Entscheidungsstichwort (Thema)

Befristung wegen Übertragung sozialstaatlicher Aufgaben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die bloße Unsicherheit der künftigen Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs rechtfertigt die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht.

2. Auch bei der Übertragung sozialstaatlicher Aufgaben ist die Prognose des voraussichtlichen Beschäftigungsbedarfs Teil des Sachgrundes für die Befristung (Abgrenzung zu den Senatsurteilen 28. Mai 1986 – 7 AZR 581/84 – und – 7 AZR 25/85 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 101 und 102, 24. September 1986 – 7 AZR 669/84 – AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 12 und 15. März 1989 – 7 AZR 264/88 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 126).

 

Normenkette

BGB § 620; BeschFG § 1 Abs. 5 S. 1; AÜG § 9 Nr. 1, § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 10 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 21.07.1998; Aktenzeichen 12 Sa 32/98)

ArbG Berlin (Urteil vom 23.12.1997; Aktenzeichen 39 Ca 10318/97)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 21. Juli 1998 – 12 Sa 32/98 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung vom 13. Juli 1997 zum 31. Juli 1998 beendet ist.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte, eine gemeinnützige GmbH, befaßt sich im Rahmen der Förderung behinderter Schüler aufgrund eines mit dem Land Berlin geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags ua. mit der Anstellung und Beschäftigung sowie der Organisation des Einsatzes von Schulhelfern. Die mit unterschiedlichen Stundenzahlen angestellten ca. 250 Schulhelfer und Schulhelferinnen stellt die Beklagte dem Land Berlin entsprechend der jeweiligen vorherigen Anforderung der regionalen Schulaufsicht zur Verfügung. Die Art des Einsatzes richtet sich nach dem von der Schulaufsicht vorgegebenen Tätigkeitskatalog. Die Aufgabe der Schulhelfer besteht darin, sich in Absprache mit dem jeweiligen Lehrer während und außerhalb des Unterrichts um behinderte und verhaltensauffällige Kinder zu kümmern, um diesen die Teilnahme am Schulunterricht zu ermöglichen. Den für das Schuljahr verfügbaren Finanzrahmen zur Beschäftigung von Schulhelfern übermittelt das Land Berlin der Beklagten jeweils mindestens zwei Monate vor Schuljahresbeginn. Nach dem Geschäftsbesorgungsvertrag sind sich die Vertragsparteien „darüber einig, daß mit den Schulhelfern entsprechend dem durch die Schulaufsicht festgestellten Bedarf befristete Arbeitsverhältnisse eingegangen werden”. Das Land Berlin erstattet der Beklagten die an die Schulhelfer ausgezahlten Gehälter einschließlich aller Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die Personalkosten für vier BAT-Stellen, Gemeinkosten von 60.000,00 DM sowie Sachkosten bis zu einer Höhe von maximal 40.000,00 DM. Hinsichtlich der ihr zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel trifft die Beklagte gegenüber dem Land Berlin eine detaillierte Nachweispflicht. Nicht verbrauchte Mittel des jeweiligen Kalenderjahrs hat sie spätestens zum 31. Dezember an das Land Berlin zurückzuzahlen.

Die Klägerin war bei der Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 25. August 1994 aufgrund von jeweils auf ein Schuljahr befristeten Arbeitsverträgen in einer Schule in Charlottenburg als Schulhelferin tätig. Der letzte Arbeitsvertrag vom 13. Juli 1997 war befristet für die Zeit vom 1. August 1997 bis 31. Juli 1998.

Die Klägerin, die sich mit ihrer am 14. März 1997 erhobenen Klage zunächst gegen die vorangegangene Befristung zum 31. Juli 1997 gewandt hatte, hat mit Schriftsatz vom 7. Oktober 1997 klargestellt, daß sie nunmehr die in dem vorbehaltlos abgeschlossenen Vertrag vom 13. Juli 1997 vereinbarte Befristung angreift. Sie hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei sachlich nicht gerechtfertigt und daher rechtsunwirksam.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis unbefristet ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Befristung mit der planerischen und finanziellen Abhängigkeit vom Land Berlin begründet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision. Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien am 24. Juli 1998 für die Zeit vom 1. August 1998 bis 31. Juli 1999 sowie am 13. August 1999 für die Zeit vom 1. August 1999 bis 31. Juli 2000 weitere befristete Verträge geschlossen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage mit im wesentlichen zutreffender Begründung zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Befristungsabrede vom 13. Juli 1997 nicht wirksam zum 31. Juli 1998 beendet.

I. Die Klage ist zulässig. Wie die gebotene, vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in der Revisionsverhandlung bestätigte Auslegung des Klagantrags ergibt, verfolgt die Klägerin keine allgemeine Feststellungsklage iSv. § 256 Abs. 1 ZPO, sondern eine (Entfristungs-) Klage iSv. § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG. Der Senat hat dies durch eine entsprechende Maßgabe beim Urteilstenor berücksichtigt.

Das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung bedarf bei der für den Streit über eine Befristung durch § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG gesetzlich vorgesehenen Form der Klage ebenso wie in den Fällen des § 4 Satz 1 KSchG keiner gesonderten Prüfung. Es folgt bereits aus der andernfalls nach § 1 Abs. 5 Satz 2 BeschFG eintretenden Fiktion des § 7 KSchG. Der Umstand, daß vorliegend nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts weitere befristete Verträge geschlossen wurden, läßt das stets erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Keine der Parteien hat geltend gemacht, durch die späteren Verträge sei der Streit über die Wirksamkeit der Befristung zum 31. Juli 1998 beseitigt worden.

II. Die Klage ist begründet.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung letzten vorbehaltlos geschlossenen Vertrag der Befristungskontrolle unterworfen (st. Senatsrechtsprechung, vgl. etwa 15. Februar 1995 – 7 AZR 680/94 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 166 = EzA BGB § 620 Nr. 120 mwN).

2. Die dreiwöchige Klagefrist des § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG wurde durch die bereits vor dem vereinbarten Fristende erhobene Klage gewahrt (BAG 1. Dezember 1999 – 7 AZR 236/98 – zu II der Gründe, zVv.).

3. Die vereinbarte Befristung bedurfte, da der Klägerin der ihr ohne die Befristung zustehende Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG vorenthalten wurde, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit dem Beschluß des Großen Senats 12. Oktober 1960 – GS 1/59BAGE 10, 65) zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes. Ein solcher liegt im Streitfall, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht vor.

a) Die Befristung läßt sich nicht damit rechtfertigen, bei Abschluß der mit den Schulhelfern geschlossenen Verträge sei jeweils ungewiß, ob das Land Berlin im nächsten Schuljahr erneut im selben Umfang Schulhelfer anfordern werde. Die bloße Unsicherheit der künftigen Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs reicht grundsätzlich für die den gesetzlichen Kündigungsschutz umgehende Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht aus (BAG 12. September 1996 – 7 AZR 790/95 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 182 = EzA BGB § 620 Nr. 142, zu II 3 a der Gründe mwN). Sie gehört vielmehr zum unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers, das er nicht durch den Abschluß befristeter Arbeitsverträge auf seine Arbeitnehmer abwälzen kann. Der Arbeitgeber kann sich bei nicht oder nur schwer vorhersehbarem quantitativen Bedarf nicht darauf berufen, mit befristeten Arbeitsverträgen könne er leichter und schneller auf Bedarfsschwankungen reagieren (BAG 16. Oktober 1987 – 7 AZR 614/86BAGE 56, 241, 249; BAG 13. November 1991 – 7 AZR 31/91BAGE 69, 62; BAG 8. April 1992 – 7 AZR 135/91 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 146 = EzA BGB § 620 Nr. 115, zu III 1 der Gründe; BAG 28. Oktober 1992 – 7 AZR 464/91 – zu B II 2 a der Gründe, nv.). Die sachliche Rechtfertigung einer Befristungsabrede wegen eines nur zeitweiligen Bedarfs verlangt vielmehr, daß bei Abschluß des Zeitvertrags aufgrund konkreter Tatsachen mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, daß für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das vorgesehene Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht. Hierzu muß der Arbeitgeber eine Prognose erstellen. Deren Grundlagen hat er im Prozeß darzulegen, damit der Arbeitnehmer seinerseits die Möglichkeit erhält, die Richtigkeit der Prognose zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu überprüfen (vgl. zur Befristung wegen vorübergehenden Mehrbedarfs BAG 12. September 1996 – 7 AZR 790/95 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 182, zu II 3 a und b der Gründe; BAG 8. Juli 1998 – 7 AZR 388/97 – zu 2 b der Gründe, nv.; zur Befristung wegen einer Aufgabe von begrenzter Dauer BAG 3. November 1999 – 7 AZR 846/98 – zu 3 a der Gründe, zVv.).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beklagten nicht. Diese behauptet selbst nicht, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom 13. Juli 1997 eine Prognose dahingehend erstellt zu haben, daß über das vorgesehene Vertragsende am 31. Juli 1998 hinaus voraussichtlich kein Bedarf an einer Beschäftigung der Klägerin mehr bestehen werde. Die Beklagte hat auch keine Tatsachen vorgetragen, welche eine solche Prognose hätten rechtfertigen können.

b) Ebensowenig rechtfertigt die finanzielle Abhängigkeit der Beklagten von Haushaltsmitteln des Landes Berlin die Befristung. Wegen der zeitlichen Begrenzung eines Haushaltsplanes durch das Haushaltsjahr ist es zwar ungewiß, ob ein künftiger Haushaltsplan noch Mittel vorsieht. Diese Unsicherheit der finanziellen Entwicklung genügt jedoch allein nicht als Sachgrund für eine Befristung (BAG 13. November 1991 – 7 AZR 31/91BAGE 69, 62; BAG 8. April 1992 – 7 AZR 135/91 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 146 = EzA BGB § 620 Nr. 115, zu III 2 der Gründe). Etwas anderes gilt zwar für den Bereich des öffentlichen Dienstes dann, wenn die Vergütung des befristet eingestellten Arbeitnehmers aus einer konkreten Haushaltsstelle erfolgt, die nur befristet bewilligt worden ist oder deren Streichung zum Ablauf der vereinbarten Befristung mit einiger Sicherheit zu erwarten ist. In diesen Fällen kann nämlich angenommen werden, der Haushaltsgesetzgeber habe sich mit den Verhältnissen dieser Stelle befaßt und festgestellt, daß für die Beschäftigung des Arbeitnehmers nur ein vorübergehender Bedarf besteht (BAG 14. Januar 1982 – 2 AZR 254/80 – BAGE 37, 283; BAG 24. September 1997 – 7 AZR 654/96 – zu I 2 b der Gründe, nv.). Dies bedeutet aber nicht, daß derart befristete öffentliche Haushaltsmittel ohne weiteres die Befristung von Arbeitsverhältnissen rechtfertigen würden, die private, von einem Träger öffentlicher Verwaltung beauftragte Arbeitgeber mit ihren Arbeitnehmern abschließen. Vielmehr sind die privaten Arbeitgeber von ihrer Obliegenheit, selbst eine Prognose anzustellen, auch in einem solchen Fall nicht entbunden. Im übrigen behauptet die Beklagte aber auch gar nicht, das Land Berlin habe sich mit den konkreten Verhältnissen der Schulhelferstellen befaßt und festgestellt, hierfür bestehe nur ein vorübergehender Bedarf.

c) Die weitgehende Abhängigkeit der Beklagten von den Anforderungen und Vorgaben des Landes Berlin stellt auch keinen „Mischtatbestand” dar, der die Befristung der mit der Klägerin und den ca. 250 weiteren Schulhelfern abgeschlossenen Arbeitsverträge rechtfertigen könnte.

aa) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die Urteile des Senats vom 28. Mai 1986 (– 7 AZR 581/84 – und – 7 AZR 25/85BAGE 52, 122 und BAGE 52, 133) vom 24. September 1986 (– 7 AZR 669/84 – BAGE 53, 105) und vom 15. März 1989 (– 7 AZR 264/88 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 126). Allerdings hat der Senat in diesen Entscheidungen bei den im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit durchgeführten und von ihr im wesentlichen auch finanzierten „Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger Ausländer” (MBSE) die Befristung der zwischen den Lehrkräften und den Maßnahmeträgern geschlossenen Arbeitsverträge für wirksam erachtet. Zur Begründung hat er vor allem darauf abgestellt, daß es sich bei den MBSE-Maßnahmen für den einzelnen Maßnahmeträger um die Wahrnehmung von jeweils befristet (= kursjahresbezogenen) übertragenen sozialstaatlichen Sonderaufgaben von begrenzter Dauer handle. Der projektbedingte personelle Mehrbedarf stelle wegen der weitgehend durch die Bundesanstalt für Arbeit fremdbestimmten Personalvorgaben sowie wegen der für den einzelnen Maßnahmeträger bestehenden Unsicherheit über die Durchführung weiterer MBSE-Maßnahmen einen sachlichen Grund dar, die Arbeitsverhältnisse der projektbezogen beschäftigten Arbeitnehmer für die Dauer des jeweiligen Kursjahres zu befristen.

bb) Der Senat hält eine Präzisierung dieser Rechtsprechung dahingehend für geboten, daß in den Fällen, in denen sich die Maßnahme nicht als zeitlich begrenztes Projekt, sondern als Teil einer Daueraufgabe des staatlichen Auftraggebers darstellt, die Übertragung der sozialstaatlichen Aufgabe allein keinen hinreichenden Sachgrund für die Befristung der Arbeitsverhältnisse der bei dem Auftragnehmer angestellten Arbeitnehmer darstellt. Zwar besteht für den Auftragnehmer, dem die Durchführung der Maßnahme jeweils nur für einen bestimmten Zeitraum, wie etwa ein Ausbildungsjahr, übertragen wird, die Ungewißheit, ob er danach einen Anschlußauftrag erhält. Diese Unsicherheit darf jedoch nicht auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden. Sie rechtfertigt keine Einschränkung des durch Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes. Der Umstand, daß der Auftragnehmer im Bereich sozialstaatlicher Vorsorge tätig wird, rechtfertigt allein keine andere Beurteilung. Ebensowenig entbindet die Fremdbestimmtheit und die durch die Bindung an einen bedarfsabhängigen Personalschlüssel seines Auftraggebers entstehende Einschränkung der personellen Planungskompetenz den Auftragnehmer von der auch sonst bei sog. Ungewißheitstatbeständen bestehenden Obliegenheit, bei Abschluß des befristeten Arbeitsvertrags eine auf konkreten Tatsachen beruhende Prognose darüber zu erstellen, ob mit Auslaufen des befristeten Arbeitsverhältnisses der Beschäftigungsbedarf für den Arbeitnehmer voraussichtlich entfallen wird. Dabei können die Schwierigkeiten, die für den Arbeitgeber bei der Erstellung von Bedarfsprognosen aufgrund der Fremdbestimmtheit seiner Planungsmöglichkeiten entstehen, bei den materiellen Anforderungen an die Prognose und auch bei der prozessualen Substantiierungslast Berücksichtigung finden. Es ist aber nicht gerechtfertigt, allein wegen der vom Arbeitgeber selbst freiwillig eingegangenen Beschränkungen seiner personellen Planungskompetenz auf das Erfordernis einer Prognose zu verzichten. Die Prognose des voraussichtlichen Beschäftigungsbedarfs ist vielmehr auch bei der Übertragung sozialstaatlicher Aufgaben Teil des Sachgrundes für die Befristung von Arbeitsverhältnissen. Eine solche Prognose hat die Beklagte nicht erstellt.

cc) Im übrigen unterscheidet sich der Streitfall aber auch in einem wesentlichen Punkt von den Sachverhalten, die den MBSE-Urteilen zugrunde lagen. Anders als in diesen Fällen übernimmt nämlich die Beklagte nicht selbst die Durchführung einer von einem Dritten finanzierten sozialstaatlichen Aufgabe. Sie führt nicht etwa in eigener Regie in einer eigenen Einrichtung mit den von ihr angestellten Arbeitnehmern Kurse durch. Vielmehr beschränkt sich ihre Aufgabe nach dem mit dem Land Berlin geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrag im wesentlichen auf die Anstellung und Beschäftigung sowie auf die Organisation des Einsatzes der Schulhelfer. Dieser Einsatz findet aber in den Schulen des auftraggebenden Landes Berlin in Absprache mit den dort beschäftigten Lehrern statt und richtet sich hinsichtlich Art, Umfang und zeitlicher Dauer nach den Anforderungen des Landes Berlin und dem von dessen Schulaufsicht vorgegebenen Tätigkeitskatalog. Die Beklagte nimmt somit im wesentlichen nicht selbst ihr übertragene sozialstaatliche Aufgaben wahr, sondern fungiert nur als Arbeitgeber der Schulhelfer, die sie wiederum dem Land Berlin für dessen Aufgaben zur Verfügung stellt. Der Sache nach ist sie daher eher eine rechtlich verselbständigte, für die Schulhelfer zuständige Personalverwaltung des Landes Berlin. Dem entspricht auch der Umstand, daß der Beklagten vom Land Berlin neben den an die Schulhelfer zu zahlenden Gehältern lediglich die Personalkosten für vier BAT-Stellen sowie im einzelnen nachzuweisende Sach- und Gemeinkosten erstattet werden. Für das Land Berlin hat aber die Tätigkeit der Schulhelfer keineswegs einen projektbezogenen, vorübergehenden Charakter. Vielmehr handelt es sich für das Land Berlin um eine Daueraufgabe. Würden die Arbeitsverträge unmittelbar zwischen dem Land Berlin und den Schulhelfern geschlossen, könnten sie daher nicht mit der Begründung wirksam befristet werden, es handle sich um projektbezogene Aufgaben von begrenzter Dauer. Dann kann aber auch durch das Dazwischenschalten eines weitgehend vom Land Berlin abhängigen privaten Arbeitgebers kein Sachgrund zur Befristung der mit den Schulhelfern geschlossenen Arbeitsverträge geschaffen werden. Vielmehr würde durch die Anerkennung einer solchen Konstruktion der durch die Befristungskontrolle gewährte arbeitsrechtliche Bestandsschutz umgangen.

4. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht etwa nach den Vorschriften des AÜG aufgelöst worden.

a) Der Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten ist nicht nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam. Die Überlassung der Klägerin an das Land Berlin erfolgte nicht gewerbsmäßig iSv. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Es fehlt an der hierfür erforderlichen Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten (vgl. BAG 21. März 1990 – 7 AZR 198/89BAGE 65, 43; BAG 1. Juni 1994 – 7 AZR 7/93 – BAGE 79, 52). Der zwischen der Beklagten und dem Land Berlin abgeschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag schließt eine Gewinnerzielung der Beklagten geradezu aus.

b) Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten ist auch dann nicht beendet, wenn man gemäß § 1 Abs. 2 AÜG vermutet, die Beklagte habe Arbeitsvermittlung betrieben. Denn selbst wenn man mit einem Teil des Schrifttums auch nach der durch das AFRG zum 1. April 1997 erfolgten Streichung des § 13 AÜG für den Fall vermuteter Arbeitsvermittlung nach § 1 Abs. 2 AÜG weiterhin das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher annimmt (so etwa Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht/Düwell 2. Aufl. 4.5 Rn. 314 297; aA ErfK/Wank AÜG § 13 Rn. 3), hätte dies nicht zur Folge, daß das Arbeitsverhältnis mit dem Vertragsarbeitgeber damit beendet wäre. Eine allein aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes erfolgende analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG würde es nicht rechtfertigen, dem Arbeitnehmer vertraglich begründete Rechte gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber zu nehmen (so auch zur erweiternden Auslegung des § 13 AÜG aF Senat 15. April 1999 – 7 AZR 437/97 – zu II 2 a der Gründe, zVv.).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dörner, Schmidt, Linsenmaier, Lohre, Niehues

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 22.03.2000 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 537472

BAGE, 130

BB 2000, 1528

BB 2000, 1838

DB 2001, 284

NJW 2001, 845

NWB 2000, 3039

ARST 2001, 92

FA 2000, 295

FA 2000, 317

NZA 2000, 881

ZAP 2000, 1003

ZTR 2000, 476

MDR 2000, 1137

NJ 2000, 667

PERSONAL 2001, 329

RiA 2001, 54

Streit 2003, 146

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