Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung im Ausbildungsverhältnis

 

Normenkette

BBiG § 15; ArbGG § 111; KSchG §§ 4, 7

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 29.08.1997; Aktenzeichen 3 Sa 51/97)

ArbG Hamburg (Urteil vom 18.04.1997; Aktenzeichen 3 Ca 431/96)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 29. August 1997 – 3 Sa 51/97 – aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger stand seit dem 1. September 1993 als Auszubildender für den Beruf des Glasers in einem Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten. Der bis zum 31. August 1996 befristete Ausbildungsvertrag vom 8. Februar 1993 enthielt in § 4 Ziff. 8 die Pflicht des Auszubildenden, bei Fernbleiben von der betrieblichen Ausbildung unter Angabe von Gründen unverzüglich Nachricht zu geben und bei Krankheit spätestens am dritten Tag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Das Ausbildungsverhältnis war seit dem Jahre 1995 belastet: Eine erste außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. April 1995, begründet u. a. mit Selbstbeurlaubung und Ablehnung bestimmter Arbeiten, wurde auf Empfehlung des Ausschusses für Lehrlingsstreitigkeiten der Landesinnung des Glaserhandwerks Hamburg zurückgenommen. Eine weitere fristlose Kündigung der Beklagten vom 8. November 1995, begründet mit Unregelmäßigkeiten bei der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, wurde vom Lehrlingsausschuß für wirksam erachtet; aufgrund Vergleichs vom 15. März 1996 im Kündigungsschutzprozeß beim Arbeitsgericht Hamburg (– 3 Ca 53/96 –) wurde die Ausbildung jedoch mit Wirkung ab 18. März 1996 fortgeführt.

Nachdem der Kläger wiederholt krankheitsbedingt gefehlt hatte, veranlaßte die Beklagte eine Ladung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen; der Kläger nahm jedoch die Untersuchungstermine am 6. Juni und 3. Juli 1996 nicht wahr. Am 27. Juni 1996 teilte die Krankenkasse der Beklagten mit, daß der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht weiter arbeitsunfähig geschrieben werde. Nunmehr erhielt die Beklagte von einem anderen Arzt eine Erstbescheinigung, datierend vom 24. Juni 1996. Eine Folgebescheinigung und zwei weitere Erstbescheinigungen schlössen sich an. Nachdem der Kläger in der Zeit vom 29. Juli bis 31. Juli 1996 nicht im Betrieb der Beklagten erschienen war und sein Fehlen dort auch nicht mitgeteilt hatte, kündigte die Beklagte erneut fristlos mit Schreiben vom 31. Juli 1996 und folgender Begründung:

“Seit Montag, den 29.07.1996 bis heute Mittwoch, den 31.07.1996 – 17 Uhr –, fehlen Sie unentschuldigt, obwohl Sie selbst am Freitag, den 26.07.1996, telefonisch angekündigt hatten, daß Sie am Montag, den 29.07.1996, zur Arbeit erscheinen werden.”

Am 1. August 1996 gingen bei der Beklagten zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein, und zwar eine Erstbescheinigung vom 29. Juli 1996 für diesen Tag und eine Folgebescheinigung vom 30. Juli 1996 für die Zeit bis 6. August 1996. Die Kündigung ging dem Kläger am 2. August 1996 zu; die Gesellenprüfung am 13. August 1996 bestand er nicht. Mit Spruch vom 18. September 1996, dem Kläger ohne Rechtsmittelbelehrung zugestellt am 28. Oktober 1996, stellte der Lehrlingsausschuß fest, daß die außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses gerechtfertigt sei.

Mit der am 18. November 1996 eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe angesichts der sachlich richtigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in der Zeit ab dem 29. Juli 1996 nicht unentschuldigt gefehlt, eine Verletzung von Anzeigepflichten könne die Kündigung nicht rechtfertigen, zumal diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Beklagten bei normalem Postlauf bei Abfassung der Kündigung vom 31. Juli 1996 hätten vorliegen müssen. Auf frühere angebliche Fehlzeiten sei die Kündigung nicht gestützt, diese lägen auch außerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 BBiG und könnten nicht nachgeschoben werden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung vom 31. Juli 1996 – zugegangen am 2. August 1996 – nicht beendet worden ist.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, das Fehlen des Klägers seit 29. Juli 1996 sei unentschuldigt, da es sich bei den ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen entweder um erschlichene Bescheinigungen oder aber um Gefälligkeitsatteste handele; angesichts der häufigen Arztwechsel des Klägers und seines unentschuldigten Fernbleibens beim medizinischen Dienst könne eine Erkrankung in dieser Zeit nicht vorgelegen haben. Zudem habe der Kläger bereits am 7. Mai, 15. Mai, 10. Juni und 26. Juli 1996 unentschuldigt gefehlt und es habe ihm aufgrund der nach der Kündigung vom 21. April 1995 erfolgten Verhandlung vor dem Schlichtungsausschuß bekannt sein müssen, daß nochmaliges unentschuldigtes Fehlen die fristlose Kündigung nach sich ziehen werde; gleiches gelte hinsichtlich der Gerichtsverhandlung nach der Kündigung vom 8. November 1995. Die Kündigung sei aber auch wegen Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht gerechtfertigt. Dem Begründungserfordernis aus § 15 Abs. 3 BBiG sei Genüge getan, der konkrete Kündigungssachverhalt im Kündigungsschreiben genannt, die übrigen Umstände dem Kläger als volljährigem Auszubildenden bekannt.

Nach Obsiegen des Klägers in den Tatsacheninstanzen verfolgt die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, § 565 ZPO.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte könne die Kündigung nicht darauf stützen, daß der Kläger ab 29. Juli 1996 unter Vorlage einer erschlichenen oder aus Gefälligkeit erteilten unrichtigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gefehlt habe. Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit sei zwar geeignet, eine außerordentliche Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses zu rechtfertigen, die Interessenabwägung könnte auch zu Lasten des Klägers ausfallen, denn der Beweiswert der für die Zeit ab 29. Juli 1996 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei wegen häufiger Arztwechsel und der beiden vom Kläger nicht wahrgenommenen Termine beim medizinischen Dienst erschüttert. Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts bedürfe es aber nicht, weil der Kündigungsgrund der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit nicht im Kündigungsschreiben angegeben sei und auch nicht nachgeschoben werden könne.

II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat nur in Teilen der Begründung.

1. Die Klage ist zulässig. Das nach § 111 Abs. 2 ArbGG erforderliche Verfahren vor dem Ausschuß für Lehrlingsstreitigkeiten – soweit ein solcher besteht – als zwingende Prozeßvoraussetzung (vgl. BAGE 61, 258, 263, m. w. N. = AP Nr. 21 zu § 4 KSchG 1969, zu II 1 der Gründe, mit zust. Anm. Natzel) ist durchgeführt; es ist unschädlich (§ 68 ArbGG), daß das Arbeitsgericht entgegen der Vorschrift des § 111 Abs. 2 Satz 7 ArbGG trotz erfolgten Schlichtungsverfahrens noch einen Gütetermin durchgeführt hat.

Zutreffend haben die Vorinstanzen auch angenommen, die Klage sei nicht wegen Versäumung der Frist des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG unzulässig. Die Klageerhebung mit Gerichtseingang vom 18. November 1996 erfolgte zwar nach Ablauf der bei unterbliebener Verkündung grundsätzlich mit Zustellung des Spruches beginnenden Frist von zwei Wochen (GK-ArbGG/Ascheid, Stand Dezember 1997, § 111 Rz 28; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 111 Rz 9; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 111 Rz 36). Diese Zustellung erfolgte hier am 28. Oktober 1996, jedoch begann der Lauf der zweiwöchigen Frist für die Klageerhebung gem. § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG deshalb nicht, weil der Spruch des Ausschusses für Lehrlingsstreitigkeiten entgegen § 111 Abs. 2 Satz 4 ArbGG nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung i. S.v. § 9 Abs. 5 ArbGG versehen war. Die infolgedessen maßgebliche Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG ist eingehalten.

2. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht auch davon aus, daß die Kündigung nicht gemäß § 7, § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG als rechtswirksam gilt, denn die dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage (§ 4 Satz 1 KSchG) ist nicht maßgeblich, wenn gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG der Klageerhebung eine Verhandlung vor einem gebildeten Ausschuß für Lehrlingsstreitigkeiten vorausgegangen sein muß (BAGE 61, 258, 266 = AP, aaO, zu III der Gründe; BAG Urteil vom 5. Juli 1990 – 2 AZR 53/90 – AP Nr. 23 zu § 4 KSchG 1969, zu I 2 der Gründe).

3. Das Landesarbeitsgericht ist unzutreffend davon ausgegangen, die Beklagte habe die Kündigung im Prozeß auf das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit, also Entgeltfortzahlungsbetrug, gestützt. Zu Recht rügt die Revision, die Beklagte habe die Kündigung nicht mit einem solchen Vorwurf, sondern damit begründet, der Kläger sei ohne rechtfertigenden Grund der betrieblichen Ausbildung ferngeblieben. Mit erstinstanzlichen Schriftsätzen vom 7. Januar und 2. April 1997 hatte die Beklagte die Kündigung auf unentschuldigtes Fehlen des Klägers gestützt und ausgeführt, daß ihn die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht entlaste. Nachdem das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung damit begründet hatte, nicht das Fehlen an den drei im Kündigungsschreiben genannten Tagen, sondern eine lange Kette von allerdings nicht im Kündigungsschreiben enthaltenen und daher zur Formnichtigkeit führenden Vorfällen seien Grundlage des Kündigungsentschlusses der Beklagten gewesen, hat die Beklagte die Kündigung in der Berufungsbegründung – wie auch schon erstinstanzlich – darauf gestützt, der Kläger habe drei Arbeitstage unentschuldigt gefehlt, was im Kündigungsschreiben keinesfalls nur pauschal ausgeführt worden sei; einhergegangen sei damit ein Verstoß des Klägers gegen die Pflichten aus § 4 Ziff. 8 des Ausbildungsvertrages und § 5 EFZG. Bei der weiteren Berufungsbegründung hat die Beklagte sodann unter eingehender Erörterung der wechselseitigen Interessen beschrieben, warum das unentschuldigte Fehlen an drei Arbeitstagen angesichts der langen Kette unentschuldigter Fehlzeiten die Kündigung ihrer Auffassung nach rechtfertige; dabei hat sie die verspätete Vorlage der Atteste nicht als eigenen Kündigungsgrund angeführt, sondern lediglich angemerkt, daß das Fehlen des Klägers nicht durch Vorlage der Atteste entschuldigt werde, da er nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, was sich aus dem häufigen Arztwechsel und dem Fernbleiben von den Untersuchungsterminen des medizinischen Dienstes ergebe. Damit bestand in der Tat kein Anlaß für das Landesarbeitsgericht, die Kündigung überhaupt unter dem Gesichtspunkt der Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit mittels erschlichener Bescheinigungen zu prüfen.

a) Das Landesarbeitsgericht hätte daher entsprechend dem durchgehenden Sachvortrag das unentschuldigte Fehlen des Klägers an drei Arbeitstagen als eigentlichen Kündigungsgrund prüfen und bewerten müssen. Unabhängig von der erhobenen formellen Aufklärungsrüge enthält die subsumtionslose Einbeziehung dieses Vorbringens einen materiell-rechtlichen Fehler, da der im Verfahren entscheidungserhebliche Vortrag zwar erfaßt, aber schlicht nicht bewertet wurde. Stünde fest, daß sich die Annahme, der Kläger fehle aufgrund von reinen Gefälligkeitsattesten unentschuldigt, als zutreffend erwiese, so wäre dies kündigungsrelevant.

Da es an tatrichterlichen Feststellungen zu der Behauptung der Beklagten fehlt, die streitbefangenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien entweder erschlichen oder als Gefälligkeitsatteste ausgestellt, und da es ferner eine Frage der tatrichterlichen Würdigung darstellt, ob ein unentschuldigtes Fehlen an drei Tagen unter den vorliegenden Umständen einen wichtigen Grund i. S.v. § 15 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellt, kann der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden. Er beschränkt sich insoweit auf folgende Hinweise:

b) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen, daß auch das Fernbleiben von einer angeordneten Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherungen die Beweiswirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern kann (BAGE 28, 144 f. = AP Nr. 2 zu § 3 LohnFG, zu I 2b der Gründe, m. w. N.). Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wird u. a. auf die im Senatsurteil vom 26. August 1993 (– 2 AZR 154/93 – BAGE 74, 127, 134 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB, zu B I 1c der Gründe) und im Urteil vom 19. Februar 1997 (– 5 AZR 747/93 – AP Nr. 3 zu Art. 18 EWG-Verordnung Nr. 574/72, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) aufgestellten Grundsätze verwiesen.

Zwar kann es den Ausspruch einer fristgerechten (BAGE 67, 75 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung) oder auch fristlosen Kündigung (BAGE 58, 37 = AP Nr. 99 zu § 626 BGB) rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer ohne entlastenden Grund nicht (oder verspätet) zur Arbeit erscheint; selbst vor Ausspruch einer fristgerechten Kündigung ist jedoch eine Abmahnung erforderlich, solange erwartet werden kann, der Arbeitnehmer werde in Zukunft sein Fehlverhalten abstellen (BAGE 67, 75, 81 = AP, aaO, zu II 2c der Gründe); auch die Frage der Entbehrlichkeit einer Abmahnung bedarf jedoch der Abwägung aller wesentlichen Umstände des Falles und ist daher tatrichterliche Aufgabe (vgl. Senatsurteil vom 6. Februar 1997 – 2 AZR 38/96 – n. v., zu II 2 der Gründe). Eine fristlose Kündigung ist auch ohne vorherige Abmahnung bei besonders groben Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers dann möglich, wenn dem Arbeitnehmer seine Pflichtwidrigkeit ohne weiteres erkennbar ist und er mit der Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber nicht rechnen konnte (BAGE 31, 153 = AP Nr. 1 zu § 64 SeemG; BAG Urteil vom 12. Juli 1984 – 2 AZR 320/83 – AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972, zu B III 3b der Gründe). Gegebenenfalls wird das Landesarbeitsgericht auch zu erörtern haben, ob die vorausgegangenen, rückgängig gemachten Kündigungen der Beklagten als Abmahnung gewertet werden können, was allerdings zumindest hinsichtlich der infolge Weiterarbeit des Klägers einverständlich zurückgenommenen Kündigung problematisch erscheint. Auch was hinsichtlich der durch gerichtlichen Vergleich “bereinigten” fristlosen Kündigung vom 8. November 1995 zu gelten hat, kann der Senat nicht ohne Kenntnis des Vergleichswortlauts und der Begleitumstände, die zum Vergleichsabschluß geführt haben, beurteilen. Wenn insoweit die unwirksame Kündigung Abmahnungswirkung entfaltet (vgl. dazu BAG Urteil vom 31. August 1989 – 2 AZR 13/89 – AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung), dann ist sie vorliegend nicht deswegen unverwertbar, weil sie im Kündigungsschreiben vom 31. Juli 1996 nicht noch ausdrücklich erwähnt ist. Nach der Senatsrechtsprechung ist zwar bei der Begründung der Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 BBiG keine volle Substantiierung wie im Prozeß zu verlangen, die Kündigungsgründe müssen jedoch so genau bezeichnet werden, daß der Gekündigte erkennen kann, um welche Vorfälle es sich handelt; werden im Kündigungsschreiben lediglich pauschale Werturteile anstatt nachprüfbarer Tatsachen genannt, ist die Kündigung wegen Formmangels gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig (Senatsurteile vom 29. Februar 1984 – 2 AZR 354/83 – AP Nr. 6 zu § 13 KSchG 1969), zu II 2b der Gründe und vom 25. November 1976 – 2 AZR 751/75 – AP Nr. 4 zu § 15 BBiG; BAGE 24, 133 = AP Nr. 1 zu § 15 BBiG). Für den erforderlichen Grad der Konkretisierung der Gründe im Kündigungsschreiben hat der Senat angenommen, daß sich für die Frage, wie genau die Kündigungsgründe in tatsächlicher Hinsicht geschildert werden müssen, kein allgemeiner Maßstab aufstellen lasse (Urteil vom 25. November 1976, AP, aaO; vgl. ferner Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., Seite 291; ders., Anm. zu AP Nr. 4 zu § 15 BBiG sowie zu AP Nr. 6 zu § 13 KSchG 1969). Daran ist schon deshalb festzuhalten, weil es in der Regel um individuell abgefaßte Kündigungsschreiben von Handwerksmeistern oder zumeist kleinen bzw. mittelständischen Betrieben gehen wird.

Der Kündigungsgrund “unentschuldigtes Fehlen am 29., 30. und 31. Juli 1996 trotz vorher ausdrücklich angekündigtem Erscheinen am 29. Juli 1996” ist hier ausreichend dokumentiert, § 15 Abs. 3 BBiG. Der Senat hält es insoweit im zu entscheidenden Fall für übertriebenen Formalismus, im Hinblick auf einschlägige, in den vorhergehenden Kündigungsverfahren dokumentierte Vorwürfe von der Beklagten zu verlangen, sie habe diese anläßlich der dritten Kündigung erneut schriftlich auflisten müssen. Dem Gesetzeszweck des § 15 Abs. 3 BBiG, nämlich u. a. Rechtsklarheit und Beweissicherung zu dienen (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. November 1976, AP, aaO, zu A III 1 der Gründe), war Genüge getan:

Die vorhergehenden Kündigungen waren dokumentiert und der Kläger mußte auch bei einer eventuellen Prüfung, ob er die neuerliche Kündigung hinnehmen wollte oder nicht, davon ausgehen, die Beklagte werde zumindest auf den einschlägigen Vorwurf (Unregelmäßigkeiten bei der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen) laut der zweiten Kündigung vom 8. November 1995 zurückgreifen. Nachdem der Kläger der zweimaligen Aufforderung der Krankenkasse, nämlich am 6. Juni und 3. Juli 1996 sich der ärztlichen Untersuchung zu stellen, nicht gefolgt war und sowohl für die Erkrankung ab 4. Juli 1996, ab 20. Juli und schließlich ab 29. Juli 1996 jeweils Erstbescheinigungen von anderen Ärzten vorlegte, mußte es sich ihm geradezu aufdrängen, daß die Beklagte die gleichsam postwendend folgende Kündigung auch auf die “Vorgeschichte” stützen wolle. Ersichtlich hat das auch der Innungsausschuß für Lehrlingsstreitigkeiten laut seinem Ergebnisprotokoll vom 18. September 1996 nicht anders gesehen, wenn dort zur Begründung des einstimmigen Votums auf das “Gesamtverhalten des Antragstellers” hingewiesen wird.

Das Berufungsgericht wird zusätzlich die Verletzung der Anzeigepflicht in die Bewertung einzustellen haben, wobei die Anzeigepflicht nach § 4 Ziff. 8 des Ausbildungsvertrages für jedes Fernbleiben von der betrieblichen Ausbildung bestand. Die Anzeigepflichtverletzung ist zusammen mit dem Fernbleiben von der betrieblichen Ausbildung zu würdigen (vgl. zum Erfordernis einer Einzel- und Gesamtwürdigung die Senatsurteile vom 6. und 20. November 1997 – 2 AZR 94/97 – AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 und – 2 AZR 643/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Für die Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, daß der Kläger, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, die Prüfung auch als externer Proband ablegen konnte und er bisher keine Ausbildungsmängel infolge der Nichtfortführung des Ausbildungsverhältnisses geltend gemacht hat. Zusätzlich könnte die Tatsache zu berücksichtigen sein, daß dem Kläger hinsichtlich des Fernbleibens von der betrieblichen Ausbildung ein hoher Grad an Verschulden, nämlich Absicht vorzuwerfen wäre, was sich aus dem Einreichen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergeben würde, wenn die Behauptung der Beklagten zutrifft, es handele sich um erschlichene Bescheinigungen. War schließlich nach einer vernünftigen Prognose im Zeitpunkt der Kündigung nicht damit zu rechnen, der Kläger werde innerhalb des bis 31. August 1996 befristeten Ausbildungsverhältnisses das Ausbildungsziel erreichen, könnte bei der Interessenabwägung jedenfalls nicht darauf abgestellt werden (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Mai 1973 – 2 AZR 328/72 – AP Nr. 3 zu § 15 BBiG), das Vertragsverhältnis bestehe ohnehin nur bis zum 31. August 1996.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Fischermeier, Nielebock, Dr. Kirchner

 

Fundstellen

Haufe-Index 2628893

FA 1998, 324

MedR 1998, 512

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