung mit einer Frist von 6 Tagen anzukündigen. Während der Ankündigungsfrist ist der Akkorddurchschnittsverdienst der letzten abgeschlossenen Lohnperiode zu zahlen.

§ 8

Prämienlohnarbeit

VIII. Risikosicherung

3. § 6 Ziffer 2 – 6 gilt entsprechend. …

XI. Betriebsvereinbarung

1. Zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ist eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, …

XII. Prämienlohn

1. Mit der Einführung einer Prämienentlohnung darf für den einzelnen Arbeitnehmer keine Verdienstminderung eintreten.

…”

Der schriftliche Arbeitsvertrag des Klägers enthält einen Verweis auf den “Akkordrichtsatz”. Außerdem heißt es:

“Für das Arbeitsverhältnis gelten die gesetzlichen sowie die tariflichen Bestimmungen für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen und die innerbetrieblichen Bestimmungen.”

Der Kläger war bis zum 31. Dezember 1995 im Einzelakkord beschäftigt. Am 18. Oktober 1995 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat zur Senkung der Lohnkosten eine Betriebsvereinbarung über die Umstellung des Leistungslohns vom Einzelakkordlohn auf Prämienlohn (BV 1995). Dementsprechend wurde die Tätigkeit des Klägers ab dem 2. Januar 1996 im Prämienlohn vergütet.

Am 19. August 1999 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung über den Wechsel der Entlohnungsart (BV 1999). In dieser heißt es ua.:

“1. Die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 (Leistungsentlohnung) wird einvernehmlich zum 31.08.1999 aufgehoben.

2. Ab 01.09.1999 wird in den früheren Bereichen des Prämienlohns (Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995) im Zeitlohn gem. § 7 LRTV in Verbindung mit § 2 Ziff. 1 LRTV gearbeitet.

3. Im Zeitlohn ist die tarifliche Leistungszulage gem. § 7 LRTV zu zahlen.

4. …

5. Der Zeitlohn wird für alle Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Gründen abrechnungstechnisch rückwirkend zum 01.01.1999 zugrunde gelegt.

6. Die bis zum 31.08.1999 abgerechneten Zeiträume werden auf Basis des neuen Zeitlohns abgerechnet.

Die sich daraus ergebende Differenz zwischen dem ursprünglichen Prämienlohn und dem geltenden Zeitlohn wird für die Monate Januar bis August 1999 festgestellt.

Die Gesamtbruttolohndifferenz für diesen Zeitraum gilt als Vorschuss auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und wird insofern mit dem Anspruch auf diese Sonderzahlungen verrechnet.

…”

Dementsprechend vergütete die Beklagte die Arbeitnehmer ab dem 1. September 1999 im Zeitlohn. Durch die Umstellung trat für die Arbeitnehmer eine Lohneinbuße von ca. einem Monatsgehalt pro Jahr ein. Anders als der überwiegende Teil der Arbeitnehmer akzeptierte der Kläger die Umstellung nicht. Nachdem das Arbeitsgericht im Rahmen eines – später durch Klagrücknahme beendeten – Musterprozesses die Auffassung vertreten hatte, ein Wechsel der Lohnart sei nur durch Änderungskündigung möglich, sprach die Beklagte dem Kläger nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 23. März 2001 eine Änderungskündigung zum 30. September 2001 aus. In dieser bot sie an, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Oktober 2001 auf Basis der Zeitlohnvergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an.

Mit der am 30. März 2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat er geltend gemacht, die Änderungskündigung sei wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats und wegen fehlender sozialer Rechtfertigung unwirksam. Eine ihm gegenüber wirksame Umstellung von Prämienauf Zeitlohn sei auch nicht etwa bereits durch die BV 1999 erfolgt.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung der Beklagten vom 23. März 2001 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Umstellung auf Zeitlohn sei bereits durch die BV 1999 erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Änderungskündigung nicht geändert worden. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Änderungsschutzklage ist unbegründet, weil die streitbefangene Änderung der Arbeitsbedingungen bereits auf Grund der BV 1999 eingetreten ist.

  • Die Klage ist zulässig.

    I. Der Streitgegenstand ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

    1. Es handelt sich um eine Änderungsschutzklage iSv. § 4 Satz 2 KSchG in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden, vorliegend noch maßgeblichen (vgl. Bader NZA 2004, 65, 68) Fassung. Allerdings entsprach weder der erstinstanzliche Klageantrag noch der Urteilstenor des Arbeitsgerichts genau der Formulierung des Gesetzes. Gleichwohl haben die Vorinstanzen die Klage zu Recht als Änderungsschutzklage iSv. § 4 Satz 2 KSchG (aF) verstanden. Der Kläger hat die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt des § 2 Satz 1 KSchG angenommen. Dementsprechend hat er ersichtlich den für diesen Fall in § 4 Satz 2 KSchG (aF) vorgesehenen Klageantrag stellen wollen. Dem zweiten Halbsatz des Klageantrags kommt erkennbar keine selbständige Bedeutung zu. Das Arbeitsgericht hat darüber auch nicht gesondert entschieden.

    2. Gegenstand einer Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG (aF) ist nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt, sondern – auf Grund der unter Vorbehalt erklärten Annahme nach § 2 Satz 1 KSchG – lediglich die Änderung der Arbeitsbedingungen (vgl. BAG 21. Januar 1991 – 2 AZR 432/90 – RzK I 7a Nr. 23, zu II 1c der Gründe; 26. Januar 1995 – 2 AZR 371/94 – BAGE 79, 159, 165 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. 36 = EzA KSchG § 2 Nr. 22, zu B II 3 der Gründe; 9. Juli 1997 – 4 AZR 635/95 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 233 = EzA KSchG § 2 Nr. 27, zu B II 3d der Gründe; Fischermeier NZA 2000, 737, 738, 739; Friedrich/Kloppenburg RdA 2001, 293, 306; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 2 Rn. 32d; aA Berkowsky NZA 1999, 293, 298; wohl auch KR-Rost 6. und 7. Aufl. § 2 KSchG Rn. 106b, 106c).

    II. Der Kläger hat das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung. Dies folgt bereits aus § 4 Satz 2 KSchG (aF). Ohne die fristgerechte Erhebung einer Änderungsschutzklage würde gemäß § 7 Halbsatz 2 KSchG (aF) der nach § 2 KSchG erklärte Vorbehalt erlöschen. Dem Feststellungsinteresse steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte in erster Linie darauf beruft, die mit der Änderungskündigung dem Kläger angetragene Änderung der Arbeitsbedingungen sei bereits durch die BV 1999 eingetreten. Der Kläger stellt dies in Abrede. Ob sich die Arbeitsbedingungen bereits unabhängig von der Änderungskündigung geändert haben, ist eine im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfende (Vor-) Frage.

  • Die Klage ist unbegründet. Die mit der Änderungskündigung angestrebte Änderung der Arbeitsbedingungen ist bereits durch die BV 1999 eingetreten.

    I. Die Begründetheit einer Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG (aF) setzt ua. voraus, dass zu dem Termin, zu welchem die Änderungskündigung ausgesprochen wird, das Arbeitsverhältnis noch zu den Bedingungen besteht, deren Änderung dem Arbeitnehmer mit der Änderungskündigung angetragen wird. Ist dagegen zu diesem Zeitpunkt die Änderung der Arbeitsbedingungen auf Grund anderer Umstände, wie etwa einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, der wirksamen Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber oder wegen der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung, bereits eingetreten, kann eine Änderungsschutzklage keinen Erfolg haben. Zwar verstößt die (Änderungs-) Kündigung in diesem Fall gegen den das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist wegen der mit ihr verbundenen Bestandsgefährdung unwirksam (vgl. BAG 28. April 1982 – 7 AZR 1139/79 – BAGE 38, 348, 356 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. 3 = EzA KSchG § 2 Nr. 4, zu II 1 der Gründe; 9. Februar 1989 – 6 AZR 16/87 – RzK I 7a Nr. 15, zu B I 3 der Gründe; 9. Juli 1997 – 4 AZR 635/95 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 233 = EzA KSchG § 2 Nr. 27, zu B II 3d der Gründe; vgl. ferner KR-Rost 6. und 7. Aufl. § 2 KSchG Rn. 106a mit zahl. Nachw.). Die Wirksamkeit der (Änderungs-) Kündigung ist aber nicht der Gegenstand einer Änderungsschutzklage iSv. § 4 Satz 2 KSchG (aF). Hat der Arbeitnehmer die Änderungskündigung unter Vorbehalt angenommen, geht es nicht um den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern um dessen Inhalt. Die Änderungsschutzklage zielt dementsprechend auf die Feststellung, dass für das Arbeitsverhältnis nicht die Arbeitsbedingungen gelten, die in dem mit der Kündigung verbundenen Änderungsangebot des Arbeitgebers enthalten sind (BAG 26. Januar 1995 – 2 AZR 371/94 – BAGE 79, 159, 165 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. 36 = EzA KSchG § 2 Nr. 22, zu B II 3 der Gründe; 9. Juli 1997 – 4 AZR 635/95 – aaO, zu B II 3d der Gründe). Eine derartige Feststellung kann das Gericht nicht treffen, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen unabhängig von der Änderungskündigung bereits aus anderen Gründen eingetreten ist (BAG 21. Februar 1991-2 AZR 432/90 – RzK I 7a Nr. 23, zu II 1c der Gründe).

    II. Die dem Kläger mit der Änderungskündigung angetragene Änderung der Arbeitsbedingungen ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, bereits durch die BV 1999 eingetreten. Durch diese wurde die Vergütungsart wirksam auf Zeitlohn umgestellt. Der Umstellung stehen weder tarifvertragliche Regelungen noch individualrechtliche Rechtspositionen des Klägers entgegen.

    1. Durch die BV 1999 wurde mit Wirkung vom 1. September 1999 für die Bereiche, in denen bei der Beklagten zuvor der Prämienlohn galt, der Zeitlohn als maßgebliche Lohnform eingeführt. Diese Änderung gilt nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch für das Arbeitsverhältnis des Klägers. Wegen der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung bedurfte es hierzu keiner Zustimmung des Klägers.

    2. Die BV 1999 verstößt nicht gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.

    Allerdings handelt es sich bei der Lohnform um eine Arbeitsbedingung, die in dem hier einschlägigen LRTV – wenn auch nicht abschließend – geregelt ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts greift die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG jedoch dann nicht ein, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt (vgl. etwa 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, 190 = AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 72, zu I 1a bb der Gründe; Fitting BetrVG § 77 Rn. 109 mwN). Es gilt dann nur die Binnengrenze des § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG.

    Die Einführung einer bestimmten Lohnart oder der Wechsel zwischen verschiedenen Lohnarten unterfällt nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung. Zur betrieblichen Lohngestaltung im Sinne dieser Vorschrift gehört die Frage, ob im Betrieb im Zeitlohn oder im Leistungslohn, zB Akkord- oder Prämienlohn gearbeitet werden soll (BAG 20. September 1990 – 1 ABR 74/89 – EzA BetrVG 1972 § 80 Nr. 39, zu B 1a der Gründe; DKK-Klebe § 87 Rn. 247; Fitting BetrVG § 87 Rn. 426; Richardi BetrVG § 87 Rn. 753).

    3. Die BV 1999 verstößt nicht gegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG. Die Befugnis der Betriebsparteien zur Änderung der Lohnart ist nicht durch eine abschließende tarifliche Regelung ausgeschlossen. Auch gibt es keine zwingende tarifvertragliche Bestimmung, die einem Wechsel vom Prämienzum Zeitlohn entgegenstünde.

    a) § 2 Nr. 1 LRTV bestimmt als mögliche Lohnformen ausdrücklich den Zeitlohn, den Akkordlohn und den Prämienlohn. Hierbei schreibt der Tarifvertrag keine bestimmte Lohnart zwingend vor. Er eröffnet vielmehr die Möglichkeit, zwischen den verschiedenen Lohnarten zu wechseln. Dabei ergibt sich aus § 5 Nr. 1, § 8 XI LRTV, dass die Einführung von Akkord- oder Prämienlohn einer Betriebsvereinbarung bedarf. Hieraus lässt sich jedoch nicht etwa der (Umkehr-) Schluss ziehen, dass die (Wieder-) Einführung von Zeitlohn durch Betriebsvereinbarung ausgeschlossen wäre. Vielmehr zeigt das ausdrückliche Erfordernis einer Betriebsvereinbarung zur Einführung von Prämien- oder Akkordlohn, dass nach dem Tarifvertrag der “Normalfall” der Zeitlohn ist, der dann die maßgebliche Lohnform darstellt, wenn keine abweichende Regelung getroffen ist. Damit wird die betriebsverfassungsrechtliche Befugnis der Betriebsparteien, durch Betriebsvereinbarung zum Zeitlohn zurückzukehren, nicht etwa ausgeschlossen, sondern im Gegenteil als selbstverständlich vorausgesetzt.

    b) Der Umstellung vom Prämienauf Zeitlohn steht entgegen der Auffassung des Klägers nicht etwa § 8 VIII Nr. 3 iVm. § 6 Nr. 4 LRTV entgegen. Dort wird lediglich bestimmt, dass die dauerhafte Umsetzung eines ständigen Akkord- oder Prämienlohn-Arbeiters in Zeitlohnarbeit mit einer Frist von sechs Tagen anzukündigen und während der Ankündigungsfrist der Durchschnittsverdienst der letzten abgeschlossenen Lohnperiode zu zahlen ist. Der kollektive Wechsel vom Akkord- oder Prämienlohn zum Zeitlohn wird dadurch nicht ausgeschlossen.

    c) Auch der Eintritt einer Verdienstminderung führt nach dem LRTV nicht zur Unzulässigkeit der Umstellung vom Akkord- oder Prämienlohn auf Zeitlohn. Eine tarifliche Regelungssperre enthält insoweit nur § 8 XII Nr. 1 LRTV, wonach mit der Einführung einer Prämienentlohnung für den einzelnen Arbeitnehmer keine Verdienstminderung eintreten darf. Diese Regelung betrifft nicht die Umstellung auf Zeitlohn.

    4. Die Betriebsparteien konnten mit der BV 1999 die bisherige Lohnform wirksam ablösen. Dabei kann dahinstehen, ob die durch die BV 1995 vorgenommene Umstellung des Leistungslohns von Einzelakkord- auf Prämienlohn wegen Verstoßes gegen tarifliche Bestimmungen unwirksam war. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, steht das dem mit der BV 1999 erfolgten Wechsel auf Zeitlohn nicht entgegen.

    a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Betriebsparteien eine Angelegenheit, die sie durch Betriebsvereinbarung geregelt haben, unter Aufhebung dieser Vereinbarung für die Zukunft neu regeln. Es gilt das Ablösungsprinzip. Die neue Betriebsvereinbarung tritt an die Stelle der bisherigen. Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn die neue Regelung für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Soweit in bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten (29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, 192 = AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 72, zu I 2a der Gründe; Fitting BetrVG § 77 Rn. 192, 193 mwN). Im Verhältnis von Betriebsvereinbarungen und individualvertraglichen Absprachen gilt allerdings grundsätzlich das Günstigkeitsprinzip (vgl. BAG GS 16. September 1986 – GS 1/82 – BAGE 53, 42 = AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 17 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 17; 7. November 1989 – GS 3/85 – BAGE 63, 211, 219 = AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 46 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 34, zu C II 1 der Gründe). Dieses kommt aber dann nicht zur Anwendung, wenn die Arbeitsvertragsparteien ihre vertragliche Absprache “betriebsvereinbarungsoffen” dahin gestaltet haben, dass sie einer späteren betrieblichen Regelung den Vorrang einräumen. Dieser Vorbehalt kann ausdrücklich oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen. Er ist sowohl bei einzelvertraglichen Absprachen als auch bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich (vgl. BAG GS 16. September 1986 – GS 1/82 – aaO, zu C II 1c der Gründe; BAG 20. November 1987 – 2 AZR 284/86 – BAGE 57, 30, 46 = AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 2 = EzA BGB § 620 Altersgrenze Nr. 1, zu B VIII 1 der Gründe; Fitting BetrVG § 77 Rn. 198, 210 mwN).

    b) Hiernach kam es im Streitfall nicht darauf an, ob durch die BV 1995 die Lohnform wirksam vom Akkord- auf Prämienlohn umgestellt wurde.

    aa) War dies der Fall, wurde die BV 1995 durch die BV 1999 wirksam abgelöst. Dies gilt auch dann, wenn sich durch den Zeitlohn die Vergütung der Arbeitnehmer gegenüber dem bisherigen Prämienlohn verminderte. In bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer wurde dadurch nicht eingegriffen. Die Arbeitnehmer besaßen auf Grund der BV 1995 kein Recht auf Beibehaltung des Prämienlohns. Sie konnten auch kein berechtigtes Vertrauen darauf entwickeln, dass ein Wechsel vom Prämienzum Zeitlohn ausgeschlossen sei.

    bb) Im Falle der Unwirksamkeit der BV 1995 gilt im Ergebnis nichts anderes.

    Bedenken gegen die Wirksamkeit der BV 1995 könnten deshalb bestehen, weil nach § 8 XII Nr. 1 LRTV mit der Einführung einer Prämienentlohnung für den einzelnen Arbeitnehmer keine Verdienstminderung eintreten darf und vorliegend die Umstellung vom Akkord- auf Prämienlohn zu einer Reduzierung des Lohnniveaus führte. Allerdings erscheint fraglich, ob nicht § 8 XII Nr. 1 LRTV trotz seines insoweit uneingeschränkten Wortlauts nach seinem Sinn und Zweck nur den Wechsel vom Zeitlohn zum Prämienlohn und nicht den innerhalb des Leistungslohns erfolgenden Wechsel vom Akkord- zum Prämienlohn betrifft.

    Dies kann jedoch dahinstehen. Auch wenn die Einführung der Prämienentlohnung durch die BV 1995 unwirksam gewesen sein sollte, konnte durch die BV 1999 wirksam der Zeitlohn eingeführt werden. Allerdings wäre in diesem Fall der Kläger bis zur BV 1999 weiterhin im Akkord zu vergüten gewesen. Darüber, ob der ursprünglichen Vergütung im Akkord eine Betriebsvereinbarung zugrunde lag, sind tatsächliche Feststellungen nicht getroffen. Daher kann auch nicht beurteilt werden, ob das zwischen Betriebsvereinbarungen geltende Ablösungsprinzip zur Anwendung käme. Aber auch wenn dies nicht der Fall sein und die Akkordvergütung auf einer betrieblichen Einheitsregelung beruht haben sollte, konnte sie 1999 im Wege einer Betriebsvereinbarung durch den Zeitlohn abgelöst werden. Der Kläger besaß keine individualrechtlichen Ansprüche auf eine bestimmte Entlohnungsart. Vielmehr unterlag die Lohnform schon infolge des LRTV einem möglichen Wechsel. Auch in dem schriftlichen Arbeitsvertrag wurde dem Kläger keine bestimmte Lohnform zugesichert. Der Verweis auf den “Akkordrichtsatz” ist lediglich ein Hinweis auf die bei Vertragsschluss geltende betriebliche Lohnart, nicht dagegen eine konstitutive arbeitsvertragliche Vereinbarung. Der Wechsel der Lohnart wurde dadurch nicht arbeitsvertraglich ausgeschlossen (vgl. zu einer ähnlichen arbeitsvertraglichen Regelung auch BAG 21. Februar 2001 – 4 AZR 35/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 177 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 123, zu I 1 der Gründe). Im Übrigen ist der Arbeitsvertrag der Parteien, wie sich aus dem ausdrücklichen Hinweis auf die Geltung der “innerbetrieblichen Bestimmungen” ergibt, auch betriebsvereinbarungsoffen. Zu diesen innerbetrieblichen Bestimmungen gehören auch Betriebsvereinbarungen, durch welche die Lohnform festgelegt oder geändert wird.

    5. Die mit der BV 1999 vorgenommene Umstellung auf Zeitlohn hält auch einer Überprüfung nach den Maßstäben des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG stand. Bereits angesichts der tarifvertraglichen Gleichwertigkeit der verschiedenen Lohnformen ist es nicht zu beanstanden, dass die Betriebsparteien trotz der damit verbundenen Lohnminderung zum Zeitlohn übergegangen sind. Es wäre Sache der Tarifvertragsparteien gewesen, Besitzstandsregelungen zu vereinbaren, wenn sie die vergütungsrechtlichen Konsequenzen aus einem nach dem Tarifvertrag möglichen Wechsel der Lohnform hätten ausschließen oder in bestimmter Weise abmildern wollen (vgl. hierzu auch BAG 29. Januar 2002 – 1 ABR 18/01 – BAGE 100, 239, 253 = AP BetrVG 1972 § 76 Einigungsstelle Nr. 19 = EzA BetrVG 1972 § 76 Nr. 70, zu B IV 1 der Gründe). Auch gilt es zu beachten, dass der mit dem Übergang vom Leistungs- zum Zeitlohn häufig verbundenen Lohnminderung regelmäßig eine geringere Belastung des Arbeitnehmers gegenübersteht.

    6. Entgegen der Auffassung des Klägers war die durch die BV 1999 erfolgte Umstellung auf Zeitlohn auch nicht deshalb unwirksam, weil nach Nr. 5 BV 1999 der Zeitlohn “aus wirtschaftlichen Gründen abrechnungstechnisch rückwirkend zum 01.01.1999 zugrunde gelegt” wird sowie nach Nr. 6 BV 1999 die “zum 31. August 1999 abgerechneten Zeiträume auf Basis des neuen Zeitlohns abgerechnet” werden und die Differenz für diesen Zeitraum als “Vorschuss auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld” gelten soll. Auch wenn diese Regelungen mit einer unzulässigen Rückwirkung verbunden und daher unwirksam sein sollten, hat dies nicht die Unwirksamkeit der gesamten BV 1999 zur Folge. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats führt die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung dann nicht zur Gesamtnichtigkeit, wenn der verbleibende Teil eine weiterhin sinnvolle und anwendbare Regelung darstellt. Dies folgt aus dem Normcharakter einer Betriebsvereinbarung, der es ebenso wie bei Tarifverträgen und Gesetzen gebietet, im Interesse der Kontinuität und Rechtsbeständigkeit eine gesetzte Ordnung soweit aufrechtzuerhalten, wie sie auch ohne den unwirksamen Teil ihre Ordnungsfunktion noch entfalten kann (vgl. 21. Januar 2003 – 1 ABR 9/02 – AP BetrVG 1972 § 21a Nr. 1 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 3, zu B III 2a der Gründe). Vorliegend ist die Umstellung auf Zeitlohn zum 1. September 1999 auch dann eine sinnvolle und anwendbare Regelung, wenn die in der Betriebsvereinbarung enthaltenen rückwirkenden Bestimmungen unwirksam sein sollten.

  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Wißmann, Kreft, Linsenmaier, Ludwig, Hayen

 

Fundstellen

Haufe-Index 1273020

BAGE 2006, 361

BB 2005, 222

NWB 2005, 3890

FA 2005, 160

FA 2005, 29

NZA 2005, 51

SAE 2005, 218

ZAP 2005, 174

AP, 0

AuA 2005, 243

EzA-SD 2004, 11

EzA

MDR 2005, 400

AUR 2005, 37

ArbRB 2005, 42

RdW 2005, 183

BAGReport 2005, 116

SPA 2004, 3

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