Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Kündigungen; MitbestG SH

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch der Ausspruch einer Änderungskündigung kann eine wichtige Entscheidung im Sinne des § 27 Abs 1 Satz 1 GemO SH sein.

2. Zur formgerechten Ausübung des sog Rückhol- oder Selbsteintrittsrechts der Gemeindevertretung genügt es nach der GemO SH, wenn die Gemeindevertretung den Antrag einer Fraktion, die Angelegenheit von der Tagesordnung wieder abzusetzen und an den Magistrat zurückzugeben, ablehnt, die eigene Zuständigkeit bejaht und anschließend selbst über die Maßnahme entscheidet.

3. Auch wenn der zunächst für die Kündigung zuständige Magistrat für den Fall, daß mit dem Personalrat keine Einigung zustandekommt, die Anrufung der Einigungsstelle angekündigt und die von der Dienststelle zu berufenden Einigungsstellenmitglieder bereits benannt hat, stellt es weder einen Rechtsmißbrauch noch eine Umgehung des dem Personalrat in § 52 Abs 1 MitbestG SH eingeräumten Mitbestimmungsrechts dar, daß die Gemeindevertretung die Entscheidung über die Kündigung an sich zieht und dadurch das Zustimmungserfordernis nach § 83 Abs 1 Satz 1 MitbestG SH entfällt.

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats: "Streitgegenstand bei Änderungskündigungen; Abgestufte Darlegungslast des Arbeitgebers für das Fehlen einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit, die zu geringeren Verdiensteinbußen führt als die angebotene."

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 19.06.1992; Aktenzeichen 6 Sa 556/91)

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 25.09.1991; Aktenzeichen 5b Ca 944/91)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Änderungskündigung.

Die Beklagte beschäftigte den Kläger, einen Diplom-Pädagogen mit abgeschlossenem Hochschulstudium, seit 1. August 1989 als Sozialpädagogen in der Schuldnerberatung und entlohnte ihn nach Vergütungsgruppe IV b BAT. Für diesen Tätigkeitsbereich bestand die Planstelle 81/91. Neben dem Kläger war in der Schuldnerberatung noch eine Bankkauffrau tätig.

In der Sitzung vom 17. Januar 1991 beschloß der Magistrat der Beklagten, der Stadtverordnetenversammlung zu empfehlen, "im Hinblick auf die angespannte Finanzlage der Stadt die Planstellen 81 - Dipl.-Sozialpädagogin/Dipl.-Sozialpädagoge bei der Schuldnerberatung - und ... zu streichen". Über dieses Vorhaben wurde der Personalrat am 21. Januar 1991 unterrichtet. Die Stadt verordnetenversammlung folgte in der Sitzung vom 31. Januar 1991 dieser Empfehlung des Magistrats. Mit Schreiben vom 6. Februar 1991 wies der Magistrat auf die von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene Planstellenstreichung hin und bat den Personalrat um Zustimmung zur fristgerechten betriebsbedingten Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Personalrat teilte dem Magistrat mit Schreiben vom 15. Februar 1991 mit, daß er der geplanten Kündigung nicht zustimme. Am 28. Februar 1991 beschloß der Magistrat, das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betrieblichen Gründen fristgerecht zu kündigen und die Einigungsstelle anzurufen, falls mit dem Personalrat keine Einigung zu erzielen sei. Am 7. März 1991 wurde die Angelegenheit erneut mit dem Personalrat erörtert, der jedoch seine Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung endgültig verweigerte. Am selben Tag beschloß der Magistrat auf Antrag der CDU-Fraktion: "Die Entscheidung über die Kündigung der Mitarbeiter K und ... wird auf die Stadtverordnetenversammlung übertragen. Die Angelegenheit ist auf die Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung am 21. März 1991 zu setzen". Mit Schreiben vom 13. März 1991 wurde der Personalrat davon unterrichtet und ihm "Gelegenheit gegeben, die in § 83 MitbestG SH beschriebenen Rechte des Personalrats in der am 21. März 1991 stattfindenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wahrzunehmen". Auf Antrag des Hauptamtes setzte der Bürgermeister die Angelegenheit auf die Tagesordnung der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 21. März 1991. In dieser Sitzung stellte die SPD-Fraktion den Antrag, den Tagesordnungspunkt wieder abzusetzen. Die Stadtverordnetenversammlung lehnte diesen Antrag ab und beschloß, gegenüber dem Kläger eine fristgerechte betriebsbedingte Kündigung auszusprechen, verbunden mit dem Angebot eines Änderungsvertrages.

Mit Schreiben vom 17. April 1991, dem Kläger zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte durch den Magistrat das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1991 aus betrieblichen Gründen und bot dem Kläger gleichzeitig an, ihn als Angestellten nach VergGr V b BAT mit einem anderen Aufgabengebiet im Sozialamt weiterzubeschäftigen. Der Kläger nahm dieses Angebot mit Schreiben vom 18. April 1991 unter dem Vorbehalt an, daß "die Änderung nicht sozial ungerechtfertigt ist".

Der Innenminister, der am 26. März 1991 als kommunale Aufsichtsbehörde vom Magistrat über die gefaßten Beschlüsse unterrichtet worden war, teilte der Beklagten mit Schreiben vom 21. Mai 1991 seine Rechtsauffassung mit, daß die Stadtverordnetenversammlung mit dem Beschluß vom 21. März 1991 die Entscheidung wirksam an sich gezogen habe. Die im Ergebnis kommunalverfassungsrechtlich zulässige und wirksame Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung über die Kündigung des Arbeitsverhältnisses habe zwangsläufig zur Folge, daß das Mitbestimmungsverfahren der §§ 52 bis 55 MitbestG SH gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 MitbestG SH keine Anwendung finde.

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Wirksamkeit der Änderungskündigung. Er hat die Auffassung vertreten, die Änderungskündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die gemäß § 51 Abs. 1, § 52 Abs. 1 MitbestG SH erforderliche Zustimmung des Personalrats gefehlt habe und diese auch nicht im Einigungsstellenverfahren ersetzt worden sei. § 83 Abs. 1 MitbestG SH stehe der Anwendbarkeit der §§ 52 bis 55 MitbestG SH nicht entgegen; denn für die vorliegende Personalentscheidung sei nicht die Gemeindevertretung, sondern der Magistrat zuständig gewesen. Die Gemeindevertretung habe die dem Magistrat übertragene Zuständigkeit nicht durch einen konkludenten, sondern nur durch einen förmlichen Beschluß wieder an sich ziehen können. Abgesehen davon, daß ein derartiger Beschluß gefehlt habe, sei es rechtsmißbräuchlich, eine alltägliche Angelegenheit plötzlich als wichtig einzustufen und durch eine Zuständigkeitsverlagerung das bereits vorgesehene Einigungsstellenverfahren zu unterlaufen. Außerdem sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Die Streichung der Planstelle sei haushaltspolitisch nicht notwendig gewesen, sondern habe auf einem politisch motivierten Umverteilen beruht.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Änderung der Arbeitsbedin-

gungen durch die Änderungskündigung vom 17. April

1991 sozial ungerechtfertigt ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Stadtverordnetenversammlung habe - wie geschehen - jederzeit die Entscheidung über die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an sich ziehen können, ohne daß es eines förmlichen Beschlusses bedurft hätte. Da die Stadtverordnetenversammlung den Antrag der SPD-Fraktion, die Angelegenheit wieder an den Magistrat zu verweisen, abgelehnt habe, liege auch ein Beschluß über den Selbsteintritt vor. Das Verfahren sei auch nicht rechtsmißbräuchlich betrieben worden. Dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung sei es nicht darum gegangen, das Mitbestimmungsrecht des Personalrats zu umgehen. Die Angelegenheit sei für die Beklagte wichtig gewesen, denn aufgrund der angespannten Haushaltslage sei die Stadtverordnetenversammlung gezwungen gewesen, sofort wirksam werdende Einsparungsmaßnahmen zu beschließen. Die Kündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen gerechtfertigt gewesen. Die Schuldnerberatung sei eine zusätzliche und freiwillige Aufgabe. Sie, die Beklagte, sei wirtschaftlich nicht mehr in der Lage gewesen, diese Aufgabe im bisherigen Umfang wahrzunehmen.

Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage und die auf Weiterbeschäftigung gerichtete Leistungsklage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er lediglich seinen Feststellungsantrag weiterverfolgt hat. Das Landesarbeitsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

A. Der Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits umfaßt nicht nur die Sozialwidrigkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen, sondern sämtliche Unwirksamkeitsgründe. Obwohl der Kläger einen dem § 4 Satz 2 KSchG entsprechenden Klageantrag gestellt hat, kann offenbleiben, ob Streitgegenstand einer Änderungsschutzklage stets die generelle Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen ist (so u.a. KR-Friedrich, 3. Aufl., § 4 KSchG Rz 290; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 2 Rz 22; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 4 Rz 93; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Kündigungsrecht, 3. Aufl., 13. Kap. Rz 6; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 137 III 1, S. 1094; Richardi, ZfA 1971, 73, 103). Wie sich aus der Klagebegründung, die zur Auslegung des Klageantrags heranzuziehen ist, eindeutig ergibt, will der Kläger nicht nur die Sozialwidrigkeit der Änderung seiner Arbeitsbedingungen, sondern auch und sogar vorrangig andere Unwirksamkeitsgründe, nämlich insbesondere die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Personalrats geltend machen.

B. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Änderungskündigung der Beklagten vom 17. April 1991 sei wegen Verstoßes gegen das Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein (MitbestG SH) unwirksam. Sie habe der Zustimmung des Personalrats bedurft, die weder erteilt noch durch die Einigungsstelle ersetzt worden sei. Die §§ 52 ff. MitbestG SH seien im vorliegenden Fall anzuwenden, weil die Änderungskündigung nicht der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung, sondern der Entscheidung des Magistrats unterlegen habe. Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen sei dem Magistrat nicht kraft Gesetzes zugewiesen, sondern durch die Hauptsatzung übertragen worden. Die Stadtverordnetenversammlung hätte zwar in jeder Lage des Verfahrens, auch noch während des Einigungsstellenverfahrens durch Beschluß über den Selbsteintritt die Angelegenheit wieder an sich ziehen können, ohne damit rechtsmißbräuchlich zu handeln oder das MitbestG SH zu umgehen. Ein Selbsteintritt der Stadtverordnetenversammlung setze aber voraus, daß sie hierüber einen förmlichen Beschluß fasse, bevor sie in der Sache selbst entscheide. Eine stillschweigende Beschlußfassung genüge nicht. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein (GO), den in § 39 Abs. 1 und 3 GO enthaltenen Regelungen über die Beschlußfassung der Gemeindevertretung sowie den Erfordernissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Da die Stadtverordnetenversammlung es unterlassen habe, die bereits delegierte Zuständigkeit durch förmlichen Beschluß zurückzuübertragen, habe die Kündigung nach § 83 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 MitbestG SH nicht ohne Zustimmung des Personalrats oder ihrer Ersetzung durch die Einigungsstelle ausgesprochen werden können.

Dieser Würdigung folgt der Senat nicht.

C. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Änderungskündigung der Beklagten vom 17. April 1991 wirksam.

I. Die Stadtverordnetenversammlung war für die Entscheidung über die streitgegenständliche Änderungskündigung zuständig. Der Personalrat ist ordnungsgemäß beteiligt worden. Einer Zustimmung des Personalrats nach § 52 Abs. 1 MitbestG SH bedurfte es nicht. Da die Maßnahme der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung unterlag, sind nach § 83 Abs. 1 Satz 1 MitbestG SH die §§ 52 bis 55 MitbestG SH nicht anwendbar.

1. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 GO trifft die Gemeindevertretung, die im vorliegenden Fall Stadtverordnetenversammlung genannt wird, alle für die Gemeinde wichtigen Entscheidungen. Ob Angelegenheiten wichtig sind, bestimmt die Gemeindevertretung selbst im Rahmen ihrer politischen Willensbildung (vgl. Dehn, Grundlagen des Kommunalverfassungsrechts in Schleswig-Holstein, 2. Aufl., S. 44 Ziff. 11.3.9; Ottens, Gemeinderecht in Schleswig-Holstein, S. 130 Ziff. 9.7). Der weit gefaßte Begriff der Wichtigkeit der Angelegenheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der insbesondere auf die Größe, Leistungsfähigkeit und Finanzkraft der Gemeinde abstellt, aber auch für politische Erwägungen Raum läßt (vgl. Foerster, Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, 3. Aufl., § 27 GO Rz 2; Galette/Laux/Borchert, GO, Stand: Juli 1992, § 27 Abs. 1, Erl. 2 a). § 27 Abs. 1 Satz 1 GO räumt der Gemeindevertretung einen Beurteilungsspielraum ein, den die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten nicht überschritten hat.

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß sie die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers aus haushaltspolitischen Erwägungen als dringlich und besonders bedeutsam angesehen hat. Selbst wenn die Behauptung des Klägers zuträfe und für die Stellenstreichung weniger die angespannte Finanzlage, sondern vor allem politische Motive entscheidend gewesen wären, würde dies im Ergebnis nichts ändern. Die Gemeindevertretung darf es für wichtig erachten, aus politischen Gründen die Schwerpunkte der gemeindlichen Aktivitäten rasch zu verändern.

2. Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers war zwar nach der Hauptsatzung primär der Magistrat zuständig. Da jedoch die Stadtverordnetenversammlung die Angelegenheit ohne Rechtsfehler als wichtig erachtete, durfte sie die Entscheidung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GO an sich zu ziehen. Die Voraussetzungen des sogenannten Rückhol- oder Selbsteintrittsrechts waren erfüllt.

a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Gesetzgeber die Entscheidung über die Kündigung von Arbeitsverhältnissen nicht ausschließlich dem Magistrat vorbehalten hat.

aa) Aus § 60 Abs. 1 Satz 1 GO läßt sich kein derartiger Vorbehalt herleiten. Diese Vorschrift betrifft die Leitung der Verwaltung im technischen Sinne, insbesondere den Ablauf des Geschäftsganges, die Vorbereitung von Entscheidungen der hierfür zuständigen Gemeindeorgane sowie die auf die Ausführung dieser Entscheidungen und der Gesetze abzielenden verwaltungsinternen Tätigkeiten (Galette/Laux, aaO, § 49 Abs. 1, Erl. 1 a). Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen fällt nicht darunter.

bb) Der Magistrat ist nach § 60 Abs. 2 Satz 1 GO oberste Dienstbehörde und nach § 60 Abs. 3 Satz 1 GO Dienstvorgesetzter des Bürgermeisters und der Stadträte. Dienstvorgesetzter der städtischen Beamten, Angestellten und Arbeiter ist der Bürgermeister (§ 55 Abs. 2 Satz 1 GO). Zum Aufgabenbereich der obersten Dienstbehörde gehört nicht der Ausspruch von Kündigungen. Der Dienstvorgesetzte ist nur für Maßnahmen zuständig, die der inneren Ordnung der Gemeindeverwaltung, deren Geschäftsgang und der sachlichen Erledigung der Aufgaben dienen, ohne das Vertragsverhältnis als solches zu berühren (vgl. Galette/Laux, aaO, § 49 Abs. 2 Erl. 1 e).

b) Die Stadtverordnetenversammlung hat ihr sog. Rückhol- oder Selbsteintrittsrecht auch wirksam ausgeübt.

aa) Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GO kann die Gemeindevertretung "die Entscheidung auch im Einzelfall jederzeit an sich ziehen". Die Gemeindeordnung regelt nicht näher, wie dies zu geschehen hat. Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob es zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts erforderlich ist, daß die Gemeindevertretung hierüber einen gesonderten Beschluß faßt, bevor sie die Sachentscheidung trifft. Die Stadtverordnetenversammlung hatte sich vor der Entscheidung über die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Zuständigkeitsfrage auseinandergesetzt und hierzu gesondert Stellung genommen. Auf Antrag der CDU-Fraktion, die sich auf die Bedeutung und Tragweite der Angelegenheit berief, beschloß der Magistrat am 7. März 1991, die Entscheidung über die Kündigung des Klägers der Stadtverordnetenversammlung zu übertragen und auf die Tagesordnung der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 21. März 1991 zu setzen. Zu Beginn der Sitzung vom 21. März 1991 beantragte die SPD-Fraktion, die Angelegenheit von der Tagesordnung abzusetzen und an den Magistrat zurückzugeben, weil die Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung nicht gegeben sei. Den Antrag hat die Stadtverordnetenversammlung mit Mehrheit abgelehnt. Damit hat die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, ihre Zuständigkeit zu bejahen und selbst über die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse der Mit arbeiter zu entscheiden, deren Planstellen gestrichen worden waren.

bb) Bei der Beschlußfassung müssen die Begriffe "Rückholrecht", "Selbsteintrittsrecht" oder "an sich ziehen der Entscheidung" nicht ausdrücklich verwandt werden. Die Beschlüsse der Gemeindevertretung sind auslegungsfähige Willensäußerungen dieses Gemeindeorgans. Ihr Inhalt ergibt sich insbesondere aus dem Antrag, der Gegenstand des Beschlusses ist. Weitergehende Anforderungen, etwa besondere Formerfordernisse, lassen sich der einschlägigen Gemeindeordnung nicht entnehmen.

cc) Die Stadtverordnetenversammlung hat bei ihrer Beschlußfassung nicht gegen § 39 Abs. 1 und 3 GO verstoßen. Der nach § 39 Abs. 3 GO erforderliche Antrag war von der SPD-Fraktion gestellt worden. Die Gemeindevertretung hatte aufgrund dieses Antrags darüber zu beschließen, ob sie überhaupt nicht in der Sache entscheiden und das Rückholrecht nicht ausüben wollte.

dd) Da die Gemeindevertretung unmißverständlich beschlossen hatte, sich für zuständig zu erklären und damit die Entscheidung an sich zu ziehen, ist die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gewahrt. Daran ändert es nichts, daß nach der Hauptsatzung grundsätzlich der Magistrat für Entscheidungen über die Kündigung von Arbeitsverhältnissen zuständig ist. Auch Kündigungen können wichtige Angelegenheiten sein. Die Gemeindevertretung entscheidet nach § 27 Abs. 1 GO darüber, ob dies im Einzelfall zutrifft. Eine unklare Zuständigkeitsverteilung entsteht nicht, wenn die Gemeindevertretung die Entscheidung zweifelsfrei an sich zieht, ohne dabei bestimmte Formulierungen zu gebrauchen.

ee) Der Selbsteintrittsbeschluß der Gemeindevertretung ist nicht deshalb unwirksam, weil dazu die Initiative vom Magistrat ausging. Er hatte am 7. März 1991 folgendes beschlossen:

"Die Entscheidung über die Kündigung des Mitar-

beiters L K und ... wird der Stadtverord-

netenversammlung übertragen. Die Angelegenheit

ist auf die Tagesordnung der Sitzung der Stadt-

verordnetenversammlung am 21. März 1991 zu set-

zen."

Nach § 27 Abs. 1 GO können Entscheidungen nicht vom Magistrat an die Stadtverordnetenversammlung, sondern nur von der Stadtverordnetenversammlung an den Magistrat übertragen werden. Die Stadtverordnetenversammlung entscheidet eigenverantwortlich darüber, ob sie delegierte Entscheidungen an sich zieht. Auf Antrag der SPD-Fraktion hat die Stadtverordnetenversammlung aber ausdrücklich beschlossen, sich mit der Angelegenheit zu befassen und selbst zu entscheiden. Der vorausgegangene Beschluß des Magistrats hatte lediglich die rechtliche Bedeutung einer Anregung; er ist deswegen unschädlich für das weitere autonome Verfahren der Stadtverordnetenversammlung.

3. Nach § 51 Abs. 1, § 52 Abs. 1 MitbestG SH können die Gemeinden alle personellen Maßnahmen nur mit Zustimmung des Personalrats treffen. Diese Vorschrift findet jedoch nach § 83 Abs. 1 Satz 1 MitbestG SH dann keine Anwendung, wenn die Maßnahme, wie im vorliegenden Fall, der Entscheidung der Gemeindevertretung unterliegt. Steht eine derartige Entscheidung bevor, so hat die Dienststellenleitung den Personalrat unverzüglich hiervon zu unterrichten (§ 83 Abs. 1 Satz 2 MitbestG SH). Der Personalrat der Beklagten ist rechtzeitig und ausreichend informiert worden. Dem Personalrat ist auch, wie es § 83 Abs. 1 Satz 3 und 4 MitbestG SH vorschreibt, das Recht eingeräumt worden, vor der Entscheidung über die Kündigung an der maßgeblichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung teilzunehmen und seine Auffassung darzulegen.

4. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es stelle weder einen Rechtsmißbrauch noch eine Umgehung des dem Personalrat in § 52 Abs. 1 MitbestG SH eingeräumten Mitbestimmungsrechts dar, daß die Gemeindevertretung die Entscheidung über die Kündigungen an sich zog und dadurch das Zustimmungserfordernis entfiel.

a) Entgegen der Ansicht des Klägers ist es unerheblich, daß der zunächst zuständige Magistrat für den Fall, daß mit dem Personalrat keine Einigung zustandekomme, die Anrufung der Einigungsstelle angekündigt hatte und die von der Dienststelle zu berufenden Einigungsstellenmitglieder bereits benannt worden waren. § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GO räumt der Gemeindevertretung ausdrücklich das Recht ein, die Entscheidung auch im Einzelfall jederzeit an sich zu ziehen. "Jederzeit" bedeutet ohne zeitliche Begrenzung, also auch in jedem Stadium des Entscheidungsprozesses.

b) Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts muß nicht generell, sondern kann im Einzelfall erfolgen. Es liegt im Ermessen der Gemeindevertretung, ob sie dieses Recht ausübt. Wenn die Stadtverordnetenversammlung in einer ihr wichtig erscheinenden Angelegenheit eine rasche Entscheidung für geboten hält, um der angespannten Finanzlage Rechnung zu tragen oder ein neues politisches Konzept zu verwirklichen, so handelt sie nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie die Entscheidungen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GO an sich zieht. Die Gemeindevertretung ist die Volksvertretung der Gemeinde und ihr demokratisches Repräsentativorgan. Die Stärkung ihrer Rechtsstellung trägt dem demokratischen Prinzip Rechnung, das Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein für die Kommunalverfassung vorschreiben. Die Beteiligung des Personalrats ist im Interesse effektiver kommunaler Selbstverwaltung schwächer ausgeprägt, wenn die in § 83 Abs. 1 Satz 1 MitbestG SH genannten, herausgehobenen Kommunalorgane die Entscheidung treffen. Die personalvertretungsrechtlichen Belange und die Interessen der Belegschaft sind hier durch ein besonders ausgestaltetes Anhörungsverfahren ausreichend geschützt. Sowohl nach zahlreichen anderen Personalvertretungsgesetzen, u.a. nach § 79 BPersVG als auch nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist die Personalvertretung bzw. der Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung ebenfalls lediglich anzuhören.

II. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Änderungskündigung auch sozial gerechtfertigt. Bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung müssen dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG das Änderungsangebot des Arbeitgebers bedingen. Außerdem muß sich der Arbeitgeber darauf beschränken, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muß (BAG Urteil vom 20. März 1986 - 2 AZR 294/85 - AP Nr. 14 zu § 2 KSchG 1969, zu IV 3 a der Gründe; BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 659/86 -, n. v., zu II 2 der Gründe; BAGE 64, 24, 28 = AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969, zu B I 1 b der Gründe). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

1. Die mit der Änderungskündigung bezweckte Änderung von Tätigkeit und Vergütung des Klägers ist nicht sozial ungerechtfertigt, sondern durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt.

a) Grundsätzlich liegen dann dringende betriebliche Erfordernisse für eine Änderungskündigung vor, wenn der Haushaltsplan bestimmte, nach sachlichen Merkmalen bezeichnete Stellen gestrichen und damit zum Ausdruck gebracht hat, daß diese konkreten Stellen entbehrlich sind (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluß des Großen Senats vom 28. November 1956 - GS 3/56 - BAGE 3, 245, 250 f. = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG, zu III 1 der Gründe).

b) Die Beklagte hat die Planstelle Nr. 81/91 gestrichen, weil sie die Schuldnerberatung nicht mehr in der bisherigen Art und in dem bisherigen Umfang wahrnehmen wollte. Die Gerichte haben nicht darüber zu befinden, ob diese unternehmerische Entscheidung sachgerecht und zweckmäßig ist. Sie hält der allerdings erforderlichen Mißbrauchskontrolle stand (vgl. hierzu u. a. BAGE 64, 24, 29 = AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969, zu B I 1 b aa der Gründe, m. w. N.) Das Parteivorbringen enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist. Das gilt insbesondere auch für den Vortrag des Klägers, der insoweit die Darlegungslast trägt.

c) Die Streichung der Planstelle eines Sozialpädagogen in der Schuldnerberatung hätte insbesondere dann im Kündigungsschutzprozeß unbeachtlich sein können, wenn die Beklagte öffentlich-rechtlich zur Beibehaltung dieser Planstelle verpflichtet gewesen wäre. Eine solche Pflicht bestand jedoch nicht. Die Schuldnerberatung gehört zwar zur persönlichen Hilfe nach § 8 Abs. 2 BSHG und kann bei Bedarf Bestandteil aller Hilfen nach Abschnitt 2 und 3 des BSHG sein (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 13. Aufl., § 8 Rz 28 ff.). Nach § 4 Abs. 3 BSHG entscheidet aber der Sozialhilfeträger nach pflichtgemäßem Ermessen über Form und Maß der Sozialhilfe, soweit das Bundessozialhilfegesetz das Ermessen nicht ausschließt. Dem Bundessozialhilfegesetz lassen sich keine Personalvorgaben für die Schuldnerberatung entnehmen. Selbst wenn in bestimmten Fällen der Einsatz von Sozialpädagogen erforderlich ist, muß der Sozialhilfeträger keine eigenen Fachkräfte beschäftigen, sondern kann fremde Fachkräfte hinzuziehen.

2. Die angebotene Änderung des Arbeitsvertrages muß der Kläger schließlich auch billigerweise hinnehmen. Sie dient der Vermeidung einer ansonsten erforderlichen Beendigungskündigung und wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

a) Die bisherige, in die Vergütungsgruppe IV a BAT eingruppierte Tätigkeit des Klägers ist weggefallen. Er wird beim Sozialamt der Beklagten in einem anderen Aufgabengebiet weiterbeschäftigt. Entsprechend der geänderten Funktion enthält er eine geringere Vergütung.

b) Der das Kündigungsschutzrecht beherrschende und auch bei der Änderungskündigung zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist von der Beklagten nicht verletzt worden. Bei mehreren in Betracht zu ziehenden Versetzungsmöglichkeiten muß der Arbeitgeber zwar die Tätigkeit anbieten, die für den Arbeitnehmer mit den geringsten Verdiensteinbußen verbunden ist. Den Arbeitgeber trifft aber für das Fehlen einer anderweitigen, den Arbeitnehmer weniger belastenden Beschäftigung nur eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast (vgl. u. a. BAG Urteil vom 3. Februar 1977 - 2 AZR 476/75 - AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II 2 der Gründe; BAGE 42, 151, 158 f. = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 2 der Gründe; BAGE 47, 26, 42 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969, zu B II 3 d bb der Gründe). Die Beklagte hat behauptet, sie habe den Kläger lediglich auf dem ihm angebotenen, in Vergütungsgruppe V a BAT eingruppierten Arbeitsplatz weiterbeschäftigen können, ein höher eingruppierter Arbeitsplatz habe für den Kläger nicht zur Verfügung gestanden. Dem Kläger oblag es, nachvollziehbar darzulegen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Er hat sich jedoch nur auf eine ausgeschriebene Stelle im Bauamt für Bauaufsicht berufen. Die Beklagte hat insoweit substantiiert darauf hingewiesen, dem Kläger als Diplom-Pädagogen fehle für diese Beschäftigung die fachliche Qualifikation. Dem ist der Kläger nicht konkret entgegengetreten. Seine Änderungsschutzklage ist demnach unbegründet.

Hillebrecht Bitter Kremhelmer

Strümper Baerbaum

 

Fundstellen

Haufe-Index 437781

BetrVG, (4) (LT1-3)

NVwZ-RR 1994, 687

NVwZ-RR 1994, 687-690 (LT)

NZA 1993, 1099

NZA 1993, 1099-1102 (LT1-3)

ZTR 1993, 437-438 (LT1-3)

AP § 52 MitbestG Schleswig-Holstein (LT1-3), Nr 1

EzA § 2 KSchG, Nr 18 (LT1-3)

PersR 1993, 411-413 (LT1-3)

PersV 1995, 510 (L)

ZfPR 1994, 58 (L)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge