Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsbereitschaft durch genaue Zeitvorgabe

 

Leitsatz (redaktionell)

Arbeitsbereitschaft im Sinne des § 67 Nr 10 Satz 1 BMT-G 2 liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, ohne dessen Aufenthaltsstelle konkret zu bestimmen, dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränkt, daß er die Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit genau vorgibt.

 

Normenkette

BMT-G § 16; BMT-G 2 § 16; BMT-G § 67 Nr. 32; BMT-G 2 § 67 Nr. 32; BMT-G § 67 Nr. 10 S. 1; BMT-G 2 § 67 Nr. 10 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.09.1989; Aktenzeichen 4 Sa 892/89)

ArbG Nienburg (Entscheidung vom 11.05.1989; Aktenzeichen 2 Ca 267/87)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte Rufbereitschaft oder Arbeitsbereitschaft angeordnet hatte.

Der Kläger ist bei dem beklagten Landkreis als Krankenwagenfahrer im Rettungsdienst tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) Anwendung.

Einsatzort des Klägers ist das Kreiskrankenhaus in S , das von seiner Wohnung ca. 2,5 km entfernt liegt. Von dort kann er das Krankenhaus innerhalb von 10 Minuten erreichen, wenn er die erforderliche Dienstkleidung trägt. Wenn er sich erst ankleiden muß, benötigt er 12 bis 15 Minuten zur Einsatzstelle.

Neben seiner regelmäßigen Arbeitszeit leistet der Kläger Arbeitsbereitschaft in den Räumen des Krankenhauses. Bei Rufbereitschaft hält sich der Kläger regelmäßig in seiner Wohnung auf.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 1986 wurde folgende Anordnung getroffen:

Betr.: Rettungsdienst/Krankentransport;

hier: Zeitvorgabe im Rahmen des Rufbereit-

schaftsdienstes

Sehr geehrte Herren]

Aufgrund bestehender Unsicherheiten über die ar-

beitgeberseitigen Vorstellungen hinsichtlich to-

lerierbarer Anfahrtszeiten während der Rufbereit-

schaft, hat der Vorstand des Rettungsdienst/Kran-

kentransportes anläßlich seiner Sitzung am 3.12.

1986 folgenden Beschluß befaßt:

Im Rahmen des Rufbereitschaftsdienstes kann der

jeweilige Aufenthaltsort vom Arbeitnehmer frei

bestimmt werden. Dabei ist jedoch von ihm sicher-

zustellen, daß er jederzeit von der Funkleitstel-

le oder der Rettungswache über Telefon oder

Alarmempfänger (je nach rettungswachenspezifi-

scher Gepflogenheit) erreichbar ist und innerhalb

von 10 Minuten seinen Dienst in der Rettungswache

aufnehmen kann. Diese Erreichbarkeits- und Zeit-

vorgabe ist strikt einzuhalten.

Der Kläger sieht in dieser Zeitvorgabe eine so starke Einschränkung der eigenen freien Bestimmung seines Aufenthaltsortes, daß diese Zeiten nicht mehr als Rufbereitschaft, sondern wie Arbeitsbereitschaft zu bewerten und zu vergüten seien.

Deshalb begehrt der Kläger für den Zeitraum vom 23. Dezember 1986 bis 22. Februar 1987 den Differenzbetrag von 4,74 DM brutto pro Stunde für 250 als Rufbereitschaft vergütete Stunden zur Vergütung als Arbeitsbereitschaft.

Der Kläger hat beantragt,

den beklagten Landkreis zu verurteilen,

1.185,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich

daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 6. April

1987 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß Rufbereitschaft vorliege. Die getroffene Aufenthaltsregelung schränke den Kläger nicht in seiner freien Wahl des Aufenthaltsortes ein. Die Festlegung der Zeitgrenze von 10 Minuten sei erfolgt, damit der Aufenthaltsort so gewählt werde, daß der Arbeitsort innerhalb einer angemessenen Zeit zu erreichen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte habe keine Rufbereitschaft, sondern Arbeitsbereitschaft angeordnet. Der Aufenthaltsort des Klägers sei durch die strikte Zeitvorgabe von 10 Minuten bestimmt worden. Der Kläger habe sich in Dienstkleidung in seiner Wohnung aufhalten müssen, um innerhalb von 10 Minuten seine Arbeitsstelle zu erreichen. Durch diese zeitliche Aufenthaltsbeschränkung werde der Kläger so in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beeinträchtigt, daß ein Fall von Arbeitsbereitschaft vorliege.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

II. Der Zahlungsanspruch des Klägers ist gemäß § 16 Abs. 1 in Verbindung mit § 67 Nr. 10 Satz 1 BMT-G II begründet. Der Beklagte hat durch die Anordnung, innerhalb von 10 Minuten den Dienst im Krankenhaus aufnehmen zu müssen, für den Kläger Arbeitsbereitschaft angeordnet. Dies ergibt die Auslegung dieser Tarifnormen.

1. § 16 BMT-G II regelt die Arbeitsbereitschaft und die Rufbereitschaft und deren Vergütung. Die Begriffe Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft werden in dieser Vorschrift nicht definiert, so daß die Begriffsbestimmungen des § 67 BMT-G II gelten. Gemäß § 67 Nr. 10 Satz 1 BMT-G II liegt Arbeitsbereitschaft vor, wenn sich der Arbeiter, ohne Arbeit zu leisten, am Arbeitsplatz oder an einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung zu halten hat. Nach § 67 Nr. 32 BMT-G II liegt Rufbereitschaft vor, wenn sich der Arbeiter auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten hat, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen.

Danach unterscheiden sich Ruf- und Arbeitsbereitschaft durch unterschiedliche Bestimmung des Aufenthaltsortes. Bei der Rufbereitschaft bestimmt der Arbeitnehmer, bei der Arbeitsbereitschaft der Arbeitgeber den Aufenthaltsort. Im vorliegenden Fall ist die Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Beklagten erfolgt. Der Beklagte geht in seiner Anordnung davon aus, daß der Arbeitnehmer den jeweiligen Aufenthaltsort frei bestimmen kann, sofern er über Telefon oder Alarmempfänger erreichbar ist. Dies spricht für die Anordnung von Rufbereitschaft. Doch wird diese Bestimmung des Aufenthaltsortes für den Arbeitnehmer insofern eingeschränkt, als der Ort nur soweit von der Arbeitsstelle entfernt liegen darf, daß der Arbeitnehmer innerhalb von 10 Minuten seinen Dienst im Krankenhaus aufnehmen kann. Durch diese genau bestimmte Beschränkung der Wegezeit zwischen Aufenthaltsort und der Aufnahme der Arbeit kann der Arbeitnehmer nicht mehr frei den Aufenthaltsort bestimmen. Vielmehr legt der Beklagte bindend die Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Faktor Zeit fest. Da diese Zeitvorgabe darüber hinaus strikt einzuhalten ist, erfolgt eine Beschränkung auf die Aufenthaltsorte, die im Umkreis von höchstens 10 Minuten Entfernung zum Krankenhaus liegen.

Im konkreten Fall bedeutet dies, daß der Kläger sich entweder am Arbeitsplatz oder aber in Dienstkleidung in seiner Wohnung aufhalten muß, um seine vertragliche Leistungspflicht erfüllen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit für die Revisionsinstanz bindend festgestellt, daß der Kläger nicht unvorbereitet von seiner Wohnung aus die Arbeitsstelle in 10 Minuten erreichen kann, sondern 12 bis 15 Minuten bis zur Einsatzstelle benötigt. Damit wird der Aufenthalt des Klägers aber durch die Beschränkung der Wegezeit auf eine vom Beklagten bestimmte Stelle festgelegt. Dem Kläger wird dadurch die Gestaltung seiner an sich arbeitsfreien Zeit entzogen. Somit liegt im vorliegenden Fall Arbeitsbereitschaft vor. Dem steht auch nicht entgegen, daß sich der Kläger in der Wohnung zur Verfügung hält. Denn die Arbeitsbereitschaft kann auch in der Wohnung erfolgen (BAGE 5, 236 = AP Nr. 3 zu § 7 AZO).

2. Rufbereitschaft und Arbeitsbereitschaft unterscheiden sich darüber hinaus hinsichtlich der Bemessung der Wegezeiten zwischen Aufenthaltsort und Arbeitsstelle.

Bei Rufbereitschaft kann sich der Arbeitnehmer an einer beliebigen Stelle aufhalten. Allerdings ist er in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme darf nur eine solche Zeitspanne liegen, daß hierdurch der Einsatz nicht gefährdet und im Bedarfsfall die Arbeitsaufnahme gewährleistet ist (vgl. BAG Urteil vom 26. Juni 1967 - 3 AZR 439/66 - AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitsbereitschaft; BAG Urteil vom 3. Dezember 1986 - 4 AZR 7/86 - AP Nr. 1 zu § 30 MTB II). Der Arbeitnehmer muß bei Abruf seine Arbeit alsbald aufnehmen können (BAGE 21, 348 = AP Nr. 1 zu § 9 TVAL II). Dies bedeutet, daß sich der Aufenthaltsort des Arbeitnehmers noch in einer Entfernung von der Arbeitsstelle befinden muß, die es ihm gestattet, diese in angemessen kurzer Zeit zu erreichen. Der Arbeitnehmer darf sich hingegen nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die dem Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft (BAG Urteil vom 28. April 1971 - 4 AZR 538/68 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Arbeitsbereitschaft; BAG Urteil vom 3. Dezember 1986 - 4 AZR 7/86 - AP Nr. 1 zu § 30 MTB II).

Bei der Arbeitsbereitschaft als einem Fall des Bereitschaftsdienstes (vgl. BAG Urteil vom 10. Januar 1991 - 6 AZR 352/89 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) liegt dagegen eine Aufenthaltsbeschränkung vor, verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf sofort tätig zu werden (BAG Urteil vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - AP Nr. 12 zu § 17 BAT). Die Arbeitsbereitschaft ist damit ihrem Wesen nach eine Aufenthaltsbeschränkung, bei der der Arbeitnehmer bereit sein muß, aus dem Zustand der wachen Aufmerksamkeit zur Arbeit gerufen zu werden (vgl. BAGE 18, 256 = AP Nr. 3 zu § 13 AZO; BAGE 18, 273 = AP Nr. 1 zu § 15 BAT; BAG Urteil vom 28. Januar 1981 - 4 AZR 892/78 - AP Nr. 1 zu § 18 MTL II; BAG Urteil vom 30. Januar 1985 - 7 AZR 446/82 - AP Nr. 2 zu § 35 BAT; BAGE 51, 131, 137 f. = AP Nr. 7 zu § 15 BAT, zu I 3 a der Gründe).

Auch dieser rechtliche Unterschied zwischen Ruf- und Arbeitsbereitschaft zeigt, daß im vorliegenden Fall durch die genau bestimmte Einhaltung der Wegezeit von 10 Minuten Arbeitsbereitschaft angeordnet wurde. Der Kläger unterlag, wie aufgezeigt, einer Aufenthaltsbeschränkung. Darüber hinaus mußte der Kläger in seiner Wohnung stets in Dienstkleidung bereit sein, wenn er sofort die Tätigkeit am Arbeitsplatz aufnehmen wollte. Damit konnte der Kläger sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsplatz aufhalten, die es ihm ermöglichte "in angemessener Zeit" den Arbeitsplatz zu erreichen. Bei diesem Eingriff in die Freizeit hat der Beklagte keine Rufbereitschaft, sondern Arbeitsbereitschaft für den Kläger angeordnet.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Peifer Dr. Jobs Dr. Armbrüster

Dr. Gehrunger Stenzel

 

Fundstellen

Haufe-Index 440868

BB 1992, 925

BB 1992, 925-926 (LT1)

DB 1992, 1093-1094 (LT1)

NZA 1992, 560

NZA 1992, 560-561 (LT1)

RdA 1992, 160

ZTR 1992, 247-248 (LT1)

AP § 67 BMT-G II (LT1), Nr 1

AR-Blattei, ES 240.1 Nr 18 (LT1)

EzA § 611 BGB Arbeitsbereitschaft, Nr 1 (LT1)

EzBAT § 15 BAT Rufbereitschaft, Nr 2 (LT1)

PersV 1992, 455-456 (LT1)

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