Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen Überführung nach Einigungsvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

Wird eine bestehende Einrichtung oder Teileinrichtung gemäß den Regelungen des Einigungsvertrages überführt und kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen der bevorstehenden Überführung der Einrichtung oder Teileinrichtung, findet § 613a Abs. 4 BGB entsprechende Anwendung.

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XVIII Abschn. II Ziff. 2 § 3; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2-6; Gesetz über die amtliche Statistik der DDR vom 20. Juli 1990 (GBl. I S. 1004) § 2; BGB § 613a; KSchG §§ 1, 4-5, 7; PersVG-DDR § 82 Abs. 1, 6, § 116b Abs. 2 Nr. 5; BPersVG § 82 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 1, §§ 256, 261

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 09.02.1993; Aktenzeichen 5 Sa 2/92)

KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 27.05.1992; Aktenzeichen 12 Ca 34/91)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 9. Februar 1993 – 5 Sa 2/92 – wird zurückgewiesen, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, ihr Arbeitsverhältnis zu dem Beklagten sei nicht zum 31. Dezember 1991 aufgelöst worden.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im übrigen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die im Jahre 1952 geborene Klägerin war seit dem 1. Mai 1981 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bezirksstelle Leipzig der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik der DDR beschäftigt. Gemäß § 2 des Gesetzes über die amtliche Statistik der DDR vom 20. Juli 1990 – StatG – (GBl. I S. 1004) wurde das Statistische Amt der DDR als Oberbehörde mit den Statistischen Ämtern in den Ländern und den Statistischen Ämtern in den Kreisen errichtet.

Mit Schreiben vom 28. September 1990 teilte der Präsident des Statistischen Amtes der DDR der Klägerin mit, sie werde entsprechend den Regelungen des Einigungsvertrags ab dem 3. Oktober 1990 im gemeinsamen Statistischen Amt der Länder, zunächst in der bisher wahrgenommenen Funktion und mit dem damit verbundenen Gehalt, weiterbeschäftigt; alle erforderlichen arbeitsrechtlichen Veränderungen im Zusammenhang mit den statistischen Ämtern der Länder würden durch die damit beauftragten Leiter bzw. die zukünftigen Präsidenten der Landesämter getroffen.

In Kapitel XVIII Abschnitt II Ziff. 2 § 3 Abs. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (im folgenden: Kap. XVIII § 3 EV) ist hierzu geregelt:

Das Statistische Amt der Deutschen Demokratischen Republik wird mit dem Wirksamwerden des Beitritts bis spätestens zum 31. Dezember 1992 als gemeinsames Statistisches Amt der in Art. 1 Abs. 1 des Einigungsvertrages genannten Länder weitergeführt, soweit es Aufgaben wahrnimmt, die in die Zuständigkeit der Länder fallen. Es ist insoweit innerhalb des in Satz 1 genannten Zeitraums zum frühestmöglichen Zeitpunkt in entsprechende Einrichtungen der Länder zu überführen.

Der Klägerin wurde mit Schreiben vom 2. Oktober 1990 vom Leiter des Bezirksamtes und Beauftragten des Präsidenten des Statistischen Amtes der DDR für die Bildung des Statistischen Landesamtes Sachsen folgendes mitgeteilt:

“Die Bezirksämter Chemnitz, Dresden und Leipzig einschl. der Kreisämter bilden seit dem 3. Oktober 1990 das Statistische Landesamt Sachsen.

Die für die Funktionsfähigkeit des Landesamtes notwendigen Strukturveränderungen werden schrittweise vorgenommen. Für Sie ist im Statistischen Landesamt eine Stelle als Mitarbeiterin in der Abteilung VI, Referat … in Leipzig vorgesehen.

Sie nehmen die sich daraus ergebenden Qualifizierungen und Aufgaben wahr und lösen sie.

Vorläufig werden damit keine arbeitsrechtlichen Veränderungen verbunden.

Rechtsgrundlagen und Arbeitsweise des Statistischen Landesamtes Sachsen und der sich für Sie aus den Übergangsregelungen ergebenden Rechte und Pflichten entnehmen Sie der vorläufigen Ordnung vom 1. Oktober 1990, die vom Präsidenten des Statistischen Amtes der DDR bestätigt wurde.”

Die in Art. 1 Abs. 1 des Einigungsvertrags genannten Länder beschlossen am 29. August 1991, das Gemeinsame Statistische Amt zum 31. Dezember 1991 aufzulösen.

Der Präsident des Gemeinsamen Statistischen Amtes kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 25. September 1991, 15. Oktober 1991 und 24. Oktober 1991 jeweils zum 31. Dezember 1991. Zur Begründung führte er jedesmal aus, er sei angewiesen worden, die Kündigungen auszusprechen. Der Staatsminister des Innern des Beklagten habe aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsausschusses festgelegt, sämtlichen Mitarbeitern des Gemeinsamen Statistischen Amtes wegen dessen ersatzloser Auflösung zum 31. Dezember 1991 zu kündigen. Die Kündigungsschreiben vom 15. Oktober und 24. Oktober 1991 gingen der Klägerin am 22. Oktober bzw. 28. Oktober 1991 zu.

Zum 1. Januar 1992 errichtete der Beklagte das Statistische Landesamt mit Sitz in K…. Er bot der Klägerin im Dezember 1991 den Abschluß eines für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1992 befristeten Arbeitsvertrags an, nach welchem die Klägerin “im Statistischen Landesamt des Freistaates Sachsen am Arbeitsort Leipzig als Angestellte eingestellt” wurde. Die Klägerin nahm den Vertrag “vorbehaltlich der Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen Kündigungen vom 25.9.1991, 15.10.1991 und 24.10.1991 und unter dem Vorbehalt, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist”, an.

Mit der am 9. Oktober 1991 bei Gericht eingegangenen Klage und der am 5. November 1991 eingegangenen Klagerweiterung hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigungen und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, der Personalrat sei vor Ausspruch der Kündigungen nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Kündigungsgründe lägen nicht vor. Die Beschäftigungsstelle sei nicht ersatzlos aufgelöst worden. Vielmehr sei die Dienststelle zum 1. Januar 1992 vom Beklagten übernommen worden. Das Arbeitsverhältnis sei daher auf den Beklagten übergegangen.

Nachdem im Gütetermin am 28. November 1991 für den Beklagten niemand erschienen war, hat das Kreisgericht folgendes Versäumnisurteil erlassen:

  • Es wird festgestellt, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 25. September 1991, noch durch die Kündigung vom 15. Oktober 1991, noch durch die Kündigung vom 24. Oktober 1991, jeweils zum 31. Dezember 1991 aufgelöst wird.
  • Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 1991 hinaus fortbesteht.
  • Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den 31. Dezember 1991 hinaus als Mitarbeiterin in ihrer von ihm neu zu bildenden Dienststelle des Statistischen Landesamtes zu beschäftigen.

Die Klägerin hat nach rechtzeitigem Einspruch des Beklagten beantragt, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Der Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, er sei nicht passiv legitimiert. Die Klage hätte sich gegen die fünf neuen Bundesländer richten müssen. Das Statistische Landesamt des Beklagten sei nicht Rechtsnachfolger der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik. Es verfüge nicht über Bezirks- und Kreisstellen. Die Bezirksstelle Leipzig des Gemeinsamen Statistischen Amtes der fünf Länder sei ersatzlos aufgelöst worden. Die Weiterbeschäftigung der Klägerin sei daher nicht möglich. Ein Personalrat habe bei der kündigenden Behörde nicht bestanden.

Das Kreisgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 7. September 1992 erklärt, für den Fall, daß das Gericht zur Auffassung gelange, der Beklagte sei nicht passiv legitimiert, werde “hilfsweise und höchst vorsorglich beantragt, das gemeinsame Statistische Amt der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (GeStAL), vertreten durch den Präsidenten Prof. Donda, Hans-Baimler-Straße 70 – 72, 0-1026 Berlin, als Beklagte zu 2) in das Verfahren einzubeziehen”. Dieser Schriftsatz ist nur dem Beklagten – formlos – zugeleitet worden. In den mündlichen Verhandlungen ist der Antrag nicht gestellt worden.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Kreisgerichts abgeändert, das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist teilweise begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Trotz der nach Kap. XVIII § 3 Abs. 1 Satz 2 EV gesetzlich bestimmten Überführung auf das Statistische Landesamt des Beklagten sei eine Kündigung der zu übernehmenden Arbeitnehmer nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 der Anlage I zum Einigungsvertrag (im folgenden: Nr. 1 Abs. 4 EV) nicht ausgeschlossen. Im Falle der ersatzlosen Auflösung einer Dienststelle anläßlich einer Überführung nach Kap. XVIII § 3 EV sei es gleichgültig, ob die Kündigung von dem bisherigen oder dem übernehmenden Arbeitgeber erklärt werde. Habe der bisherige Arbeitgeber gekündigt, könne die Klage entweder gegen diesen oder – auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses – gegen den neuen Arbeitgeber gerichtet werden. Daher sei auch die Passivlegitimation des Beklagten gegeben.

Die Kündigung des bisherigen Arbeitgebers, des Gemeinsamen Statistischen Amtes (GeStAL), sei wegen ersatzloser Auflösung der bisherigen Beschäftigungsstelle wirksam. Es sei unstreitig, daß die früheren Kreisstellen ersatzlos aufgelöst worden seien. Nach dem 1. Juli 1992 bestünden keine der früheren Statistischen. Dienststellen mehr. Eine Anhörung des Personalrats sei nicht Wirksamkeitsvoraussetzung gewesen, da bei der kündigenden Stelle kein Personalrat bestanden habe und der Personalrat einer unteren Stelle nicht zu beteiligen sei. Auch der Personalrat der übernehmenden Stelle habe nicht beteiligt werden müssen, da die Überführung erst zum 1. Januar 1992 erfolgt sei.

B. Das angefochtene Urteil ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als teilweise richtig dar (§ 563 ZPO). Im übrigen ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 564 Abs. 1, § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Der Antrag auf Feststellung, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei durch die Kündigungen nicht aufgelöst worden, ist unbegründet. Zum Zeitpunkt der jeweiligen Kündigung hat kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden. Auf die Wirksamkeit der Kündigungen kommt es daher nicht an.

1. Ob das zwischen der Bezirksstelle Leipzig der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik und der Klägerin begründete Arbeitsverhältnis aufgrund des StatG vom 20. Juli 1990 auf das Statistische Amt der DDR übergegangen ist, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls ist es aufgrund dieses Gesetzes nicht auf den Beklagten übergegangen. § 2 StatG stellt ersichtlich keine Rechtsgrundlage hierfür dar. Die Statistischen Ämter in den Ländern bildeten nur den Verwaltungsunterbau des Statistischen Amtes der DDR.

2. Ein Übergang auf den Beklagten hat nicht gem. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 EV in Verbindung mit Nr. 1 Abs. 2, 3 EV stattgefunden. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß der Beklagte die Bezirksstelle am 3. Oktober 1990 oder später bis zum Ausspruch der Kündigungen gemäß den Regelungen des Einigungsvertrags in seine Verwaltung überführt hat. Das Arbeitsverhältnis ist vielmehr mit Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 gem. Art. 13 Abs. 1 Satz 2 EV in Verbindung mit Kap. XVIII § 3 Abs. 1 Satz 1 EV auf das Gemeinsame Statistische Amt der fünf Länder übergegangen. Dem entspricht die Mitteilung vom 28. September 1990 an die Klägerin. Auch das Schreiben vom 2. Oktober 1990 ergibt, daß Strukturveränderungen schrittweise vorgenommen werden und zunächst keine arbeitsrechtlichen Veränderungen eintreten sollen. Der Verwaltungsunterbau des Gemeinsamen Statistischen Amtes wird in Sachsen zwar als “das Statistische Landesamt Sachsen” bezeichnet, bleibt aber Verwaltungsunterbau der länderübergreifenden Einrichtung mit gemeinsamer Trägerschaft der betroffenen Länder. Hierzu zählen auch die Bezirksämter.

3. Dementsprechend hat nicht der Beklagte, sondern der Präsident des Gemeinsamen Statistischen Amtes der Länder die Kündigungen ausgesprochen und ausdrücklich erklärt, er kündige das “Arbeitsrechtsverhältnis mit dem Gemeinsamen Statistischen Amt der neuen Bundesländer”. Die Begründung, er sei zur Kündigung angewiesen worden, der Innenminister des Beklagten habe festgelegt, sämtlichen Mitarbeitern zu kündigen, rechtfertigt nicht den Schluß auf ein Arbeitsverhältnis zu dem Beklagten. Diese Ausführungen dokumentieren nur, daß die Aufteilung des GeStAL und die Überführung von dessen Teilen in die Einzelverantwortung der Länder bevorstand.

II. Der Senat hat nicht darüber als selbständigen Streitgegenstand zu entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin zu dem Gemeinsamen Statistischen Amt der neuen Bundesländer oder zu diesen Bundesländern als gemeinsamen Trägern durch die Kündigungen aufgelöst worden ist. Mit der Erklärung im Schriftsatz vom 7. September 1992 war eine wirksame Klagerhebung gegen das GeStAL oder die fünf neuen Länder nicht verbunden. Der Antrag ist nicht rechtshängig geworden (§ 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1, 2 ZPO). Eine Klage hätte auch als unzulässig angesehen werden müssen, weil sie mit einer unzulässigen Bedingung verknüpft war (vgl. Zöller/ Greger, ZPO, 18. Aufl., § 253 Rz 1 a. E.; MünchKommZPO-Lüke, 1. Aufl., § 253 Rz 16 f.; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 253 Rz 3 ff., 5).

III. Ob das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 1992 zwischen den Parteien besteht, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.

1. Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß ihr Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten über den 31. Dezember 1991 hinaus auf unbestimmte Zeit fortbestehe. Sie beruft sich auch in diesem Zusammenhang auf eine Übernahme der Dienststelle zum 1. Januar 1992 durch den Beklagten und einen Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Beklagten. Der Antrag kann daher dahin ausgelegt werden, daß der Bestand des Arbeitsverhältnisses (jedenfalls) ab dem 1. Januar 1992 zwischen den Parteien geltend gemacht werde. Das erforderliche Feststellungsinteresse hierfür ist gem. § 256 ZPO gegeben.

2. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wäre am 1. Januar 1992 auf den Beklagten übergegangen, wenn es zu diesem Zeitpunkt noch bestanden hätte und der Beklagte die Beschäftigungsstelle der Klägerin gem. Kap. XVIII § 3 EV überführt hätte.

a) Der Präsident des GeStAL hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Dezember 1991 gekündigt. Zur Beurteilung, ob das Arbeitsverhältnis hierdurch aufgelöst worden ist, bedarf es noch tatrichterlicher Aufklärung.

aa) Die Kündigungen sind entgegen der Rüge der Klägerin nicht wegen fehlerhafter Personalratsbeteiligung unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß bei dem GeStAL kein Personalrat bestanden habe. An diese weder mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag noch mit der Revision angegriffene Feststellung ist der Senat gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO). Gemäß § 82 Abs. 1 PersVG-DDR, der wortgleich mit § 82 Abs. 1 BPersVG ist, wäre die Stufenvertretung bei der für die Kündigungen zuständigen Dienststelle, hier dem GeStAL, zu beteiligen gewesen. Da keine Stufenvertretung bestand, entfiel die Beteiligung. Wie der Senat in vergleichbaren Fällen wiederholt entschieden hat, war keine andere Vertretung, etwa nach § 82 Abs. 6, § 116b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR, zu beteiligen (u.a. Senatsurteile vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 659/92 – n.v., zu B II 2 der Gründe; vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B I der Gründe; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 194/93 – n.v., zu B II 2 der Gründe).

bb) Die Kündigungen sind auch nicht nach § 1 Abs. 1 KSchG mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Die Klägerin hat zwar innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigungen Klage beim Kreisgericht auf Feststellung erhoben, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen nicht aufgelöst sei. Sie hat aber nicht ihren Arbeitgeber, sondern den Beklagten verklagt. Zu verklagen ist der Arbeitgeber, die Klage gegen eine falsche Partei vermag die Klagfrist nicht zu wahren (KR-Friedrich, 3. Aufl., § 4 KSchG Rz 85 f., 153; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 4 Rz 37 ff.; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 4 Rz 25 ff., 29). Der tatsächliche Arbeitgeber der Klägerin kann hier auch nicht durch Auslegung ermittelt werden, eine bloße Berichtigung der Parteibezeichnung kommt nicht in Betracht. Der geltend gemachte Übergang des Arbeitsverhältnisses ist nicht innerhalb der Dreiwochenfrist erfolgt. Die “Einbeziehung” des GeStAL in den Prozeß war, auch wenn ihr fristwahrende Wirkung zuerkannt werden könnte, verspätet. Sowohl die Frist des § 4 Satz 1 KSchG wie die des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind versäumt. Nach § 7 KSchG gelten die Kündigungen, wenn sie nicht aus einem anderen Grunde rechtsunwirksam sind, als von Anfang an rechtswirksam. Es kommt nicht darauf an, ob sie auf dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG oder auf einen der Tatbestände der Nr. 1 Abs. 4 EV gestützt wurden. Die Bestimmungen der §§ 4 Satz 1, 7 KSchG waren in jedem Falle zu beachten.

cc) Das Landesarbeitsgericht wird jedoch prüfen müssen, ob die Kündigungen wegen der nach Kap. XVIII § 3 Abs. 1 Satz 2 EV bevorstehenden Überführung in eine Landeseinrichtung ausgesprochen worden sind. In diesem Falle wären sie in entsprechender Anwendung von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam. Der öffentliche Arbeitgeber kann die in Nr. 1 Abs. 2, 3 EV gesetzlich angeordnete Folge der Überführung von Einrichtungen für die Arbeitsverhältnisse der dort beschäftigten Arbeitnehmer nicht dadurch vereiteln, daß er gerade wegen der Überführung kündigt. Wie beim Betriebsübergang nach § 613a Abs. 4 BGB ist im Falle der Überführung gemäß Einigungsvertrag die Umgehung des zwingend angeordneten Übergangs der Arbeitsverhältnisse durch Kündigung auszuschließen. Das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen bleibt dagegen unberührt. Ein eigenständiges Kündigungsverbot legt auch die Regelung der Nr. 1 Abs. 6 EV nahe, die Kündigungen nach den Absätzen 4 und 5 EV in den Fällen der Absätze 2 und 3 EV ausdrücklich zuläßt.

Dafür, daß die Kündigungen wegen der Überführung erfolgt sein könnten, spricht die Begründung in den Kündigungsschreiben, es werde sämtlichen Mitarbeitern des Gemeinsamen Statistischen Amtes gekündigt. Dessen “ersatzlose Auflösung zum 31. Dezember 1991” entspricht nicht der Gesetzeslage, nach Kap. XVIII § 3 Abs. 1 Satz 2 EV hatte die Überführung auf die Länder zumindest in Teilen zu erfolgen. Zwar hat die Klägerin darzulegen und zu beweisen, daß die Überführung der Beweggrund für die Kündigungen gewesen ist (vgl. BAG Urteil vom 5. Dezember 1985 – 2 AZR 3/85 – AP Nr. 47 zu § 613a BGB, zu B II 2a der Gründe). Sie hat dem aber zunächst mit dem Hinweis genügt, die Kündigungen seien genau zum Zeitpunkt der gesetzlichen Überführung ausgesprochen worden. Sache des Beklagten ist es daher, das Indiz der Kausalität zwischen Kündigungen und Überführung zu widerlegen (vgl. BAG Urteil vom 5. Dezember 1985, aaO, zu B II 2b der Gründe). Dazu genügt die Darlegung eines nachvollziehbaren sachlichen Grundes, daß die Kündigungen nur formal mit der Überführung verbunden seien. Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, hierzu näher vorzutragen.

b) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei wegen ersatzloser Auflösung der bisherigen Beschäftigungsstelle wirksam, wird von den zugrundeliegenden Feststellungen nicht getragen.

Nach Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wird oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Änderung des Aufbaues der Beschäftigungsstelle die bisherige oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr möglich ist. Eine Beschäftigungsstelle wird in diesem Sinne ersatzlos aufgelöst, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die bisherige organisatorische Verwaltungseinheit von materiellen, immateriellen und personellen Mitteln aufgibt und deren Verwaltungstätigkeit dauerhaft einstellt. Dabei kennzeichnet der Begriff “Beschäftigungsstelle” die räumliche Einheit, in der die Bediensteten ihre Arbeitsleistung erbringen. Er umfaßt jede Behörde und Dienststelle des Trägers öffentlicher Verwaltung. Darüber hinaus können auch lediglich räumlich verselbständigte Untereinheiten einer Dienststelle oder einer Behörde als Beschäftigungsstelle aufgelöst werden. Durch den Kündigungstatbestand in Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 EV sollte der denkbaren Auflösung verschiedenster Organisationseinheiten der öffentlichen Verwaltung der ehemaligen DDR Rechnung getragen werden. Dem Begriff der Beschäftigungsstelle kommt eine Auffangfunktion zu, um der Vielfalt möglicher Organisationsformen gerecht zu werden. Eine besondere, über die räumliche Einheit hinausgehende organisatorische Selbständigkeit kann deshalb nicht vorausgesetzt werden (Senatsurteil vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 714/92 –, zur Veröffentlichung bestimmt, zu C I 1 der Gründe).

Beschäftigungsstelle der Klägerin im Sinne von Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 EV war nicht das GeStAL, sondern allein das Statistische-Bezirksamt Leipzig. Die Kündigung gem. Nr. 1. Abs. 4 Ziff. 3 EV war nur dann zulässig, wenn sie in zeitlichem Zusammenhang mit der Auflösung der Beschäftigungsstelle erklärt wurde. Davon kann nach den bisherigen, unzureichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht ausgegangen werden. Der Präsident des GeStAL hat die Kündigungen zum Termin der rechtlichen Auflösung des GeStAL ausgesprochen. Die Auflösung des GeStAL in seiner Gesamtheit bedeutete aber aus Rechtsgründen keine ersatzlose Auflösung der bisherigen Beschäftigungsstelle im Sinne von Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 EV. Nach Kap. XVIII § 3 Abs. 1 EV war den Ländern vorgegeben, das GeStAL zumindest in Teilen zu überführen. Wurde eine Teileinrichtung des früheren Statistischen Amtes durch ein Bundesland fortgeführt, schloß dies die Annahme einer ersatzlosen Auflösung der Beschäftigungsstelle aus (Senatsurteil vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 714/92 –, zu C I 2 der Gründe).

Das Landesarbeitsgericht wird deshalb feststellen müssen, ob es mit Ablauf des 31. Dezember 1991 zur tatsächlichen Auflösung oder zur Überführung der Beschäftigungsstelle Leipzig gekommen ist. Die bisherigen Feststellungen, es sei unstreitig, daß die früheren Kreisstellen ersatzlos aufgelöst worden seien, es bestehe nach dem 1. Juli 1992 keine der früheren Statistischen Dienststellen mehr, tragen die Abweisung der Klage nicht. Würde festgestellt, daß die Beschäftigungsstelle Leipzig der Klägerin noch bis zum 30. Juni 1992 als Teil der Landesverwaltung fortgeführt worden ist, wären die streitgegenständlichen Kündigungen nicht gem. Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 EV wirksam. Allerdings könnte das bis zum 30. Juni 1992 befristete Arbeitsverhältnis auch lediglich der Erledigung von Abwicklungsarbeiten gedient haben.

c) Nach Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Hätte der Beklagte die Beschäftigungsstelle der Klägerin vorläufig über den 31. Dezember 1991 hinaus fortgeführt, könnte gleichwohl der Kündigungsgrund gem. Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 EV vorgelegen haben. Hierzu hat der Beklagte bisher nicht substantiiert vorgetragen. Aus seinem Sachvortrag ergibt sich nicht, welcher teilweise Fortfall von Aufgaben der Beschäftigungsstelle und welche Organisationsentscheidung Auswirkungen auf die Beschäftigungsmöglichkeiten der Klägerin gehabt haben.

d) Sofern der Beklagte die Beschäftigungsstelle der Klägerin gemäß Kap. XVIII § 3 EV überführt hat, wäre damit der Übergang der in der jeweiligen Teileinrichtung beschäftigten Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes verbunden gewesen. Die mit Art. 13 EV sowie Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag identische Verwendung des Rechtsbegriffs “Überführung” verdeutlicht, daß die mit der verwaltungsorganisatorischen Umstrukturierung verbundenen arbeitsrechtlichen Konsequenzen in gleicher Weise geregelt sein sollten. Während im Regelfall die Überführung mit dem Wirksamwerden des Beitritts oder zumindest innerhalb der nachfolgenden drei Monate zu regeln war, ergab sich aus Kapitel XVIII der Anlage I zum Einigungsvertrag eine diesen Entscheidungszeitraum bis längstens zum 31. Dezember 1992 hinausschiebende Sonderregelung. Daß diese Sonderregelung abweichend von Kapitel XIX der Anlage I zum Einigungsvertrag den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse in Frage stellen sollte, ist nicht ersichtlich (Senatsurteil vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 714/92 –, zu C II der Gründe).

IV. Von dem Bestand des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien hängt auch der geltend gemachte Anspruch auf Beschäftigung ab. Die Klägerin wird ihren Antrag ggf. noch im Hinblick auf Zeitraum, Art und Ort der Beschäftigung präzisieren müssen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Mikosch, Dr. Weiss, E. Schmitzberger

 

Fundstellen

Haufe-Index 856779

BAGE, 252

BB 1994, 2148

NZA 1995, 423

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