Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung - Abmahnungserfordernis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Senat hält daran fest, daß bei Störungen im Verhaltensbereich vor einer - außerordentlichen oder ordentlichen - Kündigung im Regelfall eine Abmahnung erforderlich ist.

2. Zur Anwendung des Kündigungsverbots nach § 18 Abs 1 BErzGG trotz nicht fristgerechter Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs (§ 16 Abs 1 BErzGG) durch einen Arbeitnehmer (Adoptivvater).

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1; BErzGG § 1; KSchG § 13; BErzGG §§ 18, 16, 15

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 22.04.1993; Aktenzeichen 4 Sa 7/93)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 21.09.1992; Aktenzeichen 1 Ca 22470/92)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 2. Januar 1992 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiter zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.000,00 DM beschäftigt. Die Beklagte betreibt mit 6 Mitarbeitern einen Großhandel für Reinigungsmittel.

Der Kläger und seine Ehefrau, die ebenfalls berufstätig ist, hatten sich seit längerem um die Adoption eines Kindes bemüht. Seit Mai 1992 wußte der Kläger, daß er von der zuständigen Behörde als Adoptivbewerber anerkannt war. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch noch nicht bekannt, wann ihm ein Kind in Adoptionspflege gegeben würde. Ihm wurde hierzu nur telefonisch mitgeteilt, die Zuteilung könne von einem Tag zum anderen erfolgen, es könne aber auch bis zu drei Jahren dauern. Erstmals am 21. Juli 1992 erfuhr der Kläger, eine Adoption sei nunmehr möglich und das zu adoptierende Kind, das am 14. Juli 1992 geboren worden war, sei am 24. Juli 1992 in Adoptionspflege aufzunehmen. Daraufhin wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 1992 an die Beklagte und beantragte Erziehungsurlaub ab 24. Juli 1992. Mit Schreiben vom 29. Juli 1992, das der Beklagten noch am selben Tage übergeben wurde, ergänzte er seinen ursprünglichen Antrag vom 22. Juli 1992 dahin, daß er den Erziehungsurlaub für zwei Jahre, also bis zum 23. Juli 1994, in Anspruch nehmen wolle. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Juli 1992, das dem Kläger am selben Tag ausgehändigt wurde, das Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsverweigerung seit dem 24. Juli 1992 mit sofortiger Wirkung. Ab diesem Zeitpunkt hat der Kläger für die Beklagte nicht mehr gearbeitet.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit diese Kündigung wegen Verstoßes gegen § 18 BErzGG geltend gemacht. Zwar habe er die Vier-Wochen-Frist des § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG nicht einhalten können, für ihn komme jedoch aufgrund der besonderen Fallgestaltung die Wochenfrist des § 16 Abs. 2 BErzGG zum Tragen, da er erst seit Mai 1992 gewußt habe, daß er als Adoptivbewerber anerkannt worden sei und erstmals am 21. Juli 1992 von der Adoptionsvermittlungsstelle erfahren habe, daß er am 24. Juli 1992 ein Kind in seine Obhut nehmen solle. Deshalb könne ihm nicht vorgeworfen werden, die Beklagte über den Stand des Adoptionsverfahrens nicht eher informiert zu haben, zumal er bis zum 21. Juli 1992 selber über keine näheren Informationen verfügt habe. Schließlich habe er die Beklagte zu keiner Zeit in den Glauben versetzt, nicht er, sondern seine Ehefrau würde Erziehungsurlaub nehmen. Er habe die Vier-Wochen-Frist des § 16 Abs. 1 BErzGG aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund nicht einhalten können; die Frist des § 16 Abs. 2 BErzGG sei dagegen gewahrt.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen

den Parteien durch die fristlose Kündigung der

Beklagten vom 29. Juli 1992 nicht aufgelöst wor-

den ist. Die Beklagte hat sich zwar gegen die Anwendung der Schutzvorschrift des § 18 Abs. 1 BErzGG auf Adoptiveltern nicht gewandt, meint jedoch, die Sonderregelung des § 16 Abs. 2 BErzGG sei von ihrem Schutzzweck her nur auf Frauen anwendbar. Die Relativierung gesetzlicher Fristen trage gerade der besonderen psychischen Situation der schwangeren Frau bzw. Mutter Rechnung, wie auch ein Vergleich mit der Parallelvorschrift des Mutterschutzgesetzes zeige. Aber selbst wenn man § 16 Abs. 2 BErzGG zugunsten des Mannes anwenden wolle, sei von einem Verschulden des Klägers auszugehen, weil er sie nicht rechtzeitig und regelmäßig über den Stand des Adoptionsverfahrens unterrichtet habe. Statt dessen habe er sie bis zuletzt in dem Glauben gelassen, seine Ehefrau werde Erziehungsurlaub nehmen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Senat tritt der Entscheidung der Vorinstanz jedenfalls im Ergebnis bei.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 1992 nicht aufgelöst worden, da die Kündigung gem. § 18 Abs. 1 BErzGG rechtsunwirksam sei. Nach dieser Vorschrift dürfe das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Erziehungsurlaub verlangt worden sei, höchstens jedoch sechs Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubes, und während des Erziehungsurlaubes vom Arbeitgeber nicht gekündigt werden. Die Geltendmachung des Erziehungsurlaubes sei zwar nicht an eine bestimmte Form, wohl aber an eine Frist gebunden. Dies ergebe sich aus § 16 Abs. 1 BErzGG. Vorliegend habe der Kläger zwar den Erziehungsurlaub unstreitig nicht rechtzeitig i. S. des § 16 Abs. 1 BErzGG verlangt. Zu seinen Gunsten greife jedoch die Vorschrift des § 16 Abs. 2 BErzGG ein, da er wegen der erst am 21. Juli 1992 erfolgten Mitteilung, bereits am 24. Juli 1992 sei das am 14. Juli 1992 geborene Kind in Obhut zu nehmen, an der rechtzeitigen Geltendmachung des Erziehungsurlaubes i. S. des § 16 Abs. 1 BErzGG aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund gehindert gewesen sei. Da der Kläger die Beklagte unstreitig von dieser Tatsache bereits am 22. Juli 1992 in Kenntnis gesetzt habe, habe er auch die Wochenfrist des § 16 Abs. 2 BErzGG gewahrt. Diese Bestimmung sei auf den hier vorliegenden Fall entsprechend anzuwenden.

Die Beklagte könne auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Kläger hätte sie bereits vorher von seiner Absicht, Erziehungsurlaub nehmen zu wollen, in Kenntnis setzen müssen, da (vor dem 21. Juli 1992) weder festgestanden habe, noch für den Kläger mit einiger Sicherheit einschätzbar gewesen sei, wann ihm ein Kind in Obhut gegeben würde.

II. Die außerordentliche Kündigung vom 29. Juli 1992 ist schon deshalb unwirksam - und dasselbe gilt auch für eine evtl. umzudeutende ordentliche Kündigung - weil die Beklagte den Kläger vor Ausspruch der Kündigung nicht abgemahnt hat, §§ 1, 13 KSchG, § 626 BGB.

1. Grundsätzlich ist ein Arbeitnehmer, der wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens gekündigt werden soll, zunächst abzumahnen; das gilt insbesondere bei Störungen im Verhaltens- und Leistungsbereich (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BAGE 19, 351, 354 = AP Nr. 1 zu § 124 GewO, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 29. Juli 1976 - 3 AZR 50/75 - AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung, zu 4 c der Gründe; BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; Senatsurteil vom 17. Januar 1991 - 2 AZR 375/90 - BAGE 67, 75, 81 = AP Nr. 25, aaO, zu II 2 c der Gründe; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 234, m.w.N.; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 96 ff., m.w.N.). Abmahnung bedeutet, daß der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringt und damit deutlich - wenn auch nicht expressis verbis - den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Entbehrlich ist eine Abmahnung nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden durfte (BAG aaO).

2. Ein etwaiges Fehlverhalten des Klägers läge im Verhaltensbereich, weil er seiner Arbeitspflicht ab 24. Juli 1992 nicht mehr nachgekommen ist. Unstreitig ist eine Abmahnung wie im oben dargelegten Sinne nicht erfolgt. Eine solche wäre auch nicht wegen Uneinsichtigkeit oder Rücksichtslosigkeit des Klägers entbehrlich oder sinnlos gewesen.

Es fand zwar am 22. Juli 1992, als der Kläger den Antrag auf Erziehungsurlaub vorlegte, zwischen ihm und einem Mitarbeiter der Beklagten ein Gespräch über den Erziehungsurlaub statt, in dem ihm jedoch nur mitgeteilt wurde - so der eigene Sachvortrag der Beklagten in der Aktennotiz vom 11. August 1992 -, daß der Geschäftsführer über die Angelegenheit entscheiden werde und der Kläger seine Arbeit fortsetzen solle. Als der Kläger dann am 24. Juli 1992 im Büro erschien, um seine Arbeitsunterlagen zurückzugeben, wurde seitens der Beklagten der generelle Anspruch auf Erziehungsurlaub nicht in Frage gestellt, sondern dem Kläger nur zu verstehen gegeben, daß er nach Ansicht der Beklagten den Erziehungsurlaub ohne Einhaltung einer Frist nicht in Anspruch nehmen könne. Ausdrücklich wurde der Kläger jedoch bei diesem Gespräch nicht darauf hingewiesen, bei Fernbleiben von der Arbeit ab 24. Juli 1992 müsse er sofort mit rechtlichen Konsequenzen, insbesondere mit einer Kündigung, rechnen. Streitpunkt der Parteien war demnach lediglich die Frage der Einhaltung bzw. des zeitlichen Umfanges einer Ankündigungsfrist in Bezug auf den beantragten Erziehungsurlaub in dem hier vorliegenden besonderen Fall der Inobhutnahme eines zu adoptierenden Kindes. Dies belegen sowohl die Aktennotiz der Beklagten und das ergänzende Schreiben des Klägers vom 29. Juli 1992, in dem dieser u. a. auf die aus seiner Sicht für ihn geltende Ausnahmeregelung des § 16 Abs. 2 BErzGG hinweist, als auch der Sachvortrag der Parteien in beiden Vorinstanzen. Beide Seiten waren sich jedoch über die tatsächliche Rechtslage nicht im klaren. Aufgrund der schwierig zu beurteilenden Rechtslage - immerhin braucht das Landesarbeitsgericht Berlin in der angefochtenen Entscheidung 2 1/2 Seiten zur Begründung einer entsprechenden Anwendung des § 16 Abs. 2 BErzGG - wäre daher ein Hinweis der Beklagten gegenüber dem Kläger dahingehend erforderlich gewesen, er müsse mit einer Kündigung rechnen, wenn er an seiner Rechtsansicht, die im übrigen das Landesarbeitsgericht geteilt hat, festhalte.

Anhaltspunkte dafür, daß eine ordnungsgemäße Abmahnung keinen Erfolg gehabt hätte, sind nicht ersichtlich. Hätte die Beklagte dem Kläger die auch für sie überraschende und schwierige Situation unter Kündigungsandrohung verdeutlicht, wäre evtl. eine Lösung dahin zu erzielen gewesen, daß der Kläger die Vier-Wochen-Frist des § 16 Abs. 1 BErzGG eingehalten hätte, sei es, daß die Inobhutnahme um diese Frist hinausgeschoben oder vorübergehend eine andere Person zur Pflege des Kindes ausfindig gemacht worden wäre. Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, die mit einer Abmahnung verbundene Warnfunktion (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 21. Mai 1992 - 2 AZR 551/91 - AP Nr. 28, aaO, zu II 3 c aa der Gründe) sei von vornherein überflüssig gewesen. Vielmehr stellte sich die spontane Kündigung unter Berücksichtigung der hier zu beachtenden Kündigungsschutzbestimmungen (§§ 1 Abs. 2, 13 KSchG sowie § 626 BGB) als unverhältnismäßig und nicht dem Ultima-ratio-Prinzip entsprechend (vgl. dazu BAGE 67, 75, 81 = AP, aaO, zu II 2 c der Gründe, m.w.N.) dar.

3. Der Senat hat erwogen, ob die Kündigung der Beklagten außerdem gegen das Kündigungsverbot des § 18 BErzGG verstößt und deshalb nichtig ist, braucht darauf aber angesichts der zu II 1 und 2 erörterten Begründung vorliegend noch nicht tragend abzustellen.

Die Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 1992 könnte gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG rechtsunwirksam sein, da der Kläger jedenfalls mit seinem Schreiben vom 29. Juli 1992 noch innerhalb von sechs Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubes gegenüber der Beklagten den Erziehungsurlaub verlangt hatte und er daher bereits zur Zeit der nachfolgenden Kündigung den Sonderkündigungsschutz des § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG hinsichtlich jeder Art von Kündigung hatte. Auf die vom Landesarbeitsgericht erörterte Problematik, ob die Vorschrift des § 16 Abs. 2 BErzGG entsprechend auf künftige Adoptivväter, die kurzfristig ein Kind in Adoptionspflege aufnehmen, anwendbar ist, käme es dann nicht einmal an. Insofern bestünden ohnehin Bedenken gegen eine ausdehnende, analoge Anwendung dieser Bestimmung wegen ihres Charakters als Ausnahmevorschrift (vgl. dazu u. a. BAG Urteil vom 10. Dezember 1992 - 2 AZR 271/92 - EzA § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 38).

a) Gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Erziehungsgeld verlangt worden ist, höchstens jedoch sechs Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubs, und während des Erziehungsurlaubs nicht kündigen.

Wenn im § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG ausgeführt ist, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen darf, so liegt darin ein gesetzliches Verbot, das sich gegen die Kündigungserklärung selbst richtet. Eine Kündigung, die trotzdem erfolgt, ist nach § 134 BGB nichtig (vgl. HzA Gruppe 6 Erziehungsurlaub Rz 367; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuschG, 6. Aufl., § 18 BErzGG Rz 13; Meisel/Sowka, MuschG, 3. Aufl., § 18 BErzGG Rz 12). Das Verbot des § 18 Abs. 1 BErzGG bezieht sich auf jede Art von Kündigung, auf die ordentliche (fristgerechte) sowie die außerordentliche (fristlose) Kündigung; es ist auch unerheblich, aus welchem Grund der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden will (vgl. HzA, aaO; Meisel/Sowka, aaO, § 18 BErzGG Rz 9; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aaO, § 18 BErzGG Rz 12 und 13).

b) § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG setzt das Bestehen eines Anspruches auf Erziehungsurlaub gem. § 15 Abs. 1 BErzGG voraus. Ein solcher ist beim Kläger gegeben. Er ist Angestellter der Beklagten und hat gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 BErzGG ein Kind in Adoptionspflege bzw. in seinem Haushalt in Obhut genommen, das er selbst betreut und erzieht, wobei die Ehefrau berufstätig ist und unstreitig ihrerseits keinen Erziehungsurlaub bei ihrem Arbeitgeber beantragt hat (vgl. Bürger/Oehmann/Matthes, HwB-AR, Erziehungsgeld/-urlaub, Stand Juni 1992, Rz 36).

c) Auch liegt der Zeitpunkt des jedenfalls zeitlich näher bestimmten Verlangens (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG) am 29. Juli 1992 noch in einem Zeitraum von innerhalb sechs Wochen vor dem Beginn des Erziehungsurlaubs am 26. August 1992 (4 Wochen nach ausreichender Geltendmachung).

aa) Mit der Neufassung des Satzes 1 in § 18 Abs. 1 BErzGG - so die amtliche Begründung (BT-Drucks. 12/1125 S. 9 zu Nr. 13) - wird eine Kündigung nach der Mitteilung an den Arbeitgeber ab der 6. Woche vor Beginn des Erziehungsurlaubs ausgeschlossen. Verlangt der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber Erziehungsurlaub, so greift der Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG schon dann sofort ein, wenn das Verlangen sechs Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubs oder während der Sechs-Wochen-Frist erfolgt. Erfolgt das Verlangen früher als sechs Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubes, so ist der Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG nicht bereits mit dem Verlangen gegeben, sondern setzt erst ab dem Sechs-Wochen-Zeitpunkt vor Beginn des Erziehungsurlaubes ein.

bb) Anknüpfungspunkt für die Fristberechnung ist in jedem Falle der Beginn des Erziehungsurlaubes. Dieser richtet sich grundsätzlich nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG. Danach muß der Arbeitnehmer den Erziehungsurlaub spätestens vier Wochen vor dem Zeitpunkt, von dem ab er ihn in Anspruch nehmen will, vom Arbeitgeber verlangen und gleichzeitig erklären, für welchen Zeitraum oder für welche Zeiträume er Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen will. Sind die Anspruchsvoraussetzungen für den Erziehungsurlaub erfüllt und hat der Arbeitnehmer eine dem § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG genügende Erklärung abgegeben, so kann der Arbeitnehmer zum vorgesehenen Beginn des Erziehungsurlaubs und für die begehrte Dauer der Arbeit fernbleiben. Einer Einverständniserklärung des Arbeitgebers zum Antritt des Erziehungsurlaubs bedarf es nicht (ebenso Meisel/Sowka, aaO, § 16 BErzGG Rz 3 und 34; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aaO, § 16 BErzGG Rz 1; BAGE 66, 126 = AP Nr. 4 zu § 15 BErzGG, zu I 1 der Gründe).

(1) Eine wirksame Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubes gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG setzt somit zum einen das Verlangen des Erziehungsurlaubes vom Arbeitgeber und zwar spätestens vier Wochen vor dem Zeitpunkt, von dem ab er verwirklicht werden soll, und gleichzeitig mit diesem Verlangen die Mitteilung an den Arbeitgeber, für welchen Zeitraum oder für welche Zeiträume der Arbeitnehmer Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen will, voraus (vgl. Zmarzlik/Zipperer/Viethen, BErzGG 92, § 16 Rz 2).

Dies ist zur Sicherstellung der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers erforderlich, weil erstens der Erziehungsurlaub nicht stets im Anschluß an die Schutzfrist nach der Entbindung genommen werden muß, zweitens ab 1. Januar 1992 der Erziehungsurlaub nicht - wie bisher - bis zu einem bestimmten Lebensmonat des Kindes genommen werden muß, sondern auch während eines bestimmten Lebensmonats des Kindes enden kann, und drittens der Erziehungsurlaub auch in einzelnen Zeitabschnitten genommen werden kann. Verlangt der Arbeitnehmer Erziehungsurlaub, ohne diese zusätzliche Erklärung über die Zeiträume abzugeben, und ergibt sich die nähere Begründung auch nicht aus einer früheren Erklärung oder den Umständen, dann ist der Erziehungsurlaub nicht wirksam geltend gemacht; der Arbeitnehmer darf ihn dann auch nicht antreten (vgl. HzA, aaO, Rz 318; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, BErzGG 92, § 16 Rz 2). Andererseits ist hierbei aber auch zu beachten, daß dann, wenn der Arbeitnehmer diese Frist des § 16 Abs. 1 Satz 1 nicht einhält, der Erziehungsurlaubsanspruch nicht erlischt (vgl. Meisel/Sowka, aaO, § 16 Rz 6), sondern sich nur der Zeitpunkt des gewünschten Urlaubsantrittes entsprechend verschiebt (vgl. BAGE 66, 126 = AP, aaO) bzw. der Erziehungsurlaub sich um den Verspätungszeitraum entsprechend verkürzt (vgl. Meisel/Sowka, aaO, § 16 Rz 6).

(2) Vorliegend hat der Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 1992 Erziehungsurlaub ab 24. Juli 1992 von der Beklagten verlangt und mit ergänzendem Schreiben vom 29. Juli 1992 die gewünschte Dauer sowie das Ende des von ihm begehrten Erziehungsurlaubes dem Arbeitgeber mitgeteilt. Das Verlangen des Klägers auf Erziehungsurlaub in seinem Schreiben vom 22. Juli 1992 wird, wie auch das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, den Anforderungen des § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG zwar nicht in bezug auf die fristgerechte und vollständige Abgabe der Erklärungen gerecht. Der Mangel in der Erklärung des Klägers im Schreiben vom 22. Juli 1992 liegt zum einen darin, daß mit ihr die Erklärungsfrist von vier Wochen des § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG nicht eingehalten wurde und auch die gleichzeitig erforderliche Mitteilung der Dauer des Erziehungsurlaubes nicht erfolgt ist. Dies führt jedoch nicht zum Erlöschen des Anspruchs des Klägers auf Erziehungsurlaub, sondern lediglich zu einer Verschiebung des für den 24. Juli 1992 gewünschten Urlaubsantrittes bzw. des Beginns des Erziehungsurlaubes. Da der Kläger erst mit seinem Schreiben vom 29. Juli 1992 eine den Anforderungen des § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG hinsichtlich der beabsichtigten Dauer entsprechende Erklärung gegenüber der Beklagten abgegeben hatte, konnte der Erziehungsurlaub rechtswirksam gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG erst vier Wochen nach dem 29. Juli 1992, d. h. am 26. August 1992, beginnen. Stellte der Kläger vorher seine Arbeitstätigkeit ein, so verstieß er damit gegen seine Vertragspflichten, durfte deshalb aber nicht ohne Genehmigung der Arbeitsschutzbehörde (§ 18 Abs. 1 Satz 2 BErzGG) gekündigt werden.

(3) Denn ohne eine solche Genehmigung, die die Beklagte unstreitig nicht eingeholt hat, greift der Schutzzweck des § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG ein. Danach soll ein Arbeitnehmer vor Kündigungen geschützt werden, die der Arbeitgeber nach dem Verlangen des Arbeitnehmers auf Erziehungsurlaub gerade im Hinblick hierauf ausspricht, um nicht mit einem langfristigen ruhenden Arbeitsverhältnis belastet zu sein. Die Schutzbedürftigkeit wird daher bereits durch das bloße Verlangen und die damit verbundene Kenntnis beim Arbeitgeber ausgelöst. Die arbeitgeberseitigen Interessen werden andererseits durch die gesetzliche Regelung hinreichend dadurch berücksichtigt, daß einerseits der Kündigungsschutz frühestmöglich sechs Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubes einsetzt und andererseits der Beginn des Erziehungsurlaubes von einem rechtswirksamen Verlangen im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG abhängig ist und damit erst ab dem Zeitpunkt berechnet werden kann, ab dem kumulativ neben dem Verlangen der Arbeitnehmer auch den Zeitraum des beabsichtigten Erziehungsurlaubes mitteilt.

Diese Überlegungen werden schließlich auch durch einen Vergleich der früheren und der heutigen Regelung des § 18 BErzGG bestätigt. Während nach der früheren Regelung des § 18 BErzGG 1989 der besondere Kündigungsschutz erst ab Beginn des Erziehungsurlaubes bestand, wobei zwar ab dem Verlangen vor Antritt des Erziehungsurlaubes die leiblichen Mütter nach § 9 MuSchG, alle übrigen Anspruchsberechtigten dagegen nur nach § 612 a BGB geschützt waren, wird mit der Neufassung des § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG 1992 die Rechtsstellung insbesondere für die Väter verbessert (vgl. Zmarzlik/Zipperer/Viethen, BErzGG 92, § 16 Rz 1; BT-Drucks. 12/1125 S. 9, zu Nr. 13).

Hillebrecht Bitter Bröhl

Schulze Dr. Bensinger

 

Fundstellen

Haufe-Index 438127

BAGE 76, 35-44 (LT1)

BAGE, 35

BB 1994, 1016

BB 1994, 1148

BB 1994, 1148-1150 (LT1-2)

DB 1994, 1477-1479 (LT1-2)

DStR 1995, 503 (K)

NJW 1994, 2246 (L)

NJW 1994, 2783

NJW 1994, 2783 (L)

BuW 1994, 512 (K)

EBE/BAG 199, 76-78 (LT1-2)

BetrVG, (48) (LT1-2)

DRsp, VI(610) 244b (ST1)

FamRZ 1994, 887 (L)

ARST 1994, 147-150 (LT1-2)

NZA 1994, 656

NZA 1994, 656-658 (LT1-2)

SAE 1996, 165-169 (LT1-2)

ZAP, EN-Nr 606/94 (S)

ZTR 1994, 518-520 (LT1-2)

AP § 626 BGB (LT1-2), Nr 116

AR-Blattei, ES 680 Nr 15 (LT1-2)

EzA-SD 1994, Nr 10, 14-16 (ST1)

EzA § 611 BGB Abmahnung, Nr 30 (LT1-2)

EzFamR aktuell 1994, 224-226 (ST)

GdS-Zeitung 1994, Nr 8, 14 (KT)

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