Leitsatz (amtlich)

Die im Tarifvertrag “Normalvertrag Solo” vom 1. Mai 1924 i.d.F. vom 3. Dezember 1974 vorgesehene Befristung von Arbeitsverträgen mit künstlerischen Bühnenmitgliedern (mit der nach dem Mitteilungspflichtabkommen vom 10. Oktober 1947 vorgesehenen Möglichkeit der Verlängerung des Engagementvertrages um jeweils eine weitere Spielzeit) ist zulässig, weil diese Befristung einem jahrzehntelangen Bühnenbrauch entspricht, der nach wie vor durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist (im Anschluß an BAG [GS] 10, 65 = BAG AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag und BAG AP Nr. 34 und 36 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).

 

Normenkette

BGB § 620; Tarifvertrag “Normalvertrag Solo” vom 1. Mai 1924 i.d.F. vom 3. Dezember 1974 § 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 18.10.1978; Aktenzeichen 2 Sa 404/78)

 

Tenor

  • Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 1978 – 2 Sa 404/78 – wird zurückgewiesen.
  • Die Kläger tragen die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Kläger und Klägerinnen zu 1) bis 4) und 7) bis 13) sind Anfang 1971 aufgrund zunächst auf ein Jahr befristeter Normalverträge für Solisten von der Beklagten für die Spielzeit 1971/72 ab 1. August 1971 als künstlerische Bühnenmitglieder eingestellt worden. Die Einstellung des Klägers zu 5) erfolgte aufgrund des befristeten Solo-Vertrages vom 18. Januar 1973, die der Klägerin zu 6) aufgrund des Vertrages vom 20. Februar 1970 und die des Klägers zu 14) – ebenfalls befristet für eine Spielzeit – aufgrund des Vertrages vom 1. August 1972. Die Kläger waren überwiegend unter dem früher in Kassel tätigen Intendanten Ulrich Brecht bis zum Ende der Spielzeit 1970/71 beim Staatstheater Kassel beschäftigt und hatten nach dessen Berufung zum Generalintendanten der Beklagten ihre Engagements in Kassel selbst beendet. Die Engagements der Kläger in Düsseldorf wurden mehrfach um je eine Spielzeit verlängert. Die Kläger zu 1) bis 9), 13) und 14) waren als Schauspieler, der Kläger zu 10) als Kapellmeister, die Klägerin zu 11) als Choreographin und der Kläger zu 12) als Dramaturg beschäftigt.

Kraft beiderseitiger Tarifbindung finden auf die Arbeitsverhältnisse der Parteien die Tarifverträge “Normalvertrag Solo” vom 1. Mai 1924 in der Fassung vom 3. Dezember 1974, das “Mitteilungspflichtabkommen” vom 10. Oktober 1947 und die “Tarifvereinbarung für die Bühnenschiedsgerichte” vom 1. Oktober 1948 Anwendung.

Im Tarifvertrag “Normalvertrag Solo” heißt es auszugsweise:

“§ 2 Abs. 1

In dem Dienstvertrag muß angegeben sein:

  • die Zeit, für die der Dienstvertrag abgeschlossen wird, sowie die Kalendertage, an denen das Dienstverhältnis beginnt und endet.

§ 10

  • Eine Vereinbarung, wonach ein Vertrag durch Kündigung gelöst werden kann, ist nur dann wirksam, wenn beiden Teilen das gleiche Recht eingeräumt wird. …

§ 11

  • Der Unternehmer kann sich nicht das Recht vorbehalten, durch einseitige Erklärung:

    • den Dienstvertrag über die vereinbarte Zeit hinaus zu verlängern.

Das “Mitteilungspflichtabkommen” hat folgenden Wortlaut:

  • Der Deutsche Bühnenverein und die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehörigen stellen übereinstimmend als Bühnenbrauch fest, daß bei Vertrags- bzw. Beschäftigungsverhältnissen, die mindestens für die Dauer eines Jahres oder einer Spielzeit abgeschlossen sind, die Mitteilung der beabsichtigten Nichtverlängerung des Vertrages dem Vertragspartner schriftlich bis zum 31. Januar der laufenden Spielzeit zugegangen sein muß.
  • Darüber hinaus stellen Bühnenverein und GDBA fest:

    • bei Vertrags- und Beschäftigungsverhältnissen von mehr als fünf Jahren (Spielzeiten) muß die Mitteilung der Nichtverlängerung bis zum 31. Oktober der laufenden Spielzeit und
    • bei Vertrags- bzw. Beschäftigungsverhältnissen von mehr als zehn Jahren (Spielzeiten) bis zum 31. Juli der vorangegangenen Spielzeit dem Vertragspartner schriftlich zugegangen sein.
  • Es wird ausdrücklich festgestellt, daß diese Mitteilungspflicht für jeden Vertragspartner besteht.

    Erfolgt keine Mitteilung, so verlängert sich das bisherige Vertragsverhältnis unter den gleichen Bedingungen um ein weiteres Jahr bzw. eine weitere Spielzeit.

  • Beabsichtigt ein Theaterleiter die Nichtverlängerung eines Vertrages bzw. Beschäftigungsverhältnisses von mehr als 15 Jahren (Spielzeiten), so wird dem Theaterleiter empfohlen, in erster Linie dem Mitglied die Weiterbeschäftigung, wenn auch zu neuen Vertragsbedingungen, die den Betriebsmöglichkeiten angepaßt sind, anzubieten. Führt dies bei der einen oder anderen Seite zu Härten, so soll eine anderweitige Beschäftigung erwogen werden, wenn die Möglichkeit zur Pensionierung bei der Münchener Versorgungsanstalt nicht gegeben ist.”

Der zum Beginn der Spielzeit 1976/77 neu angestellte Intendant Günther B…, dem die Beklagte im voraus Prokura erteilt hatte, teilte nach Vorankündigungen von März und April 1975 den Klägern im Mai und Juni 1975 schriftlich mit, es sei nicht beabsichtigt, die Verträge über das Ende der Spielzeit 1975/76 (31. Juli 1976) hinaus fortzusetzen. Gleichlautende Mitteilungen gingen auch an andere Mitglieder des Ensembles.

Die Kläger haben beim Bühnenschiedsgericht Klagen auf Feststellung erhoben, daß ihre Arbeitsverhältnisse über das Ende der Spielzeit 1975/76 hinaus fortbestünden. Sie haben die Ansicht vertreten, die Befristungsabreden seien unwirksam. In den Nichtverlängerungsanzeigen seien sozial ungerechtfertigte Kündigungen zu sehen. Jedenfalls sei das Verhalten der Beklagten einer Massenentlassung gleichzustellen, auf die die Bestimmungen der §§ 17 ff. KSchG Anwendung finden müßten.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Befristungen der Arbeitsverträge seien zu Recht erfolgt.

Durch Schiedsspruch vom 9. Februar 1976 (BSchG 5/75) hat das Bühnenschiedsgericht Köln die Klage abgewiesen. Das Bühnenoberschiedsgericht Frankfurt am Main hat die Berufung der Kläger mit Schiedsspruch vom 13. Juni 1977 zurückgewiesen (O.Sch 6/76).

Gegen die Entscheidung des Bühenoberschiedsgerichts haben die Kläger beim Arbeitsgericht Aufhebungsklage erhoben. Sie haben die Ansicht vertreten, daß die Befristungsabreden unwirksam seien. Das Kündigungsschutzgesetz müsse zumindest analog angewendet werden. Die Beklagte habe die Verträge rechtsmißbräuchlich nicht verlängert. Künstlerische Gründe könnten nur dann eine sachliche Rechtfertigung für die Befristung abgeben, wenn es sich um Künstler handele, die in das Bewußtsein des Publikums träten. Trotzdem würden auch im Bereich der technischen Mitarbeiter, Beleuchter und des Chorpersonals vorwiegend befristete Arbeitsverträge abgeschlossen. Das sei eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes. Durch die Wahl der befristeten Arbeitsverträge werde die sonst im Kündigungsschutzverfahren dem Arbeitgeber obliegende Beweispflicht auf den Arbeitnehmer abgewälzt.

Künstlerische Gründe für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse gebe es nicht. Die Beklagte habe die Verträge nur wegen des Intendantenwechsels nicht verlängert. Die Befristungen könnten auch nicht mit dem Hinweis auf einschlägige Tarifverträge gerechtfertigt werden. Das Arbeitnehmerschutzrecht sei nicht tarifdispositiv. Zudem entspreche der Einfluß der Bühnengewerkschaften nicht dem, den sonstige Gewerkschaften auf das Tarifrecht hätten. Eine entsprechend schlagkräftige Gewerkschaft gebe es im Bühnenbereich nicht. Das gelte auch für die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehörigen (GDBA), die ihre Interessen nicht ausreichend durchsetzen könne, obwohl in der GDBA 80 bis 90 % der Bühnenmitglieder organisiert seien. Wo eine “IG-Kultur” von Nöten wäre, konkurrierten 42 Verbände kleiner und kleinster Größenordnung. Die geschlossenen Tarifverträge seien Zeichen ihrer Schwäche.

Die Kläger, die auch die Erstattung der Kosten beider Schiedsgerichtsinstanzen von 5.699,59 DM begehren, haben beantragt,

  • den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts Frankfurt a. M. vom 13.6.1977, zugestellt am 28.6.1977 – O.Sch. 6/76 – und den Schiedsspruch des Bezirksbühnenschiedsgerichts Köln vom 9. 2. 76 – BSchG 5/75 – aufzuheben,
  • festzustellen, daß die Arbeitsverhältnisse der Kläger und Klägerinnen weder durch Mitteilungen der Beklagten vom 25. 3., 26. 3., 10.4., 15.4 und 30.5.1975 noch durch spätere Mitteilungen aufgelöst sind, sondern über das Ende der Spielzeit 1975/76 (31. Juli 1976) hinaus fortbestehen,
  • die Beklagte zu verurteilen, den Klägern DM 5.699,59 nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, daß die Arbeitsverträge aufgrund der zulässigen Befristungen am 31. Juli 1976 abgelaufen seien. Rechtliche Bedenken gegen die Befristungen seien nicht ersichtlich. Die Bühnentarifpartner (Bühnengenossenschaft und Bühnenverein) hätten die Rechtsgültigkeit von Bühnenzeitverträgen durch Tarifvertrag vom 23. November 1977 sogar erneut ausdrücklich bestätigt. Mit Kündigungsschutz für Solisten könne kein lebendiges Theater mehr gespielt werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Vorinstanzen haben die gem. § 110 Abs. 1 Ziff. 2 ArbGG auf Verletzung einer Rechtsnorm gestützte Aufhebungsklage mit Recht abgewiesen. Die entsprechend der für die beiderseits tarifgebundenen Parteien verbindliche Tarifvereinbarung für die Bühnenschiedsgerichte ergangenen Schiedssprüche des Bühnenoberschiedsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juni 1977 (O.Sch 6/76) und des Bühnenbezirksschiedsgerichts Köln vom 9. Februar 1976 (BSch 5/75) beruhen nicht auf einer Verletzung der richterlichen Grundsätze über die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge. Die durch die Befristung der Arbeitsverträge bewirkte Ausschaltung des Kündigungsschutzes ist vorliegend durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der kraft beiderseitiger Tarifbindung der Parteien auf die Arbeitsverhältnisse anwendbare “Normalvertrag Solo” sehe befristete Arbeitsverträge mit Bühnenpersonal als Normalfall an und sei daher tarifüblich. Die Geltung dieser tariflichen Regelung werde nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Tarifvertrag auf Arbeitnehmerseite nach dem Vortrag der Kläger durch eine schwache Gewerkschaft abgeschlossen worden sei, die nicht genügend Druck auf die Gegenseite ausüben könne. Entscheidend sei allein, daß der GDBA unstreitig die Qualifikation einer Gewerkschaft zukomme.

Für die tarifübliche Befristung von Arbeitsverträgen mit Bühnenpersonal sprächen zudem sachliche Gründe. Mit befristeten Arbeitsverträgen könne nämlich dem Abwechselungsbedürfnis des Publikums am ehesten Rechnung getragen werden. Der jeweilige Intendant werde dadurch in die Lage versetzt, entsprechend seinem künstlerischen Konzept seine künstlerischen Vorstellungen mit Schauspielern zu verwirklichen. Diese Gesichtspunkte könnten auch nicht nur für Solisten mit herausragendem Rang gelten. Denn wenn es auf das Abwechslungsbedürfnis des Puplikums und auf die künstlerischen Vorstellungen des Theaters ankomme, sei der künstlerische Rang des einzelnen Schauspielers ohne Bedeutung.

Durch die den Klägern angezeigte Nichtverlängerung der Verträge habe die Beklagte auch nicht rechtsmißbräuchlich gehandelt. Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten sei nach dem Vortrag der Kläger nicht erkennbar. Insbesondere könne daraus, daß im Zusammenhang mit dem Intendantenwechsel, außer den Klägern auch eine Reihe weiterer Solisten ausgeschieden seien, nicht auf ein treuwidriges Verhalten der Beklagten geschlossen werden.

Eine unmittelbare oder auch nur analoge Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes scheide aus, da die Beklagte keine Kündigung ausgesprochen habe. Die Arbeitsverhältnisse der Kläger seien vielmehr durch Zeitablauf beendet worden.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis zuzustimmen.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vor allem BAG [GS] vom 12.10.1960, BAG 10, 65 [70 ff.] = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag [zu C der Gründe]) ist die Vereinbarung befristeter Arbeitsverträge grundsätzlich zulässig. Ein schutzwertes Interesse für eine solche Vertragsgestaltung entfällt nur dann, wenn die Befristung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Die Befristung ist unzulässig, wenn sie als rechtliche Gestaltungsmöglichkeit objektiv funktionswidrig verwendet wird. Das ist anzunehmen, wenn der durch die Kündigungsschutzbestimmungen gewährleistete Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses vereitelt wird und dafür kein sachlich rechtfertigender Grund vorliegt. Die Verträge müssen ihre sachliche Rechtfertigung, die auch hinsichtlich der Vertragsdauer gegeben sein muß, so in sich tragen, daß sie die Kündigungsschutzvorschriften nicht beeinträchtigen (BAG vom 16.6.1976, AP Nr. 40 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Sachliche Gründe, die eine Befristung rechtfertigen, können nach der Auffassung des Großen Senats vor allem bei Arbeitsverträgen zur Probe, bei Aushilfs- oder Saisonarbeitsverträgen, namentlich aber auch bei Verträgen mit Künstlern, Musikern, Schauspielern und Sängern vorliegen. Entscheidende Bedeutung kommt insoweit der Üblichkeit im Arbeitsleben und der Frage zu, was verständige und verantwortungsbewußte Parteien zu vereinbaren pflegen (BAG [GS] aaO [zu C 3 der Gründe]).

Ob eine Befristung nach diesen Grundsätzen sachlich gerechtfertigt ist, richtet sich nach folgendem Maßstab: Bei der Überprüfung ist zunächst von generellen Merkmalen, d.h., von der sogenannten “Üblichkeit im Arbeitsleben” auszugehen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles sind demgegenüber nur dann von Bedeutung, wenn die konkreten Interessen der Beteiligten so gewichtig sind, daß es geboten ist, sie über die allgemeinen Erwägungen zu stellen, die an sich für oder gegen die Zulässigkeit der Befristung sprechen (BAG vom 22.3.1973 und vom 16.6.1976, BAG 25, 125 = AP Nr. 38 und 40 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; M…. Wolf, Anm. II zu AP Nr. 35, aaO).

2. Die Üblichkeit im Arbeitsleben wird insbesondere durch tarifliche Regelungen der Befristung und deren zeitliche Dauer begründet (vgl. KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 132 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BAG). Im Streitfall bedarf es keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob tariflichen Vorschriften für befristete Arbeitsverhältnisse eine materielle Richtigkeitsgewähr zukommt, die eine richterliche Inhaltskontrolle ausschließt oder einschränkt. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob die Vermutung für einen ausgewogenen Interessenausgleich dann nicht eingreift, wenn eine Gewerkschaft wegen der geringen Zahl ihrer Mitglieder nur “beschränkt mächtig” ist, und ob es sich bei der Rechtsprechung zu den befristeten Arbeitsverträgen um echtes tarifdispositives Richterrecht handelt. Diese Fragen werden im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie 1964, S. 256 ff.; Palenberg, Anm. zu BAG AP Nr. 36 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 24 zu Art. 9 GG [zu II]; ders. Anm. zu BAG AP Nr. 35 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einl. Rnr. 145; Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MünchKomm-Schwerdtner, § 620 BGB RdNr. 74 ff.; KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 133 – 136). Auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist insoweit nicht einheitlich und eindeutig (vgl. das Urteil des Ersten Senates vom 10.6.1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf [zu A I 1c der Gründe]; die Urteile des Fünften Senates vom 4.12.1969, vom 30.9.1971 und vom 30.11.1977, AP Nr. 32, 36 und 44 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag und die Urteile des erkennenden Senates vom 27.3.1969 und vom 5.3.1970, AP Nr. 31 und 34 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).

Die Grenzen der tariflichen Regelungsbefugnis für Zeitverträge brauchen vorliegend aus folgenden Gründen nicht durch eine Abstimmung zwischen dem Ersten, dem Fünften und dem erkennenden Senat oder eine Anrufung des Großen Senates entschieden zu werden. Wie aus den tarifvertraglichen Regelungen folgt, denen die Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung unterworfen sind, gehen die Tarifvertragsparteien vom befristeten Bühnenarbeitsvertrag als tariflichen Regelfall aus, ohne den sachlichen Grund für eine zulässige Befristung näher zu bestimmen oder zu konkretisieren und die Dauer der Befristung zu regeln. So ist in § 2 Abs. 1 Ziff. 3 des Normalvertrages Solo nur bestimmt, daß “die Zeit”, für die der Dienstvertrag abgeschlossen wird und die Kalendertage des Beginns und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezeichnet werden müssen. Ebenso schreibt § 10 Abs. 1 des Normalvertrages Solo für die Zulässigkeit einer Kündigung, die bei einem befristeten Arbeitsvertrag grundsätzlich nicht in Betracht kommt, eine ausdrückliche Vereinbarung vor. Desgleichen trifft das sogenannte Mitteilungspflichtabkommen nicht etwa Regelungen für eine Kündigung, sondern für eine gegebenenfalls beabsichtigte Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages. Die Tarifvertragsparteien haben, wie sich nicht zuletzt unmittelbar aus der Präambel des Mitteilungspflichtabkommens vom 23. November 1977 ergibt, den sachlichen Grund für die Befristung von Arbeitsverträgen erkennbar in “dem langjährigen Bühnenbrauch” (der Normalvertrag Solo datiert vom 1. Mai 1924) gesehen und ihn damit gewissermaßen als gegeben und bekannt vorausgesetzt. Die Tarifvertragsparteien haben es damit im Anwendungsbereich des Tarifvertrages Solo unterlassen, selbst vollständige und ausreichende Maßstäbe dafür zu setzen, ob und unter welchen konkreten Voraussetzungen befristete Arbeitsverhältnisse im Grundsatz und für welche Dauer gerechtfertigt sein sollen. Die einschlägige tarifliche Regelung macht es deswegen notwendig zu prüfen, ob für die zugrunde gelegte Bühnenpraxis generell sachliche Erwägungen sprechen, und ob eine der Auffassung verständiger und verantwortungsbewußter Vertragspartner entsprechende Branchenüblichkeit wegen der besonderen Umstände des Streitfalles (besonderes Schutzbedürfnis der Kläger) die Befristung gleichwohl nicht rechtfertigen kann (vgl. BAG vom 22.3.1973 und vom 16.6.1976, BAG 25, 125 = AP Nr. 38 und 40 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).

3. Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der von den Klägern beanstandeten Befristungen sind aus folgenden Gründen erfüllt:

a) Die langjährige Bühnenpraxis, mit Bühnenmitgliedern befristete Arbeitsverträge für eine oder mehrere Spielzeiten abzuschließen, trägt zunächst dem berechtigten Bestreben der Bühne Rechnung, künstlerische Vorstellungen des Intendanten mit dem von ihm dafür geeignet gehaltenen künstlerischen Bühnenpersonal zu verwirklichen und damit zugleich auch dem Abwechslungsbedürfnis des Publikums entgegenzukommen.

In der Theaterbranche entspricht die aus diesem Grund erfolgte Befristung von Arbeitsverträgen für ein Spieljahr mit künstlerischen Bühnenmitgliedern, die als Solisten individuelle Leistungen erbringen, der Auffassung verständiger und verantwortungsbewußter Vertragspartner (BAG [GS] vom 12.10.1960, aaO; BAG vom 5.3.1970, AP Nr. 34 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG vom 30.9.1971, BAG 23, 460 = AP Nr. 36 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Däubler, Das Arbeitsrecht 2, 1969, S. 317, 319; MünchKomm-Schwerdtner, § 620 BGB RdNr. 37; Otte, Zeitvertrag und Kündigungsschutz, 1980, S. 141 ff.; Rehbinder, RdA 1971, 211 [214]; Soergel/Kraft, BGB, 11. Aufl., § 620 Rz 11; KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 196, 199; einschränkend: Falkenberg, DB 1972, 2480 [Befristung zulässig bei Bühnenschauspielern]; Monjau, UFITA 1975, Bd. 74 S. 83 [nur unter besonderen Umständen zulässig]; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 620 BGB Rz 13 [nur bei besonderen sachlichen Gründen wie z. B. Bindung an einen Regisseur, u.ä.]; grundsätzlich ablehnend: Fohrbeck/Wiesand/Woltereck, Arbeitnehmer oder Unternehmer?, 1976, S. 247 ff.). Ob eine entsprechende zu billigende Übung auch für das technische Bühnenpersonal (Beleuchter, Ausstatter usw.) anzuerkennen ist (vgl. Fohrbeck/Wiesand/Woltereck, aaO, S. 252; KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 139) kann dahingestellt bleiben, weil alle Klägerinnen und Kläger zum künstlerischen Bühnenpersonal gehören.

Die Kunst im allgemeinen und das Theater im besonderen ist, ebenso wie der Publikumsgeschmack, einem ständigen Wandel unterworfen. Das anspruchsvolle und auf sein künstlerisches Niveau bedachte Theater hat nicht nur die vielfältigen künstlerischen Strömungen, sondern auch die Neigungen und das Abwechselungsbedürfnis des sach- und kunstverständigen Publikums, von dessen Gunst das Theater letztlich abhängig ist, bei der Spielplangestaltung und bei Neuinszenierungen zu berücksichtigen. Lebendiges Theater bedarf ständig neuer künstlerischer Impulse und Ideen und auch persönliche Veränderungen bis hin zum Wechsel des jeweiligen Ensembles. Befristungen von Arbeitsverträgen mit Bühnenkünstlern sind damit vorgegeben und zur Erleichterung des Wechsels in der personellen Zusammensetzung des Ensembles erforderlich. Maßgebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Person des Intendanten zu, der für das künstlerische Konzept des Theaters verantwortlich ist und es durch sein persönliches Kunstverständnis prägt. Dem Intendanten muß daher, und zwar nicht nur beim Wechsel von Regisseuren, sondern auch wegen der jeweils für ein Jahr erfolgenden Festlegung des Spielplanes, die Möglichkeit verbleiben, das Ensemble für die neue Spielzeit ganz oder teilweise auszuwechseln und seinen jeweiligen künstlerischen Vorstellungen entsprechend zusammenzustellen. Auch befähigte und vielseitige Künstler sind in ihrer künstlerischen Gestaltungs- und Ausdruckskraft nicht unbegrenzt und passen demnach nicht in jedes künstlerische Konzept. Das gilt auch für besonders profilierte Schauspieler, die durch ihre Originalität oft auf einen bestimmten Typ und die ihnen eigene Darstellung festgelegt sind.

Aus diesem Grunde ist auch das Theaterpublikum in der Regel an einer gelegentlichen Auswechslung der künstlerischen Bühnenmitglieder interessiert. Die dauernde Gunst des Publikums für besonders beliebte Schauspieler ist nicht die Regel sondern die Ausnahme. Unter den vom Senat behandelten mehreren sachlichen Gründen für die Befristung hat das Abwechslungsbedürfnis des Publikums allerdings nicht die entscheidende und allein tragende Bedeutung (vgl. das Interview mit August Everding, Die Deutsche Bühne, 6/81, S. 21). Wesentlicher ist, daß die Beschäftigung von künstlerischem Personal in unbefristeten Arbeitsverhältnissen das rechtzeitige Auswechseln und Anpassen des Ensembles an das oft auch von Spielzeit zu Spielzeit unterschiedliche künstlerische Konzept erheblich erschweren würde. Längere Bindungen der Bühnenmitglieder an ein bestimmtes Theater über eine Spielzeit oder die Amtszeit des Intendanten hinaus begünstigen die unbedingt zu vermeidende Erstarrung des Theaterlebens. An einen künstlerischen Stillstand der Bühne kann aber keine Partei ein Interesse haben. Bei Bühnenmitgliedern, die durch individuelle Gestaltung von Bühnenrollen (Schauspieler) oder musikalische bzw. tänzerische Darstellungen oder Einstudierungen (Kapellmeister, Choreographen usw.) oder deren Vorbereitungen (Dramaturgen) mehr oder weniger in das Bewußtsein des Publikums treten, sind Befristungen von Arbeitsverträgen nicht zu entbehren, um die Aufgaben und den Anspruch des Theaters sachgerecht erfüllen zu können.

b) Unbefristete Arbeitsverträge mit als Solisten tätigen Bühnenmitgliedern widersprechen zudem im Grundsatz sowohl dem Interesse des Bühnenkünstlers als auch dem Interesse der Bühne; beide Vertragspartner sind an der Erhaltung der Freizügigkeit des Engagementwechsels interessiert (BAG vom 5.3.1970 und vom 30.9.1971, AP Nr. 34 und 36 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Rehbinder, RdA 1971, 214). Das Spannungsverhältnis zwischen Bindung und Freizügigkeit bei Bühnenmitgliedern ist im künstlerischen Bereich besser durch künstlerische Motive als durch rechtlichen Zwang zu lösen. Ein Künstlerengagement ist vom Ansatz her nicht auf Dauer angelegt; das Theater und die Laufbahn des Künstlers (Schauspielers) ist vielmehr auf Wechsel und nicht auf Beständigkeit ausgerichtet. Das gilt regelmäßig auch für das Interesse des künstlerischen Bühnenmitgliedes. Es ist zwar zuzugeben (vgl. Palenberg, Anm. zu BAG AP Nr. 36 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag), daß die vom Bühnenkünstler erwünschte Freizügigkeit des Engagementwechsels für ihn durch die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes nicht beeinträchtigt würde, weil ihm als Arbeitnehmer auch bei unbefristeter Anstellung das freie Kündigungsrecht erhalten bleibt. Das ändert jedoch nichts daran, daß grundsätzlich nach den Interessen beider Parteien die ratio des Kündigungsschutzgesetzes nicht erfüllt ist (vgl. zu dieser Erwägung insbesondere bei den sogenannten Ausnahmetatbeständen: Wiedemann, Festschrift für Lange 1970, S. 404; KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 174).

Für den Bühnenkünstler ist der Wechsel des Theaters auf eigenen Wunsch oder wegen einer Veränderung des Ensembles bzw. seiner Leitung in seiner künstlerischen Laufbahn der übliche Weg. Nicht nur der Anfänger strebt durch den Übergang an größere und bedeutendere Theater den Aufstieg und “den künstlerischen Durchbruch” an. Auch profilierte Schauspieler sind vielmehr oft bemüht, durch Wechsel der Bühne nicht durch den jeweiligen Publikumsgeschmack oder die persönliche Konzeption der Intendanten und Regisseure zu sehr festgelegt zu werden.

Nicht selten binden sich andererseits zunehmend Schauspieler an einen bestimmten Intendanten oder Regisseur, dessen künstlerische Vorstellungen sie teilen und die sie besonders gut verwirklichen können – so wie im Streitfall die Mehrzahl der Kläger zum “festen Ensemble” von Ullrich Brecht in Kassel und Düsseldorf gehörten – und sind bestrebt, mit dem Intendanten auch das Theater zu wechseln, sofern der Intendant bei dem Wechsel seine Wünsche voll durchsetzen kann.

Von besonderen Ausnahmetatbeständen oder den tarifvertraglichen neuerdings besonders geregelten “Sozialtatbeständen” abgesehen (z.B. bei älteren Schauspielern mit langjährigen Engagements vgl. § 2 Abs. 3 des Mitteilungspflichtabkommens vom 23. November 1977; KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 199), eignet sich aus den genannten Gründen das Arbeitsverhältnis mit als Solisten eingestellten Bühnenmitgliedern aufgrund der Eigenart der Beschäftigung nicht für ein dem Kündigungsschutzgesetz unterliegendes Dauerarbeitsverhältnis.

c) Das Kündigungsschutzgesetz wäre zudem im Hinblick auf den anzuerkennenden künstlerischen Beurteilungsspielraum bei der Zusammenstellung des Ensembles nicht geeignet, den Bühnenkünstlern einen ausreichenden Bestandsschutz zu gewähren. Es könnte allenfalls – und insofern allerdings auch zum Nachteil der künsterlischen Effektivität des Theaters – eine mit künstlerischen Gründen motivierte personelle Maßnahme verzögern, letztlich aber nicht verhindern. Das vom Theater bzw. vom Intendanten jeweils aufgestellte und verfolgte künstlerische Konzept müßte bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes einer auf Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit nicht nachprüfbaren und damit grundsätzlich bindenden Unternehmerentscheidung (vgl. dazu KR-Becker § 1 KSchG Rz 293 ff. mit zahlreichen Rechtsprechungs- und Schrifttumsnachweisen) gleichgestellt werden. Wenn der Intendant nach Prüfung zu der Überzeugung kommt, daß der oder die Schauspieler oder sonstigen Solo-Bühnenmitglieder nicht in sein künstlerisches Konzept passen und nicht dazu beitragen können, seine künstlerischen Vorstellungen zu verwirklichen, wäre diese überwiegend auf subjektiven künstlerischen Überlegungen beruhende Entscheidung bei einer gerichtlichen Überprüfung grundsätzlich als dringendes betriebliches Erfordernis anzuerkennen (vgl. Otte, aaO, S. 144). Anderenfalls würde der Ausgang des Rechtsstreits, da dem Gericht regelmäßig die erforderliche und vor allem auch die ausreichende Sachkunde fehlen wird, verlagert und allein vom Urteil eines Sachverständigen abhängig gemacht werden; das Gericht ist weder in der Lage noch befugt, gleichsam die Rolle eines “künstlerischen Oberspielleiters” zu übernehmen (vgl. dazu BAG vom 16.10.1965, AP Nr. 20 zu § 611 BGB Direktionsrecht; KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 199). Abgesehen davon, daß vorliegend die Nichtverlängerungsanzeigen erst nach Prüfung durch den neuen Intendanten erfolgt und weder “offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich” sind, würde somit auch die von den Klägern erstrebte Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes praktisch nicht zu einem wirksamen Kündigungsschutz im herkömmlichen Sinne führen. Da es der Beklagten nicht darum geht, sich von objektiv ungeeigneten, unfähigen Bühnenmitgliedern zu trennen, könnte das erstrebte, billigenswerte Ergebnis der Auswechslung der Bühnenkünstler aus künstlerischen Gründen bei Anwendung eines auf die “objektive Eignung” abstellenden Prüfungsmaßstabes durch das Kündigungsrecht nicht erreicht werden. Das ist ein weiterer Grund dafür, einen sachlichen Grund für die Befristung anzunehmen (vgl. Däubler, aaO, S. 319; Hurst, RdA 1952, 458; Rehbinder, RdA 1971, 215).

4. Auch die konkreten Umstände rechtfertigen vorliegend keine abweichende rechtliche Beurteilung. Die von der Revision erhobenen Rügen sind unbegründet.

a) Die Arbeitsverträge sind mit den Klägern branchenüblich und in Übereinstimmung mit den tarifvertraglichen Bestimmungen jeweils für ein Jahr (Spielzeit) abgeschlossen worden. Sie haben sich zu den gleichen Bedingungen jeweils um ein Jahr (Spielzeit) verlängert. Es fehlte – wie dargelegt – auch nicht an sachlichen Gründen für die weiteren Befristungen der Arbeitsverträge, zumal auch durch die wiederholte Verlängerung der Arbeitsverträge kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist. Nach der tarifvertraglichen Regelung mußten die Kläger mit einer Nichtverlängerung ihrer Verträge zumindest beim Wechsel des Intendanten rechnen. Ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand würde jedenfalls voraussetzen, daß die Kläger über die “Amtszeit” mehrerer Intendanten hinaus engagiert gewesen wären. Diese Voraussetzung erfüllt keiner der Kläger. Durch die Nichtverlängerungsanzeigen sind die Arbeitsverträge deswegen mit Ablauf der Spielzeit 1975/76 wirksam beendet worden.

b) Eine unmittelbare oder auch nur analoge Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes scheidet bei der Überprüfung der Befristungen aus (vgl. BAG [GS] vom 12.10.1960, aaO; BAG vom 29.8.1979, EzA § 620 BGB Nr. 42; KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 18 m.w.N.). Insbesondere stellen die Nichtverlängerungsanzeigen, mit denen die Beklagte nur ihre Absicht mitgeteilt hat, die Arbeitsverhältnisse mit den Klägern nicht über den 31. Juli 1976 hinaus zu verlängern, rechtlich keine die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auslösenden Kündigungen dar. Sie sind im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Befristungen auch nicht Kündigungen gleichzustellen, so daß auch dann, wenn insgesamt 31 Enseblemitglieder die Nichtverlängerungsanzeigen erhalten haben, keine Massenentlassung i. S. der §§ 17 ff. KSchG vorliegt.

c) Unbegründet ist auch die Rüge der Revision, der die “Auswechselung” rechtfertigende Verschleißtatbestand könne allenfalls bei Künstlern in Betracht kommen, die in das Bewußtsein des Publikums treten; dies treffe aber bei den Klägern nicht zu. Es mag sein, daß die Kläger keine “Stars” sind, die über den Kreis des interessierten Theaterpublikums hinaus durch Film oder Fernsehen allgemein bekannt sind. Darauf kommt es jedoch nicht an. Die Kläger, die alle dem künstlerischen Bühnen-Personal zuzurechnen sind, erbringen individuelle, unverwechselbare Leistungen und üben insoweit einen erheblichen Einfluß auf die künstlerische Gestaltung und Darbietung der jeweiligen Theateraufführung aus; sie tragen sämtlich entscheidend zur Verwirklichung des künstlerischen Konzepts bei. Eine Unterscheidung zwischen Künstlern mit “tragenden Rollen” und “Chargenspielern”, für die es keine eindeutigen Abgrenzungskriterien gibt (KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 199), ist zudem nicht möglich.

d) Die Nichtverlängerungsanzeigen sind auch nicht deswegen rechtsmißbräuchlich, weil sie wegen eines Intendantenwechsels erfolgt sind. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, daß sich ihr neuer Intendant vor den Nichtverlängerungsanzeigen einen persönlichen Eindruck davon verschafft hat, ob die Kläger in sein Konzept passen. Die Kläger haben nicht dargelegt, daß die von ihm getroffene Auswahl auf unsachlichen oder gar verwerflichen Gründen beruht. Für diesen Tatbestand sieht das Mitteilungspflichtabkommen vom 23. November 1977, das im Streitfall noch nicht anwendbar ist (auch auf die neuerdings vorzunehmende “Anhörung” der Künstler kommt es nicht an), keine Verlängerung der Verträge, sondern nur die Zahlung einer Abfindung vor. Diesen Schutz weiter auszubauen, ist Aufgabe der Tarifpartner und nicht der Arbeitsgerichte (vgl. KR-Hillebrecht § 620 BGB Rz 199).

Der neue Tarifvertrag von 1977, der nicht nur Härten beim Intendantenwechsel mildert, sondern auch für die schutzbedürftigen älteren Bühnenkünstler bei längerer Dauer des Engagements einen beschränkten Bestandsschutz vorsieht, zeigt, daß die GDBA bereit und mächtig ist, ihre tarifpolitischen Forderungen nach einem stärkeren Sozialschutz der künstlerischen Bühnenmitglieder zumindest schriftweise durchzusetzen (vgl. Herdlein, Bühnengenossenschaft 1977, Heft 12, S. 4 – 5). Es würde nicht nur die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten, wenn die Arbeitsgerichte den traditionellen Bühnenbrauch, für den sich trotz der im Schrifttum erhobenen Bedenken für die zu entscheidenden Tatbestände immer noch hinreichende sachliche Gründe anführen lassen, abschaffen und den Sozialschutz durch eine Mißbilligung der befristeten Engagementsverträge verstärken würden. Die von den Klägern von der Rechtsprechung verlangte einschneidende Änderung der Struktur der deutschen Theater würde vielmehr auch einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie der zuständigen Sozialpartner bedeuten.

Soweit die Revision das für geboten hält, weil die GDBA “weniger mächtig” als andere Gewerkschaften sei, verkennt sie, daß das Tarifvertragssystem grundsätzlich keine Bewertung einzelner Tarifverträge danach erlaubt, ob sie von einflußreichen oder weniger einflußreichen Gewerkschaften abgeschlossen sind. Bei der Genossenschaft der Deutschen Bühnenangehörigen handelt es sich unstreitig um eine tariffähige Gewerkschaft, die alle Anforderungen erfüllt, die an die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft zu stellen sind. Die Genossenschaft der Deutschen Bühnenangehörigen ist frei gebildet, gegnerfrei und unabhängig sowie auf überbetrieblicher Grundlage organisiert; sie anerkennt das geltende Tarifrecht und ist in der Lage, die Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen. Die GDBA verfügt insbesondere auch über eine ausreichende Verbandsmacht, um auf den sozialen Gegenspieler Druck und Gegendruck ausüben zu können (vgl dazu: BVerfGE 18, 18 [28] = AP Nr. 15 zu § 2 TVG; BAG vom 9.7.1968, BAG 21, 98 = AP Nr. 25 zu § 2 TVG; BAG vom 21.11.1975, AP Nr. 6 zu § 118 BetrVG 1972; BAG vom 15.3.1977, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG, die Entscheidung ist auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; BAG vom 14.3.1978, AP Nr. 30 zu § 2 TVG). Die Kläger haben nichts vorgetragen, was darauf schließen läßt, daß es ihrer Gewerkschaft an der erforderlichen sachlichen und formellen Ausstattung zur Wahrnehmung der Aufgaben einer Arbeitnehmerkoalition fehlt. Dagegen spricht schon der hohe Organisationsgrad des Bühnenpersonals, der – wie die Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat – bei 80 bis 90 % liegt.

III. Aus den dargelegten Gründen, die zur Zurückweisung der Revision führen, ergibt sich, daß die Entscheidungen des Bühnenschieds- und des Bühnenoberschiedsgerichts im Ergebnis frei von Rechtsfehlern sind und den Klägern gem. § 13 Abs. 1 der Tarifvereinbarung über die Bühnenschiedsgerichte zu Recht die Kosten des Schiedsgerichtsverfahrens auferlegt worden sind. Die Kläger haben daher auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Schiedsgerichtsverfahrens.

Die Revision war demgemäß mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO in vollem Umfang zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Dr. Röhsler, Triebfürst, Brenne, Dr. Bächle

 

Fundstellen

BAGE, 309

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