Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Arbeitgebers. Herausgabe der Lohnsteuerkarte

 

Leitsatz (amtlich)

Macht ein Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber neben der Herausgabe der ausgefüllten Lohnsteuerkarte zugleich für den Fall nicht fristgerechter Ausfüllung und Herausgabe uneingeschränkt eine Entschädigung nach § 61 Abs. 2 ArbGG geltend, sind mit der Entschädigung in der Regel sämtliche Schadensersatzansprüche wegen der Nichtherausgabe (auch wegen entgangener Lohnsteuererstattung) abgegolten.

 

Normenkette

BGB § 611; ArbGG § 61 Abs. 2; EStG § 41b

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 15.09.1994; Aktenzeichen 14 Sa 390/94)

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.10.1993; Aktenzeichen 12 Ca 6373/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 15. September 1994 – 14 Sa 390/94 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz für entgangene Einkommensteuererstattung, weil dieser ihm nicht die ausgefüllten Lohnsteuerkarten von 1990 und 1991 herausgegeben habe.

Der Kläger war vom 1. März 1990 bis 16. August 1991 bei dem Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine vom Kläger ausgesprochene fristlose Kündigung.

In einem Rechtsstreit wegen rückständiger Lohnforderungen (– 12 Ca 338/91 –) verlangte der Kläger u.a. von dem Beklagten die Ausfüllung und Herausgabe der Arbeitspapiere, insbesondere der Lohnsteuerkarte 1990 sowie 1991 und für den Fall der Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte eine Entschädigung von 1.000,00 DM.

Am 17. Januar 1992 erließ das Arbeitsgericht auf Antrag des Klägers folgendes Versäumnisurteil:

“1. …

2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, die Arbeitspapiere des Klägers, bestehend aus Arbeiterrenten-Versicherungskarte, Lohnsteuerkarte und Sozialversicherungsnachweisheft, auszufüllen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, die ausgefüllten Arbeitspapiere an den Kläger unverzüglich herauszugeben.

4. Für den Fall, daß der Beklagte der Verpflichtung zu 2. auf Ausfüllung nicht innerhalb einer Frist von einer Woche ab Zustellung des Urteils nachkommen sollte, wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger als Entschädigung für die Nichtausfüllung der Arbeiterrenten-Versicherungskarte einen Betrag von 1.000,00 DM und für die Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte einen Betrag von 1.000,00 DM zu zahlen.”

Das Versäumnisurteil wurde rechtskräftig.

Der Beklagte füllte die Lohnsteuerkarten nicht aus. Der Kläger vollstreckte deshalb den im Versäumnisurteil ausgeurteilten Betrag in Höhe von 1.000,00 DM wegen Nichtausfüllens der Lohnsteuerkarten. Auch später füllte der Beklagte eine besondere Lohnsteuerbescheinigung (Ersatz-Lohnsteuerkarte) nicht aus.

Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger einen Schaden von 16.439,36 DM geltend. Er hat vorgetragen, in dieser Höhe hätte er vom Finanzamt eine Einkommensteuererstattung erhalten, wenn er die ausgefüllten Lohnsteuerkarten für die Jahre 1990 und 1991 hätte vorlegen können. Der Rechtsstreit – 12 Ca 338/91 – stehe seiner Schadensersatzforderung nicht entgegen. In diesem Rechtsstreit sei es um die Ausfüllung und Herausgabe der Arbeitspapiere gegangen. Er habe seinerzeit keinen Schadensersatz geltend gemacht. Ein Schaden sei zum damaligen Zeitpunkt auch dem Grunde und der Höhe nach nicht absehbar gewesen. Im übrigen werde nunmehr ein Ersatz des Schadens verlangt, der daraus entstanden sei, daß der Beklagte auch die vom Kläger überreichte Ersatzlohnsteuerkarte nicht ausgefüllt und nicht ausgehändigt habe. Es lägen daher verschiedene Streitgegenstände vor. Zumindest sei zu berücksichtigen, daß die Entschädigung von 1.000,00 DM sich lediglich auf die Ausfüllung der Lohnsteuerkarte 1990 bezogen habe.

Der Kläger hat beantragt

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 16.439,36 DM nebst 12 % Zinsen hieraus seit dem 27. Januar 1992 zu zahlen.

Der Beklagte ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht nicht erschienen. Das Arbeitsgericht hat das beantragte Versäumnisurteil nicht erlassen und die Klage als unzulässig abgewiesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ist für den Beklagten und Berufungsbeklagten wiederum niemand erschienen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag auf Erlaß eines echten Versäumnisurteils nicht entsprochen und die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig. Die Revisionsbegründungsfrist ist eingehalten.

Der Kläger hat die am 15. Februar 1995 eingegangene Revision nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von einem Monat (§ 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) begründet. Dem am 13. April 1995 eingegangenen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist konnte nicht entsprochen werden, weil die Begründungsfrist bereits am 15. März 1995 abgelaufen war. Die einmonatige Revisionsbegründungsfrist beginnt mit der Einlegung der Revision (§ 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Dies gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch dann, wenn die Revision bereits vor Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt worden ist (vgl. BAG Urteil vom 17. Februar 1961 – 1 AZR 287/59 – AP Nr. 16 zu § 519 ZPO, für die Berufungsbegründungsfrist).

Der am 13. April 1995 eingegangene Verlängerungsantrag kann allerdings als Neueinlegung der Revision angesehen werden. Der Schriftsatz mit den beiliegenden Urteilsabschriften genügt den an eine Revisionsschrift zu stellenden formalen und inhaltlichen Mindestanforderungen. Da das angefochtene Urteil am 14. März 1995 zugestellt wurde, ist die Revisionsfrist eingehalten. Diese Revision hat der Kläger innerhalb der ihm eingeräumten Fristverlängerung begründet.

II. Die sonach zulässige Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Über den Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarten 1990 und 1991 hat das Arbeitsgericht bereits in dem Verfahren – 12 Ca 338/91 – rechtskräftig entschieden.

1. In dem genannten ersten Rechtsstreit hat der Kläger gemäß § 61 Abs. 2 ArbGG auf Ausfüllung und Herausgabe der Lohnsteuerkarte geklagt und für den Fall nicht fristgemäßer Ausfüllung eine Entschädigung von 1.000,00 DM verlangt. Diesen Anträgen wurde durch rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 17. Januar 1992 entsprochen. Damit ist rechtskräftig über den Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte entschieden. Einer erneuten Klage wegen dieses Schadensersatzanspruchs steht die Rechtskraft des Versäumnisurteils entgegen.

Die in § 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG genannte Entschädigung ist entgegen der Auffassung des Klägers ein allgemeiner Schadensersatzanspruch. Zur Geltendmachung dieses Anspruchs bedarf es der Darlegung, daß dem Arbeitnehmer durch die Nichtvornahme der Handlung ein Schaden entstanden sei (vgl. Germelmann in: Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 61 Rz 30). Wurde die beantragte Entschädigung zugesprochen, ohne daß der Kläger die Entschädigung einschränkend als Teilbetrag einklagte, ist über den gesamten Schadensersatzanspruch entschieden. Dazu gehört auch der Ersatz des Schadens, der wegen entgangener Lohnsteuererstattung zwar berechenbar, wegen der noch laufenden Frist zur Lohnsteuererstattung aber noch nicht endgültig eingetreten war.

2. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die im ersten Prozeß erkannte Entschädigung sich auf die Nichtausfüllung beider Lohnsteuerkarten bezieht. Zwar heißt es im Tenor des Versäumnisurteils mißverständlich “für die Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarte einen Betrag von 1.000,00 DM”. Doch ergibt sich aus der Klagebegründung, daß der Kläger die Ausfüllung der Lohnsteuerkarten für 1990 und 1991 verlangt und für die Nichtausfüllung 1.000,00 DM Entschädigung gefordert hatte.

3. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Streitgegenstände beider Rechtsstreite seien deshalb nicht identisch, weil er nunmehr Schadensersatz wegen der Nichtausfüllung der dem Beklagten übermittelten Ersatzpapiere verlange. Bei der Nichtausfüllung der Original-Lohnsteuerkarte und der Nichtausfüllung der Ersatzlohnsteuerkarte handelt es sich um einen einheitlichen Pflichtenverstoß.

Nach § 41b EStG hat der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder am Ende des Kalenderjahres auf der Lohnsteuerkarte die einbehaltene Lohnsteuer zu bescheinigen. Diese öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, die von den Finanzämtern nach §§ 328 ff. AO erzwungen werden kann, korrespondiert mit einer arbeitsrechtlichen Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer auf Ausfüllung und Herausgabe der ausgefüllten Lohnsteuerkarte. In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, daß öffentlich-rechtliche Bestimmungen zugleich auch verpflichtende Wirkung für die privatrechtlichen Beziehungen der Parteien des Arbeitsverhältnisses haben können. Öffentlich-rechtliche Vorschriften können zugleich Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer sein. Sie gestalten (konkretisieren) die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (BAG Urteil vom 15. Januar 1992 – 5 AZR 15/91 – BAGE 69, 204, 210 = AP Nr. 21 zu § 2 ArbGG 1979, zu 2c der Gründe).

War somit der Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet, die Original-Lohnsteuerkarte auszufüllen, so war er im Falle des Abhandenkommens des Originals ebenso verpflichtet, die Ersatzlohnsteuerkarte auszufüllen. Die Untätigkeit des Beklagten ist als einheitlicher Pflichtenverstoß innerhalb eines einheitlichen historischen Lebensvorgangs zu sehen, der geeignet war, den Kläger dadurch zu schädigen, daß er beim Finanzamt keine Lohnsteuererstattung erhielt. Damit liegt beiden Prozessen derselbe Streitgegenstand zugrunde, nämlich der Schadensersatzanspruch wegen Nichtausfüllung der Lohnsteuerkarten 1990 und 1991.

Auch der Umstand, daß die Weigerung die Ersatzlohnsteuerkarte auszufüllen, erst nach rechtskräftigem Abschluß des ersten Rechtsstreits erfolgte, begründet für den Schadensersatzanspruch keinen neuen Streitgegenstand. Die Rechtskraft des Urteils im ersten Rechtsstreit bildet keine Zäsur mit der Folge, daß die erneute Weigerung des Arbeitgebers die (Ersatz-)Lohnsteuerkarten auszufüllen, ein eigenständiger Pflichtenverstoß wäre. Dies ergibt sich bereits daraus, daß mit der Verurteilung zur Entschädigung der Anspruch des Klägers auf Ausfüllung der Lohnsteuerkarte nach Fristablauf entfiel. Gemäß § 61 Abs. 2 Satz 2 ArbGG kann im Falle der Verurteilung zu einer Entschädigung das Urteil auf Vornahme einer Handlung nicht mehr nach §§ 887, 888 ZPO vollstreckt werden. Der Anspruch auf Vornahme der Handlung wandelt sich nach Fristablauf automatisch in einen Entschädigungsanspruch um (vgl. Germelmann, aaO, Rz 39). Der arbeitsrechtliche Ausfüllungsanspruch kann deshalb auch nicht durch Vorlage einer Ersatzlohnsteuerkarte wieder entstehen. Ebensowenig kann mit der Vorlage der Ersatzlohnsteuerkarte ein neuer Schadensersatzanspruch verlangt werden.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Schömburg, B. Hennecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 885471

NZA 1997, 880

SAE 1998, 187

AP, 0

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