Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Schwangerschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Frage nach der Schwangerschaft vor der Einstellung ist nicht unzulässig, wenn sich nur Frauen um den Arbeitsplatz bewerben.

2. Der Senat neigt dazu, in der Frage nach der Schwangerschaft dann eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts zu sehen, wenn sich männliche und weibliche Arbeitnehmer um denselben Arbeitsplatz bewerben.

 

Normenkette

BGB §§ 123, 133, 142 Abs. 1, § 611a Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 08.02.1985; Aktenzeichen 13 Sa 864/84)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 01.03.1984; Aktenzeichen 2 Ca 666/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob und ggf. wann das zwischen ihnen am 1. September 1982 begründete Arbeitsverhältnis durch Anfechtung des Arbeitsvertrages aufgelöst worden ist.

Der Beklagte betreibt eine Zahnarztpraxis, in der er in der Regel nicht mehr als drei Angestellte als Zahnarzthelferinnen bzw. Sprechstundenhilfen beschäftigt. Als er die Klägerin als Sprechstundenhilfe einstellte, war diese schwanger. Der Klägerin war dies bekannt. Die von dem Beklagten vor der Einstellung gestellte Frage nach dem Bestehen einer Schwangerschaft verneinte sie. Als der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 15. Oktober 1982 kündigte, teilte ihm die Klägerin mit Schreiben vom 28. Oktober 1982 erstmals mit, daß sie schwanger sei. Das Kündigungsschreiben des Beklagten ging der Klägerin am 19. Oktober 1982 zu, das Schreiben der Klägerin vom 28. Oktober 1982 dem Beklagten am 1. November 1982.

Mit Schreiben vom 11. November 1982 wandte sich der Beklagte über seine jetzigen Prozeßbevollmächtigten an das Gewerbeaufsichtsamt und bestätigte diesem, daß seine Kündigung aufgrund der von der Klägerin bekanntgegebenen Schwangerschaft nicht wirksam werden könne, ließ aber mitteilen, er habe vorsorglich das Probearbeitsverhältnis wegen Täuschung anzufechten. Das Gewerbeaufsichtsamt brachte der Klägerin den Inhalt der Eingabe des Beklagten vom 11. November 1982 mit Schreiben vom 29. November 1982 zur Kenntnis. Dieses erreichte die Klägerin am 4. Dezember 1982. Mit Schriftsatz vom 7. Februar 1983, der Klägerin am 17. Februar 1983 zugegangen, hat der Beklagte die Anfechtung wegen Täuschung vorsorglich wiederholt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil vom 25. August 1983 abgewiesen, gegen das die Klägerin Einspruch eingelegt hat.

Die Klägerin hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 25. August 1983 aufzuheben und festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 25. August 1983 aufrechtzuerhalten.

Zur Begründung hat er vorgetragen, das Arbeitsverhältnis sei mit Ablauf des 4. Dezember 1982 beendet worden, da seine im Schreiben vom 11. November 1982 enthaltene Anfechtungserklärung durch Vermittlung des Gewerbeaufsichtsamtes am 4. Dezember 1982 der Klägerin zugegangen sei. Zur Anfechtung sei er unter dem Gesichtspunkt der arglistigen Täuschung berechtigt gewesen, da die Klägerin verpflichtet gewesen sei, seine Frage nach dem Bestehen einer Schwangerschaft wahrheitsgemäß zu beantworten.

Die Klägerin hat erwidert, im Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes vom 29. November 1982 sei keine Anfechtungserklärung enthalten gewesen. Weiterhin vertritt sie die Auffassung, der Beklagte habe kein Recht gehabt, sie nach dem Bestehen einer Schwangerschaft zu befragen. Deshalb müsse es ohne Rechtsfolgen bleiben, daß sie die Frage des Beklagten wahrheitswidrig beantwortet habe.

Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil vom 25. August 1983 „mit der Maßgabe aufrechterhalten, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit dem Zugang der Anfechtungserklärung im Schriftsatz vom 7. Februar 1983 geendet hat”. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen, aber das Urteil des Arbeitsgerichts zur Klarstellung neugefaßt, nämlich das Versäumnisurteil vom 25. August 1983 mit der Maßgabe aufrechterhalten, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem Ablauf des 17. Februar 1983 geendet hat.

Mit seiner Revision begehrt der Beklagte die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts mit der Maßgabe, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem Ablauf des 6. November 1982 geendet hat, hilfsweise, daß das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts mit der Maßgabe aufrechterhalten wird, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 4. Dezember 1982 beendet worden ist. Dagegen verfolgt die Klägerin mit ihrer Revision ihren ursprünglich gestellten Antrag weiter, festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbesteht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen beider Parteien sind nicht begründet.

A.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, in dem Schreiben des Beklagten vom 11. November 1982 an das Gewerbeaufsichtsamt sei keine Anfechtungserklärung enthalten gewesen. Der einschlägige Satz „Namens und im Auftrage meines Mandanten habe ich jedoch vorsorglich das befristet abgeschlossene Probearbeitsverhältnis wegen Täuschung anzufechten …” sei nur eine Ankündigung der Absicht, demnächst eine Anfechtungserklärung gegenüber der Klägerin abzugeben. Im übrigen sei die Anfechtungserklärung der Klägerin nicht in Gestalt des Schreibens des Gewerbeaufsichtsamtes vom 29. November 1982 zugegangen. Der Beklagte habe nicht damit rechnen können, daß das Gewerbeaufsichtsamt der Klägerin seine Anfechtungserklärung zur Kenntnis geben werde. Die Weiterleitung der Anfechtungserklärung beruhe mehr oder weniger auf einem Zufall, es scheide deshalb eine „zielgerichtete” Willenserklärung aus, die die Klägerin auf dem Umweg über das Gewerbeaufsichtsamt habe erreichen sollen. Die im Schriftsatz des Beklagten vom 7. Februar 1983 enthaltene Anfechtungserklärung sei der Klägerin am 17. Februar 1983 zugegangen. Damit sei die Frist des § 124 Abs. 1 BGB gewahrt. Die Anfechtung sei auch wirksam gewesen, da der Beklagte durch arglistige Täuschung zum Abschluß des Arbeitsvertrages mit der Klägerin bewogen worden sei. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, die Frage des Beklagten nach dem Vorliegen einer Schwangerschaft wahrheitsgemäß zu beantworten. An der bisherigen Rechtslage habe sich durch das Inkrafttreten des § 611 a Abs. 1 BGB wenigstens in den Fällen nichts geändert, in denen – wie im vorliegenden Falle – für die Besetzung des Arbeitsplatzes ausschließlich weibliche Arbeitnehmer in Betracht kämen. § 611 a BGB untersage nur eine Benachteiligung wegen des Geschlechts. Vorliegend habe der Beklagte aber unstreitig nur eine A r b e i t n e h m e r i n gesucht, die den Arbeitsplatz einer anderen – aus Schwangerschaftsgründen ausfallenden – Arbeitnehmerin einnehmen sollte. Die Frage nach der Schwangerschaft habe also allein der Auswahl innerhalb eines Kreises weiblicher Arbeitnehmer dienen sollen, nicht aber der Diskriminierung gegenüber männlichen Arbeitnehmern.

B.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, der Beklagte habe ein Recht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gehabt.

I.

Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat durch Urteil vom 22. September 1961 (BAG 11, 270 = AP Nr. 15 zu § 123 BGB mit Anm. Larenz = JZ 1962, 224 mit Anm. Neumann-Duesberg) entschieden, daß der Arbeitgeber bei den Einstellungsverhandlungen mit einer Arbeitnehmerin grundsätzlich berechtigt ist, nach dem Bestehen einer Schwangerschaft zu fragen, und zwar ohne Rücksicht darauf, welchen Arbeitsplatz die Bewerberin einnehmen soll. Dies ergibt sich nach Auffassung des Ersten Senats daraus, daß während der Einstellungsverhandlungen beide Teile in ihren Entschlüssen frei sind und aus der beiderseitigen Lage vor Vertragsabschluß. Die Mutterschaft einer Arbeitnehmerin bürdet dem Arbeitgeber nicht nur erhebliche finanzielle Lasten auf, sondern erschwert auch in beträchtlichem Umfang durch Beschäftigungsverbote und Schutzzeiten u.a. den betrieblichen Arbeitsablauf. Sie muß sich zwangsläufig in naher Zukunft auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Der Arbeitgeber hat ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse daran, bereits im Laufe der Einstellungsverhandlungen zu erfahren, ob die Bewerberin um den offenen Arbeitsplatz in anderen Umständen ist, damit er sich nicht unerwartet den Geboten des Mutterschutzrechts gegenübersieht. Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des Ersten Senats auch in § 1 MuSchG ausdrücklich anerkannt, daß nur die in einem Arbeitsverhältnis stehenden Frauen geschützt werden. Das Mutterschutzgesetz hat den Sinn, der werdenden Mutter den bereits erworbenen Arbeitsplatz und ihre wirtschaftliche Versorgung aus dem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis zu gewährleisten, nicht dagegen den, die Eingehung eines Arbeitsvertrages selbst, d.h. den Erwerb des Arbeitsplatzes unter allen Umständen zu sichern (vgl. BAG 3, 309, 312 = AP Nr. 2 zu § 4 MuSchG mit zust. Anm. von Bulla). Der Erste Senat hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Frage nach der Schwangerschaft einen unzulässigen Einbruch in die Individual- oder Intimsphäre der Stellenbewerberin bedeute. Dies hat er mit der Begründung verneint, nach der ausdrücklichen Regelung in § 5 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 MuSchG seien werdende Mütter, die bereits im Arbeitsverhältnis stehen, ohnehin gehalten, dem Arbeitgeber ihren Zustand mitzuteilen. Wenn aber nach Abschluß des Arbeitsvertrages über die Frage der Schwangerschaft zwischen den Parteien gesprochen werden müsse, dann sei kein einleuchtender Grund dafür zu finden, daß dasselbe Thema vor Vertragsbeginn vom Arbeitgeber nicht berührt werden dürfe. Sei die Frage nach der Schwangerschaft aber zulässig, dann sei die Bewerberin auch zur wahrheitsgemäßen Antwort verpflichtet. Verneine sie der Wahrheit zuwider die Frage nach der Schwangerschaft, dann sei die darin liegende Täuschung des Arbeitgebers arglistig im Sinne des § 123 BGB, sofern sie vorsätzlich geschehe, um durch diese bewußt unwahre Erklärung den Arbeitsplatz zu erhalten.

Diesem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist die Literatur im Laufe der Zeit immer mehr gefolgt (Gröninger/Thomas, MuSchG, § 9 Anm. 7 b, bb; Meisel/Hiersemann, MuSchG, 2. Aufl., § 9 Rz 29 bis 31, 37; Hunold, DB Beilage Nr. 5/84, S. 13; Zmarzlik/Zipperer, MuSchG, 4. Aufl., § 5 Anm. 11; Neumann-Duesberg, JZ 1962, 204; Beitzke, Anm. zu AP Nr. 24 zu § 9 MuSchG; Larenz, Anm. zu AP Nr. 15 zu § 123 BGB; Marienhagen, BB 1964, 348; KR-Becker, 2. Aufl., § 9 MuSchG Rz 138; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 94 Rz 4; GK-Kraft, BetrVG, § 94 Rz 16; Galperin/Löwisch, BetrVG, 5. Aufl., § 94 Rz 8, alle m.w.N.; einschränkend: Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 94 Rz 11).

II.

Der Auffassung des Ersten Senates und der im Schrifttum überwiegenden Meinung schließt sich der erkennende Senat für den vorliegenden Sachverhalt an.

1. Das Senatsurteil vom 7. Juni 1984 (- 2 AZR 270/83 - EzA § 123 BGB Nr. 24 mit Anm. von Peterek), in dem der Senat entschieden hat, die unrichtige Beantwortung der Frage des Arbeitgebers nach einer K ö r p e r b e h i n d e r u n g durch einen Stellenbewerber könne nur dann eine Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB rechtfertigen, wenn die verschwiegene Körperbehinderung erfahrungsgemäß die Eignung des Arbeitnehmers für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigt, steht nicht in Widerspruch zum Urteil vom 22. September 1961. Nach beiden Entscheidungen wird dem Arbeitgeber vielmehr ein Fragerecht nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat (ebenso Neumann, DB 1961, 1291 f.; Hofmann, ZfA 1975, 1 f., 27; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 26 III 2, S. 96). Ein schutzwertes Interesse an der Kenntnis einer Körperbehinderung hat der Arbeitgeber jedoch nur, wenn diese geeignet ist, die für den Stellenbewerber vorgesehene Tätigkeit zu beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang hat der Senat noch einmal darauf hingewiesen, die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft werde uneingeschränkt für zulässig erachtet (Senatsurteil vom 7. Juni 1984, zu II 6 der Gründe m.w. N.). Dieses uneingeschränkte Fragerecht ist mit den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen begründet worden, die für den Arbeitgeber durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen. Angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und der betrieblichen Auswirkungen der Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer dürfe der Arbeitgeber daher uneingeschränkt nach der Schwerbehinderteneigenschaft fragen. Das hat der Senat inzwischen in seinem Urteil vom 1. August 1985 (- 2 AZR 101/83 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse vorgesehen) bestätigt.

2. Allerdings hat sich seit der Verkündung des Urteils vom 22. September 1961 (BAG 11, 270) die Rechtslage durch die Einfügung des § 611 a in das BGB verändert (vgl. Urteil des ArbG Frankfurt vom 5. August 1982 - 5 Ca 534/81 - KJ 1982, S. 419 f.; Bellgardt, BB 1983, 2187 f.; ders., Rechtsprobleme des Bewerbergesprächs, 1984, 21 ff.; Soergel/Kraft, BGB, 11. Aufl., Nachträge 5. Lieferung Oktober 1984, § 611 a Rz 13 ff.; MünchKomm-Söllner, BGB, Ergänzungsband 2. Lieferung, 1981, § 611 a Rz 1 ff.).

Nach § 611 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme, insbesondere bei der B e g r ü n d u n g des Arbeitsverhältnisses, nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist jedoch zulässig, soweit eine Vereinbarung oder eine Maßnahme die Art der vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit zum Gegenstand hat und ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für diese Tätigkeit ist. Wenn im Streitfall der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, daß nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe seine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die auszuübende Tätigkeit ist.

a) Mit der Vorschrift des § 611 a BGB hat das deutsche Arbeitsrecht an die „Richtlinie Nr. 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen” (ABl.EG Nr. L 39/40) angepaßt werden sollen. Diese Richtlinie hat nach Art. 1 zum Ziel, in den Mitgliedsstaaten den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen u.a. hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung zu verwirklichen. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgen darf. Dementsprechend wird im Bericht des zuständigen Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucks. 8/4259, S. 8) ausgeführt, mit dem Gesetzentwurf solle die Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz durchgesetzt werden und darauf hingewiesen, auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG hätten nicht alle geschlechtsspezifischen Diskriminierungen verhindert werden können, weil nach der Rechtsprechung der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht für die Begründung und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gelte. Um die sich aus der Richtlinie Nr. 76/207/EWG ergebende Verpflichtung zu erfüllen und den Frauen einen uneingeschränkten Anspruch auf Gleichbehandlung am Arbeitsplatz zu verhelfen, enthalte der (Gesetz gewordene) Regierungsentwurf ein umfassendes Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts, der das gesamte Arbeitsverhältnis umfasse.

b) Welche Umstände eine Benachteiligung ausmachen, ist dem Gesetz und den Materialien nicht mit der wünschenswerten Klarheit zu entnehmen. Das Benachteiligungsverbot des § 611 a Abs. 1 Satz 1 BGB umfaßt unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen wegen des Geschlechts. Nur weil die deutsche Rechtspraxis nicht zwischen unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligungen unterscheidet, ist das Verbot der mittelbaren Diskriminierung – anders als in der EG-Richtlinie – nicht ausdrücklich hervorgehoben worden (vgl. Begründung zum Reg.-Entwurf, BT-Drucks. 8/3317, S. 8; vgl. auch MünchKomm-Söllner, aaO, Rz 4 zu § 611 a). Eine mittelbare Benachteiligung liegt nach der Begründung zum Regierungsentwurf vor, wenn der Arbeitgeber formal gleiche Bedingungen für männliche und weibliche Arbeitnehmer aufstellt, die aber deshalb für ein Geschlecht benachteiligend wirken, weil sie so beschaffen sind, daß Arbeitnehmer eines bestimmten Geschlechts sie wegen geschlechtsspezifischer Eigenheiten nicht erfüllen können (Begründung zum Reg.-Entwurf, aaO, S. 11; Soergel/Kraft, aaO, § 611 a Rz 17; ähnlich Pfarr, BlStSozArbR 1980, 17, 19 und wohl auch MünchKomm-Söllner, aaO, § 611 a Rz 4). Als Beispiele für eine solche mittelbare Benachteiligung wird u.a. genannt, daß die Einstellung von einer Mindestlänge oder einem Mindestgewicht abhängig gemacht wird, die Frauen kaum, Männer aber in der Regel erreichen, oder daß Altershöchstgrenzen für die Einstellung festgelegt werden, die von Frauen wegen des zeitweiligen Ausscheidens aus dem Beruf zum Zwecke der Kinderbetreuung häufiger überschritten werden (Pfarr, aaO, S. 19).

c) Die Frage nach der Schwangerschaft bei der Einstellung richtet sich von vornherein nur an weibliche Bewerber. Mit der Frage will der Arbeitgeber die Einstellung einer schwangeren Arbeitnehmerin verhindern, anderenfalls würde er die Frage nicht stellen. Die schwangere Arbeitnehmerin wird und soll also gegenüber anderen Bewerbern/Bewerberinnen benachteiligt werden.

3. Die Frage kann nur sein, ob es sich stets um eine Benachteiligung wegen des Geschlechts handelt. Dies ist mit dem Landesarbeitsgericht zu verneinen. Ob die Frage nach der Schwangerschaft § 611 a BGB verletzt, kann nicht abstrakt beantwortet werden, weil zum einen es sich bei § 611 a BGB nicht um eine Erweiterung des Mutterschutzrechts handelt. So läßt Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207/EWG die Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft unberührt und stellt nur klar, daß die Richtlinie diesen Vorschriften nicht entgegensteht. Zum anderen ist nach § 611 a BGB Gegenstand des Vergleichs bei der Frage der Benachteiligung immer ein Arbeitnehmer des anderen Geschlechts in gleicher Situation (Soergel/Kraft, aaO,§ 611 a Rz 16; Knigge, BB 1980, 1272). Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 611 a BGB, der nur eine Benachteiligung eines Bewerbers/einer Bewerberin wegen des Geschlechts ausschließen will. Für den Fall, daß sich männliche und weibliche Bewerber gegenüberstehen, neigt der Senat zu der Auffassung, daß die Frage nach der Schwangerschaft eine geschlechtsspezifische Benachteiligung der weiblichen Bewerber bedeutet, weil nur sie schwanger werden können und der Arbeitgeber mit der Frage nach der Schwangerschaft gerade ausschließen will, daß er einen Arbeitsvertrag mit einer Schwangeren abschließt (so auch Knigge, aaO, S. 1273; weitergehend ArbG Frankfurt,aaO und wohl auch Bellgardt, aaO, der sich aber nicht mit der Frage auseinandersetzt, wie die Rechtslage ist, wenn sich nur weibliche Arbeitnehmer gegenüberstehen). Bewerben sich aber – wie vorliegend – nur weibliche Arbeitnehmer um einen freien Arbeitsplatz, bedeutet die Frage nach der Schwangerschaft gegenüber den anderen Bewerberinnen keine geschlechtsspezifische Benachteiligung, weil sich die Frage an alle Bewerberinnen richtet und auch jede von ihnen schwanger sein kann. Dementsprechend war die Frage nach der Schwangerschaft zulässig, und die Klägerin hat diese Frage auch wahrheitsgemäß zu beantworten. Die wahrheitswidrige Verneinung der Frage war eine arglistige Täuschung, die zur Anfechtung berechtigte. Dementsprechend war die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zurückzuweisen.

C.

Auch die Revision des Beklagten ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat das Schreiben des Beklagten an das Gewerbeaufsichtsamt vom 11. November 1982 dahin ausgelegt, daß es nur die Mitteilung der Ankündigung einer Anfechtungserklärung enthalte. Wenn es darum geht festzustellen, ob eine Äußerung überhaupt als Willenserklärung gemeint war, ist die Auslegungsregel des § 133 BGB zu beachten (BAG Urteil vom 2. März 1973 - 3 AZR 325/72 - AP Nr. 36 zu § 133 BGB). Die Auslegung kann aber vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob alle wesentlichen Begleitumstände berücksichtigt sind und die Auslegung nicht gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstößt (BAG Urteil vom 17. April 1970 - 1 AZR 302/69 - AP Nr. 32 zu § 133 BGB). Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts läßt einen Verstoß gegen die Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht erkennen. Der Beklagte hat auch nicht dargetan, daß wesentliches Auslegungsmaterial nicht berücksichtigt worden sei. Im übrigen ist dies auch nicht zu erkennen. War die Auslegung des Berufungsgerichts also möglich, ist sie revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dementsprechend ist die Anfechtung erst durch den Schriftsatz des Beklagten vom 7. Februar 1983 erklärt worden, der der Klägerin am 17. Februar 1983 zugegangen ist.

II.

Die Anfechtung hat das Arbeitsverhältnis auch nicht rückwirkend zum 6. November oder 4. Dezember 1982 beendet.

Nach § 142 Abs. 1 BGB ist zwar ein anfechtbares Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen, wenn es angefochten wird. Im arbeitsrechtlichen Schrifttum und in der Rechtsprechung besteht auch Einigkeit darüber, daß die Regelung des § 142 Abs. 1 BGB grundsätzlich auch für den Arbeitsvertrag gilt. Im Hinblick auf den Charakter des Arbeitsverhältnisses als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis und wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung hat sich aber – ebenso wie bei anderen Dauerschuldverhältnissen – in der Rechtsprechung und in der Literatur die Meinung durchgesetzt, daß ein bereits in Vollzug gesetzter Arbeitsvertrag nicht mehr mit rückwirkender Kraft angefochten werden kann. § 142 Abs. 1 BGB finde, so wird argumentiert, auf das bereits begonnene Arbeitsverhältnis als Dauerrechtsverhältnis keine Anwendung. Anstelle der rückwirkenden Nichtigkeit wird der Anfechtung nur die kündigungsähnliche Wirkung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft zugeschrieben (vgl. BAG 5, 159; 11, 270; 22, 344; BAG Urteil vom 18. April 1968 - 2 AZR 145/67 - AP Nr. 32 zu § 63 HGB und BAG Urteil vom 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - EzA § 123 BGB Nr. 22; vgl. auch Picker, Die Anfechtung von Arbeitsverträgen, ZfA 1981, 1 f.; Ramm, Die Anfechtung des Arbeitsvertrages, 1955 und Söllner, Arbeitsrecht, 7. Aufl., § 28 II 2 S. 203).

Der erkennende Senat hat allerdings im Urteil vom 16. September 1982 (aaO), worauf die Revision des Beklagten zu Recht hinweist, entschieden, daß die Anfechtung mit ex-nunc-Wirkung eine Ausnahme von dem vom Gesetzgeber in § 142 BGB aufgestellten Grundsatz darstellt und sich eine Abweichung hiervon demnach nur dann und nur insoweit auch dogmatisch rechtfertigen läßt, als diese durch sachliche Gründe geboten erscheint. Sind solche Gründe nicht vorhanden, entstehen insbesondere keine Rückabwicklungsschwierigkeiten, ist es nach Auffassung des Senats auch nicht gerechtfertigt, abweichend von § 142 Abs. 1 BGB der Anfechtung nur Wirkung für die Zukunft beizumessen. Das ist dann der Fall, wenn der Arbeitsvertrag noch nicht in Funktion gesetzt, d.h. das Arbeitsverhältnis noch nicht aktualisiert ist. Das Festhalten an der ex-nunc-Wirkung würde in einem solchen Falle nur dem Täuschenden zu einem unbilligen und durch nichts zu rechtfertigenden Vorteil verhelfen. Gleiches gilt, wenn das Arbeitsverhältnis zwar zunächst aktualisiert worden ist, zu einem späteren Zeitpunkt, aus welchen Gründen auch immer, aber wieder außer Funktion gesetzt wird und der Arbeitnehmer von da ab keine Arbeitsleistungen mehr erbringt. Dieser Entscheidung hat sich der Siebte Senat im Urteil vom 29. August 1984 (- 7 AZR 34/83 - EzA § 123 BGB Nr. 25) im Ergebnis angeschlossen.

Die Auffassung des Senats, die Anfechtung wirke zurück, wenn das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich wieder außer Funktion gesetzt worden sei, verhilft der Revision aber nicht zum Erfolg: Der Senat hat, was die Revision nicht verkennt, im Urteil vom 16. September 1982 (aaO) auch ausgesprochen, daß eine Außerfunktionssetzung des Arbeitsverhältnisses noch nicht vorliege, wenn die Arbeitsleistung unterbleibe, weil der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt sei. Die auf Erkrankung zurückzuführende und in der Regel nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers setze das Arbeitsverhältnis nicht „außer Funktion”, wie letztlich schon aus der gesetzlichen Regelung über die Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle (§ 616 BGB; § 1 LohnFG; § 63 HGB; § 133 a GewO) folge. Auch vorliegend ist die Klägerin im Anschluß an die unwirksame Kündigung des Beklagten unstreitig arbeitsunfähig krank gewesen und hat deshalb ihre Arbeitsleistung nicht erbracht. Aus diesem Grunde kann auch vorliegend von einer Außerfunktionssetzung des Arbeitsverhältnisses zunächst nicht gesprochen werden. Der Beklagte behauptet erstmals in der Revisionsbegründung, die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin habe nur bis zum 6. November 1982 gedauert und anschließend sei sie unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben. Ein solcher neuer Tatsachenvortrag findet im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung (§ 561 Abs. 1 ZPO). Vorliegend stehen die neuen Behauptungen des Beklagten in der Revisionsbegründung außerdem in Widerspruch zu seinem eigenen Vortrag in dem Berufungsverfahren, in dem er ausgeführt hat, die Klägerin sei bis zum 4. Dezember 1982 arbeitsunfähig krank gewesen und habe Lohnfortzahlung erhalten und zu der Bestätigung der DAK, daß sie bis zum 28. November 1982 Krankengeld gezahlt habe. Dem neuen Vortrag widersprechen auch die Ausführungen der Klägerin vor dem Arbeitsgericht, sie sei bis zum Beginn des Mutterschaftsurlaubs arbeitsunfähig krank gewesen. Ergibt sich aber aus dem Vortrag beider Parteien in den Tatsacheninstanzen nicht, daß das Arbeitsverhältnis vor dem Zugang der Anfechtungserklärung außer Vollzug gesetzt worden ist, kann die Anfechtung auch nicht zurückwirken. Dementsprechend war auch die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

D.

Hatten beide Revisionen keinen Erfolg, so haben beide Parteien die Kosten ihrer Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Weller, Mayr, Dr. Harder

 

Fundstellen

Haufe-Index 60121

BAGE 51, 167-178 (LT)

BAGE, 167

BB 1986, 1852-1853 (LT1-2)

DB 1986, 2287-2288 (LT1-2)

NJW 1987, 397

NJW 1987, 397-398 (LT1-2)

AiB 1987, 188-190 (LT1-2)

BetrR 1986, 610-614 (LT1-2)

Stbg 1986, 171-171 (T)

ARST 1987, 9-10 (LT1-2)

NZA 1986, 739-740 (LT1-2)

RdA 1986, 334

RzK, I 9h Nr 6 (LT1-2)

WzS 1992, 762 (L)

AP, (LT1-2)

AR-Blattei, ES 1220 Nr 81 (LT1-2)

AR-Blattei, Mutterschutz Entsch 81 (LT1-2)

Arbeitgeber 1987, 902-902 (LT1-2)

ArbuR 1986, 120-120 (T)

ArbuR 1987, 117-118 (LT1-2)

EzA, (LT1-2)

EzBAT, Anfechtung Nr 9 (LT1-2)

JZ 1987, 311

JZ 1987, 311-314 (LT1-2)

JuS 1987, 156-156 (LT1-2)

MDR 1987, 82-82 (LT1-2)

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