Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung eines Anerkennungstarifvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Tarifvertrag, auch ein befristeter, ist außerordentlich kündbar. Die Zulässigkeit der Kündigung ergibt sich aus der Rechtsnatur des Tarifvertrages als Dauerrechtsverhältnis. Es gilt der Grundsatz, daß jedes Dauerrechtsverhältnis vorzeitig aus wichtigem Grund beendet werden kann, wenn seine Fortsetzung bis zum vereinbarten Ende oder bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer Seite nicht zugemutet werden kann.

2. Aus dem ultima-ratio-Grundsatz, der die außerordentliche Kündigung von Dauerrechtsverhältnissen prägt, folgt, daß die außerordentliche Kündigung des Tarifvertrages nur wirksam ist, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Unzumutbarkeit zu beseitigen. Die durch den Tarifvertrag unzumutbar belastete Partei muß daher zunächst versuchen, die Möglichkeiten der tarifautonomen Anpassung als milderes Mittel auszuschöpfen. Sie hat auch ohne im Tarifvertrag ausdrücklich enthaltene Nachverhandlungsklausel die Obliegenheit, mit der anderen Seite Verhandlungen zur Anpassung des Tarifvertrages aufzunehmen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung einer Betriebsvereinbarung vgl. die Entscheidung des Ersten Senats vom 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 05.12.1995; Aktenzeichen 1 Sa 494/95)

ArbG Dresden (Urteil vom 28.03.1995; Aktenzeichen 7 Ca 7020/94)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Dezember 1995 – 1 Sa 494/95 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Abschlusses und der außerordentlichen Kündigung eines Anerkennungstarifvertrages.

Die Beklagte, ein reprivatisiertes Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, hat ihren Sitz in D. Ihr überwiegender Geschäftsgegenstand war im Jahre 1991 die Herstellung von Steckverbindern für Elektrotechnik und Elektronik. Sie beschäftigte seinerzeit etwa 330 Arbeitnehmer.

Auf der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 30. Juli 1991 faßten die damaligen Gesellschafter der Treuhandanstalt, die die Mehrheit der Geschäftsanteile hielt, W. Z., J. Z. und D. Z. im Anschluß an die Feststellung, das Unternehmen sei nicht an den „Manteltarifvertrag/Metall- und Elektroindustrie Sachsen vom 01.04.1991 gebunden”, es werde „nur das gezahlt, was den Unternehmen finanziell möglich” sei, den Beschluß, daß alle Beschäftigten „in Anlehnung an die Bestimmungen und Regeln des Manteltarifvertrages eingruppiert” werden und „der Abschluß eines Haustarifvertrages mit der IG Metall … mit Wirkung vom 1. Oktober 1991 angestrebt” werden sollten (Ziff. 1.2. des Protokolls der Gesellschafterversammlung vom 30. Juli 1991).

Zum Abschluß dieses Tarifvertrages kam es am 13. September 1991. Der an diesem Tage vereinbarte Anerkennungstarifvertrag und dessen Anlage 1 haben folgenden Wortlaut:

Zwischen der … Firma Z. Elektronik GmbH D. und den Betrieben B. und P. … vertreten durch den Geschäftsführer Herrn Z. und der … Industriegewerkschaft Metall … Bezirksleitung D.

vertreten durch die Verwaltungsstelle D diese wiederum vertreten durch den Sekretär K.

wird folgender Anerkennungstarifvertrag vereinbart:

§ 1

Geltungsbereich:

Dieser Vertrag gilt für alle in der Firma Z. Elektronik GmbH, im Lande Sachsen, beschäftigten Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind.

§ 2

Anerkennung der Tarifverträge:

2.1 Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages geltenden Tarifverträge für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende in der Metallindustrie des Tarifgebietes

Sachsen

abgeschlossen zwischen der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitung D.

und dem

Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie

sind Bestandteil dieses Tarifvertrages und gelten für die unter dem jeweiligen Geltungsbereich (§ 1) aufgeführten Arbeitnehmer.

2. 2 Die geltenden Tarifverträge sind in der Anlage bezeichnet, die Teil dieses Tarifvertrages ist.

2.3 Der Wortlaut aller in der Anlage aufgezählten Tarifverträge lag den Parteien dieses Tarifvertrages vor.

§ 3

Rechtsstatus der Tarifverträge:

3.1 Die in Bezug genommenen Tarifverträge (auch die nachwirkenden) gelten in der jeweils gültigen Fassung und mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus.

3.2 Werden diese Tarifverträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als gekündigt.

3.3 Forderungen, die zu den in Bezug genommenen Tarifverträgen gestellt werden, gelten auch gegenüber der Partei dieses Tarifvertrages als gestellt.

3.4 Arbeitskampffreiheit und Friedenspflicht regeln sich so, als wäre die Firma Mitglied des Arbeitgeberverbandes, der die in Bezug genommenen Tarifverträge abgeschlossen hat.

3.5 Zwischen den Parteien finden alle Abkommen, Zusatzabkommen, Vertragsänderungen und -ergänzungen Anwendung, die zwischen Parteien der mit diesem Vertrag in Bezug genommenen Tarifverträge zu den unter § 2 genannten Tarifverträgen abgeschlossen werden. Dies gilt auch hinsichtlich des Inkrafttretens neuer Tarifbestimmungen die anstelle der in bezug genommenen Tarifverträge bzw. Tarifbestimmungen treten oder die eine völlige Neuregelung enthalten.

§ 4

Inkrafttreten und Kündigung:

4.1 Dieser Vertrag tritt am 1. Oktober 1991 in Kraft.

4.2 Der Lohn- und Gehaltstarifvertrag kann mit einer 3-monatigen Frist, erstmals zum 31. März 1992, gekündigt werden und wirkt nicht nach.

Im übrigen gelten die in der Anlage 1 bezeichneten Tarifverträge mit den jeweiligen Kündigungsfristen.

4.3 Im Falle einer Kündigung verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, über einen neuen Anerkennungstarifvertrag zu verhandeln, mit dem erklärten Willen zur Einigung.

B., den 13. September 1991

Z. Elektronik GmbH D.

Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland – Bezirksleitung D. -

Z.

K.

Anlage zum Anerkennungstarifvertrag

Anlage 1

  1. Teil eines Tarifvertrages über die Eingruppierung von gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie vom 10. November 1990,
  2. In Ziff. 3 Abs. 2 wird das Datum 31.3.1991 durch das Datum 1.10.1991 ersetzt. In Ziff. 5.1. wird das Datum 31.1.1991 durch das Datum 30.9.1991 ersetzt.
  3. Manteltarifvertrag für Angestellte der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie vom 7.3.1991
  4. Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie vom 7.3.1991
  5. Anlage 2 zum Verhandlungsergebnis vom 7.3.1991 (Lohn- und Gehaltstabelle) sowie das Verhandlungsergebnis vom 7.3.1991.

Die unter den Ziffern 2 und 3 der Anlage 1 aufgeführten Tarifverträge waren Teil eines Verhandlungsergebnisses der Tarifvertragsparteien vom 7. März 1991. Sie waren, von Einzelvorschriften betreffenden Sonderregelungen abgesehen, erstmals kündbar zum 31. Dezember 1998.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 1991 machte die Beklagte von dem in § 4 Ziff. 4.2 Abs. 1 des Anerkennungstarifvertrages geregelten Teilkündigungsrecht Gebrauch und kündigte den Lohn- und Gehaltstarifvertrag zum 31. März 1992.

Der Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. kündigte am 18. Februar 1993 diejenigen Teile des Verhandlungsergebnisses vom 7. März 1991, die die stufenweise Anhebung der Lohne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen betrafen, außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 31. März 1993. Dies hatte einen Arbeitskampf zur Folge. Dieser endete am 14. Mai 1993 mit der Einigung der Tarifvertragsparteien über die Gegenstandslosigkeit der außerordentlichen Kündigung der Tarifverträge und deren Wiederinkraftsetzung ergänzt durch eine sog. Härtefallregelung.

Mit Schreiben vom 26. Mai 1994, in dessen Briefkopf ihre Geschäftsfelder mit elektronische Baugruppen, Steckverbinder, technische Kunststoffteile und Werkzeugbau angegeben sind, kündigte die Beklagte, die seinerzeit noch 80 Arbeitnehmer beschäftigte, den Anerkennungstarifvertrag vom 13. September 1991 „mit sofortiger Wirkung außerordentlich”. Sie begründete diese außerordentliche Kündigung u.a. damit, die gemäß den Manteltarifverträgen für die Angestellten und Arbeiter ausgehandelten Lohn- und Gehaltsentwicklungen für 1994 einschließlich der damit verbundenen Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibenden Lohnansprüchen führten bei ihr für das restliche Jahr 1994 und die Folgejahre zu einer finanziellen Belastung, welche gegenwärtig nicht zu vertreten sei. Außerdem begründete sie ihre Kündigung damit, ihr Unternehmen befasse sich nunmehr zu 80 % mit der Herstellung von technischen Kunststoffteilen und sei damit der kunststoffverarbeitenden Industrie zuzuordnen. Sie müsse sich an den Arbeitsbedingungen dieses Wirtschaftszweiges orientieren, denn ansonsten verliere sie ihre Wettbewerbsfälligkeit zu ihren nunmehrigen Konkurrenzunternehmen.

Die Klägerin widersprach dieser Kündigung mit Schreiben vom 15. Juni 1994 und drohte der Beklagten an, sie werde gegen die außerordentliche Kündigung gerichtlich vorgehen, wenn die Beklagte ihr gegenüber nicht bis zum 28. Juni 1994 verbindlich erkläre, daß sie den geschlossenen Anerkennungstarifvertrag einhalten und die tarifvertraglichen Ansprüche hieraus erfüllen werde. Nachdem die Beklagte diese Erklärung nicht abgegeben hatte, reichte die Klägerin am 28. Oktober 1994 beim Arbeitsgericht Dresden Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 26. Mai 1994 gegen die Beklagte ein, die Mitte 1995 neben einer größeren Zahl von in Rehabilitationseinrichtungen beschäftigten behinderten Heimarbeitern noch 67 Arbeitnehmer hatte. Sie erstrebt außerdem die Feststellung des teilweisen Fortbestandes des Anerkennungstarifvertrages und der Geltung bestimmter in dessen Anlage 1 bezeichneter Tarifverträge bei der Beklagten.

Durch den Tarifabschluß vom 17. Januar 1995 sind die Manteltarifverträge vom 7. März 1991 mittlerweile bei Beibehaltung ihrer Laufzeit bis zum 31. Dezember 1998 inhaltlich geändert worden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der mit ihr als Tarifvertragspartei abgeschlossene Anerkennungstarifvertrag sei wirksam zustande gekommen. Nach § 16 Abs. 4 ihrer Satzung vom 1. Januar 1993 sei die Bezirksleitung berechtigt, in dem Bezirk für sie – die Klägerin – Tarifverträge abzuschließen. Die Bezirksleitung dürfe wiederum diese Aufgabe auf die Verwaltungsstellen delegieren. Ob der Rechtssekretär K. eine Vollmacht zum Tarifvertragsabschluß gehabt habe, sei unerheblich, denn in der jahrelangen Anwendung des Tarifvertrages liege die Genehmigung des Vertragsabschlusses.

Die von der Beklagten erklärte außerordentliche Kündigung sei unwirksam, denn ihr stehe dafür kein wichtiger Grund zur Seite. Die im Anerkennungstarifvertrag vorgesehene Teilkündigungsmöglichkeit für den Lohn- und Gehaltstarifvertrag zeige, daß die Parteien die Laufdauer der Manteltarifverträge ohne vorherige Kündigungsmöglichkeit gewollt hätten. Eine lediglich veränderte wirtschaftliche Situation rechtfertige die außerordentliche Kündigung nicht. Die Beklagte habe sich in zusätzlichen Verhandlungen bei den Banken um eine Erhöhung der Kreditlinie bemühen müssen, gerade wenn die Treuhandanstalt den Abschluß des Anerkennungstarifvertrages in den Reprivatisierungsverhandlungen zur Bedingung gemacht habe. Die von der Beklagten vorgetragenen Zahlen, welche wirtschaftliche Mehrbelastung das Festhalten an dem Anerkennungstarifvertrag zur Folge habe, seien falsch.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug zuletzt beantragt:

  1. Es wird festgestellt, daß die von der Beklagten am 26. Mai 1994 ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages vom 13. September 1991 unwirksam ist.
  2. Es wird festgestellt, daß der Anerkennungstarifvertrag vom 13. September 1991 mit Ausnahme der durch die Teilkündigung vom 27. Dezember 1991 ausgeschiedenen Lohn- und Gehaltstabelle als Anlage 2 zum Verhandlungsergebnis vom 7. März 1991 ungekündigt fortbesteht und daher die in Anlage 1 zum Anerkennungstarifvertrag aufgeführten Tarifverträge mit Ausnahme der Anlage 2 zum Verhandlungsergebnis vom 7. März 1991 (Lohn- und Gehaltstabelle) bei der Beklagten Geltung haben.

Die Beklagte, die derzeit noch 65 Arbeitnehmer beschäftigt, hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Klägerin habe ihr Klagerecht verwirkt, indem sie nach der außerordentlichen Kündigung bis zur Erhebung der Klage mehr als fünf Monate habe verstreichen lassen. Die Klage sei überdies deshalb unzulässig, weil in § 18 MTV für die Angestellten vom 7. März 1991 die Zuständigkeit der tariflichen Schiedsstelle unter Ausschluß der Arbeitsgerichtsbarkeit vereinbart worden sei. Die Klägerin sei auch nicht Partei des Anerkennungstarifvertrages; sie – die Beklagte – habe diesen mit der IG Metall Bezirksleitung D. im Rahmen der dieser satzungsgemäß eingeräumten Rechte abgeschlossen. Falls die Klägerin behaupte, sie sei Partei des Anerkennungstarifvertrages, sei dieser ex nunc unwirksam, weil die Bezirksleitung D. sie – die Beklagte – dann diesbezüglich getäuscht habe. Es treffe nicht zu, daß sie bei Abschluß des Anerkennungstarifvertrages von der Satzung der Klägerin Kenntnis gehabt habe. Vielmehr habe die Treuhandanstalt als Bedingung für den Verkauf der staatlichen Geschäftsanteile den Abschluß des Anerkennungstarifvertrages gefordert.

Die von ihr erklärte außerordentliche Kündigung sei aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt und wirksam. Bei „vorsichtiger Wichtung” seien auf den von ihr gekündigten Lohn- und Gehaltstarifvertrag drei Viertel (nach der Behauptung der Beklagten im zweiten Rechtszug: zwei Drittel) der aus dem Anerkennungstarifvertrag folgenden wirtschaftlichen Belastungen entfallen, während der Rest seinen Rechtsgrund in den Manteltarifverträgen vom 7. März 1991 habe. Dies gebiete es, die Anforderungen an den Kündigungsgrund bei Kündigung des Restbestandes des Anerkennungstarifvertrages nicht so hoch anzusetzen. Ihre wirtschaftliche Lage habe die außerordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages unausweichlich gemacht. Ihr Verlust habe am 30. April 1994 174.271,– DM betragen und sich bis zum 31. Dezember 1994 auf 013.035,– DM erhöht. Diese Verluste hätten sich im Jahre 1995 fortgesetzt, was die Beklagte näher dargelegt hat. Bei Fortgeltung des Anerkennungstarifvertrages wären für sie für das restliche Jahr 1994 237.782,– DM und für das Jahr 1995 407.626,– DM an Personalmehrkosten angefallen. Bei dieser Finanzlage sei es nicht möglich, ein Kreditinstitut zu finden, welches ihre damalige Kreditlinie aufzustocken bereit gewesen wäre.

Die außerordentliche Kündigung sei auch deshalb notwendig gewesen, weil sich ihr Geschäftsgegenstand gegenüber dem Jahr 1991 entscheidend geändert habe. Nunmehr befasse sie sich zu rund vier Fünfteln mit der Be- und Verarbeitung von Kunststoffprodukten. Da die Tarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie für die Arbeitgeber günstiger seien als die der Metall- und Elektroindustrie, sei sie bei fortbestehender Bindung an den Anerkennungstarifvertrag gegenüber den das Tariffrecht der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie anwendenden Konkurrenzunternehmen nicht wettbewerbsfähig gewesen.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Anerkennungstarifvertrag vom 13. September 1991 wirksam zustande gekommen ist und dessen außerordentliche Kündigung durch die Beklagte mit Schreiben vom 26. Mai 1994 unwirksam ist, der Anerkennungstarifvertrag daher fortbesteht und die in seiner Anlage 1 aufgeführten Manteltarifverträge vom 7. März 1991 bei der Beklagten Geltung haben.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig.

1. Es handelt sich um eine Verbandsklage nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, § 9 TVG. Mit den Vorinstanzen ist für sie das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO schon deswegen zu bejahen, weil die Klägerin nicht eine vollstreckungsfähige Leistung erstrebt, sondern zwischen den Parteien über das Bestehen eines Tarifvertrages gestritten wird. Bei Streitigkeiten über das Bestellen oder Nichtbestehen eines Tarifvertrages sind nur Feststellungsklagen denkbar. Das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus der Stellung der Tarifvertragsparteien im Rahmen der tariflichen Ordnung und der tariflichen Regelung (BAG Urteil vom 15. November 1957 – 1 AZR 610/56 – AP Nr. 1 zu § 8 TVG; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 9 Rz 6; vgl. auch Urteil des Senats vom 30. Mai 1984 – 4 AZR 512/81 – AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969, mit insoweit zustimmender Anmerkung von Wiedemann). Die Revision beanstandet nicht die diesbezüglichen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts.

2. Die Klage ist auch hinreichend bestimmt, soweit die Klägerin die Feststellung erstrebt, daß die Manteltarifverträge vom 7. März 1991 „bei der Beklagten Geltung haben”. Dieser Antrag ist unter Berücksichtigung der Regelungen des § 3 des Anerkennungstarifvertrages auszulegen. Er hat daher insbesondere zum Inhalt, daß die im Anerkennungstarifvertrag in Bezug genommenen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung gelten (§ 3 Ziff. 3.1). Auch diesbezüglich erhebt die Beklagte keine Beanstandung.

3. Zu Recht gehen die Vorinstanzen, ohne zu dieser Rechtsfrage Ausführungen zu machen, davon aus, daß das Klagerecht der Klägerin bei Einreichung ihrer Klageschrift etwa fünf Monate nach der außerordentlichen Kündigung nicht verwirkt war. Die Beklagte konnte zu diesem Zeitpunkt nicht darauf vertrauen, die Klägerin werde die außerordentliche Kündigung hinnehmen, denn diese hat die Beklagte bereits ca. drei Wochen nach Zugang der außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 15. Juni 1994 aufgefordert, ihr gegenüber bis zum 28. Juni 1994 verbindlich zu erklären, daß sie den mit ihr geschlossenen Anerkennungstarifvertrag einhalten und die tarifvertraglichen Ansprüche der Kolleginnen und Kollegen hieraus erfüllen werde. Außerdem hat die Klägerin die Beklagte in diesem Schreiben darüber ins Bild gesetzt, daß sie gegen die außerordentliche Kündigung des Tarifvertrages gerichtlich vorgehen werde, wenn die Beklagte nicht reagiere. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwendungen mehr gegen die Zulässigkeit der Klage.

4. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht zu Recht und von der Revision ebenfalls nicht mehr beanstandet angenommen, daß die Schlichtungsregelung des § 18 des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie vom 7. März 1991 – ihr entspricht § 29 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer – nicht den Streit der Tarifvertragsparteien über das Zustandekommen und die Beendigung von Tarifverträgen betrifft, für diesen somit nicht die Zuständigkeit der tariflichen Schiedsstelle unter Ausschluß der Arbeitsgerichtsbarkeit gilt.

II. Die danach zulässige Klage ist auch begründet. Der Anerkennungstarifvertrag der Parteien vom 13. September 1991 ist wirksam zustande gekommen und durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. Mai 1994 nicht im Zeitpunkt ihres Zugangs bei der Klägerin beendet worden. Die in seiner Anlage 1 genannten Manteltarifverträge vom 7. März 1991 haben daher für die Beklagte in ihrer jeweils gültigen Fassung Geltung.

1. Der Anerkennungstarifvertrag vom 13. September 1991 ist zwischen den Parteien wirksam zustande gekommen.

1.1 Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht zunächst darin, daß der Gewerkschaftssekretär K. den Anerkennungstarifvertrag im Namen der Klägerin für diese verbindlich abgeschlossen hat.

1.1.1 Es hat dazu ausgeführt, der Rechtssekretär K. habe bei Abschluß des Anerkennungstarifvertrages im Namen der Klägerin gehandelt. Sowohl der seiner Unterschrift vorangestellte Text als auch die Bezeichnung der Parteirolle im Kopf des Tarifvertrages bezeichneten die IG Metall als Vertragspartner der Beklagten. Nach deren Satzung werde diese von ihrem Vorstand vertreten, der den Verwaltungsstellen die zur Durchführung ihrer Arbeit entsprechenden Anweisungen erteile. Die Bezirksleiter bzw. Bezirksleiterinnen seien in den Bezirken die Beauftragten des Vorstandes, nach dessen Weisung sie ihre Tätigkeit ausübten. Der Rechtssekretär K. habe nach alledem den Anerkennungstarifvertrag für die Klägerin abgeschlossen. Dies entspreche dem Beschluß der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 30. Juli 1991, den „Abschluß eines Haustarifvertrages mit der IG Metall … mit Wirkung vom 1. Oktober 1991” anzustreben. Es sei deshalb nicht ersichtlich, inwieweit die Beklagte durch den Rechtssekretär K. getäuscht worden sein solle. Einer ausdrücklichen Vollmacht des Rechtssekretärs K. zum Abschluß des Anerkennungstarifvertrages habe es nicht bedurft, weil der Tarifvertrag über mehrere Jahre von beiden Seiten angewandt worden sei. Zumindest sei daher der Tarifabschluß durch den Rechtssekretär K. von der Klägerin nachträglich genehmigt worden.

1.1.2 Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind

rechtsfehlerfrei.

Es kann dahinstehen, ob bereits aus der Parteibezeichnung im Kopf des Tarifvertrages mit hinreichender Deutlichkeit folgt, daß die Klägerin Partei des Anerkennungstarifvertrages ist. Denn dies ergibt sich jedenfalls eindeutig aus der Bezeichnung der Tarifvertragsparteien unterhalb des Tarifvertragstextes. Dort ist der Vertragspartner der Beklagten wie folgt bezeichnet:

Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland – Bezirksleitung D.

Danach ist die Klägerin Partei des Anerkennungstarifvertrages vom 13. September 1991. Dies steht im Einklang mit ihrer Satzung. Nach § 16 Ziff. 4 Satz 1 sind die Bezirksleiter bzw. Bezirksleiterinnen in den Bezirken die Beauftragten des Vorstandes, nach dessen Weisung sie ihre Tätigkeit ausüben. Zu ihren Aufgaben gehört nach § 16 Ziff. 4 Buchst. b) die Durchführung von Tarif-, Lohn- und Gehaltsbewegungen. Darunter ist der Abschluß von Tarifverträgen zu verstehen, mittels derer die Tarifbewegungen vollzogen werden. Da der Vorstand, für den die Bezirksleiter bzw. Bezirksleiterinnen als Beauftragte handeln, die IG Metall nach innen und außen vertritt (§ 18 Ziff. 3 Buchst. a der Satzung), geschieht der Tarifabschluß durch die Bezirksleiter bzw. Bezirksleiterinnen, die als Beauftragte des Vorstandes handeln, satzungsgemäß im Namen der IG Metall.

Es ist daher nicht erkennbar, inwiefern der Gewerkschaftssekretär K. die Beklagte darüber getäuscht hat, wer ihr Vertragspartner sei. Vom Vertragsinhalt abweichende diesbezügliche Erklärungen des Gewerkschaftssekretärs hat die Beklagte nicht behauptet. Davon abgesehen führt eine Täuschung nicht zur Nichtigkeit einer Willenserklärung, sondern berechtigt vielmehr den Getäuschten zu deren Anfechtung nach § 123 BGB. Eine Anfechtungserklärung hat die Beklagte aber nicht abgegeben.

Ebenfalls zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß, auch wenn dem Gewerkschaftssekretär K. durch die Klägerin keine Vollmacht zum Abschluß des Anerkennungstarifvertrages erteilt war, eine Genehmigung des Vertragsabschlusses durch die Klägerin anzunehmen ist, nachdem dessen Gültigkeit von ihr mehrere Jahre lang nicht angezweifelt worden ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 14. Februar 1957 – 2 AZR 344/54 – AP Nr. 1 zu § 32 AOG Weitergeltung von TV als TO). Für die Annahme der Genehmigung ist die mehr als zweieinhalbjährige Anwendung des Anerkennungstarifvertrages ausreichend.

1.2 Kein Streit besteht zwischen den Parteien darüber, daß die Klägerin bei Abschluß des Anerkennungstarifvertrages am 13. September 1991 für die Beklagte, ihrem überwiegenden Geschäftsgegenstand nach seinerzeit ein Unternehmen der Elektroindustrie, tarifzuständig gewesen ist. Die Klägerin konnte daher seinerzeit mit der Beklagten wirksam Firmentarifverträge abschließen (vgl. dazu Buchner, Tarifzuständigkeit bei Abschluß von Verbands- und Firmentarifverträgen, ZfA 1995, 95, 106 f.).

Welche rechtlichen Folgen das Ausscheiden der Beklagten wegen Änderung ihres überwiegenden Geschäftszwecks aus der Tarifzuständigkeit der Klägerin für die Geltung des Anerkennungstarifvertrages hätte, bedarf hier keiner Erörterung. Denn eine solche Änderung des Geschäftszwecks hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Diesbezüglich erhebt die Beklagte auch keine Verfahrensrüge. Daher ist die Aussetzung des Verfahrens nach § 97 Abs. 5 ArbGG nicht geboten (vgl. dazu jüngst den Beschluß des Senats vom 23. Oktober 1996 – 4 AZR 409/95 (A) –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese hat nur dann zu erfolgen, wenn Zweifel über das Vorliegen der Tarifzuständigkeit bestehen und der Ausgang des Rechtsstreits hiervon abhängt. Dies ist hier nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und dem Inhalt der Revisionsbegründung der Beklagten nicht der Fall.

1.3 Der Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, der seinerzeit von ihrer damaligen Mehrheitsgesellschafterin Treuhandanstalt geforderte Anerkennungstarifvertrag sei für sie als nunmehr reprivatisiertes Unternehmen ein Vertrag zu Lasten Dritter und damit unwirksam.

1.3.1 Diese Einwendung begründet sie mit Umständen, bezüglich derer sie eine „Aufklärungsrüge gemäß § 139 ZPO” vorbringt. Diese ist unschlüssig. Denn die Beklagte wirft dem Landesarbeitsgericht insoweit vor, es habe die besondere Bedeutung der Umstände des gesamten Reprivatisierungsverfahrens ohne weitere Prüfung in die ständige Rechtsprechung zum Bestehen von außerordentlichen Kündigungsmöglichkeiten von Tarifverträgen einbezogen (gemeint wohl: nicht einbezogen). Gleichzeitig behauptet sie, diese Umstände seien in beiden Tatsacheninstanzen schriftlich und mündlich vorgetragen worden. Dann aber bestand insoweit kein Aufklärungsbedarf mehr für das Landesarbeitsgericht, so daß eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch dieses nicht in Betracht kommen kann.

Der Sache nach beinhaltet die unschlüssige Aufklärungsrüge den Vorwurf, das Landesarbeitsgericht habe den ihm – nach der Behauptung der Beklagten: vollständig und nicht mehr aufklärungsbedürftig – vorgetragenen Sachverhalt materiell-rechtlich nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der fehlenden Identität zwischen der Partei des Anerkennungstarifvertrages vom 13. September 1991 und der reprivatisierten jetzigen Beklagten geprüft. Der Umstand, daß die Beklagte diese materiell-rechtliche Rüge in ihren Ausführungen zur Begründung einer unschlüssigen Verfahrensrüge erhebt, verwehrt nicht deren Prüfung durch das Revisionsgericht. Denn es kann nicht angenommen werden, daß die Beklagte ihre materiellrechtlichen Ausführungen nur für den Fall einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge geprüft wissen will. Dies gilt auch hinsichtlich der übrigen rechtlichen Gesichtspunkte – des Wegfalls der Geschäftsgrundlage des Anerkennungstarifvertrages sowie dessen Unwirksamkeit nach § 779 BGB –, die die Beklagte in tatsächlicher Hinsicht mit dem von ihr dargelegten Reprivatisierungsverfahren begründet.

1.3.2 Die Auffassung der Beklagten, der Anerkennungstarifvertrag sei für sie als reprivatisiertes Unternehmen ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter, geht fehl.

In tatsächlicher Hinsicht hat die Beklagte zur Begründung dieser Einwendung ausgeführt, Rechtsvorgängerin der Beklagten sei ursprünglich die Firma Z. KG, K., S. Straße 2, gewesen. Diese sei im Jahre 1972 in das Volkseigentum der DDR überführt und in den damaligen VEB Plastelektronik und Spezialwiderstände integriert worden. An 29. Januar 1990 habe der ehemalige Inhaber der Z. KG, der jetzige Gesellschafter der Beklagten W. Z., den Rückkauf des Unternehmens beantragt. Am 1. Oktober 1990 sei die Beklagte gegründet worden. Der Gesellschaftsvertrag sei am 2. Oktober 1990 notariell beurkundet worden, die Eintragung in das Handelsregister am 8. Januar 1991 erfolgt. Grundungsgesellschafterin sei die Treuhandanstalt mit einem Geschäftsanteil von 94 % gewesen, die übrigen Geschäftsanteile seien auf die Gesellschafter W. Z., J. Z. und D. Z. entfallen. Durch gütliche Einigung mit der Treuhandanstalt vom 19. Dezember 1991 seien deren Geschäftsanteile auf die übrigen Gründungsgesellschafter übertragen worden. Diese gütliche Einigung sei durch Bescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 12. Februar 1992 bestandskräftig geworden und habe das gleichzeitige Ausscheiden der Treuhandanstalt als Gesellschafterin zur Folge gehabt. Die Reprivatisierung der Beklagten sei am 27. September 1995 beendet worden.

Diese die Geschichte der Beklagten und ihre Gesellschaftsverhältnisse betreffenden Umstände können zu ihren Gunsten als richtig unterstellt werden. Aus ihnen folgt nicht, daß sich der Anerkennungstarifvertrag für die Beklagte als nunmehr reprivatisiertes Unternehmen als ein Vertrag zu Lasten Dritter darstellt. Nach § 13 Abs. 1 GmbHG hat die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche selbständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden. Nach § 13 Abs. 2 GmbHG haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist eine Gesellschaft mit „eigener Rechtspersönlichkeit”, ist also fähig, als (von ihren Gliedpersonen zu unterscheidendes) selbständiges Rechtssubjekt am Privatverkehr teilzunehmen und, wie § 13 Abs. 1 GmbHG hervorhebt, „… als solche … selbständig ihre Rechte und Pflichten” zu haben (Scholz, GmbH-Gesetz, 6. Aufl., § 13 Rz 10).

Daraus folgt, daß der Gesellschafterwechsel, und zwar auch die Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile auf andere Gesellschafter, an der Identität der Gesellschaft mit beschränkter Haftung nichts ändert. Dies hat auch die Beklagte in der Verhandlung vor dem Senat eingeräumt. Die von ihr vorgetragenen Umstände betreffen aber allein das Innenverhältnis ihrer Gesellschafter.

Damit handelt es sich bei dem von der Beklagten als Rechtssubjekt geschlossenen Anerkennungstarifvertrag nicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter – des damaligen Unternehmens mit der Mehrheitsgesellschafterin Treuhandanstalt zu Lasten des jetzigen reprivatisierten Unternehmens –, durch den dieser Dritte in die negative Koalitionsfreiheit der reprivatisierten Beklagten eingegriffen hat.

1.4 Der Anerkennungstarifvertrag ist auch nicht deshalb insgesamt unwirksam, weil er die Grenzen tarifvertraglicher Regelungsmacht überschreitet, wie die Beklagte meint. Insoweit führt die Beklagte aus, die Regelung des § 3 Ziff. 3.5 des Anerkennungstarifvertrages, nach der zwischen den Parteien auch neue Tarifbestimmungen Anwendung finden, die anstelle der in Bezug genommenen Tarifverträge bzw. Tarifbestimmungen treten oder die eine völlige Neuregelung enthalten, überschreite diese Grenzen ebenso wie die des § 4 Ziff. 4.3, der der Gewerkschaft einen Anspruch auf Aufnahme und Führung von Tarifverhandlungen einräume.

Es kann dahinstehen, ob dies zutreffend ist. Zu bedenken ist immerhin, daß es sich bei dem Tarifvertrag, um dessen Wirksamkeit die Parteien streiten, um einen Firmentarifvertrag handelt, die Beklagte also beide Regelungen selbst vereinbart hat. Aber selbst wenn man der Beklagten darin folgen würde, die vorbehandelten Einzelbestimmungen des Anerkennungstarifvertrages seien unwirksam, hätte dies nicht die Unwirksamkeit des gesamten Anerkennungstarifvertrages zur Folge. Sind einzelne Bestimmungen des Tarifvertrages nichtig, so gelten die gleichen Regeln wie bei der Nichtigkeit einzelner gesetzlicher Vorschriften. Ebensowenig wie die Rechtsgeschäftslehre des bürgerlichen Rechts im allgemeinen paßt hier § 139 BGB. Die Ungültigkeit der übrigen mit dem zwingenden Recht zu vereinbarenden Tarifnormen ist nur dann gegeben, wenn sie keine selbständige Bedeutung haben können oder wenn sie Teile einer Gesamtregelung sind, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlieren würde, nähme man einen ihrer Bestandteile heraus (BAG Urteil vom 26. Juni 1985 – 7 AZR 125/83 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Teilnichtigkeit; Wiedemann/Stumpf, aaO, 5. Aufl., § 1 Rz 111; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 1 Rz 246; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rz 251, jeweils m.w.N.). Die Normen, die die Beklagte beanstandet, können ohne weiteres aus dem Anerkennungstarifvertrag herausgenommen werden, ohne daß dieser im übrigen seinen Sinn und seine Rechtfertigung verlieren würde. Gegenteiliges macht auch die Beklagte nicht geltend.

1.5 Der Anerkennungstarifvertrag ist auch nicht deswegen unwirksam, weil er die Setzung von vornherein nachwirkender Normen zum Inhalt hat.

Insoweit macht die Beklagte geltend, das Landesarbeitsgericht habe den Stand der im Anerkennungstarifvertrag vereinbarten Tarifverträge nicht geprüft, was sie mit einer Aufklärungsrüge beanstande. Bekannterweise habe der Zentrale Arbeitgeberverband Metall den Manteltarifvertrag im März 1993 bereits außerordentlich gekündigt. Dessen Inbezugnahme im Anerkennungstarifvertrag – zu ergänzen: mit dem Status als nachwirkender Tarifvertrag im Sinne von § 3 Ziff. 3.1 des Anerkennungstarifvertrages – beinhalte daher die Setzung von vornherein nachwirkender Tarifnormen, die unwirksam sei.

Dieses Vorbringen ist sowohl als Verfahrensrüge als auch als materiell-rechtliche Rüge unbegründet. Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund derjenigen Teile des Verhandlungsergebnisses vom 7. März 1991, die die stufenweise Anhebung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen betreffen, und damit von Teilen der Manteltarifverträge vom 7. März 1991 ist von dem Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. am 18. Februar 1993 erklärt worden – die Zeitangabe der Beklagten „im März 1993” ist also nicht ganz exakt – und damit rund 1 1/2 Jahre nach Abschluß des Anerkennungstarifvertrages vom 13. September 1991 erfolgt, so daß dieser nicht die Setzung von vornherein nachwirkender Normen zum Inhalt hatte. Im übrigen haben sich der Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. und die IG Metall bereits durch Tarifvertrag vom 14. Mai 1993, also rund drei Monate nach der außerordentlichen Kündigung vom 18. Februar 1993, darauf geeinigt, daß „die vom Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie ausgesprochene außerordentliche Kündigung von Teilen des Verhandlungsergebnisses vom 7. März 1991 … mit Abschluß dieses Tarifvertrages gegenstandslos” wird (§ 2 Abs. 1 des Tarifvertrages für die Sächsische Metall- und Elektroindustrie vom 14. Mai 1993).

2. Der Anerkennungstarifvertrag ist auch nicht nach seinem Abschluß unwirksam geworden.

2.1 Diese Rechtsfolge ist zunächst einmal nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage eingetreten, auf den sich die Beklagte beruft. Der Streitfall erfordert nicht die Entscheidung des Senats darüber, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen die Unwirksamkeit eines Tarifvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage eintreten kann (vgl. etwa Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 30, m.w.N.; aus jüngerer Zeit z.B. Belling, Die außerordentliche Anpassung von Tarifverträgen an veränderte Umstände, NZA 1996, 906, 907 f.; Däubler, Die Anpassung von Tarifverträgen an veränderte wirtschaftliche Umstände, ZTR 1996, 241, 243 f.). Denn die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die geeignet sein könnten, einen Wegfall der Geschäftsgrundlage des Anerkennungstarifvertrages zu begründen. Den Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet sie in tatsächlicher Hinsicht allein mit Umständen, die die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander betreffen, nämlich die Übertragung der Geschäftsanteile durch die vormalige Mehrheitsgesellschafterin Treuhandgesellschaft auf die Gesellschafter W. Z., J. Z. und D. Z., möglicherweise auch Rechtsbeziehungen der neuen Gesellschafter zu Dritten, nicht aber die Rechtsbeziehungen der Beklagten.

2.2 Dies gilt auch, soweit sie als Grund für die später eingetretene Unwirksamkeit des Anerkennungstarifvertrages § 779 BGB anführt, denn dafür verweist sie auf dieselben Tatsachen. Auch aus dieser Vorschrift folgt daher nicht die Unwirksamkeit des Anerkennungstarifvertrages.

2.3 Dieser ist schließlich auch nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 26. Mai 1994 im Zeitpunkt ihres Zugangs bei der Klägerin aufgelöst worden, wie das Landesarbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis mit Recht erkannt hat.

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß ein Tarifvertrag, auch ein befristeter, außerordentlich kündbar ist. Die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung ergibt sich aus der Rechtsnatur des Tarifvertrages als Dauerrechtsverhältnis. Es gilt der Grundsatz, daß jedes Dauerrechtsverhältnis auch ohne gesetzliche oder vertragliche Grundlage vorzeitig aus wichtigem Grund beendet werden kann (BGH NJW 1991, 1828, 1829; für die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung einer Betriebsvereinbarung ebenso Beschluß des Ersten Senats vom 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972).

Es kann der Rechtsgedanke des § 626 BGB herangezogen werden. Danach ist ein Tarifvertrag aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist kündbar, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Vertrages nicht zugemutet werden kann. Betont wird, daß an den wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages strenge Anforderungen zu stellen sind. Dies ist, unabhängig von Nuancen in der Begründung, der fast einhellige Standpunkt in der Literatur, in der diese Frage seit der fristlosen Kündigung der Metalltarifverträge über eine Stufenanhebung der Löhne in den neuen Bundesländern im Frühjahr 1993 intensiv diskutiert wird (Bauer/Diller, Flucht aus Tarifverträgen, DB 1993, 1085, 1090; Belling, aaO, S. 906, 910 f.; Buchner, Kündigung der Tarifregelungen über die Entgeltanpassung in der Metallindustrie der östlichen Bundesländer, NZA 1993, 289, 293 f.; Däubler, aaO, S. 241, 244; Henssler, Flexibilisierung der Arbeitsmarktordnung, ZfA 1994, 487, 490 f.; Koch, Kündigung von Ost-Tarifverträgen – Kein Rechtsbruch?! AuA 1993, 232, 234; Löwisch/Rieble, aaO, § 1 Rz 363 f.; Oetker, Die Kündigung von Tarifverträgen, RdA 1995, 82, 93 ff.; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 199 IV 1 e; Steffan, Der praktische Fall – Arbeitsrecht: Ein (zu) langer Tarifvertrag, JuS 1993, 1027, 1028; Wiedemann/Stumpf, aaO, 5. Aufl., § 4 Rz 22 f.; Zachert, Kündigung von Osttarifverträgen – klarer Rechtsbruch, AuA 1993, 164; ders., Krise des Flächentarifvertrages? RdA 1996, 140, 149; zweifelnd: Beuthien/Meik, Wenn Tariftreue unzumutbar wird, DB 1993, 1518). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.

Streitig sind hingegen insbesondere die Maßstäbe für die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Tarifvertrag wegen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, hauptsächlich bei der Kündigung von Flächentarifverträgen, die Zulässigkeit bzw. Notwendigkeit einer Teilkündigung und die Frage der Nachwirkung des außerordentlich gekündigten Tarifvertrages.

Der Streitfall erfordert nicht die Entscheidung dieser Fragen durch den Senat. Denn die außerordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages durch die Beklagte ist bereits deshalb unwirksam, weil sie nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt vor Ausspruch der Kündigung nicht den Versuch unternommen hat, mit der Klägerin eine Anpassung des Anerkennungstarifvertrages an ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten tarifvertraglich zu vereinbaren. Dies folgt aus dem ultima-ratio-Grundsatz, der im Kündigungsrecht zu beachten ist. Die Tarifvertragsanpassung ist das im Verhältnis zur außerordentlichen Kündigung des Tarifvertrages mildere Mittel. Die durch den Tarifvertrag unzumutbar belastete Partei muß daher versuchen, die Möglichkeiten der tarifautonomen Anpassung als milderes Mittel auszuschöpfen. Sie hat, auch ohne im Tarifvertrag ausdrücklich geregelte Nachverhandlungsklausel, die Obliegenheit, mit der anderen Seite Verhandlungen zur Anpassung des Tarifvertrages aufzunehmen (Belling, aaO, S. 906, 911; Däubler, aaO, S. 241, 244; Koch, aaO, S. 232, 233). Nach Oetker (aaO, S. 82, 96) muß die kündigende Tarifvertragspartei dem Vertragspartner vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung ein zumutbares Änderungsangebot unterbreiten. Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten, insoweit von der Beklagten nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen Sachverhalt hat die Beklagte einen solchen Einigungsversuch der Klägerin vor Ausspruch ihrer außerordentlichen Kündigung nicht unternommen. Den davon abweichenden diesbezüglichen Tatsachenvortrag der Beklagten in der Revisionsverhandlung kann der Senat nicht berücksichtigen.

Da die Beklagte nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt den Versuch einer Nachverhandlung mit der Klägerin nicht unternommen hat, ist ihre außerordentliche Kündigung bereits aus diesem Grunde unwirksam. Es kann also dahinstehen, ob ihre Unwirksamkeit auch aus den vom Landesarbeitsgericht dargelegten Gründen folgt. Dessen Würdigung der Kündigungsgründe hat die Beklagte im übrigen nicht angegriffen.

3. Auf die Verfahrensrüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, „bezüglich der unterschiedlichen sachlichen und rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Ausgangspunkte zwischen Abschluß des Anerkennungstarifvertrages am 13. September 1991 und Ausspruch der außerordentlichen Kündigung des Anerkennungstarifvertrages” die von ihr angebotenen Beweise zu erheben, kommt es daher nicht an. Diese Verfahrensrüge ist im übrigen deshalb unzulässig, weil die Beklagte nicht präzise angegeben hat, zu welcher Behauptung das Landesarbeitsgericht eine Beweisaufnahme zu Unrecht unterlassen hat, in welchen Schriftsätzen die Beweismittel angegeben worden sind und was die Beweisaufnahme ergeben hätte (BAG Urteil vom 7. Oktober 1987 – 5 AZR 116/86 – AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, m.w.N.).

4. Da die außerordentliche Kündigung des Anerkennungstarifvertrages durch die Beklagte unwirksam ist, haben die Manteltarifverträge vom 7. März 1991 bei der Beklagten Geltung. Davon ist auch das Landesarbeitsgericht nach dem Tenor seines Urteils ausgegangen, ohne dazu Ausführungen zu machen. Inhaltlich bestimmt § 3 Ziff. 3.1 des Anerkennungstarifvertrages, daß diese in der jeweils gültigen Fassung gelten. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Bott, v. Dassel, Schwitzer

 

Fundstellen

Haufe-Index 438956

BAGE, 28

NWB 1997, 163

NZA 1997, 830

SAE 1998, 124

JZ 1998, 203

MDR 1997, 656

NJ 1997, 76

Belling / Luckey 2000, 274

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