Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsentgelt bei nachträglich gekürztem Urlaub

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in der ersten Hälfte des Jahres, so verkürzt sich sein ursprünglich in voller Höhe entstandener Urlaubsanspruch um 1/12 für jeden vollen Monat, in dem das Arbeitsverhältnis in diesem Jahr nicht mehr besteht. In gleicher Weise entfällt der Anspruch auf Urlaubsvergütung. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer zunächst mehr Urlaub erhalten hat, als ihm wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusteht.

2. Dasselbe gilt bei einer Kündigung im Laufe des Kalenderjahres, wenn in einem Tarifvertrag (hier Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1988) die Kürzung des Urlaubsanspruches um 1/12 für jeden vollen Monat bestimmt ist, in dem das Arbeitsverhältnis nicht mehr bestanden hat, soweit der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht betroffen ist.

 

Normenkette

BGB § 812; BUrlG §§ 1, 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3; TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 14.03.1995; Aktenzeichen 16 Sa 1980/94)

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 03.11.1994; Aktenzeichen 4 Ca 3872/94)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Urlaubsentgelt.

Der Kläger war seit 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. Februar 1988 (MTV) Anwendung. Darin ist u.a. bestimmt:

㤠11

1. Jeder Arbeitnehmer/Auszubildende hat nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

4. Eine Rückvergütung für bereits genommenen Urlaub kann nicht verlangt werden.

§ 12

2. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer/Auszubildende gegen den alten und neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf so viele Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs Anspruch, als er Monate bei ihnen gearbeitet hat (Beschäftigungsmonate)/ausgebildet wurde (Ausbildungsmonate) …

§ 13

1. Der Urlaub beträgt für Arbeitnehmer/Auszubildende 30 Arbeitstage/Ausbildungstage.

§ 14

2. Die Urlaubsvergütung ist auf Wunsch des Arbeitnehmers/Auszubildenden vor Antritt des Urlaubs zu zahlen, sofern der Urlaub mindestens 2 Wochen umfaßt. Statt der Urlaubsvergütung kann ein entsprechender Abschlag geleistet werden.

…”

Der Kläger hatte 1994 zunächst an 19 Arbeitstagen Urlaub erhalten. Auf seinen Antrag gewährte die Beklagte ihm für die Zeit vom 12. bis 18. Juli 1994 weitere 5 Urlaubstage. Der Kläger kündigte am 29. Juli 1994 das Arbeitsverhältnis zum 31. August 1994. Die Beklagte gewährte ihm Urlaubsvergütung für den 12. Juli 1994, nicht aber für die vier Tage vom 13. bis 18. Juli 1994. Diese verlangt der Kläger mit der vorliegenden Klage.

Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 906,72 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein erstinstanzliches Klageziel. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgelt für die Zeit vom 13. bis 18. Juli 1994.

1. Der Anspruch folgt nicht aus § 11 Nr. 1 MTV i.V.m. § 611 BGB.

a) Der Kläger hat zu Beginn des Jahres 1994 einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen erworben. Davon konnten im Juli fünf Tage verlangt werden, nachdem der Anspruch erst für 19 Tage erfüllt war.

b) Die Freistellung nach den tariflichen und gesetzlichen Urlaubsvorschriften hat regelmäßig zur Folge, daß der Arbeitgeber für den Zeitraum der Freistellung die geschuldete Urlaubsvergütung zu zahlen hat, § 11 Nr. 1, § 14 Nr. 2 MTV. Das gilt nicht, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des Urlaubsjahres gekürzt wird. In diesem Fall ordnet das Bundesurlaubsgesetz wie der Manteltarifvertrag den teilweisen Wegfall des Anspruchs an. Hat der Arbeitnehmer mehr Urlaub erhalten, als ihm nach der Kürzung zusteht, so steht fest, daß er einen Teil des Urlaubs ohne Rechtsgrund erhalten hat. Die vom Arbeitgeber gewährte Freistellung von den Arbeitsverpflichtungen erweist sich nachträglich als nicht urlaubsrechtliche Freistellung, für die eine Zahlung von Urlaubsentgelt nicht in Betracht kommt. Die Anordnung in § 1 und § 3 Abs. 1 BUrlG sowie in § 11 MTV auf Gewährung bezahlten Erholungsurlaubs setzt voraus, daß eine urlaubsrechtliche Freistellung rechtmäßig erfolgt ist.

Dem steht die Rechtsprechung des Senats zum hessischen Bildungsurlaubsgesetz und zum Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (BAG Urteil vom 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - BAGE 72, 200 = AP Nr. 1 zu § 9 BildungsurlaubsG Hessen; Urteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - BAGE 73, 135 = AP Nr. 2 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW) nicht entgegen. In den vom Senat entschiedenen Fällen hatte der Arbeitgeber einen bestehenden und auch nicht nachträglich weggefallenen Anspruch auf Freistellung erfüllt und sich die Zahlung des Entgelts vorbehalten. Eine derartige Möglichkeit, die das Risiko des Entgeltsausfalls dem Arbeitnehmer einseitig überträgt, sehen die Bildungsurlaubsgesetze ebenso wenig vor wie eine Kürzung des Anspruchs.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 5 Abs. 3 BUrlG oder § 11 Nr. 4 MTV. Beide Vorschriften regeln lediglich den Fall, daß der Arbeitnehmer nicht nur mehr Urlaub erhalten hat, als ihm nach der Kürzung zustand, sondern auch das Urlaubsentgelt bereits empfangen hat. Übereinstimmend ordnen § 11 Nr. 4 MTV und § 5 Abs. 3 BUrlG an, daß das dafür gezahlte Urlaubsentgelt nicht zurückgefordert werden kann. Beide Regelungen enthalten demnach keine besondere Anspruchsgrundlage für die Zahlung von Entgelt für die Zeit einer Freistellung, die sich nachträglich nicht als Urlaub erweist. Die Bestimmungen sind lediglich Sondervorschriften zum Bereicherungsrecht. Der Arbeitgeber, für dessen Zahlung nachträglich der Rechtsgrund weggefallen ist, könnte das Entgelt nach § 812 Abs. 1 BGB zurückverlangen. Das wird durch § 5 Abs. 3 BUrlG und § 11 Abs. 4 MTV ausgeschlossen. Dem Arbeitnehmer bleibt es erspart, der Forderung des Arbeitgebers mit dem Einwand der Entreicherung begegnen zu müssen.

3. Die tariflichen und gesetzlichen Vorschriften über den bezahlten Erholungsurlaub sind auch nicht analog anzuwenden. Beide Normenbereiche sind nicht lückenhaft. Im Tarifvertrag und im Gesetz ist vielmehr eine Abwägung zwischen den Interessen der Vertragsparteien vorgenommen worden. Entsteht der Kürzungstatbestand nach Leistung des Entgelts, so wird der Arbeitnehmer dadurch begünstigt, daß er das ohne Rechtsgrund erhaltene Entgelt behalten darf. Entsteht der Kürzungstatbestand zwischen Urlaub und Zahlung des Entgelts, so trägt der Arbeitnehmer das Risiko, bestimmte Tage ohne Arbeitsentgelt frei gehabt zu haben. Entsteht der Kürzungstatbestand vor Antritt des Urlaubs, so kann der Arbeitgeber die nicht mehr durch den Urlaubsanspruch gedeckte Freistellungserklärung mit der Folge kondizieren, daß der Arbeitnehmer entgegen seinen ursprünglichen Wünschen zur Arbeit verpflichtet ist und dafür das geschuldete Entgelt erhält.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Leinemann, Düwell, Dörner, Hammer, Schodde

 

Fundstellen

Haufe-Index 60036

BAGE 00, 00

BAGE, 36

BB 1996, 1010

BB 1996, 1010 (K)

BB 1996, 1890

BB 1996, 1890-1891 (LT1-2)

DB 1996, 2391 (LT1-2)

DB 1996, 989 (K)

DStR 1996, 1495 (K)

BuW 1996, 376 (KT)

BuW 1996, 724 (K)

BuW 1996, 763 (K)

EBE/BAG 1996, 132-133 (LT1-2)

AiB 1997, 117-118 (LT1-2)

ARST 1996, 143 (K)

ARST 1996, 210-211 (LT1-2)

ASP 1996, Nr 5/6, 61 (K)

ArbN 1997, 97 (K)

EWiR 1996, 933 (L1-2)

NZA 1997, 265

NZA 1997, 265-266 (LT1-2)

Quelle 1996, Nr 11, 40 (L1)

RdA 1996, 326 (L1-2)

ZAP, EN-Nr 360/96 (S)

AP, 0

AP, Tarifverträge Metallindustrie

AR-Blattei, ES 1640.6.2 Nr 9 (LT1-2)

ArbuR 1996, 406 (L1,S2)

EzA-SD 1996, Nr 10, 3 (K)

EzA-SD 1996, Nr 18, 22-23 (LT1-2)

EzA, (LT1-2)

KrV 1996, 239 (K)

PERSONAL 1996, 666 (L1-2)

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