Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Bestimmung des außertariflichen Angestellten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Feststellung, ob das Vertragsgehalt eines außertariflichen Angestellten im Sinne des § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl 20 % über dem höchsten Tarifgehalt liegt, kommt es auf die Arbeitszeit nicht an.

2. Die Norm gebietet daher nicht, für den Vergleich der Gehälter den Unterschied in den regelmäßigen Arbeitszeiten des außertariflichen Angestellten und des Tarifangestellten rechnerisch zu berücksichtigen.

 

Normenkette

Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen- und Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Dillenburg, Niederschelden und Wissen vom 15. März 1989 i.d.F. vom 5. März 1997 (MTV Stahl) § 1 Ziff. 3, § 2 Ziff. 1.1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 14.08.1998; Aktenzeichen 10 Sa 956/98)

ArbG Duisburg (Urteil vom 14.05.1998; Aktenzeichen 4 Ca 458/98)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14. August 1998 – 10 Sa 956/98 – aufgehoben, soweit es das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 14. Mai 1998 – 4 Ca 458/98 – abgeändert hat:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 14. Mai 1998 – 4 Ca 458/98 – wird vollen Umfangs zurückgewiesen.

2. Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des „Vertragsgehalts” des Klägers.

Der Kläger, Mitglied der IG Metall, ist seit dem 1. April 1972 bei der Beklagten beschäftigt, die dem Arbeitgeberverband Stahl e.V. angehört. Bis zum 31. März 1993 wurde der Kläger nach den Tarifverträgen für die Eisen- und Stahlindustrie Nordrhein-Westfalen ua. vergütet, zuletzt nach der höchsten Tarifgruppe K/T 6 des Gehaltsrahmenabkommens in der Eisen- und Stahlindustrie vom 11. Dezember 1975 (Gehaltsrahmenabkommen).

Im Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen- und Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Dillenburg, Niederschelden und Wissen vom 15. März 1989 idF vom 5. März 1997 (MTV Stahl) ist in § 1 Ziff. 3, der den persönlichen Geltungsbereich des MTV Stahl regelt, in Abs. 2 bestimmt:

Durch schriftlichen Einzelarbeitsvertrag können Angestellte als außertarifliche Angestellte anerkannt werden, wenn ihre allgemeinen Vertragsbedingungen die des Manteltarifvertrages erfüllen, jedoch in einigen Punkten überschreiten, ihre Anforderungen über denen der Gehaltsgruppenmerkmale der höchsten Gehaltsgruppe liegen und ihr Vertragsgehalt 20 % über dem höchsten Tarifgehalt liegt. …

Die „Protokollnotiz zu § 1 Ziff. 3 Abs. 2” lautet:

Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, daß bei dem Vergleich der allgemeinen Vertragsbedingungen mit den Regelungen des Manteltarifvertrages vergleichbare Bedingungen einander gegenüberzustellen sind. Arbeitsbedingungen außertariflicher Angestellter, für die es im Manteltarifvertrag keine entsprechenden Regelungen gibt, sind zusätzlich zu berücksichtigen.

Durch den Arbeitsvertrag vom 15. Februar 1993 wurde der Kläger von der Beklagten ab 1. April 1993 als Sachbearbeiter in ein „außertarifliches Anstellungsverhältnis” übernommen. In diesem Vertrag ist ua. bestimmt:

Tarifvertragliche Bestimmungen wirken auf Ihr Anstellungsverhältnis nicht ein.

Für ihre Tätigkeit erhalten Sie ein Bruttogehalt von DM 6.650,– …

Ihre Arbeitszeit orientiert sich an der jeweiligen betriebsüblichen Soll-Arbeitszeit für AT-Mitarbeiter. Bei der Festsetzung Ihres Gehaltes haben wir berücksichtigt, daß die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Ihnen übertragenen Aufgaben auch einen darüber hinausgehenden Einsatz in den Grenzen der Arbeitszeitordnung erfordert. Bei angeordneter, nicht gelegentlich zu leistender Mehrarbeit erfolgt eine Abgeltung im Rahmen der Richtlinie zur Bezahlung von Mehrarbeit im AT-Bereich.

Neben Ihrem Bruttogehalt erhalten Sie jährlich eine von der Geschäftslage und Ihrer persönlichen Leistung abhängige variable Jahresabschlußvergütung, die nach der Dauer Ihrer Tätigkeit im Bezugszeitraum bemessen wird. Diese Tantieme (Jahresabschlußvergütung) wird nur in begründeten Ausnahmefällen 120 % eines Monatsgehaltes unterschreiten. …

Das vorgenannte Bruttogehalt wird jährlich unter Berücksichtigung der persönlichen Leistung und der wirtschaftlichen Verhältnisse der Eisen- und Stahlindustrie im Hinblick auf eine Erhöhung überprüft. Maßgebend für die Festsetzung bleibt jedoch die individuelle Leistung.

Nach dem sehr umfangreichen Arbeitsvertrag erhält der Kläger außer seinem Gehalt einen jederzeit widerruflichen Sparbeitrag, der monatlich um 31,33 DM höher als bei einem Tarifangestellten ist. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit hat er je nach Betriebszugehörigkeit nach Ablauf der gesetzlichen Sechs-Wochen-Frist vertraglich befristet Anspruch auf die Differenz zwischen seinem Nettogehalt und dem Krankengeld (hier konkret: in Höhe von 240,42 DM im Monat). Im Todesfall haben die Angehörigen des Klägers Anspruch auf drei volle Monate Weiterzahlung des Gehalts sowie auf den Anteil der Jahresabschlußvergütung, der seiner Beschäftigungsdauer entspricht. Die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist beträgt sechs Monate zum Quartalsende und verlängert sich nach Erreichen des 50. Lebensjahres und zehn anerkannten Dienstjahren auf 12 Monate zum Quartalsende.

Die Arbeitsbedingungen von Tarif- und AT-Angestellten unterscheiden sich bei der Beklagten überdies noch wie folgt: Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Tarifangestellten beträgt 35 Stunden. Die Arbeitszeit der AT-Angestellten der Beklagten ist in der Betriebsvereinbarung vom 21. September 1995 geregelt. Danach beträgt die Wochenstundenzahl unter Berücksichtigung eines Freizeitausgleichs 39 Wochenstunden. Ein AT-Angestellter erhält bei der Beklagten eine um mindestens 10 % höhere Jahresabschlußvergütung und ab einer bestimmten Verdiensthöhe, die der Kläger noch nicht erreicht hat, eine höhere zusätzliche Altersversorgung als ein Tarifangestellter. Demgegenüber erhält letzterer eine tarifliche Leistungszulage von durchschnittlich 4 % des Tarifgehalts.

Die Anforderungen der Tätigkeit des Klägers liegen über denen der Gehaltsgruppenmerkmale der höchsten Gehaltsgruppe des Gehaltsrahmenabkommens der Eisen- und Stahlindustrie.

Der Kläger, der von der Beklagten an Gehalt ab 1. Januar 1997 7.300,00 DM – der Berechnung seines Anspruchs legt der Kläger nur 7.200,00 DM Monatsgehalt zugrunde – und ab dem 1. Oktober 1997 7.475,00 DM brutto erhielt, ist der Ansicht, er habe aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit dem MTV Stahl Anspruch auf Zahlung eines Entgeltes, welches um 20 % über dem der Tarifangestellten liege. Dieser tariflich gebotene Gehaltsabstand sei in der Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 30. April 1998 nicht eingehalten. Denn zum einen müsse bei der Vergleichsberechnung berücksichtigt werden, daß die AT-Angestellten für ihr Entgelt eine höhere Wochenstundenzahl leisten müßten; daher sei der tarifliche Betrag der höchsten Gehaltsgruppe für die Vergleichsberechnung um den Faktor 1,11428 zu erhöhen. Zum anderen müsse die durchschnittliche Leistungszulage des Tarifangestellten von 4 % bei der Vergleichsberechnung berücksichtigt werden. Dies führe für den vorgenannten Zeitraum zu einem Nachzahlungsanspruch von 11.254,00 DM brutto.

Dem liegt folgende Berechnung zugrunde: 5.751,00 DM Tarifgehalt K/T6 in der Zeit 1. Januar 1997 bis 30. September 1997 plus 4 % Leistungszuschlag von 230,94 DM sowie Differenz für vier Wochenstunden in Höhe von 683,54 DM ergibt 6.665,48 DM. Dies führt erhöht um 20 % zu einer mindestens zu zahlenden AT-Vergütung von 7.998,58 DM. Nach Abzug erhaltener AT-Vergütung von 7.200,00 DM im Monat verbleibt eine Differenz von (gerundet) jeweils 798,00 DM für die Monate Januar bis September 1997, insgesamt für diesen Zeitraum somit von 7.182,00 DM brutto.

Infolge der Anhebung der AT-Vergütung auf 7.475,00 DM ab 1. Oktober 1997 verringert sich die Differenz auf 523,00 DM monatlich; sie beträgt für die fünf Monate bis einschließlich Februar 1998 somit 2.615,00 DM.

Das Tarifgehalt der Gruppe K/T6 ab 1. März 1998 in Höhe von 5.901,00 DM plus 4 % Leistungszuschlag von 236,04 DM sowie Differenz für vier Wochenstunden von 699,30 DM ergibt 6.836,34 DM. Dies führt erhöht um 20 % zu einer mindestens zu zahlenden AT-Vergütung von 8.203,61 DM. Nach Abzug der erhaltenen Vergütung von 7.475,00 DM verbleibt eine Differenz für die Monate März und April 1998 von je 728,60 DM, für beide Monate somit von 1.457,20 DM.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.254,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, es liege schon keine Anspruchsgrundlage für die vom Kläger geforderte Zahlung vor. Unabhängig davon sei der Mindestgehaltsabstand im streitigen Anspruchszeitraum eingehalten worden. Die der Differenzberechnung des Klägers zugrunde liegende Gehaltsumrechnung in ein „Stundengehalt” des Tarif- und des AT-Angestellten sei fehlerhaft. Sie beinhalte einen tarifrechtlich unzulässigen Diagonalvergleich, da die Arbeitszeit allein bei dem Vergleich der allgemeinen Vertragsbedingungen mit den Regelungen des MTV Stahl berücksichtigt werden dürfe. Bezogen auf das Tarifgehalt der höchsten Gehaltsgruppe des Gehaltsrahmenabkommens sei der Vergütungsabstand im Falle des Klägers eingehalten.

Die Leistungszulage könne in den Gehaltsvergleich nicht miteinbezogen werden. Sie sei individuell leistungsabhängig und stelle eine neben dem Tarifgehalt gewährte Leistung dar, die nicht unter den Begriff „Tarifgehalt” subsumiert werden könne. Davon abgesehen habe der Kläger vor Übernahme in den AT-Status nur eine Leistungszulage in Höhe von 2 % erhalten.

Bei der Vergleichsbetrachtung der allgemeinen Vertragsbedingungen müßten zudem auf Seiten des AT-Angestellten noch die 10 % höhere Jahresabschlußvergütung, der erhöhte Arbeitgebersparbeitrag, die längere Kündigungsfrist, die erhöhten Leistungen an den AT-Angestellten im Krankheitsfall und an seine Angehörigen im Falle seines Todes Berücksichtigung finden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und im verkündeten Tenor die Revision zugelassen. Es hat diesen Tenor wegen eines Rechenfehlers dann dahin berichtigt, daß es die Beklagte unter Zurückweisung der Berufung im übrigen zur Zahlung von 30,96 DM brutto nebst Zinsen an den Kläger verurteilt hat. In den Gründen des Berufungsurteils ist ausgeführt, das Landesarbeitsgericht habe für beide Parteien die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter mit der Maßgabe, daß er Zinsen aus dem Nettobetrag verlangt. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revisionen der Parteien sind zulässig.

Obgleich der auf Zurückweisung der Berufung des Klägers und Zulassung der Revision lautende verkündete Tenor des Berufungsurteils vom 14. August 1998 nur die Zulassung der Revision für den danach allein beschwerten Kläger zum Inhalt haben konnte, ist auch die Revision der Beklagten statthaft. Denn eine Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 72 Abs. 1 ArbGG in der bis zum 30. April 2000 geltenden Fassung zwar unstatthaft, aber dennoch wirksam(BAG 31. Oktober 1995 – 1 AZR 372/95 – AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 29). Von dieser Möglichkeit hat das Landesarbeitsgericht Gebrauch gemacht. Es hat in den Entscheidungsgründen ausdrücklich „für beide Parteien die Revision an das Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen”.

Sonst ist zur Zulässigkeit der Revisionen nichts auszuführen.

II. Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts. Die Revision des Klägers ist dagegen unbegründet.

1. Der Kläger hat im streitigen Anspruchszeitraum keinen vertraglichen Anspruch auf ein höheres als das erhaltene Gehalt.

a) Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß die Beklagte nach dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 15. Februar 1993 verpflichtet ist, dem Kläger den ihm in diesem Vertrag eingeräumten AT-Status zu erhalten, also mit Rücksicht auf das sog. Mindestabstandsgebot des § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl sein Gehalt bei allen Erhöhungen des höchsten Tarifgehalts jeweils auf – mindestens – 120 % desselben anzuheben(vgl. BAG 11. Februar 1998 – 5 AZR 126/97 – nv.).

b) Denn das dem Kläger von der Beklagten im streitigen Anspruchszeitraum gewährte Vertragsgehalt lag mehr als 20 % über dem höchsten Tarifgehalt.

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Prüfung, ob das Mindestabstandsgebot des § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl eingehalten sei, müsse das Gehalt des Klägers als AT-Angestellter bei seiner Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche zum höchsten Tarifgehalt, das für eine 35-Stunden-Woche gezahlt werde, in Bezug gesetzt werden. Um den tariflichen Mindestabstand ermitteln zu können, müsse mithin das Tarifgehalt auf 39/35 angehoben werden.

bb) Diese Tarifauslegung ist rechtsfehlerhaft, wie die Beklagte zutreffend geltend macht. Für den tariflich geforderten Mindestabstand zwischen dem Vertragsgehalt des AT-Angestellten und dem höchsten Tarifgehalt kommt es auf die Dauer der jeweiligen Regelarbeitszeit nicht an.

(1) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt(zB Senat 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – BAGE 73, 364).

(2) Nach Wortlaut und Gesamtzusammenhang sieht das sog. Mindestabstandsgebot des § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl für das Gehalt bei unterschiedlicher Regelarbeitszeit des AT- und des Tarifangestellten die Umrechnung einer der beiden Vergleichsgrößen auf die der anderen zugrunde liegende Arbeitszeit nicht vor.

Nach § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl sind Vergleichsgrößen für das Mindestabstandsgebot beim Gehalt einerseits das „Vertragsgehalt” des AT-Angestellten, andererseits das „höchste Tarifgehalt”. Letzteres ist auf die regelmäßige wöchentliche tarifliche Arbeitszeit, hier 35 Stunden in der Woche, bezogen (§ 2 Ziff. 1.1 MTV Stahl). Anders verhält es sich bei dem dem „höchsten Tarifgehalt” als Vergleichsgröße gegenübergestellten „Vertragsgehalt” des AT-Angestellten. Da der AT-Angestellte – bei Erfüllung der in § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl aufgeführten Voraussetzungen – nicht in den persönlichen Geltungsbereich des MTV Stahl fällt, richtet sich seine regelmäßige Arbeitszeit nicht kraft Tarifrechts nach § 2 Ziff. 1.1 MTV Stahl. Eine vertragsergänzende Heranziehung dieser tariflichen Arbeitszeitregelung widerspräche dem Sinn und Zweck eines AT-Vertrages, besteht dieser nach dem Willen der Vertragsparteien doch gerade darin, das Arbeitsverhältnis auf eine vom Tarifvertrag losgelöste Grundlage zu stellen(Franke Der außertarifliche Angestellte 1991 S 76). Die tarifliche Arbeitszeit gilt für den AT-Angestellten daher nur, wenn dies zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart ist(vgl. Senat 9. Dezember 1987 – 4 AZR 584/87 – BAGE 57, 130).

Dies ist regelmäßig nicht der Fall. In den Arbeitsverträgen von AT-Angestellten wird vielfach auf die Festlegung einer Arbeitszeit verzichtet oder bestimmt, daß sich diese nach den betrieblichen Erfordernissen richte. Besonders die letzte Formulierung macht deutlich, daß die Arbeitszeit des AT-Angestellten aufgabenorientiert ist(zB Kasseler Handbuch/Senne 2. Aufl. 4.1 Rn. 61). Dem entspricht zB der Formulierungsvorschlag für die Arbeitszeitregelung in AT-Verträgen in den vom Gesamtverband der metallindustriellen Arbeitgeberverbände herausgegebenen „Empfehlungen für die Anstellungsverträge mit außertariflichen Angestellten”. Dieser lautet: „Die Arbeitszeit und ihre Einteilung richten sich nach den allgemeinen betrieblichen Regelungen und nach den Erfordernissen des Betriebes”(zitiert nach Franke aaO S 77). Mit den Erfordernissen des Betriebes ist die Verpflichtung des AT-Angestellten zur Erfüllung der vereinbarten Aufgaben gemeint.

Diese Umstände werden auch auf Arbeitnehmerseite gesehen. Im Handbuch „Außertarifliche Angestellte”, herausgegeben von Thomas Blanke mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung, heißt es in dem Beitrag von Buchholz/Lenßen/Linnemann (Rn. 22): „… Der Arbeits-(zeit)-einsatz von AT-Angestellten” liegt „weit über den Normen sämtlicher Tarifverträge. Von der 35-Stunden-Woche redet hier niemand, auf Hauptabteilungsleiterebene arbeitet die Hälfte nach eigenen Angaben sogar mehr als 50 Stunden in der Woche”.

Die Annahme, diese Unterschiede in der Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit von Tarif- und AT-Angestellten seien den Tarifvertragsparteien nicht bekannt oder von ihnen im Regelungszusammenhang des Mindestabstandsgebots übersehen worden, verbietet sich als wirklichkeitsfremd. Dann aber kommt es für den geforderten Mindestabstand zwischen dem Vertragsgehalt des AT-Angestellten und dem höchsten Tarifgehalt nach § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl nicht auf die Dauer der jeweiligen Regelarbeitszeit an. Denn die Tarifvertragsparteien haben darauf nicht abgestellt, also insbesondere nicht bestimmt, daß das höchste Tarifgehalt in dem Verhältnis zu erhöhen ist, in dem die Regelarbeitszeit des außertariflichen Angestellten die tarifliche Regelarbeitszeit übersteigt.

cc) Die Beklagte hat das Mindestabstandsgebot für das Gehalt des § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl in diesem Sinne beachtet. Das dem Kläger gewährte Vertragsgehalt lag im gesamten Anspruchszeitraum 20 % über dem höchsten Tarifgehalt, und zwar auch dann, wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, zum höchsten Tarifgehalt im Tarifsinne rechne auch die durchschnittlich 4 %ige tarifliche Leistungszulage des Tarifangestellten. Diese Auslegungsfrage bedarf daher hier keiner Erörterung.

2. Der Anspruch des Klägers auf höheres Gehalt folgt auch nicht aus § 1 Ziff. 3 Abs. 2 MTV Stahl. Es kann dahinstehen, ob aus dieser Norm ein Anspruch auf ein dem Mindestabstandsgebot entsprechendes Gehalt abgeleitet werden kann. Dieser tarifliche Anspruch wäre, bestünde er, von der Beklagten hier erfüllt worden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schliemann, Friedrich, Bott, Görgens, Heidemarie, Kralle-Engeln

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 21.06.2000 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 448641

BAGE, 133

BB 2001, 1096

DB 2001, 49

NWB 2001, 155

FA 2001, 31

NZA 2001, 336

ZAP 2001, 318

ZTR 2001, 324

AP, 0

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge