Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber, der einen Schwerbehinderten im Sinne von § 1 SchwbG fristlos entlassen will, muß dazu die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle einholen. Er ist grundsätzlich nicht berechtigt, den Schwerbehinderten bis zum Eingang der Zustimmung unbezahlt von der Arbeit freizustellen.

 

Normenkette

SchwbG § 18 Abs. 1, §§ 12, 18 Abs. 2, 4; BGB §§ 242, 615, 626 Abs. 1; ZPO § 521

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.09.1975; Aktenzeichen 5 Sa 97/75)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. September 1975 – 5 Sa 97/75 – wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß der Feststellungsausspruch wie folgt neu gefaßt wird:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte nicht berechtigt war, den Kläger in der Zeit vom 1. September 1975 bis zum 15. Mai 1976 ohne Bezahlung von der Arbeit freizustellen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger, ein Schwerbehinderter im Sinne von § 1 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG), der ursprünglich in W. bei Ravensburg eine Kiesgrube mit eigenen Einrichtungen und Maschinen betrieb, traf im Jahre 1966 mit der Beklagten mehrere Vereinbarungen: Er überließ ihr die Abbaurechte in der Kiesgrube und die gesamten Einrichtungen. Dazu gehörte auch eine Hütte, die der Kläger in der Folgezeit mit Wissen und Zustimmung der Beklagten bewohnte und auf seine Kosten instand hielt. Gleichzeitig verpflichtete sich die Beklagte, den Kläger bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres – am 17. Mai 1976 – als Angestellten zu beschäftigen. Auf dieses Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge für das Baugewerbe Anwendung. Der Kläger wurde von der Beklagten in einer Kiesgrube beschäftigt; er hatte Lieferscheine für den verkauften Kies auszustellen. Nach diesen Lieferscheinen wurden den Kiesabnehmern die Rechnungen ausgestellt.

Im Jahre 1974 entstand zwischen den Parteien Streit um Rechte an der früher zur Kiesgrube gehörenden Hütte. Der Kläger bewohnte nach wie vor diese Hütte, auch als die Beklagte im Jahre 1968 den Kiesabbau in der Grube eingestellt und sämtliche noch verwendbaren und transportablen Einrichtungsgegenstände aus der Kiesgrube entfernt hatte. Im Sommer 1974 wurde die Hütte von zündelnden Buben in Brand gesetzt; sie brannte nebst Inventar ab. Der Kläger meldete unverzüglich der Beklagten diesen Schaden. Ihr Inhaber reagierte mit der Bemerkung, jetzt hörten endlich die häufigen Einbrüche in die Hütte durch Penner und Landstreicher auf. Der Kläger erhob anschließend im eigenen Namen gegen die Brandstifter bzw. deren Eltern Schadenersatzansprüche. Zwei der beteiligten Buben bzw. deren Eltern zahlten ihm je 650,– DM, zusammen also 1.300,– DM. Gegen die Eltern des dritten Kindes ist eine Schadenersatzklage vor dem Amtsgericht Ravensburg anhängig.

Als die Beklagte erfuhr, daß der Kläger im eigenen Namen Schadenersatzansprüche geltend gemacht und die geforderten Gelder in Empfang genommen hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 3. Dezember 1974 fristlos auf. Der Kläger machte im Vorprozeß (3 Ca 894/74 ArbG Ulm) die Unwirksamkeit dieser fristlosen Kündigung geltend. Er erwirkte ein rechtskräftiges Anerkenntnisurteil vom 8. April 1975, wonach festgestellt wurde, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung vom 3. Dezember 1974 nicht beendet worden ist.

Auch nach Ausspruch der fristlosen Kündigung bot der Kläger der Beklagten seine Arbeitsleistung wiederholt an. Die Beklagte lehnte die Annahme dieser Arbeitsleistung ab. Sie zahlte dem Kläger bis einschließlich Februar 1975 die vereinbarte Vergütung. Ab 1. März 1975 stellte sie die Lohnzahlung ein mit der Begründung, eine Weiterbeschäftigung sei ihr wegen der Schwere der Vertragsverletzungen nicht zuzumuten. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Zustimmungsverfahren werde der Kläger ohne Bezahlung von der Arbeit freigestellt (Schreiben vom 21. April 1975).

Die Beklagte hat bisher keine weitere Kündigung ausgesprochen. Sie hat am 2. Februar 1975 beim Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern – Hauptfürsorgestelle – Antrag auf Zustimmung zum Ausspruch einer weiteren Kündigung gestellt. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 4. April 1975 abgelehnt. Der Widerspruch der Beklagten blieb erfolglos. Die gegen die Versagung der Zustimmung zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhobene Klage wurde durch Urteil vom 15. Juli 1976 abgewiesen.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger in der ersten Instanz zunächst Lohn für die Zeit vom 1. März bis 30. Juni 1975 in Höhe von jeweils 1.350,– DM brutto nebst Zinsen geltend gemacht. Außerdem wollte er festgestellt wissen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab 1. Juli 1975 ein Gehalt von monatlich 1.350,– DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, der Kläger habe sich durch sein Verhalten als ungeeignet erwiesen, weiterhin eine Vertrauensstellung in der Kiesgrube einzunehmen. Sie müsse befürchten, daß der Kläger es mit der Wahrnehmung ihrer Vermögensinteressen nicht so genau nehme. Anderweitig könne er wegen seiner Behinderung nicht beschäftigt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Im Wege der Anschlußberufung hat der Kläger seine Zahlungsklage noch erweitert; er hat, gestützt auf eine Tariferhöhung, ab Mai 1975 ein höheres Gehalt (1.439,91 DM) und außerdem noch den Lohn für die Monate Juli und August 1975 verlangt. Den Feststellungsanspruch hat er beschränkt auf die Zeit vom 1. September 1975 bis zum 15. Mai 1976. Das Berufungsgericht hat die Beklagte auch insoweit verurteilt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte Abweisung aller Anträge.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat dem Kläger mit Recht die für die Zeit vom 1. März bis 31. August 1975 eingeklagte Lohnforderung zugesprochen. Der Anspruch ist nach § 615 Satz 1 BGB begründet.

1. Das im Jahre 1966 zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis bestand noch während des fraglichen Zeitraums, für den der Kläger Lohn fordert. Die am 3. Dezember 1974 von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung war unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Das steht nach dem rechtskräftigen Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 8. April 1975 (3 Ca 894/74) fest. Eine weitere Kündigung hat die Beklagte nicht mehr ausgesprochen. Sie hat offensichtlich der gesetzlichen Regelung der §§ 12 und 18 Abs. 1 SchwbG in der Fassung vom 29. April 1974 Rechnung getragen, wonach jede Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bedarf. Eine solche Zustimmung lag bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses im Mai 1976 nicht vor.

2. Die Beklagte ist mit der Annahme der Dienste in Verzug gekommen.

Der Kläger hat der Beklagten die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nach Ausspruch der fristlosen Kündigung wiederholt angeboten. Die Beklagte hat die angebotene Arbeit ohne Grund abgelehnt.

Die Beklagte hat geltend gemacht, sie müsse als Arbeitgeber das Recht haben, einen Schwerbehinderten ohne Bezahlung von der Arbeit freizustellen, wenn ein Tatbestand vorliege, der dem ersten Anschein nach den Ausspruch einer fristlosen Kündigung rechtfertigen könne, und wenn sie am Ausspruch dieser Kündigung nur wegen der noch fehlenden Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gehindert sei. Im konkreten Fall sei ihr außerdem wegen der Gefährdung ihrer Vermögensinteressen eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zumutbar gewesen. Beide Einwände der Beklagten sind unbegründet.

a) Das von der Beklagten in Anspruch genommene Recht, den Kläger ohne Bezahlung bis zum Eingang der beantragten Zustimmung der Hauptfürsorgestelle von der Arbeit freizustellen, besteht nicht. Ein solches Recht würde dem Zweck der Neuregelung des Schwerbehindertenrechts zuwiderlaufen, den Schutz des begünstigten Personenkreises auch bei fristlosen Kündigungen zu verbessern.

Nach früherem Recht war die fristlose Kündigung des Arbeitgebers grundsätzlich zustimmungsfrei; der Arbeitgeber brauchte die Zustimmung nur in den Fällen einzuholen, in denen die Kündigung aus einem Grunde erfolgte, der mit der Gesundheitsschädigung im unmittelbaren Zusammenhang stand, deretwegen der Schutz des Schwerbeschädigtengesetzes gewährt wurde. Nach § 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 SchwbG in der Fassung vom 29. April 1974 muß der Arbeitgeber auch vor Aus sprach einer fristlosen Kündigung die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle einholen. Eine ohne vorherige Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (Wilrodt-Neumann, SchwbG, 4. Aufl., § 12 RdNr. 78 und § 18 RdNr. 2 und 8). Dabei soll die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgen soll, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht (§ 18 Abs. 4 SchwbG); die Entscheidung über den Antrag auf Zustimmung muß innerhalb von zehn Tagen getroffen werden (§ 18 Abs. 3 SchwbG).

Durch diese Neuregelung wird der Kündigungsschutz des Schwerbeschädigten im Fall einer außerordentlichen Kündigung verbessert. Auch wenn an sich wichtige Gründe im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, kann der Arbeitgeber nicht sogleich kündigen. Es ist zunächst eine Verwaltungsbehörde eingeschaltet, der der besondere Schutz der Schwerbehinderten anvertraut ist. Ihr wird die Möglichkeit gegeben, noch auf die Willensbildung des Arbeitgebers – auf seinen Kündigungsentschluß – einzuwirken. Er hat dieser Behörde gegenüber die beabsichtigte Kündigung zu begründen. Die Hauptfürsorgestelle kann in geeigneten Fällen auch vermittelnd versuchen, den Arbeitgeber von der außerordentlichen Kündigung abzuhalten.

Diesen verbesserten Kündigungsschutz kann man nicht dadurch wieder zunichte machen, daß man dem Arbeitgeber das Recht zubilligt, den Schwerbehinderten unbezahlt bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens oder des sich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von der Arbeit freizustellen. Der Arbeitsplatz wird nur geschützt, damit der Schwerbehinderte, wie jeder andere Arbeitnehmer auch, seine Arbeitskraft angemessen verwerten kann.

Der Arbeitgeber wird durch die Neuregelung nicht unzumutbar belastet. Vorausgesetzt, daß überhaupt ein wichtiger Grund vorliegt (das erscheint im vorliegenden Fall sehr zweifelhaft) und ein Zusammenhang mit der Behinderung auszuschließen ist, kann der Arbeitgeber in der Regel innerhalb einer kurzen Frist mit der Zustimmung zur Kündigung rechnen; die Hauptfürsorgestelle wird nur in Ausnahmefällen die Zustimmung verweigern dürfen (Wilrodt-Neumann, a.a.O., § 18 RdNr. 21). Vorausgesetzt wird weiter, daß der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung rechtzeitig gestellt wird, nämlich innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat (§ 18 Abs. 2 SchwbG). Nach dem von den Parteien mitgeteilten Sachverhalt dürfte der Antrag der Beklagten verspätet sein; beide Parteien haben übereinstimmend vorgetragen, daß die Beklagte erst am 2. Februar 1975 einen Antrag auf Zustimmung gestellt hat.

Darauf, warum die Beklagte weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bisher eine Zustimmung erwirken konnte, kommt es hier nicht an. Zu zeigen war allein, daß die gesetzliche Regelung vom Arbeitgeber nichts Unbilliges verlangt. Wenn der Arbeitgeber bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, bei rechtzeitiger Antragstellung und bei Fehlen des Zusammenhangs zwischen Kündigung und Behinderung alsbald mit der Zustimmung rechnen kann, ist es weder erforderlich noch vertretbar, ihm das von der Beklagten in Anspruch genommene Recht einzuräumen. Nach dem mit der Neuregelung verfolgten Zweck geht der Schutz des Schwerbehinderten vor. Alles andere würde darauf hinauslaufen, dem Arbeitgeber zu gestatten, eine fristlose Entlassung in Form einer unbezahlten Freistellung von der Arbeit faktisch zu vollziehen.

b) Auch mit dem weiteren Einwand, ihr sei eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zumutbar gewesen, kann die Beklagte nicht die Abweisung der Klage erreichen.

aa) Für einen Fall, in dem eine Arbeitnehmerin Mutterschutz in Anspruch nehmen konnte, hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, daß der Arbeitgeber trotz eines ordnungsgemäßen Arbeitsangebots mit der Annahme der Dienste nicht in Verzug kommt, wenn der Arbeitnehmer seine Leistung unter solchen Umständen anbietet, daß dem Arbeitgeber nach Treu und Glauben die Annahme der Dienste nicht zumutbar ist. Das könne etwa der Fall sein, wenn berechtigte Interessen des Arbeitgebers so nachhaltig gefährdet wurden, daß eine Weiterbeschäftigung schlechthin nicht mehr tragbar erscheine. Es genüge nicht, daß ein Arbeitnehmer sich so verhalten habe, daß nach allgemeinen arbeitsvertraglichen Regeln eine fristlose Entlassung gerechtfertigt wäre. Vielmehr müsse ein ungewöhnlich schwerer rechtswidriger Verstoß gegen Vertrags- oder Verhaltenspflichten vorliegen (SAG [GS] 3, 66 [75/76] = AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG [zu II 3 der Gründe]).

bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, in dem es um den Arbeitsplatzschutz eines an sich kündbaren Schwerbehinderten geht, ohne weiteres übertragbar sind. Die Beklagte jedenfalls durfte die Leistung des Klägers schon deshalb nicht ablehnen, weil die dem Kläger vorgeworfene Verhaltensweise nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten stand und die Beklagte nicht zu besorgen brauchte, daß der Kläger durch Wiederholung seines beanstandeten Verhaltens ihre Vermögensinteressen gefährdete. Bislang hatte die Beklagte keinen Anlaß, an der Zuverlässigkeit des Klägers bei Ausübung der ihm übertragenen Aufgaben zu zweifeln. Die dem Kläger vorgeworfene Handlungsweise ist durch so viele besondere Merkmale gekennzeichnet, daß vernünftige Zweifel, der Kläger werde es in Zukunft mit den Vermögensinteressen der Beklagten bei Abrechnung der Kiesladungen nicht so genau nehmen, nicht berechtigt sind. Der hier unterstellte unberechtigte Einzug der Schadenersatzforderungen konnte sich kaum wiederholen. Das Berufungsgericht hat mit Recht auch darauf hingewiesen, daß das Verschulden des Klägers gering war, auch wenn der von der Beklagten behauptete Sachverhalt als richtig unterstellt wird. Unstreitig hatte sich die Beklagte lange nicht um die Hütte gekümmert.

Ihr Interesse erwachte erst wieder, als der Kläger einen Teil des entstandenen Schadens beigetrieben hatte. Zudem hatte der Kläger wiederholt auf eigene Kosten Reparaturarbeiten ausführen lassen; er hatte die Bitte mit eigenen Einrichtungsgegenständen ausgestattet. Deshalb konnte er sehr wohl der Meinung sein, die Schädiger müßten ihm einen Teil des entstandenen Schadens ersetzen. Das alles schließt es aus, das Arbeitsangebot des Klägers als gegen Treu und Glauben verstoßend (§ 242 BGB) anzusehen.

3. Die geltend gemachten Zahlungsansprüche sind auch der Höhe nach berechtigt.

a) Das Berufungsgericht durfte nicht nur die erstinstanzliche Verurteilung der Beklagten bestätigen. Der Kläger konnte die Klage in der Berufungsinstanz erweitern. Er hat das im Wege der Anschlußberufung getan. Das ist zulässig (BSG AP Nr. 1 zu § 521 ZPO = BSGE 24, 247 mit weiteren Nachweisen; BGHZ 4, 229 [234]; Thomas-Putzo, ZPO, 8. Aufl., § 521 Anm. 3). Das Berufungsgericht hat die Klageerweiterung als sachdienlich angesehen; es hat in der Sache selbst entschieden.

b) Der Kläger kann ab Mai 1975 die Tariflohnerhöhung für sich in Anspruch nehmen. Die Beklagte hat weder die Lohnerhöhung selbst noch die Anwendbarkeit des Gehaltstarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis bestritten.

II. 1. Dem Antrag auf Pest Stellung einer Zahlungsverpflichtung in bestimmter Höhe für die Zeit vom 1. September 1975 bis 15. Mai 1976 kann der Senat in dieser Form nicht stattgeben. Gegen eine Verurteilung dieser Art, nimmt man sie wörtlich, bestehen erhebliche Bedenken.

Das Berufungsgericht durfte eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten für die Zeit nach Schluß der mündlichen Verhandlung nicht feststellen, da es in diesem Zeitpunkt noch nicht übersehen konnte, ob in der Folgezeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses alle Voraussetzungen für den Anspruch nach § 615 BGB vorliegen würden. Ansprüche aus Annahmeverzug setzen voraus, daß der Arbeitnehmer in der Lage und bereit ist, seine Dienste in der gehörigen Form anzubieten. Leistungsfähigkeit und Leistungswille müssen für alle Zeiträume bestehen, für die der Arbeitnehmer Ansprüche aus Annahmeverzug gegen seinen Arbeitgeber herleitet. Das läßt sich im allgemeinen nur für Zeiträume feststellen, die vor der letzten mündlichen Verhandlung liegen. Eine auf künftige Leistung gerichtete Klage und eine Klage auf Feststellung einer Zahlungsverpflichtung in bestimmter Höhe müßte insoweit als zur Zeit unbegründet abgewiesen werden (Urteil des Senats vom 18. Dezember 1974 – 5 AZR 66/74 – [demnächst] AP Nr. 30 zu § 615 BGB [zu 2 b, bb) der Gründe]).

2. Das Vorbringen des Klägers zeigt, daß es ihm entgegen dem Wortlaut des Antrages nicht darauf ankam, eine Zahlungsverpflichtung dieser Art feststellen zu lassen. Er konnte die zukünftige Entwicklung ebensowenig übersehen wie die Beklagte. Auch er wußte noch nicht, ob er bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses leistungsfähig sein und ob er nicht anzurechnenden Zwischenverdienst erzielen würde. In Wahrheit ging es dem Kläger deshalb der Beklagten erkennbar nur darum, dieser das Recht zu bestreiten, ihn bis zum Eingang der Zustimmung ohne Bezahlung von der Arbeit freizustellen. Dieses Recht hatte die Beklagte im Schreiben vom 21. April 1975 für sich in Anspruch genommen. Dagegen hat sich der Kläger mit seinem Feststellungsantrag gewehrt.

3. In der Sache selbst ist der Antrag auf Feststellung, daß die Beklagte nicht berechtigt war, den Kläger in der Zeit vom 1. September 1975 bis zum 15. Mai 1976 ohne Bezahlung von der Arbeit freizustellen, begründet. Das ergibt sich bereits aus den Ausführungen zum Zahlungsanspruch.

 

Unterschriften

gez.: Dr. Hilger, Siara, Dr. Heither, B. Keller, Liebsch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1420192

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