Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang - Jugendwohnheim

 

Orientierungssatz

Führt ein Verpächter den an ihn zurückgefallenen Betrieb auch nicht vorübergehend, können zwar materielle und immaterielle Betriebsmittel auf ihn übergehen; er übt die wirtschaftliche Tätigkeit mit eigener Zielsetzung aber nicht aus. Er nutzt nicht die vorhandene Organisation, übernimmt weder die Hauptbelegschaft noch die Kundschaft. Ohne jegliche Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit geht der Betrieb regelmäßig nicht auf ihn über. Die bloße Möglichkeit zu einer unveränderten Fortsetzung des Betriebs genügt für die Annahme eines Betriebsübergangs nicht. Der Betriebsübergang kann sich dagegen auf den neuen Pächter vollziehen, wenn er die Betriebstätigkeit fortsetzt oder wieder aufnimmt. Dessen wesentlich andere Betriebstätigkeit, völlig neue betriebliche Organisation oder die erhebliche Unterbrechung der Betriebstätigkeit können dem Betriebsübergang entgegenstehen.

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 12. März 1998 - 3 Sa

746/97 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs besteht.

Der Kläger war seit dem 1. Mai 1982 als Hausmeister im Jugendwohnheim "V " in B tätig. Als Einrichtung der Erziehungshilfe befand sich dieses Jugendwohnheim bis zum 28. Februar 1992 in der Rechtsträgerschaft des beklagten Landkreises. Ab dem 1. März 1992 wurde es auf der Basis eines Übergabevertrages vom I e.V. (im folgenden: IB) übernommen. Der Kläger und der IB schlossen einen Arbeitsvertrag mit Wirkung ab dem 1. März 1992. Die Betriebserlaubnis des IB gem. § 45 SGB VIII erstreckte sich zuletzt auf 18 Heimplätze bei mindestens neun pädagogischen Mitarbeitern.

Mit Schreiben vom 29. Januar 1996 kündigte der Beklagte den Übergabevertrag zum 31. März 1997 wegen einer angestrebten Verwertung des Grundstücks. Der IB bereitete die Übergabe der Immobilie, der Einrichtung und des Personals sowie der zu betreuenden Jugendlichen an den Beklagten zum Ablauf der Kündigungsfrist vor. Die Zahl der zu betreuenden Jugendlichen sank bis zu diesem Zeitpunkt auf acht, nachdem Anfang 1997 noch 15 bis 16 Jugendliche betreut worden waren. Der Beklagte lehnte jedoch die Übernahme der Einrichtung ab, er war nur bereit, die geräumte Immobilie in Empfang zu nehmen. Daraufhin veranlaßte der IB eine Notgeschäftsführung, um die verbliebenen Jugendlichen von den bis dahin tätigen Erziehern weiter betreuen zu lassen. Diese Betreuung erfolgte in den ersten Tagen des Monats April 1997 weiter in den Räumen des Jugendwohnheims, bis die Jugendlichen im Laufe des April auf andere Heime des IB verteilt waren.

Mit seiner beim Arbeitsgericht am 3. April 1997 eingegangen Klage hat der Kläger geltend gemacht, es liege ein Betriebsübergang auf den Beklagten mit Wirkung ab dem 1. April 1997 vor. Mit der Beendigung des Übergabevertrags sei der Betrieb des Jugendwohnheims an den Beklagten als Verpächter zurückgefallen. Der IB habe dem Beklagten alle notwendigen sächlichen und personellen Mittel zur Verfügung gestellt. Dies sei für einen Betriebsübergang ausreichend, da der Beklagte die Nutzungsberechtigung für die funktionsfähige Einrichtung erhalten habe. Damit sei die Identität der wirtschaftlichen Einheit "Jugendwohnheim" gewahrt. Auf eine Weiterführungsabsicht und tatsächliche Fortführung komme es nicht an.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis zum Beklagten

fortbestehe,

2. für den Fall, daß der Klage stattgegeben werde, den

Beklagten zu verurteilen, ihn ab dem 1. April 1997 bis zum

rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits als Hausmeister zu

unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei nicht auf ihn übergegangen. Das Jugendwohnheim sei schon kein Betrieb im Sinne des § 613 a BGB. Es sei nicht notwendig an die Nutzung der betreffenden Immobilie geknüpft. Der IB habe lediglich die Immobilie, nicht einen funktionsfähigen Betrieb zurückgegeben. Er, der Beklagte, habe auch die notwendige jugendhilferechtliche Genehmigung nicht besessen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat einen Betriebsübergang auf den Beklagten zu Recht verneint. Die Klage bleibt deshalb erfolglos.

1. Ein Betriebsübergang setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Eine Einheit darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (ständige Rechtsprechung des Senats im Anschluß an das Urteil des EuGH vom 11. März 1997 - Rs C-13/95 - EuGHE I 1997, 1259 = AP Nr. 14 zu EWG - Richtlinie Nr. 77/187 (Ayse Süzen); vgl. nur Senatsurteil vom 22. Januar 1998 - 8 AZR 775/96 - AP Nr. 174 zu § 613 a BGB). Der Betriebsübergang tritt mit dem Wechsel in der Person des Inhabers des Betriebs ein. Der bisherige Inhaber muß seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb oder Betriebsteil einstellen. Einer besonderen Übertragung einer irgendwie gearteten Leitungsmacht bedarf es daneben nicht. Allerdings tritt kein Wechsel der Inhaberschaft ein, wenn der neue "Inhaber" den Betrieb gar nicht führt (Senatsurteile vom 12. November 1998 - 8 AZR 282/97 - AP Nr. 186 zu § 613 a BGB, zu B I 1 der Gründe und vom 18. März 1999 - 8 AZR 159/98 - NZA 1999, 704, zu II 1 der Gründe, jeweils auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

2. Wesentliches Kriterium für den Übergang ist die tatsächliche Weiterführung oder Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit beim Wechsel der natürlichen oder juristischen Person, die für den Betrieb verantwortlich ist (EuGH Urteil vom 10. Februar 1988 - Rs 324/86 - EuGHE 1988, 739 (Daddy's Dance Hall), zu Nr. 9 ff. der Gründe; EuGH Urteil vom 15. Juni 1988 - Rs 101/87 - EuGHE 1988, 3057 (Bork), zu Nr. 13 ff. der Gründe; EuGH Urteil vom 12. November 1992 - Rs C - 209/91 - EuGHE I 1992, 5755 = AP Nr. 5 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187 (Rask ./. ISS Kantine Service), zu Nr. 15, 19 der Gründe; EuGH Urteil vom 11. März 1997, aaO, zu Nr. 10, 12 der Gründe, m.w.N.; vgl. auch EuGH Urteil vom 12. März 1998 - Rs C - 319/94 - AP Nr. 19 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187, zu Nr. 22 ff. der Gründe; zuletzt EuGH Urteile vom 10. Dezember 1998 - verb. Rs.C-173/96 u. C-247/96 - EuGHE I 1998, 8237 = NZA 1999, 189 ff., zu Nr. 21, 23, 29 der Gründe sowie vom 10. Dezember 1998 - verb. Rs. C-127/96, C-229/96 u. C-74/97 - EuGHE I 1998, 8179 = NZA 1999, 253 ff., zu Nr. 22, 23, 29 der Gründe). Führt ein Verpächter den an ihn zurückgefallenen Betrieb auch nicht vorübergehend, können zwar materielle und immaterielle Betriebsmittel auf ihn übergehen; er übt die wirtschaftliche Tätigkeit mit eigener Zielsetzung aber nicht aus. Er nutzt nicht die vorhandene Organisation, übernimmt weder die Hauptbelegschaft noch die Kundschaft. Ohne jegliche Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit geht der Betrieb regelmäßig nicht auf ihn über. Die bloße Möglichkeit zu einer unveränderten Fortsetzung des Betriebs genügt für die Annahme eines Betriebsübergangs nicht. Der Betriebsübergang kann sich dagegen auf den neuen Pächter vollziehen, wenn er die Betriebstätigkeit fortsetzt oder wieder aufnimmt. Dessen wesentlich andere Betriebstätigkeit, völlig neue betriebliche Organisation oder die erhebliche Unterbrechung der Betriebstätigkeit können dem Betriebsübergang entgegenstehen (vgl. nur Senatsurteil vom 11. September 1997 - 8 AZR 555/95 - BAGE 86, 271, 274 ff. = AP Nr. 16 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187, zu B 2 der Gründe). Schließt danach schon die gänzlich andersartige Betriebstätigkeit oder -organisation den Betriebsübergang aus, wenn die bisherige Einheit auch nicht zeitweise genutzt wird, so liegt erst recht kein Betriebsübergang vor, wenn überhaupt keine betriebliche Tätigkeit entfaltet wird. Wird der Betrieb nicht auf Dauer stillgelegt, bleibt der Pächter demnach Inhaber des Betriebs, auch wenn er die betriebliche Tätigkeit einstellt (Senatsurteil vom 18. März 1999 - 8 AZR 159/98 -, aaO, zu II 4 der Gründe).

3. Diese Maßstäbe gelten nicht nur für Pachtverträge und deren Beendigung, sondern für den Übergang von wirtschaftlichen Einheiten aufgrund rechtsgeschäftlicher Regelungen aller Art. Der Übergabevertrag vom 29. Januar 1992 konnte demnach Grundlage für einen Betriebsübergang sein. Die Beendigung des Übergabevertrags durch Kündigung bedeutet aber noch keine Wiederherstellung der früheren Verhältnisse. Maßgeblich für einen Betriebsübergang ist der tatsächliche Vollzug der Rechtsänderung nach den oben angeführten Kriterien.

4. Danach liegt im Streitfalle ein Betriebsübergang auf den Beklagten nicht vor.

a) Entgegen der Auffassung des Beklagten bildete das Jugendwohnheim "" als eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit zumindest einen Betriebsteil. Es handelte sich jedenfalls um eine Teilorganisation der betrieblichen Gesamtorganisation des IB. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, es habe eine abgrenzbare Einheit mit unterscheidbarer Zielsetzung, eigenen materiellen und immateriellen Betriebsmitteln, fest zugeordnetem Personal und eigenständiger Arbeitsorganisation zur dauerhaften Betreuung von bis zu 18 Jugendlichen vorgelegen. Dagegen hat die Revisionserwiderung nichts mehr vorgebracht.

b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe die wirtschaftliche Einheit nicht fortgeführt, deren Identität sei nicht bei dem Beklagten gewahrt worden, ist rechtsfehlerfrei. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit unangefochten festgestellt, der Beklagte habe die betriebliche Tätigkeit, Betreuung der Jugendlichen, nicht fortgeführt. Er habe keinen der in der Einrichtung beschäftigten Arbeitnehmer (Betreuer und sonstiges Personal) übernommen oder weiterbeschäftigt. Die Jugendlichen seien weiter in der Obhut des IB verblieben. Damit hat der Beklagte auch die Arbeitsorganisation des IB, dessen Betriebsmethoden und immaterielle Betriebsmittel nicht übernommen. Die Entgegennahme von materiellen Betriebsmitteln, insbesondere des Grundstücks, reicht bei einem Jugendwohnheim zur Wahrung und Weiterführung der organisatorischen Einheit nicht aus.

c) Mit den übernommenen Mitteln hätte der Beklagte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, die betriebliche Einheit im wesentlichen unverändert fortzuführen. Ob er die Möglichkeit und ggf. sogar die Verpflichtung gehabt hätte, weitere organisatorisch zusammengefaßte Betriebsmittel und damit die betriebliche Einheit im ganzen zu übernehmen, ist unerheblich (vgl. Senatsurteil vom 18. März 1999 - 8 AZR 196/98 - NZA 1999, 869, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 2 d der Gründe). Die Kündigung des Übergabevertrags vom 29. Januar 1996 konnte für sich genommen keinen Betriebsübergang bewirken. Sie hat nicht zur Rückgängigmachung des Vertrags vom 29. Januar 1992 geführt. Der Zustand vor dem 1. März 1992 ist nicht wiederhergestellt worden. Vielmehr hat der Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Verwertung des Grundstücks angestrebt; er war nur bereit, die geräumte Immobilie in Empfang zu nehmen. Eine Absicht zur bestimmungsgemäßen Nutzung oder Verwertung der betrieblichen Einheit bestand nicht. Demnach fehlt es an Anhaltspunkten dafür, der Beklagte habe etwa das Jugendwohnheim gem. § 613 a BGB übernommen und sogleich stillgelegt.

5. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Ascheid

Dr. WittMikosch Lorenz

Heydenreich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611126

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