Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilkündigung, ergänzende Vertragsauslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der Äußerung einer – möglicherweise falschen – Rechtsansicht liegt keine Teilkündigung.

2. Übernimmt der Arbeitnehmer eine tariflich niedriger bewertete Tätigkeit und vereinbaren die Parteien, daß dem Arbeitnehmer der Differenzbetrag zwischen den beiden Tarifgruppen in bezifferter Höhe als „nicht aufzehrbare Ausgleichszulage, die auch an Tariflohnerhöhungen teilnimmt” zusteht, so soll er damit regelmäßig so gestellt werden, wie er ohne den Stellenwechsel gestanden hätte. Eine solche Vereinbarung bezweckt in der Regel nicht, dem Arbeitnehmer das höhere Gehalt auch für den Fall zu sichern, daß die ursprüngliche Tätigkeit tariflich später geringer bewertet wird.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 620

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 09.08.1995; Aktenzeichen 2 Sa 339/95)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 23.12.1994; Aktenzeichen 3 Ca 5136/94)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. August 1995 – 2 Sa 339/95 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. Dezember 1994 – 3 Ca 5136/94 – wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu tragen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Revisionsinstanz auf 2.560,32 DM festgesetzt.

VonRechtswegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Höhe und Zusammensetzung des Gehalts der Klägerin.

Die 1950 geborene Klägerin ist seit 1966 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 1. Januar 1991 war sie als Bezirksdirektorin tätig. Bezirksdirektoren wurden nach Tarifgruppe 10 des Gehaltstarifvertrags für die BHW-Gruppe vergütet. Die Klägerin hatte gemäß § 5 ihres Arbeitsvertrags vom 9. Dezember 1990 Anspruch auf das Tarifgehalt nach dieser Tarifgruppe sowie auf „Erfolgsvergütungen nach der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung über Erfolgsvergütungen für Bezirksdirektoren”.

Mit Schreiben vom 29. September 1992 bewarb sich die Klägerin um die Stelle der Büroleiterin der Gebietsdirektion D. Diese Stelle wurde tariflich nach Tarifgruppe 7 vergütet. Die Beklagte entsprach dieser Bewerbung mit Schreiben vom 3. November 1992 und setzte die Klägerin ab 1. Januar 1993 als Büroleiterin ein. In diesem Schreiben heißt es:

„… auf Ihren Antrag vom 29. September 1992 werden wir Sie mit Wirkung vom 1. Januar 1993 als Büroleiterin in der Gebietsdirektion D einsetzen.

Ihr monatliches Bruttoarbeitsentgelt setzt sich ab diesem Termin wie folgt zusammen:

Grundvergütung nach Tarifgruppe 7/11 DM 5.084,–

zuzüglich einer nicht aufzehrbaren pensionsfähigen Ausgleichszulage in Höhe der Differenz zu Tarifgruppe 10, die auch an Tariferhöhungen teilnimmt.

DM 1. 372,–

DM 6. 456,–

Die bisher gültige Berechnung Ihres Arbeitsentgelts ist hiermit aufgehoben.

Im übrigen gelten die Bedingungen des Tarifvertrages für die BHW-Gruppe.”

Am 15. Oktober 1993 einigten sich die Tarifvertragsparteien – im wesentlichen mit Wirkung ab 1. Februar 1994 – auf einen neuen Tarifvertrag für die BHW-Gruppe, mit dem sie u.a. das Gehaltstarifwerk für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken übernahmen. Darin ist höchste Tarifgruppe die Tarifgruppe 9; nach ihr werden auch die Bezirksdirektoren vergütet. Eine Tarifgruppe 10 ist in diesem Tarifwerk nicht mehr enthalten. Büroleiter fallen auch nach diesem Tarifwerk unter die Tarifgruppe 7.

Die „Tarifvereinbarung” vom 15. Oktober 1993 lautet auszugsweise:

„10. …

Wenn Arbeitnehmern, die das 45. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mindestens 10 Jahre angehören, aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, eine Tätigkeit übertragen wird, die einer niedrigeren Tarifgruppe entspricht, als der, in die sie in den vorangegangenen drei Jahren eingruppiert waren, ist ihnen weiter das Tarifgehalt ihrer bisherigen Tarifgruppe zu zahlen. Leistungsminderung infolge Alters oder Krankheit ist kein von ihnen zu vertretender Grund. Für Arbeitnehmer, die am 31. Oktober 1993 das 40. Lebensjahr vollendet haben und die sonstigen Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllen, bleibt die Besitzstandswahrung erhalten. …

14. …

Günstigere Arbeitsbedingungen, auf die ein Mitarbeiter durch Betriebsvereinbarung oder kraft eines besonderen Arbeitsvertrages Anspruch hat, bleiben bestehen.

15. Im Sinne einer verbesserten Besitzstandsregelung gegenüber dem Arbeitgeberangebot vom 18. August 1993 sind sich die Tarifpartner darüber einig, daß der sich aus der Übernahme des Branchen-Tarifvertrages ergebende Unterschiedsbetrag in der Weise ermittelt wird, daß der BHW-Gehaltstarifvertrag und der Branchen-Tarifvertrag in ihrer Fassung vom 31. Januar 1994 gegenübergestellt werden. Hinsichtlich der Neubewertung der Stellen wird der Unterschiedsbetrag in der Weise ermittelt, daß das Tarifgehalt der bisherigen Tarifgruppe und das der neuen Tarifgruppe – jeweils bezogen auf den Branchen-Tarifvertrag in der Fassung vom 31. Januar 1994 – gegenübergestellt werden.

Die sich aufgrund der Übernahme des Branchen-Tarifvertrages und der Neubewertung der Stellen ergebenden ruhegehaltsfähigen.

Ausgleichszulagen vermindern sich bei zukünftigen Tariferhöhungen jeweils um die Hälfte des Erhöhungsbetrages. …”

Durch Nr. 15 dieser Tarifregelung wird erreicht, daß nach Ablauf von etwa zehn Jahren alle Beschäftigten der Beklagten nur noch Gehälter nach den Tarifverträgen für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken erhalten.

Mit Formularschreiben vom 17. Februar 1994 informierte die Beklagte die Klägerin über die „Tarifgruppenreform 1994, hier: Eingruppierung und Gehaltsmitteilung ab 1. Februar 1994”. Nach der „Gehaltsmitteilung”, Anlage 1 zu diesem Schreiben, setzte sich das bisherige Gehalt von 6.456,00 DM zusammen aus dem tariflichen Grundgehalt Tarifgruppe 7/11 in Höhe von 5.084,00 DM und einer „nicht aufzehrbaren Ausgleichszulage” von 1.372,00 DM. Nunmehr sollte sich das in der Höhe gleichbleibende Gehalt zusammensetzen aus dem Grundgehalt der Tarifgruppe 7/11 in Höhe von 4.924,00 DM, einer „nicht aufzehrbaren Ausgleichszulage” in Höhe von 866,00 DM sowie einer „Tarifzulage 1994” in Höhe von 666,00 DM. Bei den 866,00 DM handelt es sich um die Differenz der Tarifgehälter der Tarifgruppen 7/11 und 9/11, bei den 666,00 DM um die Differenz zwischen den Tarifgehältern der Tarifgruppe 9/11 und der bisherigen Tarifgruppe 10/11.

Mit Wirkung vom 1. April 1994 erhöhten sich die Gehälter nach dem Tarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken um 2 %. Mit Schreiben vom 20. April 1994 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß ihr Bruttomonatsgehalt nunmehr 6.514,00 DM betrage und sich zusammensetze aus dem

Grundgehalt nach Tarifgruppe 7/11 in Höhe von 5.022,00 DM,

einer Tarifzulage 1994 in Höhe von 608,00 DM

und einer Ausgleichszulage in Höhe von 884,00 DM.

Das bedeutete eine Anhebung des Tarifgehalts der Tarifgruppe 7/11 und der bisherigen „nicht aufzehrbaren Ausgleichszulage” in Höhe von 866,00 DM um 2 %, gerundet insgesamt 116,00 DM, und eine Minderung der „Tarifzulage 1994” um 58,00 DM, d.h. um 50 % von 116,00 DM.

Die Klägerin macht geltend, sie habe weiterhin Anspruch auf Zahlung einer tariffesten und an Tariferhöhungen teilnehmenden übertariflichen Zulage in Höhe von 1.372,00 DM und damit Anspruch auf Zahlung der ungeschmälerten Tariferhöhungen. Sie hat vorgetragen: Das Schreiben vom 3. November 1992 enthalte eine von der tariflichen Regelung abweichende Gehaltsvereinbarung. Mit ihrem Schreiben vom 17. Februar 1994 nebst Anlagen habe die Beklagte eine nach § 2 KSchG unzulässige Teilkündigung ausgesprochen. Diese Teilkündigung hält die Klägerin für unwirksam. Weiter begehrt sie Zahlung der Gehaltsdifferenz für die Monate April 1994 bis März 1995. Sie hat ihre Ansprüche auch aus Nr. 10 der Tarifvereinbarung vom 15. Oktober 1993 hergeleitet.

Die Klägerin hat einen in erster Instanz noch geltend gemachten Anspruch auf 300,00 DM brutto Gehaltsdifferenz (Einmalzahlung für die Monate Februar und März) nebst Zinsen in der Berufungsinstanz nicht mehr weiterverfolgt und nur noch beantragt,

  1. festzustellen, daß die Teilkündigung vom 17. Februar 1994 unwirksam ist,
  2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 053,42 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Mit dem Schreiben vom 3. November 1992 hätte der Klägerin das Grundgehalt gesichert werden sollen, das sie als Bezirksdirektorin gehabt hätte. Durch den Wegfall der Tarifgruppe 10 im Gehaltstarifwerk sei eine Regelungslücke entstanden, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung so zu schließen sei, wie es ihr Schreiben vom 17. Februar 1994 ausweise. Eine Teilkündigung liege darin nicht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß die Zulage von 1.372,00 DM trotz des Wegfalls der Tarifgruppe 10 an Tariferhöhungen teilnimmt.

A.I. Die Revision ist zulässig. Allerdings heißt es in dem Revisionsschriftsatz vom 18. September 1995, daß namens und in Vollmacht der „Klägerin” Revision eingelegt werde. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist eine Berufung nur dann ordnungsgemäß eingelegt, wenn innerhalb der Rechtsmittelfrist unzweifelhaft erkennbar ist, für und gegen wen die Berufung eingelegt ist (BAG Urteil vom 28. Juni 1973 – 3 AZR 469/72 – AP Nr. 21 zu § 518 ZPO; BGH Beschluß vom 9. Juli 1985 – VI ZB 8/85 – AP Nr. 52 zu § 518 ZPO). Fehlerhafte Parteibezeichnungen sind aber unschädlich, wenn der Fehler für das Rechtsmittelgericht und den Gegner offensichtlich ist und aufgrund der übrigen Angaben keine Zweifel an der Identität des Rechtsmittelführers und des Rechtsmittelgegners bestehen. Das ist hier der Fall. Der Revisionsschriftsatz der Rechtsanwälte Dr. Wessing und andere vom 18. September 1995 bezeichnet die BHW Bausparkasse AG zutreffend als Beklagte und Revisionsklägerin und als deren Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwälte Dr. Wessing und andere. Im übrigen ist nur die Beklagte durch das Berufungsurteil beschwert.

II. Die Parteien streiten und stritten auch schon in der II. Instanz nicht mehr um den Teilbetrag von 300,00 DM (pauschale Gehaltsnachzahlung für die Monate Februar und März 1994). Deshalb ist der Tenor des Berufungsurteils unter 2. wegen offenbarer Unrichtigkeit (§ 319 Abs. 1 ZPO) dahin richtigzustellen, daß die Beklagte zur Zahlung von 853,42 DM nebst Zinsen verurteilt wird. Eine Berichtigung kann auch noch durch das Rechtsmittelgericht erfolgen (BAG Urteil vom 12. Mai 1964 – 3 AZR 412/63 – AP Nr. 13 zu § 319 ZPO = NJW 1964, 1874; BGHZ 78, 22, 23; 106, 370, 373).

B. Die Revision ist begründet.

I. Der Antrag der Klägerin, festzustellen, daß die Teilkündigung vom 17. Februar 1994 unwirksam ist, ist dahin auszulegen, daß die Klägerin die Feststellung begehrt, ihr stehe auch nach dem Wegfall der Tarifgruppe 10 zum 1. Februar 1994 eine nicht aufzehrbare, an Tariferhöhungen teilnehmende pensionsfähige Ausgleichszulage in Höhe von 1.372,00 DM zu. Die Klägerin hat zwar die Ansicht vertreten, es handele sich bei dem Schreiben vom 17. Februar 1994 nebst Anlagen um eine Teilkündigung. Auf die rechtliche Qualifikation kommt es ihr aber nicht an.

II. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es liege eine unzulässige Teilkündigung vor. Der Senat folgt dem nicht.

1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe sich von der mit dem Schreiben vom 3. November 1992 gegebenen Zusage einseitig gelöst, indem sie der Klägerin eine andere Gehaltszusammensetzung mitgeteilt und die Ausgleichszulage in eine Tarifzulage und eine nicht aufzehrbare Ausgleichszulage aufgeteilt habe. Sie habe damit den Charakter der Ausgleichszulage, die in ihrer Gesamtheit nicht aufzehrbar und damit weder widerrufbar noch in sonstiger Form einseitig veränderbar habe sein sollen, einseitig verändert und damit die Möglichkeit eröffnet, entgegen der vertraglichen Zusage einen Teil der Zulage anzupassen und diesen Teil sowohl von den vertraglich zugesagten Tariferhöhungen auszunehmen, als auch seine Pensionsfähigkeit auszuschließen. Das Schreiben der Beklagten sei, auch wenn es nicht als solche gekennzeichnet sei, als Teilkündigung zu werten, die dem Zweck habe dienen sollen, den sie verpflichtenden Teil der Vergütungsabrede und der Aufrechterhaltung der Pflichten der Klägerin im übrigen einseitig abzuändern. Die einseitige Änderung der Arbeitsbedingungen stelle eine Umgehung des Kündigungsschutzes dar und führe daher zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Teilkündigung.

2. Die Beklagte hat keine Teilkündigung ausgesprochen.

Eine Teilkündigung ist eine Willenserklärung, mit der der Kündigende einzelne Vertragsbedingungen gegen den Willen der anderen Vertragspartei einseitig ändern will. Von der Kündigung unterscheidet sich die Teilkündigung dadurch, daß die Kündigung das Arbeitsverhältnis in seinem ganzen Bestand erfaßt, während die Teilkündigung unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses im übrigen nur einzelne Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag beseitigen soll (BAGE 40, 199 = AP Nr. 5 zu § 620 BGB Teilkündigung = EzA § 315 BGB Nr. 28; BAGE 66, 214 = AP Nr. 25 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag = EzA § 622 BGB Teilkündigung Nr. 5).

Das Schreiben vom 17. Februar 1994 nebst Anlagen enthält keine Willenserklärung. Dafür spricht bereits die Überschrift der Anlage 1 („Gehaltsmitteilung”). Inhaltlich erläuterte die Beklagte darin nur, wie sich – ihrer Ansicht nach – das Gehalt der Klägerin nunmehr zusammensetzte. Sie wollte sich damit nicht einseitig von einzelnen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag lösen, sondern ihrer Rechtsansicht Ausdruck geben, daß sich das Gehalt der Klägerin nach der Änderung des tariflichen Gehaltsgefüges nunmehr so zusammensetzte, wie in dem Schreiben vom 17. Februar 1994 nebst Anlagen ausgeführt. Ob die Rechtsansicht der Beklagten zutraf, ist eine andere Frage. In der Äußerung einer – möglicherweise falschen – Rechtsansicht liegt noch keine Willenserklärung.

III. Die Vereinbarung der Parteien anläßlich der Übertragung der Tätigkeit als Büroleiterin vom November 1992 ist im Hinblick auf die spätere Änderung des tariflichen Gehaltsgefüges ergänzend dahin auszulegen, daß der Klägerin ab dem 1. Februar 1994 nur noch die Gehaltsdifferenz zwischen den Tarifgruppen 7 und 9 in Höhe von 866,00 DM als nicht aufzehrbare, pensionsfähige und an Tariflohnerhöhungen teilnehmende Ausgleichszulage zusteht.

1. Eine ergänzende Vertragsauslegung nach § 157 BGB kommt in Betracht, wenn zu einer bestimmten regelungsbedürftigen Frage eine Vereinbarung der Parteien nicht vorliegt oder wenn sich später durch Umstände, die bei Vertragsabschluß noch nicht erkennbar waren, aufgrund der weiteren Entwicklung der Rechtsbeziehungen der Vertragspartner eine Vertragslücke eröffnet. Es ist dann unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu untersuchen, wie die Beteiligten diesen Punkt redlicherweise geregelt hätten, wenn sie ihn denn bedacht hätten.

2. Das Landesarbeitsgericht hat eine ergänzende Vertragsauslegung abgelehnt: Es sei fraglich, ob durch den Wegfall der ursprünglichen Tarifgruppe 10 eine Regelungslücke in der vertraglichen Vereinbarung der Parteien entstanden sei. Die Parteien hätten eine einzelvertragliche Regelung getroffen, die die Vergütungsansprüche der Klägerin für ihre Tätigkeit als Büroleiterin hätte regeln sollen und insoweit nicht auf den Tarifvertrag Bezug genommen. Ob sich die Parteien in Kenntnis des späteren Wegfalls der Tarifgruppe 10 an der Neuregelung orientiert hätten oder ob nicht möglicherweise eine vergangenheitsorientierte Betrachtung zur Fortschreibung der bisherigen Gehaltsdifferenz in einen Festbetrag geführt hätte, sei nicht zu erkennen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, die Parteien hätten als redliche Vertragspartner bei einer angemessenen Abwägung nach Treu und Glauben nur das vereinbart, was die Beklagte durch ihr Schreiben vom 17. Februar 1994 der Klägerin mitgeteilt habe. Es dürfe nicht übersehen werden, daß die Klägerin zwar nach der Auslegung der Beklagten die gleiche Grundvergütung erhalte wie Bezirksdirektoren, daß sich aber der Charakter der Vergütungsbestandteile ändern würde. Eine nicht aufzehrbare Vergütung würde teilweise in eine solche umgewandelt, die auf Tariflohnerhöhungen anrechenbar sei und dementsprechend auch nicht pensionsfähig sei. Es bleibe fraglich, ob die Klägerin eine solche Vereinbarung abgeschlossen hätte und hätte abschließen müssen, insbesondere im Hinblick auf die Besitzstandregelung in Nr. 10 der Tarifvereinbarung vom 15. Oktober 1993. Da nicht ohne weiteres festzustellen sei, was die Parteien geregelt hätten, wenn sie den Inhalt der neuen Tarifvereinbarung gekannt hätten, könne der Vereinbarung, die ihrem Wortlaut nach eindeutig sei, nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung der Sinn beigelegt werden, den die Beklagte für den maßgeblichen halte.

3. Diese Auffassung hält den Angriffen der Revision nicht stand. Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 3. November 1992 um eine individuelle Willenserklärung handelt.

Die Auslegung individueller Willenserklärungen kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt, und ob sie rechtlich möglich ist. Hinsichtlich der ergänzenden Vertragsauslegung gelten dieselben Grundsätze. Erweist sich die Auslegung des Berufungsgerichts unter Anlegung dieses Maßstabs als fehlerhaft, so ist das Revisionsgericht selbst zur Auslegung befugt, wenn der festgestellte Sachverhalt es ermöglicht (BAG Urteil vom 7. Dezember 1956 – 1 AZR 135/55 – AP Nr. 3 zu § 63 RegelungsG). Das Revisionsgericht hat in einem solchen Fall darüber zu befinden, ob eine Vertragslücke vorliegt (BAGE 37, 26, 28 f. = AP Nr. 8 zu § 75 HGB, zu I 2 der Gründe; BAGE 65, 290 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag, zu II 1 der Gründe), und – wenn der Sachverhalt hinreichend geklärt ist – wie sie im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist (BAG Urteil vom 27. September 1983 – 3 AZR 297/81 – AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG, zu II 2 a der Gründe).

Unter Anlegung dieses Prüfungsmaßstabs erweist sich die Auslegung des Landesarbeitsgerichts als fehlerhaft, weil es den Sinn der Vereinbarung vom 3. November 1992 und damit einen wesentlichen Umstand unberücksichtigt gelassen hat. Es liegt eine Vertragslücke vor. Sie ist so zu schließen, wie es in dem Schireiben der Beklagten vom 17. Februar 1994 zum Ausdruck kommt. Der Sachverhalt ist dafür hinreichend geklärt.

Die Klägerin war Bezirksdirektorin und bezog nach ihrem Arbeitsvertrag in Verbindung mit dem damals gültigen Tarifwerk Vergütung nach Tarifgruppe 10 zuzüglich Ergebnisbeteiligung. Die Stelle, die die Klägerin anstrebte, gehörte zur Tarifgruppe 7. Die Klägerin hatte als Büroleiterin keinen – vertraglichen oder tariflichen – Anspruch auf eine höhere Vergütung. Mit dem Schreiben vom 3. November 1992 wollte die Beklagte der Klägerin erkennbar das Festgehalt sichern, das sie erzielt hätte, wenn sie Bezirksdirektorin geblieben wäre. Das war damals das Gehalt der Tarifgruppe 10. Zwar wurde die nicht aufzehrbare, an Tariflohnerhöhungen teilnehmende Ausgleichszulage beziffert, jedoch – entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts – unter gleichzeitiger Bezugnahme auf das damalige Tarifwerk. Das ergibt sich daraus, daß diese Zulage die „Höhe der Differenz zur Tarifgruppe 10” haben sollte.

Die Ende 1993 vereinbarte Übernahme des Gehaltstarifwerks für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken war bei Abschluß des Vertrages vom 3. November 1992 noch nicht absehbar. Durch die Einführung dieses Tarifwerks ist eine Vertragslücke entstanden. Nach dem Sinn und Zweck der Vereinbarung vom November 1992, nämlich der Klägerin trotz Übernahme einer tariflich geringer bewerteten Tätigkeit das Festgehalt zu sichern, das sie als Bezirksdirektorin erzielt hätte, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß die Parteien vereinbart hätten, was die Beklagte in ihrem Schreiben vom 17. Februar 1994 nebst Anlagen ausgeführt hat. Danach erhält die Klägerin weiter das Festgehalt, das sie erzielen würde, wenn sie Bezirksdirektorin geblieben wäre. Nach Treu und Glauben konnte die Klägerin nicht damit rechnen, daß ihr die Beklagte für ihre Tätigkeit als Büroleiterin ein Gehalt zusagen würde, das – nach Abschaffung der Tarifgruppe 10 – das tarifliche Festgehalt einer Bezirksleiterin noch überstieg. Dies gilt entgegen der Ansicht der Klägerin unabhängig davon, ob die Beklagte gegenwärtig überhaupt noch Bezirksleiter als Arbeitnehmer beschäftigt.

4. Die Nr. 10 und 14 der Tarifvereinbarung vom 15. Oktober 1993 stehen dieser ergänzenden Vertragsauslegung nicht entgegen. Nr. 10 der Tarifvereinbarung, die den Schutz des Besitzstandes bezweckt, setzt voraus, daß dem Arbeitnehmer aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, eine andere Tätigkeit übertragen wird. Das ist bei der Klägerin, die sich um die Stelle der Büroleiterin selbst beworben hat, nicht der Fall. Nr. 14 der Tarifvereinbarung setzt voraus, daß einzelvertraglich günstigere Arbeitsbedingungen vereinbart sind. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben. Eine ergänzende Vertragsauslegung ist durch diese Tarifbestimmung nicht auszuschließen.

C. Der Streitwert beläuft sich auf 2.560,32 DM. Das Arbeitsgericht hatte den Streitwert auf 3.848,32 DM festgesetzt, das Landesarbeitsgericht dagegen auf 13.783,42 DM (zwei Monatsgehälter für den Feststellungsantrag zuzüglich Zahlungsantrag). Keine der beiden Berechnungen trifft zu.

Die Parteien streiten nicht über den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern über Gehaltsdifferenzen. Nach § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG ist „bei Rechtsstreitigkeiten über wiederkehrende Leistungen … der Wert des dreijährigen Bezugs und bei Rechtsstreitigkeiten über Eingruppierungen der Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrages zur begehrten Vergütung maßgebend, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist”. Auch bei Änderungskündigungen ist, wenn der Vorbehalt gemäß § 2 KSchG fristgerecht erklärt worden ist, grundsätzlich von dem dreifachen Jahresbetrag des Wertes der Änderung auszugehen. Höchstgrenzen sind dabei aber die Regelungen in § 12 Abs. 7 Satz 1 und 2 ArbGG in der Weise, daß der Gebührenstreitwert keine der beiden genannten Grenzen überschreiten darf (BAG Urteil vom 23. März 1989 – 7 AZR 527/85 – AP Nr. 1 zu § 17 GKG 1975 = EzA § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 64). Für den Fall einer – angeblichen – Teilkündigung kann nichts anderes gelten.

Der dreijährige Unterschiedsbetrag beläuft sich im Streitfall auf 2.560,32 DM. Der Leistungsantrag erhöht den Streitwert nicht, da es sich um bis zur Klageerhebung entstandene Rückstände handelt (§ 12 Abs. 7 Satz 2, 2. Halbsatz ArbGG).

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Werner, Ackert

 

Fundstellen

Haufe-Index 440383

NZA 1997, 711

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