Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnsicherung des freigestellten Betriebsratsmitglieds

 

Leitsatz (redaktionell)

Gewährt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer seines Betriebs eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Zulage zum Arbeitslohn, ist er verpflichtet, diese auch einem freigestellten Betriebsratsmitglied zu zahlen, wenn dieses bei Übernahme des Betriebsratsamts eine jenem Arbeitnehmer vergleichbare Tätigkeit ausgeübt hat.

 

Normenkette

BGB § 611; BetrVG §§ 38, 37 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 03.06.1980; Aktenzeichen 3 Sa 134/80)

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 30.10.1979; Aktenzeichen 5 Ca 727/79 N)

 

Tatbestand

Der Kläger war bis zum 31. August 1972 bei der Beklagten als Dreher beschäftigt. Seit September 1972 ist er freigestellter Vorsitzender des im Betrieb der Beklagten bestehenden Betriebsrates. Zum Zeitpunkt seiner Freistellung und in den folgenden Jahren war der Kläger hinsichtlich seiner Eingruppierung, seiner Leistungsbeurteilung und seines Lohns mit den Bohrwerksdrehern Werner S, Horst J und Ernst Sch gleichgestellt.

Nachdem der Kläger im Jahre 1977 zunächst eine neue Leistungsbeurteilung mit einer niedrigeren Prozentzahl erhalten hatte, änderte die Beklagte diese auf die Beanstandung des Klägers bezüglich seiner Leistungsintensität und seiner universellen Einsetzbarkeit, so daß der Kläger wieder mit seinen Kollegen Werner S und Horst J gleichgestellt war, während sich der Arbeitnehmer Ernst Sch aus Altersgründen mit einer anderen, niedrigeren Leistungsbeurteilung einverstanden erklärte. Seit März 1979, der Mitarbeiter Horst J war zwischenzeitlich in das Angestelltenverhältnis übernommen worden, erhielt der Kläger einen um 0,16 DM brutto niedrigeren Stundenlohn als der Arbeitnehmer Werner S, der weiterhin wie der Kläger in der tariflichen Lohngruppe 08 eingestuft ist und auch die gleiche tarifliche Leistungszulage von 21,34 % erhält.

Mit seiner Klage macht der Kläger diese Stundenlohndifferenz von 0,16 DM brutto für die Monate März bis Mai 1979 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 104,28 DM brutto geltend. Er hat vorgetragen, in der Nichtgewährung der Lohndifferenz liege eine unzulässige Benachteiligung, da er nach Lohngruppe und Leistungsbeurteilung immer zur Spitzengruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer gehört habe. Die Zulage von 0,16 DM pro Stunde sei Bestandteil der bei der Beklagten üblichen Leistungsvergütung und damit ein von § 37 Abs. 4 BetrVG erfaßter Lohnbestandteil.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 104,28 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 8. Juni 1979 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, bei der dem Arbeitnehmer Werner S gewährten Zulage handele es sich um eine individuelle, außertarifliche Zulage, die nicht Bestandteil der bei ihr üblichen Leistungsvergütung sei. Insbesondere sei sie nicht Teil der Leistungszulage, die sie nach dem tariflichen Lohnrahmenabkommen zu zahlen habe. Vielmehr handele es sich um eine freiwillige, widerrufliche und anrechenbare außertarifliche Zulage, die der Mitarbeiter S hauptsächlich deshalb erhalte, weil er vielseitig einsetzbar sei und ihm regelmäßig die schwierigen Arbeiten zugeteilt würden. Er erhalte die Zulage als einziger Bohrwerksdreher. Der Kläger sei hinsichtlich seiner Entlohnung auch nicht benachteiligt, da die Relation seines Arbeitsentgelts zu dem des vergleichbaren Arbeitnehmers in etwa die gleiche geblieben sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung der von ihm geltend gemachten Lohndifferenz zum Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers Werner S bejaht.

1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe nicht bestritten, daß der Kläger in seiner früheren Tätigkeit als Dreher von seiner tariflichen Eingruppierung und seiner Leistungsbeurteilung her mit einer Gruppe dreier weiterer Arbeitnehmer gleichgestellt war und daß von diesen allein der Arbeitnehmer Werner S noch auf demselben Tätigkeitsfeld tätig sei, das zur Zeit der Wahl bzw. der Freistellung des Klägers auch den Gegenstand seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gebildet habe. Die Entwicklung, die der Arbeitnehmer Werner S seit damals genommen habe, müsse als betriebsübliche Entwicklung eines mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmers angesehen werden, da die Beklagte selbst vorgetragen habe, dem Arbeitnehmer Werner S wegen seiner Qualifikation und Persönlichkeit innerhalb der mechanischen Werkstatt schwierige Arbeiten aus verschiedenen Bohrwerken zugewiesen zu haben, ohne die Behauptung des Klägers, er habe im Hinblick auf seine berufliche Erfahrung und seine Einsatzbereitschaft diesem Kollegen immer vollkommen gleichgestanden, substantiiert zu bestreiten. Da zum Tätigkeitsfeld des Klägers vor seiner Freistellung Arbeiten gehört hätten, die über dem Niveau der anderen in der Abteilung beschäftigten Dreher gelegen hätten, sei bei der erforderlichen hypothetischen Betrachtung davon auszugehen, daß der Kläger ohne Ausübung seines Betriebsratsamtes mit der gleichen Art von Arbeiten betraut worden wäre, wie sie seinem Kollegen Werner S zugewiesen seien. Dem Kläger stehe damit das gleiche Arbeitsentgelt wie diesem zu. Hierzu gehöre gemäß § 37 Abs. 4 Satz 2 BetrVG auch die freie widerrufliche Zuwendung von 0,16 DM pro Stunde, da es sich hierbei um eine allgemeine Zuwendung im Sinne des § 37 Abs. 4 Satz 2 BetrVG handele. Es genüge nämlich, daß ein mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbarer Teil der Belegschaft, der auch aus einem einzigen Arbeitnehmer bestehen könne, Zuwendungen allgemeiner Art erhalte. Eine solche allgemeine Zuwendung sei auch die dem Arbeitnehmer Werner S gewährte pauschale Leistungszulage.

TEXT2. Die hiergegen von der Revision erhobenen Rügen rechtfertigen keine andere Beurteilung. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von § 37 Abs. 4 BetrVG als Anspruchsgrundlage ausgegangen. Danach darf das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung (§ 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG); diese Arbeitsentgeltsgarantie erstreckt sich auch auf allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers (§ 37 Abs. 4 Satz 2 BetrVG). Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht auch darin, daß es den Bohrwerksdreher Werner S als einen dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer im Sinne des § 37 Abs. 4 BetrVG und dessen berufliche Entwicklung als betriebsüblich angesehen hat. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Kläger in seiner früheren Tätigkeit als Dreher von seiner tariflichen Eingruppierung und seiner Leistungsbeurteilung her mit den Bohrwerksdrehern Werner S, Ernst Sch und Horst J gleichgestellt war und daß, während die Arbeitnehmer Horst J und Ernst Sch aufgrund einer nicht betriebsüblichen beruflichen Entwicklung aus diesem Kreis ausgeschieden waren, Werner S nach wie vor auf demselben Tätigkeitsfeld tätig ist, das zur Zeit der Freistellung des Klägers auch Gegenstand seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung war. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht insoweit auf die Vergleichbarkeit der Tätigkeit zwischen dem Kläger und Werner S zum Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes abgestellt, da vergleichbar im Sinne des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG solche Arbeitnehmer sind, die im Zeitpunkt der Wahl eine im wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeit wie das freigestellte Betriebsratsmitglied ausgeübt haben (BAG Urteil vom 17. Mai 1977 - 1 AZR 458/74 -, AP Nr. 28 zu § 37 BetrVG 1972; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 54; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 13. Aufl., § 37 Rz 56; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 57; GK-Wiese, BetrVG, § 37 Rz 30; Kammann/Hess/Schlochauer, BetrVG, § 37 Rz 62). Auch hinsichtlich der fachlichen und persönlichen Voraussetzungen hat das Landesarbeitsgericht den Arbeitnehmer Werner S zu Recht als dem Kläger vergleichbar angesehen. Die Beklagte hat zwar vorgetragen, sie habe den Arbeitnehmer Werner S wegen seiner Qualifikation und Persönlichkeit schwierige Arbeiten an verschiedenen Bohrwerken zugewiesen, seine Leistung sei im Hinblick auf Qualität und Quantität nicht mit der des Klägers vergleichbar, sie hat aber den Vortrag des Klägers nicht bestritten, in Ansehung seiner beruflichen und betrieblichen Erfahrung sowie seiner Einsatzbereitschaft stehe er dem Kollegen Werner S vollkommen gleich. Ist ein Betriebsratsmitglied nämlich besonders qualifiziert und in seiner beruflichen Tätigkeit überdurchschnittlich gewesen, so kommt als vergleichbarer Arbeitnehmer nur einer mit ähnlicher Qualifikation und überdurchschnittlicher Leistung in Betracht (Fitting/Auffarth/Kaiser, aa0, Rz 57 m.w.N.). Auch wenn man eine besondere fachliche oder persönliche Qualifikation nur insoweit berücksichtigen will, als dadurch generell das Tätigkeitsfeld der Arbeitnehmer innerhalb der betrieblichen Organisation bestimmt wird (Dietz/Richardi, aa0, Rz 54), ergäbe sich kein anderes Ergebnis, da der Kläger unbestritten vorgetragen hat, ohne seine Freistellung auf dem gleichen Tätigkeitsfeld wie der Arbeitnehmer Werner S tätig geworden zu sein.

Damit ist im Ergebnis das Arbeitsentgelt des Klägers an das seines Kollegen Werner S anzupassen, da § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG eine laufende Anpassung der Bemessungsgrundlage an die vergleichbarer Arbeitnehmer fordert (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, aa0, Rz 57; Galperin/Löwisch, aa0, Rz 59).

3. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der betrieblichen Zulage um eine allgemeine Zuwendung im Sinne des § 37 Abs. 4 Satz 2 BetrVG handelt, wie es das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Ein Anspruch auf Anpassung der Bemessungsgrundlage ergibt sich nämlich bereits aus § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Entscheidend im Sinne dieser Vorschrift ist dabei nicht der effektive Wochen- oder Monatsverdienst, sondern die maßgebende Arbeitsentgelteinheit, d.h. hier der Stundenlohn (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, aa0; Galperin/Löwisch, aa0). Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, es handele sich um eine freiwillige, anrechenbare und jederzeit widerrufliche Zulage, da dieser Einwand nichts daran ändert, daß es sich bei dem an Werner S gezahlten Betrag von 0,16 DM brutto pro Stunde um einen Teil des Arbeitsentgelts handelt, so daß es unerheblich ist, ob darauf ein Anspruch bestand.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, die Zulage wegen der besonderen Leistung Werner S gezahlt zu haben, hat sie es versäumt, den Vortrag des Klägers, er habe seinem Kollegen stets gleichgestanden, der durch die über Jahre hinweg gleiche Bezahlung beider Kollegen gestützt wird, substantiiert zu bestreiten. Die von der Revision gerügte Annahme einer allgemeinen Zuwendung im Sinne des § 37 Abs. 4 Satz 2 BetrVG durch das Berufungsgericht geht insofern ins Leere.

4. Aber auch wenn man die Zulage nicht als Teil des Arbeitsentgelts ansähe, sondern als besondere Leistungszulage, wäre der Anspruch des Klägers zu bejahen, da mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen wäre, daß es sich insoweit um eine allgemeine Zuwendung im Sinne der genannten Vorschrift handelte. Entgegen der Auffassung der Revision setzt "allgemein" im Sinne des § 37 Abs. 4 Satz 2 BetrVG nicht voraus, daß die gesamte Belegschaft die Zuwendung erhält. Vielmehr reicht u.U. ein einzelner vergleichbarer Arbeitnehmer aus. Dies folgt schon daraus, daß Anpassung des Arbeitsentgelts nur an das vergleichbarer Arbeitnehmer verlangt werden kann. Ist aber nur ein vergleichbarer Arbeitnehmer vorhanden, kommt eine Anpassung des Arbeitsentgelts nur an das dieser Vergleichsperson in Betracht (vgl. auch Stege/Weinspach, BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 21, 1. Beispiel).

Im Ergebnis steht dem Kläger damit der von ihm geltend gemachte Zahlungsanspruch zu.

5. Die verfahrensrechtlichen Rügen der Revision hat der Senat nicht für durchgreifend erachtet (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 565 a ZPO). Der Zinsanspruch folgt aus § 291 in Verb. mit § 288 Abs. 1 BGB.

Dr. Auffarth Matthes Dr. Leinemann

Dr. Martin Lehmann

 

Fundstellen

BB 1983, 1853-1853 (LT1)

DB 1983, 2253-2253 (LT1)

AiB 1984, 79-79 (T)

ARST 1983, 180-180 (LT1)

BlStSozArbR 1984, 3-4 (T)

AP § 37 BetrVG 1972 (LT1), Nr 43

AR-Blattei, Betriebsverfassung VIII Entsch 12 (LT1)

AR-Blattei, ES 530.8 Nr 12 (LT1)

EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 79 (LT1)

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