Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachgewährung von Freischichten wegen Krankheit

 

Leitsatz (amtlich)

Sind zum Ausgleich von Zeitguthaben aus dem Unterschied zwischen der tariflichen Arbeitszeit und der Betriebsnutzungszeit freie Tage festgelegt, so sind diese nicht nachzugewähren, wenn der Arbeitnehmer an diesen Tagen arbeitsunfähig krank ist (ebenso BAG Beschluß vom 18. Dezember 1990 – 1 ABR 11/90 –, DB 1991, 1076 = NZA 1991, 484).

 

Normenkette

BGB §§ 362, 812; LFZG § 1 Abs. 1 S. 1; TVG § 1 Auslegung; Änderungsvereinbarung vom 9. Oktober 1989 zum Manteltarifvertrag für die Schuhindustrie vom 31. Oktober 1984 § 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 19.12.1990; Aktenzeichen 4 Sa 1393/90)

ArbG Krefeld (Urteil vom 05.09.1990; Aktenzeichen 1 Ca 1251/90)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 1990 – 4 Sa 1393/90 – aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 5. September 1990 – 1 Ca 1251/90 – abgeändert:

    Die Klage wird abgewiesen.

  • Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin zwei Freischichten nachgewähren muß, weil die Klägerin an den für die Freischichten festgelegten Tagen arbeitsunfähig erkrankt war.

Die Klägerin ist seit 1951 bei der Beklagten als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Die Parteien sind kraft Organisationszugehörigkeit an den Manteltarifvertrag für die Schuhindustrie vom 31. Oktober 1984 gebunden. Zu diesem Manteltarifvertrag wurde am 9. Oktober 1989 eine am 1. Januar 1990 in Kraft getretene Änderungsvereinbarung geschlossen, durch die die Arbeitszeit auf 39 Stunden festgelegt wurde. Die Bestimmung über die Arbeitszeit in der Änderungsvereinbarung lautet, soweit es hier interessiert, wie folgt:

“§ 2 – Arbeitszeit -

  • Die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit ohne Pausen und ohne die Zeit für An- und Auskleiden darf die Dauer von 8 Stunden nicht überschreiten; die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt ab 1. Januar 1990 39 Stunden.
  • Die Gestaltung der Arbeitszeit kann in folgen der Weise erfolgen:

    • Die Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden auf die einzelnen Werktage sowie Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit und der Pausen werden zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat vereinbart.

      Die Tarifvertragsparteien empfehlen, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf die Tage von Montag bis Freitag zu verteilen. Die tägliche Arbeitszeit darf 10 Stunden nicht überschreiten.

      Wird die Arbeitszeit an einzelnen Werktagen regelmäßig verkürzt, so kann die ausfallende Arbeitszeit auf die übrigen Werktage der Woche verteilt werden.

    • Im Rahmen von Betriebsvereinbarungen besteht die Möglichkeit der Beibehaltung der 40-Stunden-Woche. Beim Zustandekommen solcher Betriebsvereinbarungen ist den Arbeitnehmern für die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit Freizeit zu gewähren.

      Bei Ausgleichszeiträumen

      von 2 Monaten ergibt sich 1 freier Tag, bei 6 Monaten ergeben sich 3 freie Tage und bei 12 Monaten ergeben sich 6 freie Tage.

    Bei der zeitlichen Festlegung der Freizeit sind die Interessen der Belegschaft und des Betriebes zu berücksichtigen.”

Ferner heißt es in § 2 Nr. 3 der Änderungsvereinbarung, zur Verstetigung des Einkommens in den Fällen der Ziffer 2b bis d werde während des gesamten Ausgleichszeitraumes der Lohn für die tariflich vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bezahlt; die Zeit- und Lohngutschriften müßten aus der Lohnabrechnung ersichtlich sein.

Aufgrund der vorgenannten tariflichen Bestimmungen haben die Beklagte und der Betriebsrat am 2. November 1989 eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen. In dieser Betriebsvereinbarung wurde festgelegt, daß die Arbeitnehmer weiterhin wöchentlich 40 Stunden tätig sein sollten. In Nr. 2.2 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung heißt es:

“Zeitguthaben als Ausgleich zwischen der vereinbarten 40-Stunden-Woche und der tariflichen 39-Stunden-Woche entstehen bei allen Ab- und Anwesenheitszeiten, für die Entgeltanspruch besteht. In diesen Fällen werden je Arbeitstag 0,2 Stunden Zeitguthaben angesammelt, dies ergibt in der Woche 1 Stunde.”

Ferner ist in Nr. 2.3 unter der Überschrift “Zeitausgleich, freie Tage” folgendes vereinbart worden:

“Der Zeitausgleich zwischen der vereinbarten 40-Stunden-Woche und der tariflichen 39-Stunden-Woche ergibt für je 2 Monate einen freien Tag, für das Kalenderjahr 6 freie Tage.

In 1990 wird der Zeitausgleich an den in Anlage 1 gekennzeichneten Tagen vorgenommen.”

Zu Entgeltfragen heißt es in der Betriebsvereinbarung, entsprechend dem Tarifvertrag werde ein verstetigtes Einkommen bezahlt; bei der Vergütung der Arbeiter gelte, daß neben der Entstehung von Zeitguthaben auch ein Lohnguthaben dadurch angesammelt wird, daß für jede Woche, in der ein Zeitguthaben entsteht, ein Stundenlohn einbehalten wird; das so entstehende Lohnguthaben diene zur Bezahlung der Ausgleichstage und sei wie das Zeitguthaben in der monatlichen Lohnabrechnung gesondert auszuweisen.

Für die Klägerin waren als Ausgleichstage der 17. und 18. April 1990 bestimmt. Die Klägerin war in der Zeit vom 26. März bis einschließlich 20. April 1990 arbeitsunfähig krank. Deshalb hat sie die Ansicht vertreten, ihr seien die Ausgleichstage nachzugewähren.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitsbefreiung unter Lohnfortzahlung für zwei Arbeitstage zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, ein Anspruch auf Nachgewähr der festgelegt gewesenen freien Tage bestehe nicht. Aufgrund der Regelung über den verstetigten Lohn habe die Klägerin fortlaufend die Vergütung für eine Arbeitszeit von 39 Stunden wöchentlich erhalten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel, die Abweisung der Klage zu erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klägerin kann nicht anstelle der für den 17. und 18. April 1990 festgelegten Freischichten zwei Freischichttage wegen ihrer damals bestehenden Arbeitsunfähigkeit nachverlangen.

I. Das Bundesarbeitsgericht hat sich schon wiederholt mit der Frage beschäftigt, ob der Anspruch auf Gewährung von Freischichten zum Ausgleich der Differenz zwischen tariflicher Arbeitszeit und einer längeren Betriebsnutzungszeit erfüllt ist, wenn solche Freischichttage festgelegt wurden, der Arbeitnehmer aber wegen nachträglich eingetretener Arbeitsunfähigkeit an diesen Tagen von der Arbeitspflicht wegen der Arbeitsunfähigkeit befreit war.

1.a) Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 1987 (– 5 AZR 652/86 – AP Nr. 76 zu § 1 LohnFG) zu dem damals zu beurteilenden § 3 Nr. 6 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 3. Juli 1984 ausgeführt, der Arbeitnehmer erhalte bei der Umsetzung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung einen freien Tag nur dafür, daß er über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen erbracht hat. Die Freischichten sollen daher der Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit dienen, nicht aber einem besonderen Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers. Die Umsetzung erfolgt dadurch, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Abbau des vorhandenen Freizeitguthabens an Tagen, die die Betriebspartner oder die Arbeitsvertragsparteien vereinbart haben, von seiner Pflicht, Arbeitsleistungen zu erbringen, befreit. Mit einer solchen Regelung ist der Anspruch auf Freizeitausgleich erfüllt, selbst wenn der Arbeitnehmer über die Freizeit nicht seinen Vorstellungen gemäß verfügen kann, weil er an den Tagen der Arbeitsfreistellung arbeitsunfähig ist.

An der vorstehenden Auffassung hat der Senat in seinem Urteil vom 30. Januar 1991 – 5 AZR 78/90 –, das nicht zur Veröffentlichung vorgesehen ist, festgehalten.

b) Die vorstehend wiedergegebene Ansicht des Senats stimmt mit der Rechtsprechung des Ersten Senats überein. Dieser hat in dem auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Beschluß vom 18. Dezember 1990 – 1 ABR 11/90 – (DB 1991, 1076 = NZA 1991, 484) den Spruch einer Einigungsstelle für unwirksam erklärt, wenn er vorsieht, daß ein bereits bestimmter Freischichttag nicht verbraucht wird, wenn der Arbeitnehmer nach Bestimmung infolge Krankheit arbeitsunfähig wird. Der Erste Senat hat hierzu im Hinblick auf den Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. Februar 1988 ausgeführt, eine solche in einer Betriebsvereinbarung getroffene Regelung verstoße gegen § 4 Nr. 6 Satz 2 des vorgenannten Manteltarifvertrages. Wenn dort bestimmt sei, daß der Zeitausgleich in Form von freien Tagen erfolgt, gingen die Tarifvertragsparteien davon aus, daß der Zeitausgleich an allen “nichtfreien” Tagen gewährt werden kann, d.h. an den Tagen, an denen – ohne den Zeitausgleich – der Arbeitnehmer zum Erbringen der Arbeitsleistung verpflichtet ist. Weiter heißt es in dem Beschluß, wenn die Lage der freien Tage für den Zeitausgleich gemäß dem Tarifvertrag durch Betriebsvereinbarung im voraus oder individuell durch Absprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festgelegt werde, sei damit der Anspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung von Freizeitausgleich erfüllt. Eine nachfolgende Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit des Arbeitnehmers mache diese Erfüllung des Zeitausgleichsanspruchs nicht hinfällig. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Festlegung der freien Tage an den festgelegten Tagen eine Arbeitspflicht besteht. Daß der Arbeitnehmer an den festgelegten freien Tagen dann auch tatsächlich arbeitsfähig sein müßte, lasse sich dem zu beurteilenden Manteltarifvertrag nicht entnehmen. Ebensowenig gehe aus dem Tarifvertrag hervor, daß die Formulierung “freier Tag” bedeuten solle, der Arbeitnehmer müsse den freien Tag als “Freizeittag” nutzen können. Das liege allein in der “Risikosphäre” des Arbeitnehmers.

Im Zusammenhang mit dem zuletzt angeführten Gedanken verweist der Erste Senat, wie dies schon der Fünfte Senat in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 1987 getan hatte, auf entsprechende Fallkonstellationen in Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. So ist der Überstundenausgleich durch bezahlte Arbeitsbefreiung nach § 17 Abs. 5 BAT auch erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nach Festlegung der Arbeitsbefreiung arbeitsunfähig erkrankt (BAGE 49, 273, 277 f. = AP Nr. 13 zu § 17 BAT, zu III 1 der Gründe). Ferner ist entschieden worden, daß der in § 15 Abs. 6 Unterabs. 2 MTB II vorgesehene Dienstausgleich für dienstplanmäßige Sonntagsarbeit auch dann gewährt ist, wenn der Arbeitnehmer am vorgesehenen Ausgleichstag erkrankt (BAG Urteil vom 25. Februar 1986 – 3 AZR 328/84 – AP Nr. 4 zu § 15 MTB II).

II. An der vorgenannten Auffassung ist für die hier maßgebliche Änderungsvereinbarung zum Manteltarifvertrag für die Schuhindustrie vom 9. Oktober 1989 festzuhalten. Auch dieser Änderungstarifvertrag bestimmt in § 2 Nr. 2b nur, daß bei Beibehaltung der 40-Stunden-Woche den Arbeitnehmern für die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit Freizeit zu gewähren ist. Weiter ist festgelegt, wieviel freie Tage je nach der Länge der Ausgleichszeiträume sich ergeben. Und schließlich ist gesagt, bei der zeitlichen Festlegung der Freizeit seien die Interessen der Belegschaft und des Betriebes zu berücksichtigen. Diese tariflichen Bestimmungen ergeben im Gegensatz zur Ansicht des Landesarbeitsgerichts in keiner weise, daß mit den Freischichttagen mehr und anderes bewirkt werden sollte als der Ausgleich der unterschiedlichen Arbeitszeit zwischen festgelegter individueller Arbeitszeit und der längeren Betriebsnutzungszeit. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des Tarifvertrages bieten einen Anhalt dafür, daß, anders als in den bisher beurteilten Tarifverträgen der Metallindustrie, die Tarifvertragsparteien die mögliche Inanspruchnahme des Freizeittages durch den Arbeitnehmer sicherstellen und bei einem vorher festgelegten Freischichttag das Risiko für diese Möglichkeit dem Arbeitgeber auferlegen wollten.

III. Eine andere Betrachtung ist vorliegend auch nicht deshalb geboten, weil nach § 2 Nr. 3 der Änderungsvereinbarung vom 9. Oktober 1989 vorgeschrieben ist, daß zur Verstetigung des Einkommens bei Regelung der Arbeitszeit nach § 2 Nr. 2 Buchst. b während des gesamten Ausgleichszeitraumes der Lohn für die tariflich vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bezahlt wird. Entsprechend dieser tariflichen Bestimmung haben die Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung vom 2. November 1989 vorgesehen, daß neben dem Zeitguthaben ein Lohnguthaben angesammelt wird, das zur Bezahlung der Ausgleichstage dient. Hierzu ist zwischen den Parteien unstreitig, daß die Klägerin für den 17. und 18. April 1990 die Vergütung bekommen hat und die Beklagte insoweit das entstandene Lohnguthaben belastet hat. Daraus folgt, daß für die strittigen Tage die Bezüge an die Klägerin nicht wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit gemäß den Bestimmungen über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle geflossen sind. Insoweit ist ihr gutgebracht worden, was sie durch die über 39 Stunden wöchentlich hinausgehende Arbeitszeit an Lohnguthaben erworben hat. Welche Folgerung daraus für Ansprüche auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfalle zu ziehen sind, bedarf hier keiner weiteren Erörterung.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Kessel, Blank-Abel.

 

Fundstellen

Haufe-Index 838595

BAGE, 218

BB 1991, 252

NZA 1992, 76

RdA 1992, 61

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